GRENZÜBERSCHREITENDES GESCHÄFT

Geschlossene Grenzen stellen eine Belastungsprobe dar

Michael Bräuer, Foto: SK Oberlausitz-Niederschlesien

Im Dreiländereck Deutschland - Tschechien - Polen ist die Sparkasse Oberlausitz - Niederschlesien in besonderer Weise von Grenzschließungen aufgrund der Pandemie betroffen, sagt Michael Bräuer. 21 000 Kunden aus den beiden Nachbarländern zählt das Institut. Neben der Digitalisierung helfen Repräsentanzen jenseits der Grenze, den Kontakt aufrecht zu erhalten, dennoch hat der Kundenstrom deutlich abgenommen. Auch nach dem Ende der Pandemie, so die Befürchtung des Autors, wird das Spuren bei Unternehmen und Privatkunden hinterlassen. Das verlorene Vertrauen werde sich nicht so schnell wieder zurückgewinnen lassen. Red.

Als Altbundeskanzler Helmut Kohl am 30. April 2004 anlässlich der EU-Osterweiterung in Zittau eine Rede hielt, schien der Weg für ein Europa ohne Grenzen und Handelsbarrieren auch nach Osten bereitet. Am 21. Dezember 2007 entfielen die Grenzkontrollen nach Polen und Tschechien. Dieser Schritt schien unumkehrbar.

Kapitalverkehrsfreiheit faktisch eingeschränkt

Im letzten Jahr mussten wir alle erleben, wie schnell aus einem Europa ohne Grenzen wieder ein geteilter Kontinent werden konnte. Mit der Einschränkung der Personenverkehrsfreiheit wurde faktisch auch die Kapitalverkehrsfreiheit eingeschränkt. Denn viele Kunden möchten wichtige finanzielle Fragen gerne persönlich besprechen. So auch die Kunden der Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien im Dreiländereck Polen - Tschechien - Deutschland.

Gerade diejenigen Kunden, die üblicherweise in Deutschland arbeiten und ein deutsches Girokonto benötigen, schätzen es aber auch sehr, einen Ansprechpartner in ihrer jeweiligen Landessprache zu haben. Genauso wie tschechische oder polnische Unternehmen, die mit deutschen Geschäftspartnern zusammenarbeiten und größtenteils Umsätze in Euro tätigen.

Grenzen trotz Digitalisierung

Als deutsche Sparkasse dürfen wir nach sächsischem Recht keine Filialen im Ausland errichten. Gleichzeitig können unsere Kunden und Mitarbeiter aus Polen und Tschechien unsere Filialen in Deutschland durch die Grenzschließungen nur noch sehr eingeschränkt erreichen.

Zwar helfen Onlinebanking und die Kommunikationswege Telefon und E-Mail, jedoch gibt es - im wahrsten Sinne des Wortes - Grenzen. Ein Beispiel sind etwa Auszahlungen vom Sparbuch. Kunden, die derzeit die Grenze nicht überschreiten dürfen, haben zum Teil keinen Zugriff mehr auf ihre Kontenguthaben.

Dankenswerterweise verfügt die Sparkasse sowohl in Polen als auch in Tschechien über sognannte Repräsentanzen. Dadurch können die polnischen und tschechischen Mitarbeiter zumindest viele Fragen ihrer Kunden beantworten.

Digitale Dienste helfen nur bedingt

Die Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien hat sich bereits frühzeitig entschlossen, in ihre digitalen Dienste und Services zu investieren, sodass inzwischen zahlreiche Vorgänge online oder per App erledigt werden können. Die Kunden schätzen dabei, dass diese Dienste (Webseite, Online-Banking, Apps oder Facebook-Auftritt) auch in Tschechisch und Polnisch verfügbar sind.

Mit der Einführung des Zahlungsdienstes Czech Pay gelang es, eine direkte Verbindung zwischen dem Zahlungssystem der EZB, Target2, und dem System der Tschechischen Nationalbank, Certis, zu schaffen. Damit ist der Zahlungsverkehr zwischen Deutschland und Tschechien noch einfacher und schneller. Czech Pay ermöglicht es, Transaktionen in tschechischen Kronen direkt vom Euro-Girokonto in das tschechische Zahlungssystem Certis durchzuführen, aber auch Zahlungseingänge in tschechischen Kronen auf dem Euro-Girokonto zu empfangen. Das geschieht ohne zusätzliche Entgelte für klassische Auslandsüberweisungen. Diese Dienstleistung ist insbesondere für Geschäftskunden oder tschechische Privatkunden, die in Deutschland arbeiten, interessant.

Kunden aus den Nachbarländern sehr verunsichert

All das hilft uns, die derzeitige Situation zu überstehen. Aber wir merken auch, dass die Grenzschließungen eine Belastungsprobe für die menschlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Dreiländereck darstellen.

Grundsätzlich haben offene Grenzen nicht nur für die Sparkasse eine enorme Bedeutung, sondern auch für die gesamte Wirtschaft im Dreiländereck Polen - Tschechien - Deutschland. Wir stellen fest, dass die Kunden aus beiden Nachbarländern momentan sehr verunsichert sind, was ihre berufliche und wirtschaftliche Zukunft betrifft. Viele Menschen erfahren, dass ein Arbeitsplatz in Deutschland Risiken mit sich bringen kann, mit denen sie nicht gerechnet haben.

Für Arbeitnehmer aus Tschechien, die nicht in denjenigen Branchen tätig sind, die als systemrelevant gelten, gibt es je nach Art ihrer Tätigkeit momentan nur vier Optionen:

  • sich eine Unterkunft in Deutschland zu suchen (getrennt von der Familie),
  • mobiles Arbeiten (soweit möglich),
  • Kurzarbeit (soweit anerkannt) oder aber auch
  • eine Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses.

Kundenströme haben deutlich abgenommen

Die Probleme der Arbeitnehmer bringen oft auch Unternehmen in Schwierigkeiten. Denn wie sollen Aufträge erfüllt werden, wenn die Arbeitnehmer nicht oder nur zu erschwerten Bedingungen an ihren Arbeitsplatz gelangen können? All das, was seit dem EU-Beitritt Polens und Tschechiens an Wirtschaftsbeziehungen und Vertrauen aufgebaut wurde, hat durch die Grenzschließungen eine schwere Störung erfahren. Das wird Spuren hinterlassen und das beschädigte Vertrauen wird nach dem Abflauen der Pandemie - zumindest zum Teil - in den nächsten Jahren mühsam wiederaufgebaut werden müssen. Wir merken deutlich, dass die Kundenströme, insbesondere aus Tschechien, abgenommen haben.

Trotz aller digitaler Angebote fehlt natürlich der persönliche Kontakt mit Kollegen und Kunden. Wir sind eine Sparkasse mitten in Europa und unsere tschechischen sowie polnischen Nachbarn sind seit nunmehr fast genau 17 Jahren Mitglied der Europäischen Union. Mehr als 21 000 tschechische und polnische Kunden schenken der Sparkasse ihr Vertrauen. Da liegt es hier im Dreiländereck nahe, den europäischen Gedanken nicht nur auszusprechen, sondern auch zu leben. Wir hoffen deshalb, dass die Staaten Europas die Pandemie zukünftig vermehrt durch Zusammenarbeit statt durch Abschottung bewältigen.

Michael Bräuer , Vorsitzender des Vorstands, Sparkasse Oberlausitz-Niederschlesien, Zittau
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