KUNDENBETREUUNG

Ein Jahr Finanznorm - Auftragsbuch für die Zukunft

Dr. Klaus Möller, Foto: Defino

Ein Jahr nach der Einführung der Finanznorm DIN 77230 zieht Klaus Möller ein gemischtes Fazit. Einige Marktteilnehmer setzen die Norm nur teilweise um und dampfen sie willkürlich auf ausgewählte Themen ein. Damit haben sie nicht nur ein Compliance-Problem, wenn zugleich mit der Norm geworben wird. Sondern sie verschenken auch Potenziale. Denn die vollständige Umsetzung liefert auch einen Datenschatz, der ein bislang ungeahntes Cross-Selling-Potenzial eröffnet. Vor allem im Versicherungsgeschäft, so Möller, lassen sich Umsatzsteigerungen von bis zu 50 Prozent im Jahr erzielen. Red.

Gut ein Jahr ist sie nun alt: die DIN-Norm 77230 "Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte". Diejenigen, die von ihr überzeugt sind, prognostizieren, dass sie in ein paar Jahren so selbstverständlich sein wird, wie heute Smartphones verbreitet sind. Aber noch teilt sie das Schicksal, das die Multifunktions-Handys vor 15 Jahren erlitten, nämlich dass viele potenzielle Nutzer fragen: Was soll das? Was bringt mir diese Norm?

Normen stiften vielfachen Nutzen

Betrachten wir zunächst die Frage: Was bringen Standards und Normen überhaupt? Standards sorgen für Effizienz und Professionalität durch regelmäßigen Einsatz und Routine. Wie die Checklisten der Piloten in der Fliegerei garantieren Standards auch, dass nichts vergessen wird, dass alle Schalter zur richtigen Zeit betätigt werden. Schließlich sind Standards die notwendige Voraussetzung für die unvermeidliche Digitalisierung; denn nur standardisierte Prozesse können auch digital abgebildet werden. Normen finden wir aus gutem Grunde tausendfach in unserem Wirtschaftsleben - nur bis vor einem Jahr nicht in der Finanzdienstleistung.

Und was macht den Unterschied zwischen einer DIN-Norm und einem unternehmensinternen Standard? Eine DIN-Norm ist nicht interessengeleitet. Sie entsteht in einer fundamentalen Diskussion aller interessierten Kreise, heißt: von Marktteilnehmern, Verbraucherschutz, Politik und Wissenschaft. Sie gelten deshalb als demokratisch und werden von Gerichten als vorweggenommene Gutachten herangezogen. DIN-Normen haben keine Gesetzeskraft, ihre Anwendung ist somit nicht verpflichtend. Aber da sie den allgemein anerkannten Stand der Technik widerspiegeln, enthaftet ihre Umsetzung im Unfallsfalle. Aus all diesen Gründen stiften Normen sowohl bei ihren Anwendern als auch - noch wichtiger - bei den Verbrauchern, den Kunden der Anwender besonderes Vertrauen. Und Vertrauen ist das, was die Finanzbranche aktuell und nicht erst seit gestern in besonderer Weise braucht. Die DIN 77230 macht Kunden sicher, dass alle für sie individuell relevanten Finanzthemen identifiziert und analysiert und in eine objektiv begründete, nicht von Berater- oder Unternehmensinteressen gesteuerte Rangfolge gesetzt werden.

Nur die ganze Umsetzung bringt ganzen Nutzen

Voraussetzung dafür ist natürlich, dass die Norm vollständig und präzise umgesetzt wird, was leider nicht bei allen Anbietern von Finanzberatern gewährleistet ist, die sich die Anwendung auf die Fahnen schreiben. Einige Marktteilnehmer selektieren willkürlich Finanzthemen aus der Norm und bedienen ihre Kunden unter Berufung auf die Norm mit einem Auszug aus derselben. Das wird dem ganzheitlichen Anspruch der Norm keinesfalls gerecht. Aber wer als Institut oder Berater so vorgeht, vertut auch die großartigen Chancen, die die vollständige und präzise Umsetzung der Norm für Vermittler und Kunden bereithält.

Es lässt sich nicht leugnen, dass die vollständige Umsetzung der Norm nicht ganz trivial ist. Immerhin bietet sie auf drei Bedarfsstufen verteilt - 1. Abscherung des Grundbedarfs, 2. Erhaltung des Lebensstandards, 3. Erhöhung des Lebensstandards - 42 denkbare Finanzthemen an, aus denen eine normkonform arbeitende Software von den Kundeninformationen geleitet die individuell relevanten aussortiert. Jeder einzelne Verbraucher erhält eine seiner Lebenssituation entsprechend deutlich kleinere Themenliste, in einer Rangfolge sortiert und mit einem quantitativen Orientierungswert je Thema ausgestattet.

Die Norm fordert Umdenken - und steigert Erlöse

Aber auch die "kleine" kundenindividuelle Themenliste birgt für so manchen bislang eher einseitig ausgerichteten Bank- oder Versicherungsvertrieb ihre Tücken. Denn dem ganzheitlichen Anspruch folgend enthält jede DIN-77230-Themenliste sowohl Absicherung- als auch Vorsorge und Vermögensthemen. Da ist es für den Versicherungsvermittler eher ungewohnt, über das Überschuldungsrisiko durch Konsumentenkredite, Liquiditätsreserve oder die Bildung einer Rücklage für den Erhalt einer Immobilie zu reden. Und ebenso könnte es dem Bankberater schwerfallen, sich mit der in der Analyse diagnostizierten fehlenden BU- oder Pflegekostenabsicherung zu befassen.

Hier ist allerdings von der Finanzbranche Umdenken gefordert. Was würden wir sagen, wenn ein Arzt uns nur auf die gesundheitlichen Probleme aufmerksam machen würde, die er auch selbst behandeln kann, und sich weigern würde, solche Krankheiten zu diagnostizieren, für die er selbst keine Lösung parat hat und uns überweisen muss? Wer seinen Kunden eine ganzheitliche Analyse nach der Norm angedeihen lässt und nicht alle aufgezeigten Probleme selber lösen kann, der darf sich in der an die Analyse anschließenden Beratung gerne auf die Themen konzentrieren, die er selbst bedienen kann, und den Kunden für die anderen zu einem Kollegen mit der einschlägigen Expertise schicken. Der Kunde hat dann wenigstens in der Beratung die Transparenz, dass er neben den gerade besprochenen noch andere, möglicherweise sogar dringender zu lösende Fragestellungen hat.

Dieser Ansatz wird den Kunden gefallen. So berichten die Norm-Anwender regelmäßig von größerer Kundenzufriedenheit und inzwischen liegen auch erste Belege dafür von den elektronischen Kunden-Bewertungsportalen vor. Das zeigt ein kürzlicher Vortrag von Ex-Dresdner-Bank-Chef Dr. Herbert Walter, Gesellschafter von Whofinance. Danach hat eine (nicht repräsentative) qualitative Inhaltsanalyse von Kundenkommentaren auf Whofinance folgendes interessantes Ergebnis gebracht: Nach einer vorausgegangenen Analyse gemäß DIN 77230 nehmen Kunden die Beratung überdurchschnittlich häufig als zu ihrer Situation und ihrem Bedarf passend wahr. So betont jeder Vierte von sich aus, dass ihm alternative Optionen für seinen Bedarf aufgezeigt wurden und er individuell passende Empfehlungen von seiner Beraterin oder seinem Berater erhalten hat.

Bislang ungeahnte Cross-Selling-Optionen

In der - mit überschaubarem Qualifizierungsaufwand bewältigbaren - Komplexität der Norm und der enthaltenen Themen liegt freilich eine große Chance. Eine Finanzanalyse nach der DIN 77230 ist auf jeden einzelnen Kunden bezogen ein großartiges Auftragsbuch für die Zukunft. Man mag sich vergegenwärtigen, dass Kunden, denen die Erstellung einer solchen Analyse nach einer DIN-Norm angeboten wird, sich gerne und vollständig öffnen. Da bleibt nichts hinterm Berg, weil man, wenn schon nach DIN, doch auch wirklich das ganze und richtige Ergebnis erfahren will. Die Vielzahl der vollständigen Informationen eröffnet bislang ungeahnte Cross-Selling-Optionen.

Das Ergebnis: Der Vorstand einer regionalen Bank, die seit einigen Jahren nach der Norm beziehungsweise ihres Vorläufer-Standards DIN SPEC 77222 arbeitet stellte eine Steigerung der Provisionserlöse pro Privatkundenberater um 162 Prozent in etwa vier Jahren fest. Vertriebe, die schon aus eher ganzheitlicher Tradition kommen, verweisen auf Vertragsdichten von rund 15 Verträgen pro Familienkunde. Makler erzielen durch den Einsatz der Norm Umsatzsteigerungen um bis zu 50 Prozent.

Zertifizierung schafft Sicherheit für alle

Der Norm vorsätzlich oder aus Unkenntnis Gewalt anzutun und sie auf willkürlich ausgewählte Themen einzudampfen, vielleicht um das Stöckchen niedriger zu halten, über das die Mitarbeiter springen müssen, ist jedenfalls keine Lösung. Wer das tut, hat mindestens ein Compliance-Problem.

Deshalb wird, wie auch in anderen Branchen, der Zertifizierung normkonformen Arbeitens eine besondere Bedeutung zufallen. Wo der Umgang mit Normen Alltag ist, da hat man sich längst daran gewöhnt - auch zur eigenen Sicherheit - einen unabhängigen Dritten, einen Zertifizierer, einen Blick auf die installierten Prozesse werfen zu lassen, um sicher zu sein, dass alles stimmt (zertifizieren = lat. für sicher machen). Wer hat schon gelesen, dass ein Unternehmen auf seiner Website propagiert: Wir haben unsere Prozesse auf DIN ISO 9001 umgestellt? Da steht vielmehr: Wir sind DIN ISO 9001-zertifiziert. Freilich hilft ein Zertifikat auch bei der Vermarktung der neuen Dienstleistung, weil es auch die Kunden sicher macht. Und diese Sicherheit und das daraus erwachsende Vertrauen der Kunden ist echtes Geld wert, ist eben "der Anfang von allem".

Zertifizierer für die Norm-Anwender ist das Defino Institut für Finanznorm. Es zertifiziert Software auf die präzise Abbildung der in der Norm beschriebenen Prozesse und Vermittler und Berater in Banken, Versicherungen und Vertrieben auf die Kenntnisse, Fähigkeiten und tatsächliche Erfüllung der organisatorischen Voraussetzung, die Norm präzise und vollständig umzusetzen.

Eine Reihe an Software-Häusern - Finanzportal 24, Finoso, Insinno, Softfair und Vorfina - haben ihre Analyse-Tools inzwischen vom Defino Institut auf Normkonformität prüfen und zertifizieren lassen, drei weitere - Bridge ITS, IS2 und JCP - ziehen in den nächsten Wochen nach. Die Bildungsanbieter Bankenimpuls, Campus Institut, Definet Akademie, Going Public und Perspektivum stehen mit offenen Seminaren und exklusiven Unternehmenskursen zur Qualifizierung und Vorbereitung auf die Zertifizierung von Vermittlern und Beratern zu "Spezialisten für die private Finanzanalyse/DIN 77230" bereit. Auf Nachfrage bieten auch das Finanzkolloquium Heidelberg und die Frankfurt School of Finance für entsprechende Bildungsmaßnahmen zur Verfügung.

Ein kleines bisschen Mut

Die Umsetzung der Norm lohnt sich auch unter Berücksichtigung des zeitlich und finanziell überschaubaren Lern-, Trainings- und Coachingaufwandes. Entscheidend ist weniger die intellektuelle als die mentale Herausforderung, für die Berater und ihre Institute und auch für die Kunden. Die Umstellung erfordert den Paradigmenwechsel vom Produktverkauf zum ganzheitlichen Ansatz.

Unterstützung bei der Qualifizierung der Mitarbeiter ist am Markt abrufbar. Die geprüften Hilfsmittel, um die Norm präzise anzuwenden, stehen in ausreichender und wachsender Anzahl und Auswahl zur Verfügung. Jetzt bedarf es nur noch des kleinen Quäntchens Mut sich zu trauen, die Tür in eine andere, nachweislich bessere Beratungswelt aufzustoßen. Einzelne Marktteilnehmer brachten ihn schon auf und berichten, dass er sich ausgezahlt hat. Mehrere ziehen demnächst nach. Der Zeitpunkt ist absehbar, wenn man bezogen auf die Norm - wie beim Smartphone - gefragt werden wird: Warum habt Ihr sie noch nicht?

Dr. Klaus Möller, Vorstand, DEFINO Institut für Finanznorm AG, Heidelberg
 
Kennziffern bei Anwendung der Finanznorm - 162 Prozent Erlössteigerungen bei Provisionen innerhalb von 4 Jahren möglich.- Vertragsdichte von 15 Verträgen bei ganzheitlicher Finanzberatung.- 50 Prozent Umsatzssteigerungen pro Jahr im Versicherungsgeschäft.- Rund ein Viertel der Kunden nimmt die Norm als Highlight wahr.
 
Zum Nutzen von Normen - stärken das Vertrauen beim Kunden,- vereinfachen Arbeitsprozesse,- führen zu mehr Effizienz und Professionalität,- erleichtern die Digitalisierung von Arbeitsprozessen,- gelten im Streitfall als vorweggenommene Gutachten.
 
Der Weg zur DIN-Norm 77230 1. Umdenken zu mehr Kundennähe2. Umstellung der Analyse-Software3. Zertifizierung der Analyse-Software4. Schulung der Berater5. Zertifizierung der Berater6. Selbstvermarktung mit der Norm
Dr. Klaus Möller , Vorstand , DEFINO Institut für Finanznorm AG, Heidelberg
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