DIE ZUKUNFT DER FILIALE

"In der Fläche wären plötzlich viele Kunden unbetreut gewesen" / Ewald Judt im Gespräch mit Martin Stefan Thomas

Dr. Martin Stefan Thomas, Foto: privat

Bawag P.S.K. und die österreichische Post haben sich bei den Zukunftsüberlegungen nicht gefunden, sagt Martin Stefan Thomas. Deshalb hat sich die Post entschlossen, eine eigene Bank zu gründen - um das stationäre Vertriebsnetz zu nutzen, aber auch um Kunden in der Fläche nicht im Stich zu lassen. Mitten in der Corona- Krise ist die neue österreichische Postbank als "bank99" an den Start gegangen. Jenseits von Zahlungsverkehr und klassischen Sparprodukten setzt die Bank auf Kooperationen mit Partnern. Im Bereich Geldanlage soll es dabei - MiFID II-geschuldet - nur ein beratungsfreies Angebot geben. Red.

Foto: Österreichische Post

Nach vielen Jahren mit der Bawag P.S.K. tritt die Bank99 als Bankdienstleister der Post AG an. Wieso hat die Post sich entschlossen, eine eigene Bank aufzubauen?

Bawag P.S.K. und die Post AG haben sich bei den Zukunftsüberlegungen nicht gefunden. Die Post AG hat daraufhin viele zeitintensive Überlegungen angestellt, wie sie wieder Bankdienstleistungen in ihr Angebot aufnehmen kann. Die Entscheidung ist schließlich Anfang 2019 gefallen, als ein Interregnum ohne Bankdienstleistungen drohte, was insbesondere in der Fläche dazu geführt hätte, dass viele Filialkunden plötzlich unbetreut gewesen wären.

Die Post AG hat 80 Prozent des Bankhauses Brüll & Kalmus von der Capital Bank - Grawe Gruppe AG übernommen und ein Kernteam hat unverzüglich begonnen, daraus eine Retailbank neu aufzubauen. Nach der positiven Entscheidung der EZB im Herbst 2019 fiel der Entschluss, am 1. April 2020 zu starten.

Was waren die Hintergründe für diese Vorgehensweise?

Für diese Entscheidung waren drei Gründe maßgeblich. Es gibt erstens ein gemeinsam von Post und Bank99 genutztes Filialnetz, was einen kompetitiven Kostenvorteil für die Bank bedeutet. Dieses Filialnetz ist schon postgesetzlich (mindestens 1 650 Filialen) vollkommen flächendeckend in Österreich und damit ein entscheidender strategischer Vorteil für ein ganz Österreich abdeckendes, voll integriertes Filial- und Online-Angebot von Bankdienstleistungen.

Zweitens gibt es insbesondere in der Fläche ein großes unbetreutes Kundenpotenzial, da die Bawag P.S.K. sich vorwiegend auf urbane Gebiete fokussiert. Dazu kommen noch jene Kunden, die sich aus dem normalen Bankwechsel ergeben. Mit dieser Vorgehensweise wollen wir schnell eine kritische Masse erreichen.

Der dritte Grund ist das Vertrauen, das die Kunden in die Post haben und Vertrauen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um Kunden für eine Bank zu gewinnen. Schließlich soll auch noch erwähnt werden, dass der Markenkern der Post, die von jeher Distanzen aufgelöst hat und bis heute eine der inklusivsten Organisationen ist, sich im Markenkern der Bank99 widerspiegelt.

Wie kam es zum Firmennamen Bank99?

Naheliegend wäre natürlich Postbank gewesen. Das ging aber rechtlich nicht. Aufgrund des Markenkerns (die Post und ihre Bank99 stehen allen Österreichern offen) und damit des Wertes der Inklusion wurde auch der Firmenname konzipiert. Die neue Bank "Bank100" (für 100 Prozent der Bevölkerung) zu nennen, wäre demgemäß naheliegend gewesen, doch im Sinn der Aufrichtigkeit, eines Teils unserer Mission, fiel die Wahl auf "Bank99", da die Bank aus rechtlichen und regulatorischen Gründen nicht jeden Kunden aufnehmen kann. Tatsächlich ist sie aufgrund ihrer Basisbankdienstleistungen für zwei Drittel der Bevölkerung interessant.

Was ist die "Mission" der Bank99? Mit welchen Werten soll die Marke verbunden werden?

Mit der Bank99 sollen die Werte "verständlich", "einfache praktische Produkte" und "aufrichtig" verbunden sein. Dazu setzen wir auf nachhaltige beziehungsweise langfristige Kundenbeziehungen, von denen im Sinne der Inklusion möglichst wenige ausgeschlossen werden sollen.

Seit dem 1. April 2020 ist nunmehr die weitgehend posteigene Bank99 Vertriebspartner der Post für Bankdienstleistungen. Wie ist der Start inmitten des Corona-bedingten Lockdown gelaufen?

Der Starttermin 1. April 2020 ist bereits sechs Monate davor festgelegt worden. Zu keinem Zeitpunkt während der beginnenden Corona-Gesundheitskrise oder des Corona-Lockdowns sahen wir die Notwendigkeit, den Start zu verschieben, sondern der Start ist vielmehr plangemäß und sehr reibungslos erfolgt. Seit damals hat die Bank an jedem Werktag mehr oder weniger 500 Neukunden gewonnen.

Nur mit der klassischen Medienwerbung musste das Launch-Konzept überarbeitet werden. Die Bank ist mit einer kleinen Kampagne im April und einer größeren Kampagne im Mai/Juni an die breite Öffentlichkeit gegangen. Heute liegt die gestützte Bekanntheit der Marke bereits bei 68 Prozent, die ungestützte bei 17 Prozent - angesichts der Umstände ein toller Erfolg für das ganze Team.

Welche Arten von Vertriebsstellen gibt es beim Postvertriebsweg? Wie viele gibt es jeweils davon?

Die Post und damit auch die Bank99 haben rund 1 800 Filialen. Davon sind über 400 eigenbetriebene Postfilialen und nahezu 1 400 durch Postpartner betriebene Filialen. Der Vertrieb von Bankdienstleistungen und der zugehörige Service erfolgt durch die Mitarbeiter der Postfilialen und der Postpartner.

Die Betreuung der Mitarbeiter der Postfilialen und der Postpartner wiederum erfolgt durch 150 ausgebildete Bankberater der Bank99, die zu allen Bankdienstleistungen Einschulung und Informationen geben und bei komplexeren Fragestellungen die direkten Ansprechpartner der Kunden sind.

Welche Chancen am Bankenmarkt, der als overbanked gilt, sehen Sie angesichts des doch mittlerweile deutlich merkbaren Rückzugs vieler Retail-Banken aus dem Filialvertriebsweg?

Wir sehen aufgrund der Zusammenarbeit Post AG - Bank99 mit einer unübertroffenen Präsenz in Städten und im ländlichen Raum, also einer völlig flächendeckenden Versorgung in ganz Österreich, große Chancen und scheuen uns nicht, "last woman/man standing" in der Fläche zu sein oder zu werden. Der Kostenvorteil, der sich gegenüber jeder "stand-alone"-Bank ergibt, ist enorm.

Darüber hinaus konnten wir unsere Frontends ohne "Legacy" neu konzipieren und haben mit einem sehr performanten "MVP" den erfolgreichen Marktstart geschafft. Grundgedanke war hier von Anfang an, über alle Kanäle hinweg identisch konzipierte und bezüglich der Datenhaltung konsistente Frontends zu entwickeln und damit den Vertrieb und den Service über Filialen und Online beziehungsweise Mobile zu optimieren.

So ist zum Beispiel das Filial-Frontend nach dem Prinzip "mobile first" konzipiert, Kunde und Mitarbeiter schauen gemeinsam auf einen Schirm und man findet sich dort genauso zurecht wie im Online-Banking.

Welche Bankdienstleistungen bietet die Bank99 derzeit beim Vertrieb über die Postfilialen/Postpartner an?

Grundlage einer Bankverbindung ist das Girokonto, das es bei der Bank99 in vier Variationen gibt, alles sehr transparent und verständlich gehalten. Diese vier Variationen decken die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kunden ab und ermöglichen jedem eine umfassende Kontoführung nach seinen Ansprüchen. Das Angebot reicht vom "Konto99 einfach" mit Bankkarte und SB-Zonen-Nutzung für vier Euro monatlich bis zum "Konto99 komplett" für 15 Euro monatlich mit ergänzende Dienstleistungen, die im monatlichen Kontoführungsentgelt enthalten sind.

Jedes Konto ist natürlich mit einer Bankkarte ausgestattet. Es handelt sich derzeit. um eine Karte mit Maestro-Funktion, künftig wird es eine Mastercard Debit sein, um die Karte auch beim Online-Shopping einfach einsetzen zu können. In drei der vier Kontomodelle ist eine Mastercard- Kreditkarte inkludiert.

Über welche Vertriebswege werden die von der Bank99 bereitgestellten Dienstleistungen angeboten?

Sämtliche Dienstleistungen werden in allen Filialen, bei der Post und den Postpartnern, sowie online und mobile angeboten.

Welche Bankleistungen abseits des Girokontos und des Zahlungsverkehrs bietet die Bank99 derzeit an?

Unser Sparangebot ist ein Sparkonto und ein Sparkonto mit Karte. Aufgrund der derzeitigen Zinssituation sind die Ertragsaussichten sicher nicht attraktiv, aber von Kunden wird es dennoch als sichere Alternative, die unter die Einlagensicherung fällt, nachgefragt.

An diesem Produkt kann man auch gut erläutern, was Vereinfachung heißt: Wir bieten nämlich kein Sparbuch im regulatorischen Sinne an, aber unser Sparkonto99 hat die Haptik eines Sparbuches und ist darüber hinaus voll onlinefähig. Zukünftig werden wir unser Angebot an Bankdienstleistungen sukzessive ausweiten.

Die Strategie ist hier, alle Bankdienstleistungen rund um das Girokonto und den Zahlungsverkehr selbst anzubieten. Bei allen anderen Bankdienstleistungen setzen wir jedoch auf strategische Partner. Das Motto der Bank ist: So klein wie möglich und so groß wie nötig. Wir suchen Partner, die zu uns passen und die Produkte haben, die zu unseren Kunden passen. Der Kunde kann sich auf ein einheitliches Leistungsversprechen verlassen.

Die Herausforderung und Kompetenz der Bank liegt darin, für die entsprechenden Produkte jeweils den geeigneten Partner zu finden. Dabei richten wir unseren Blick natürlich über den österreichischen Tellerrand hinaus und suchen Partner, die wirklich Stateofthe-Art-Angebote haben. Die erwähnte Kreditkarte ist ein solches Beispiel. Hier haben wir uns schließlich für Mastercard als Partner entschieden, die komplette Abwicklung erfolgt über einen gut etablierten österreichischen Partner.

Welche Leistungen von Partnern wollen Sie künftig anbieten?

Das ist zum einen die Konsumfinanzierung. Hier haben wir bereits gute Angebote von geeigneten Partnern gefunden und werden damit in Bälde starten. Bei der Wohnbaufinanzierung sind wir hingegen noch auf der Suche nach einem passenden Partner - auch international - um unseren Kunden, die diese Art der Finanzierung ja meist nur einmal im Leben benötigen, ein bestmögliches Angebot machen zu können und bei der Auswahl der Partner bereits dafür Sorge zu tragen, dass dieses Angebot mit unserem Leistungsversprechen praktisch, verständlich, aufrichtig und langfristig in Einklang steht.

Abseits des Sparkontos und der Sparkarte werden wir unseren Kunden - ebenfalls mit Partnern - ein Angebot über das Sparen hinaus, hin zur Geldanlage machen. Aber es wird nur ein beratungsfreies Geschäft sein, die Komplexität von MiFID II (und den damit verbundenen Aufwand) ersparen wir uns und unseren Kunden.

Wann wird die Bank99 die Produkte anbieten können, die erforderlich sind, um die komplette Nachfrage nach Bankdienstleistungen von etwa 99 Prozent der Kunden zu befriedigen?

Unsere jetzige Produkt-Roadmap reicht bis Ende 2021, das Angebot soll auch dann allerdings laufend weiter optimiert werden. Jedes der Angebote sollte für die Kunden einen Mehrwert bieten.

Wie geht die Bank99 bei der Akquisition vor, um möglichst viele Kunden der Post auch als Kunden der Bank99 zu gewinnen?

Zum einen sind hier die Mitarbeiter der Post und der Postpartner gefordert, die bisher gute Arbeit geleistet haben. Zum anderen nutzen wir Werbung in und um die Filialen und auf weiteren "owned media" der Post, wie Postfahrzeugen, Briefkästen, aber auch dem Kuvert einer klassischen Postwurfsendung.

Die klassische Werbung - etwas verspätet gestartet - spielt natürlich beim Markenaufbau eine wichtige Rolle, aber sie ist von Anfang an voll integriert mit der Digitalmarketingstrategie und dem Auftritt in Social Media. Natürlich ist auch die Weiterempfehlung durch Kunden und innerhalb von Communities sehr wichtig. Drei Monate nach Marktstart hatten wir bereits über 170 000 "Unique User" auf unseren Websites.

Wie schnell wollen Sie mit der Bank99 den Break-Even-Point erreichen?

Den Break-Even-Point wollen wir bei rund 200 000 Kunden, das heißt in etwa drei Jahren nach Start erreichen. Ich würde mich freuen, wenn wir mittelfristig - in fünf Jahren - 300 000 zufriedene Kunden haben werden.

Dr. Martin Stefan Thomas, Mitglied des Vorstands, bank99 AG, Wien
 
Postbank Dienstleistungen in Österreich von der k.u.k.-Monarchie bis zur Bank99
Die österreichische Post bietet - zuerst als Post- und Telegraphenverwaltung, später als Post AG - seit 137 Jahren Bankdienstleistungen an. Zuerst geschah dies durch das 1883 gegründete k. k. Postsparcassen-Amt, ab dem Zerfall der Donaumonarchie dem österreichischen Postsparcassen-Amt. 1969 blieb dieses Institut zwar weiterhin Staatseigentum, wurde aber als Österreichische Postsparkasse mit gemeinwirtschaftlichem Auftrag ausgegliedert.Im Jahr 2000 trennte sich die Republik Österreich von der Österreichischen Postsparkasse und verkaufte diese mehrheitlich an die Bawag. 2003 übernahm die Bawag die restlichen Anteile der Republik Österreich und fusionierte Bawag und Postsparkasse 2005 zur Bawag P.S.K.Das Angebot von Bankdienstleistungen der Bawag P.S.K. durch die Post AG beruhte auf einem Kooperationsvertrag, der von den Parteien beendet wurde. Seit April 2020 bietet die Post AG nun mit der bank99, einer Tochtergesellschaft der Post AG (80 Prozent) und der Capital Bank - der Privat- und Investmentbank im Finanzkonzern der Grazer Wechselseitige Versicherung AG (20 Prozent), Bankdienstleistungen für die finanziellen Grundbedürfnisse an.

Weitere Artikelbilder

Noch keine Bewertungen vorhanden


X