Bausparen und Bausparkassen 2009

Erhöhte Anforderungen an das Liquiditätsmanagement

Vorsorge hat Tradition. Mit der Gründung der "Treuhand-Bausparkasse der Gemeinschaft der Freunde" ist 1924 in der Gemeinde Wüstenrot die erste Bausparkasse in Deutschland entstanden. Wüstenrot war der Wohnort des vielseitig begabten und interessierten Drogisten und Journalisten Georg Kropp.

Anliegen und Anspruch des Gründers und seiner Mitstreiter war es, im Wege der "Hilfe zur Selbsthilfe" praktische Schritte zu unternehmen, um die große Wohnungsnot nach dem ersten Weltkrieg zu bekämpfen. Seine Idee: Bauinteressenten schließen sich zusammen und sparen in einen gemeinsamen "Topf", aus dem sie später ein zinsgünstiges Darlehen erhalten. Nach diesem Grundprinzip funktioniert das Bausparen noch heute.

Aus der Treuhand-Bausparkasse ist mittlerweile die Wüstenrot Bausparkasse AG geworden. Sie hat sich 1999 mit der Württembergischen Versicherungsgruppe zur W&W-Gruppe zusammengeschlossen. W&W ist das Kürzel für Wüstenrot & Württembergische. Gemäß ihrem Motto "W&W - Der Vorsorge-Spezialist" bietet die Gruppe alle Möglichkeiten der Vorsorge für den privaten Kunden - durch Vermögensbildung, Wohneigentum, finanzielle Absicherung und Risikoschutz in allen Lebensphasen.

Dank ihres Geschäftsmodells konnte die W&W-Gruppe auch in der Finanzmarktkrise ihre Stabilität bewahren und 2008 ein erfreuliches Neugeschäft erzielen. Speziell im Bausparen ist es Wüstenrot im vergangenen Jahr gelungen, sich beim Wachstum an die Spitze der deutschen Bausparkassen zu setzen. Dadurch hat es die Bausparkasse geschafft, ihren Marktanteil um 0,8 Prozentpunkte auf neun Prozent zu erhöhen.

Kollektives und außerkollektives Geschäft Die Geschäftstätigkeit Wüstenrots ist durch den vorgegebenen Rahmen des Bausparkassengesetzes auf die folgenden Bereiche begrenzt:

- Kollektivgeschäft. Entgegennahme von Bauspareinlagen und Gewährung von Bauspardarlehen für wohnwirtschaftliche Maßnahmen aus den angesammelten Beiträgen.

- Außerkollektives Geschäft. Gewährung von Vorausdarlehen und Zwischenkrediten.

- Anlage verfügbarer Gelder aus noch nicht als Darlehen weitergegebenen Bauspareinlagen oder Eigenmitteln am Kapitalmarkt.

Daneben werden Geldaufnahmen am Geld- und Kapitalmarkt zur Refinanzierung von Vor- und Zwischenkrediten getätigt.

Im Kollektivgeschäft werden die Bauspardarlehen durch die Bauspareinlagen refinanziert. Für das außerkollektive Geschäft - die Vergabe von Voraus- und Zwischendarlehen - erfolgt die Refinanzierung in Abhängigkeit der jeweiligen Restlaufzeit des zu vergebenden Darlehens. Für Voraus- und Zwischendarlehen mit Laufzeiten von bis zu zehn Jahren wird grundsätzlich der Kollektivüberschuss zur Refinanzierung verwendet. Hier nimmt Wüstenrot nach Abstimmung mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht die Erleichterungen nach § 1 Absatz 4 Bausparkassenverordnung in Anspruch, wonach unter Restriktionen 100 Prozent der Voraus- und Zwischendarlehen weitgehend aus kollektiven Überschüssen finanziert werden können.

Sind die Restriktionen der Bausparkassenverordnung erreicht oder reduziert sich der Kollektivüberschuss zu stark, wird auf Geldmarktmittel beziehungsweise Kapitalmarktkredite zurückgegriffen. Demgegenüber erfolgt die Refinanzierung der außerkollektiven Geschäfte mit Restlaufzeiten von über zehn Jahren vollständig über Eigenmittel und Geldaufnahmen am Geld- und Kapitalmarkt, um dem Kollektivschutz Rechnung zu tragen.

Die Aufnahme von Fremdkapital erfolgt dabei über Tages- und Termingelder sowie Offenmarktgelder, die über das Tender-Verfahren der Europäischen Zentralbank bezogen werden. Des Weiteren besteht für die langfristige Refinanzierung die Möglichkeit, Inhaberschuldverschreibungen zu emittieren oder sich direkt zu refinanzieren, zum Beispiel über Banken. Darüber hinaus besteht für die Wüstenrot Bausparkasse AG grundsätzlich die Möglichkeit, mithilfe eines Refinanzierungsregisters für Vor- und Zwischenkredite Hypothekenpfandbriefe über die Wüstenrot Bank AG Pfandbriefbank am Kapitalmarkt zu platzieren, die über Weiterleitungsdarlehen der Bausparkasse zur Verfügung gestellt werden können.

Liquiditätsmanagement regelt jederzeitige Zahlungsfähigkeit

Das Liquiditätsrisiko gliedert sich aus Sicht der Bausparkasse in drei Bereiche: das Zahlungsunfähigkeitsrisiko (klassisches Liquiditätsrisiko), das Refinanzierungsrisiko sowie das Marktliquiditätsrisiko. Für Wüstenrot besteht das klassische Liquiditätsrisiko darin, die gegenwärtigen und zukünftigen Zahlungsverpflichtungen nicht beziehungsweise nicht in vollem Umfang erfüllen zu können. Die Gefahr, bei Bedarf nicht ausreichend Liquidität zu den erwarteten Konditionen beschaffen zu können, wird als Refinanzierungsrisiko verstanden. Als weiteres Risiko ist das Marktliquiditätsrisiko definiert. Dieses besteht, wenn aufgrund unzulänglicher Markttiefe oder Marktstörungen Geschäfte nicht oder nur mit Verlusten aufgelöst oder glattgestellt werden können. Übertragen auf die Geschäftsbereiche Wüstenrots, ergeben sich daraus abgeleitet folgende Risiken aus Kundengeschäften:

- Es werden mehr Bauspardarlehen abgerufen als Bauspareinlagen zur Verfügung stehen.

- Zugesagten Zwischenkrediten und Vorausdarlehen, die über den Kollektivüberschuss refinanziert werden sollten, stehen zum Auszahlungszeitpunkt außerplanmäßig hohe Abflüsse in Form von Bauspareinlagen gegenüber.

- Es sind Anschlussrefinanzierungen bei Zwischenkrediten und Vorausdarlehen darzustellen, bei denen eine Refinanzierung über Fremdkapital nicht zwingend zeitgleich erfolgen kann. Aus Geld- und Kapitalmarktgeschäften ergeben sich zudem die dargestellten Risiken:

- Am Kapitalmarkt sind die benötigten Refinanzierungsmittel nicht oder nur zu erhöhten Preisen erhältlich.

- Es fehlen Zahlungseingänge durch den Ausfall eines Emittenten (klassisches Bonitätsrisiko).

Liquiditätsüberwachung durch Kollektiv-Simulation

Zentrales Instrument der Liquiditätsüberwachung der Wüstenrot Bausparkasse stellt die Simulation des Kollektivs dar, in der die erwarteten zukünftigen Zahlungsströme prognostiziert werden. Sind langfristig Liquiditätsengpässe erkennbar, können Zuteilungsvoraussetzungen für Bauspardarlehen erhöht oder die Gewährung von Voraus- und Zwischenkrediten eingeschränkt werden.

Das Liquiditätsmanagement Wüstenrots hat die Zielsetzung, Liquiditätsrisiken zu minimieren. Um die aufgezeigten Liquiditätsrisiken frühzeitig erkennen zu können, existiert ein standardisiertes Reporting (inklusive Limitierung), das in regelmäßigen Abständen Auskunft über die gegenwärtigen und zukünftigen Zahlungsverpflichtungen gibt. Die Ergebnisse dieses Reportings sowie die darin enthaltenen Maßnahmenvorschläge werden im Asset-Liability-Committee erörtert und beschlossen, dessen ständige Teilnehmer neben dem Handels- und dem Finanzvorstand die Abteilungen Controlling, Treasury, Bausparmathematik und Rechnungswesen sind. Zusätzlich ist ein Liquiditätsmeeting implementiert, welches in kürzeren Zeitabständen tagt. Außerdem werden die Liquiditätsrisiken regelmäßig dem Gesamtvorstand im Rahmen der Risikoberichterstattung kommuniziert.

Die Messung und Bewertung der Liquiditätssituation Wüstenrots basiert zum einen auf der Liquiditätsablaufbilanz, zum anderen auf der Bemessung des Fundingpotenzials. Des Weiteren werden die Liquiditätsrisiken im Rahmen der Risikotragfähigkeitsrechnung explizit berücksichtigt und hierfür Risikodeckungspotenzial vorgehalten. Daneben erfolgt die Ermittlung und Steuerung der Liquiditäts-Kennzahl gemäß der Liquiditätsverordnung für Bausparkassen.

Zur Messung des Zahlungsunfähigkeitsrisikos wird monatlich eine Liquiditätsablaufbilanz erstellt, die die zukünftigen Zahlungsein- und -ausgänge im zeitlichen Ablauf darstellt. Eingangsparameter sind die Zahlungsströme aus aktivischen, passivischen und außerbilanziellen Bestandspositionen sowie deren Zahlungszeitpunkte. Einen wesentlichen Bestandteil stellen dabei die Zahlungsströme der bauspartechnischen Simulation dar, die die deterministischen und stochastischen Cash-Flows des Kollektivs berücksichtigen.

Daneben werden auch verbindliche offene Kreditzusagen berücksichtigt. Geplantes Neugeschäft im Sinne der Wirtschaftsplanung wird nicht einbezogen.

Die Zahlungsströme werden über die Zahlungszeitpunkte auf monatliche Laufzeitbänder aufgeteilt. Die in den einzelnen Laufzeitbändern durch Saldierung der Zahlungsströme entstehenden Beträge werden als Liquiditäts-Gaps bezeichnet.

Für die Steuerung des Liquiditätsrisikos wird ein Beobachtungszeitraum von einem Jahr für die Liquiditätsablaufbilanz zugrunde gelegt. Um etwaige Marktveränderungen berücksichtigen zu können, werden Szenariobetrachtungen durchgeführt, wie zum Beispiel ein erhöhter Abfluss von Sichteinlagen oder die Kürzung externer Kreditlinien. Die Szenarien werden auch in ihren Kombinationen bis hin zum Eintritt aller Szenarien gleichzeitig betrachtet.

Um ein Limit für das Zahlungsunfähigkeitsrisiko abzuleiten, wird auf die Refinanzierungsmöglichkeiten sowie die Veräußerbarkeit von Aktiva (Fundingpotenzial) abgestellt. Korrespondierend zum Beobachtungszeitraum der Liquiditätsablaufbilanz wird das Fundingpotenzial für die nächsten zwölf Monate aufgestellt.

Im Rahmen der monatlichen Erstellung der Liquiditätsablaufbilanz werden die kumulierten saldierten Zahlungsströme für den gesamten Beobachtungszeitraum dem Fundingpotenzial gegenübergestellt. Dabei dürfen die kumulierten saldierten Zahlungsströme für den gesamten Beobachtungszeitraum zu keinem Zeitpunkt einen Liquiditätsbedarf von mehr als 100 Prozent des Fundingpotenzials aufzeigen. Zusätzlich wird ein Limit von 80 Prozent festgelegt, ab dem Maßnahmen zur Rückführung der Verhältniszahl ergriffen werden. Diese Maßnahmen sind im Maßnahmenkatalog des Notfallkonzepts fixiert und bilden einen Bestandteil des Notfallmanagements.

Das Notfallmanagement wurde implementiert, um auf unerwartete interne und externe Effekte adäquat reagieren und die Liquidität des Instituts permanent sicherstellen zu können. Kommt es im Beobachtungszeitraum, auch im Rahmen von Szenariobetrachtungen, zu einem kumulierten saldierten Mittelabfluss, für dessen Refinanzierung das Fundingpotenzial nicht ausreicht, läge ein Liquiditätsengpass vor.

In diesem Fall müssen zusätzliche Mittelzuflüsse generiert und Maßnahmen ausgearbeitet werden, die sich positiv auf die Liquiditätssituation auswirken. Hierzu gehört unter anderem ein Maßnahmenkatalog, der fortlaufend auch hinsichtlich der zeitlichen Umsetzbarkeit überprüft und im Bedarfsfall angepasst wird. Diese Maßnahmen werden als Handlungsempfehlungen im Rahmen der regelmäßigen Berichterstattung aufgenommen, dem Vorstand zur Entscheidung oder Verabschiedung gegeben und abschließend umgesetzt.

Permanente Weiterentwicklung des Liquiditätsrisikomanagements

Um den stetigen Veränderungen am Kapitalmarkt Rechnung zu tragen, erfolgt eine permanente Weiterentwicklung des Liquiditätsrisikomanagements. Unter anderem getrieben durch die Entwicklung der Zinsspreads steht derzeit in diesem Zusammenhang die Entwicklung eines Modells zur Messung des Liquidity Value at Risk im Fokus, das eine Quantifizierung der Refinanzierungsrisiken ermöglicht.

Der Liquidity Value at Risk wird für Wüstenrot als der maximal erwartete Verlust definiert, der zum Schließen der offenen Liquiditäts-Gaps unter normalen Marktbedingungen zu einer bestimmten Wahrscheinlichkeit innerhalb eines angegebenen Zeitraums zu erwarten ist. Die Berechnung des Liquidity Value at Risk kann gedanklich in einen dreiteiligen Prozess zerlegt werden:

- Ermittlung der aktuellen barwertigen Kosten für die Schließung der offenen Liquiditätspositionen (Gaps) auf Basis der aktuellen Refinanzierungskurve (Mid- Swap-Kurve zuzüglich Liquiditätsspreads).

- Ermittlung der barwertigen Kosten für die Schließung der Gaps unter Verwendung einer veränderten Liquiditätsspreadkurve (Basis ebenfalls aktuelle Swap-Kurve zuzüglich historische Veränderungen der Liquiditätsspreads).

- Differenz beider Barwerte = Ertragsauswirkung der veränderten Liquiditäts-Spreadkurve in diesem Szenario.

Ziel des Liquidity Value at Risk ist die Quantifizierung des barwertigen Vermögensverlustes aufgrund von veränderten Schließungskosten sämtlicher Liquiditätsgaps in Folge von Veränderungen der Refinanzierungsspreads. Die Ergebnisse des bestehenden Berichtswesens sowie die Weiterentwicklungen werden in einem separaten Liquiditätsrisikobericht zusammengefasst kommuniziert. In einem zweiten Schritt ist die Quantifizierung von Marktliquiditätsrisiken vorzunehmen.

Steigende Anforderungen

Die Wüstenrot Bausparkasse AG lebt wie alle Bausparkassen in hohem Maße von der Refinanzierung über das Kollektivsystem, weshalb die Abhängigkeit vom Kapitalmarkt vergleichsweise gering ist. Dennoch wird dem Liquiditätsmanagement jetzt und in der Zukunft eine herausragende Bedeutung beigemessen. Hervorgerufen durch die Finanzmarktkrise, werden die zukünftigen internen und externen Anforderungen (zum Beispiel Neufassung der Mindestanforderungen an das Risikomanagement, derzeit in der Konsultationsphase) an das Liquiditätsmanagement auch der Bausparkasse steigen.

Die Bausparkasse stellt sich den Herausforderungen und profitiert dabei auch besonders von der Einbindung in den W&W-Konzern.

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