Leitartikel

Europas Grenzen

Europa will die Wasserversorgung privatisieren. Das ist im Sinne eines einheitlichen Binnenmarktes nur konsequent, hat doch die Kommission in Brüssel den ausdrücklichen politischen Auftrag, Produkte und Dienstleistungen kontinental zu harmonisieren. Dabei ist es leider eine dieser unsäglichen Gesetzmäßigkeiten, dass die Bürokratie mit der Zeit vergisst, wem sie zu dienen hat. Dann verfällt sie der fixen Idee, ihre Existenz selbst zu rechtfertigen, indem sie immer mehr Bereiche des sozialen und wirtschaftlichen Lebens zu reglementieren versucht und die Bürger mit einer Flut von Vorschriften quält. Europas Kommissare sind da keine Ausnahme. Nach Gurken, Glühlampen und Festzinskrediten (Letztere werden nun zum Glück doch nicht wegharmonisiert) ist jetzt das Wasser an der Reihe. Schließlich könne es doch in einem zusammenwachsenden Europa schlechterdings sein, dass Unternehmen und Privathaushalte ihr Wasser aus der Umgebung und womöglich noch ausschließlich vom örtlichen Wasserwerk beziehen müssten, meinen zumindest die EU-Beamten. Doch dagegen organisiert sich der Widerstand derer, die mit der Liberalisierung vermeintlich beglückt werden sollen.

Im aktuellen Fall stellt sich jedoch nicht nur die Frage, was Europa regeln soll, muss oder darf, sondern wie weit die öffentliche Daseinsvorsorge reicht und welche Leistungen besser und günstiger von Privaten erbracht werden könnten. Dabei machen die Proteste deutlich, dass Europas Bürger den Marktkräften vieles zutrauen, doch nicht immer das Beste für das Gemeinwohl. Besonders groß ist der Argwohn, wenn öffentliche Güter und Dienstleistungen in private Hände übergeben werden sollen, von denen das Funktionieren des Gemeinwesens in erheblichem Maße abhängig ist. Das betrifft nicht nur das Wasser, sondern auch Schulen, Schienennetze, Kanalisation und Gesundheitswesen - kurz gesagt: alles, was unter dem Begriff "öffentliche Infrastruktur" zusammengefasst werden kann. Zweifellos ist dieses "Asset" für private Investoren als Kapitalanlage hoch attraktiv, kann doch auf die Nutzung der Einrichtungen kaum verzichtet oder auf andere Anbieter ausgewichen werden.

Mit Privatisierungen oder öffentlich-privaten Partnerschaften wurden beileibe nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Zwar sollte der Verkauf die öffentlichen Betriebe vom staatlichen Muff befreien, teils überfällige Investitionen ermöglichen und mehr "Kundenorientierung" gewährleisten, doch nicht immer erfüllten sich bislang die - übertriebenen? - Erwartungen. Denn das Streben nach Gewinn bedingt, dass nicht kostendeckend oder marktgerecht vergütete Leistungen unterbleiben. Zudem erwiesen sich die Verträge mit den Privaten mitunter an entscheidender Stelle als lückenhaft und unpräzise. In kaum einem anderen Bereich trat diese Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit so offen zutage wie bei privatisierten Wohnungsunternehmen. Als deutlich wurde, dass private Vermieter in der Bestandsbewirtschaftung andere Prioritäten setzen als ein in kommunalem Auftrag handelnder Betrieb, sollten sogenannte Sozialchartas ein Mindestmaß an Investitionen und Mieterschutz festschreiben. Doch auch diese "Leistungsverpflichtung" lässt Interpretationsspielräume zu, hat zudem auch ihren Preis und bietet dennoch keine Gewähr. Im Gegenteil. Glaubt man den Ergebnissen des vom Hamburger Beratungsunternehmen Analyse & Konzepte erstellten Servicemonitor Wohnen, dann konstatieren die Mieter in privaten Wohnungsunternehmen eine tenden ziell sinkende Servicequalität, während diese in öffentlichen Gesellschaften als steigend wahrgenommen wird. Demnach sind Mieter in kommunalen Wohnungen deutlich zufriedener als die Kunden der privatwirtschaftlichen Konkurrenz (siehe auch nebenstehen de Daten und Fakten).

Bei Lichte betrachtet haben die Kommunen bei der Privatisierung weniger die Qualitäts- und Effizienzsteigerung als vielmehr die Entlastung ihrer angespannten Haushalte im Blick. Obwohl die Steuereinnahmen steigen, häuften sie binnen Jahresfrist drei Milliarden Euro mehr Schulden an. 139 Milliarden Euro sind es laut April-Bericht der Deutschen Bundesbank, davon sind knapp 48 Milliarden Euro kurzfristige Kassenkredite. Bei einer Liberalisierung der Wasserversorgung ist deshalb zu befürchten, dass Städte ihre Wasserwerke aus fiskalischer Not heraus privatisieren. Doch der Verkauf des kommunalen Tafelsilbers ist höchst unpopulär. Werden darauf aber "Anleihen" genommen, regt sich deutlich weniger Kritik und Widerstand. So belegt jetzt eine Studie der Unicredit Bank und der Universität Leipzig, dass in hochverschuldeten Gemeinden auch die kommunalen Unternehmen tendenziell tiefer in der Kreide stehen. Dabei wächst die Gefahr, die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Betriebe zu überreizen. Notwendig ist eine grundlegende Reform der Gemeindefinanzen, die es den Kommunen wieder ermöglicht, ihre Aufgaben erfüllen zu können. Dazu gehört auch die Wasserversorgung.

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