Leitartikel

Trügerische Transparenz

Als der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, Anfang August die geldpolitischen Entscheidungen des Zentralbankrates verkündete, bestätigte er die bekannte Strategie: Die Zinsen im Euroraum würden solange niedrig gehalten, bis sich die Konjunktur in Euroland nachhaltig erhole. Woran die Währungshüter Prosperität festmachen, sagen sie allerdings nicht. Auch ist nicht ganz klar, wie sie erkennen wollen, wann der Wirtschaftsaufschwung selbsttragend ist. Dies dürfte schon deshalb ein schwieriges Unterfangen sein, weil derzeit die meisten der Ökonomien im Euroraum am Tropf der EZB hängen. Wenn sich die Europäer schon entscheiden, eine ähnliche geldpolitische Strategie wie die Federal Reserve zu fahren, dann sollte man aber auch so konsequent sein und wie die amerikanischen Kollegen "Schwellen" beispielsweise hinsichtlich der Arbeitslosenquote oder des BIP-Wachstums festlegen, ab denen bestimmte geldpolitische Maßnahmen ergriffen werden. Dies schafft Verlässlichkeit und ermöglicht den Wirtschaftssubjekten ein deutlich höheres Maß an Planungssicherheit, als derzeit gegeben ist.

Zwar trauen sich die Euro-Währungshüter noch nicht, solche "Wegmarken" für ihre geldpolitischen Entscheidungen aufzustellen, doch nehmen sie sich an einer anderen Stelle die US-Notenbank zum Vorbild: Künftig will auch die EZB die Protokolle ihrer monatlichen Sitzungen veröffentlichen. Somit wäre es möglich, die Diskussionen und die Entscheidungsfindung innerhalb des Zentralbankrates nachzuvollziehen. Das ist ein Schritt in Richtung mehr Transparenz, der allerdings nicht überbewertet werden sollte. Denn es wird weiterhin hinsichtlich der Argumente und Abstimmungen viel zu interpretieren geben. Ob die Publikation der Protokolle tatsächlich zu mehr Berechenbarkeit der Zinsentwicklung beiträgt? Aufgrund des unerwartet starken Zinsanstiegs, den jüngst die USA verzeichneten, sind Zweifel angebracht.

Hinzu kommt bekanntermaßen, dass sich Menschen anders verhalten, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. Bislang konnten sich die Ratsmitglieder relativ sicher sein, dass ihre vorgetragenen Argumente nicht ohne ihr Zutun an die Öffentlichkeit gelangten. Entsprechend frei konnten sie sich artikulieren. Zukünftig werden sie jedoch einen Druck verspüren, Positionen rechtfertigen zu müssen. Die EZB-Entscheidungen dürften damit - wie in den USA - noch stärker vom politischen Umfeld und der öffentlichen Meinung beeinflusst werden. Damit droht die Unabhängigkeit der Notenbank weiter zu erodieren. Ist das gewollt? Zumindest darf als sicher gelten, dass ein Gutteil des Erfolgs geldpolitischer Maßnahmen von den Erwartungen der Wirtschaftssubjekte abhängt. Umso wichtiger ist es für einen Notenbankpräsidenten, die Meinungsbildung an den Zinsmärkten zu kontrollieren. Dafür wiederum kann die Veröffentlichung der Protokolle tatsächlich dienlich sein.

Aber sollte die EZB nicht eigentlich anhand fundierter Daten weitgehend unabhängig von der Politik und nur der Geldwertstabilität verpflichtet ihre Entscheidungen treffen? Wenn etwas öffentlich kundgetan würde, dann sollte dies den Marktteilnehmern Orientierung für ihr wirtschaftliches Handeln geben. So konstatiert Interhyp-Gründer Robert Haselsteiner, dass Notenbanken einst nur die kurzfristigen Zinsen mitbestimmen wollten oder konnten, sich die mittel- und langfristigen Zinsen jedoch am Markt aus Angebot und Nachfrage bildeten. Dieser Mechanismus ist inzwischen jedoch von Politik und Notenbanken - leider auch im Falle der EZB - ausgehebelt worden. Indem Staatsanleihen und Covered Bonds, von denen ein erheblicher Teil mit Forderungen gegen die öffentliche Hand besichert ist - in großem Stil aufgekauft werden, manipuliert die Notenbank auch die langfristigen Zinsen. Verschärft wird der Markteingriff durch Festlegungen Draghis, notfalls alles zum Erhalt des Euros zu unternehmen. Das ist ja seine Aufgabe. Doch wäre zu klären, welche Mittel dafür zur Verfügung stehen. Nur geldpolitische oder auch fiskalpolitische? Juristisch setzt sich damit noch das Bundesverfassungsgericht auseinander.

Für den Markt reichen schon die Ankündigungen, wie sie Draghi vorgetragen hat. Denn seine Aussagen werden als Garantien verstanden, die Mitgliedstaaten des Euroraums notfalls unbegrenzt mit Zentralbankgeld zu versorgen. Damit sinkt einerseits der Druck auf die Politiker, die Sanierung der öffentlichen Haushalte voranzutreiben und dafür gegebenenfalls auch unpopuläre Maßnahmen durchzusetzen. Andererseits erhalten Investoren das Signal, Staatsanleihen von Euro-Ländern seien sicher. Damit steht die EZB jedoch nicht alleine. Die neuen Regeln von Basel III und Solvency II signalisieren das Gleiche und zwingen Banken, Versicherer und Versorger und somit alle, die sparen und fürs Alter vorsorgen, zur Finanzierung von Staaten. Wer macht das den Bürgern klar?

Noch keine Bewertungen vorhanden


X