Zinskommentar

Einflussnahme auf Langfristzinsen

Im August entschied die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins weiterhin auf 0,5 Prozent zu belassen. Erneut bekräftigte der Präsident der Notenbank, Mario Draghi, dass die EZB den Leitzins für einen längeren Zeitraum auf dem historisch niedrigen Niveau halten - und wenn nötig sogar nochmals senken werde. Mit seiner Aussage und Handlung festigte er im August die im Vormonat getätigte langfristige Voraussage der Geldmarktpolitik. Ziel dieser Rhetorik ist die Senkung der langfristigen Zinsen. Die Ankündigung, künftig die Protokolle der Gremiumssitzungen zu veröffentlichen, dürfte demselben Ziel dienen.

Die Argumentation für die Beibehaltung des niedrigen Leitzinses war weitestgehend dieselbe wie im Vormonat: Die Inflation ist stabil und leicht unter den angestrebten zwei Prozent. Demgegenüber ist die wirtschaftliche Entwicklung Europas weiterhin sehr kraftlos und stabilisiert sich erstmals nach sechs Monaten auf extrem niedrigem Niveau. Der Arbeitsmarkt ist weiterhin schwach. Ob die Produktion in Europa anzieht, hängt maßgeblich von der globalen Nachfrage und der Binnennachfrage ab. Letztere soll insbesondere durch die aktuelle Geldpolitik angekurbelt werden. Wie in jeder Sitzung in den vergangenen Monaten wies Draghi darauf hin, dass die strukturellen Anpassungen nur langsam greifen und von den Ländern konsequent weiter umgesetzt werden müssen. Die Unsicherheit auf den Finanzmärkten ist weiterhin ein zentraler Risikofaktor bei allen Prognosen, die der EZB-Entscheidung zugrunde liegen.

Vor einem Jahr kündigte Draghi an, bei Bedarf unlimitiert Staatsanleihen von Krisenstaaten zu kaufen. Kritiker warfen ihm damals schon vor, mit dieser Handlung über das originäre Ziel der Notenbank, die Sicherung der Preisstabilität, hinauszugehen. Denn mit seiner Aussage steuerte der EZB-Chef nicht mehr nur die Leitzinsen und damit die kurzfristigen Zinsen, sondern beeinflusste erstmals auch langfristige Zinspapiere wie Staatsanleihen. Die eindeutige und seit diesem Monat wiederholte Ansage, dass die EZB die Zinsen für einen längeren Zeitraum nicht erhöhen wird, hat eine ähnliche Wirkung. Sie beruhigt die Finanzmärkte, die jüngst aufgrund der Aussagen der US-Notenbank ihre Staatsanleihen-Aufkäufe zu beenden, stärkeren Schwankungen unterlagen.

Bisher war die US-Notenbank mit ihrer Politik Vorbote der Handlungen der EZB. Draghis Statement zur Niedrigzinspolitik wirkte dem bislang entgegen und senkte die Risikokosten der Staatsanleihen. Dass künftig die geheimen Sitzungsprotokolle der EZB veröffentlicht werden sollen, hat einen ähnlichen Zweck. Die Öffentlichkeit und insbesondere die Finanzcommunity sollen besser verstehen, welche Erwartungen, Annahmen und Abwägungen beim EZB-Gremium zu dessen Entscheidungen führten. Damit könnten auch künftige Entscheidungen besser prognostiziert und Überraschungen vermieden werden.

Hierbei besteht die Gefahr, dass die Ratsmitglieder unter Druck geraten und die Unabhängigkeit ihrer Entscheidungen untergraben werden könnte. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass viele Aussagen und Handlungen der EZB auf die langfristige Stabilität des Marktes abzielen. Die damit verbundene Unabhängigkeitsfrage sollte laut der Meinung von rund 200 Ökonomen nicht gestellt werden. In einem offenen Brief unterstützten sie den Kurs der Notenbank und warnten, dass Kritik an der EZB das größte Risiko für Europas Gesundung sei.

Die Baufinanzierungszinsen schwankten in den vergangenen Wochen, wobei sie in Summe leicht anstiegen. Die wirtschaftliche Situation in Europa und die Aussagen der EZB deuten darauf hin, dass Baufinanzierungen in Deutschland weiterhin höchst attraktiv bleiben. Allerdings sind die Märkte durch Draghis Aussagen nicht so beruhigt, dass Schwankungen auszuschließen seien. An der generellen Empfehlung für Immobilienfinanzierer, Darlehen mit einer langfristigen Zinsbindung und einer Mindesttilgung von zwei Prozent zu nutzen, ändert sich nichts. Auch kann es sinnvoll sein, Bausparverträge als Zinssicherungsinstrument in die Finanzierung mit einzubeziehen. (Dr. Klein & Co. AG)

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