Immobilienmärkte

Verdrängte Globalisierung verdrängte Demografie

Zwei sogenannte Megatrends, die für die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahrzehnte bestimmend sind, werden von der deutschen Immobilienwirtschaft bislang weitgehend verdrängt: die Globalisierung und die Demografie. Zwar sind diese Begriffe in aller Munde, jedoch werden die dramatischen Auswirkungen, insbesondere für den deutschen Büroimmobilienmarkt, bislang kaum diskutiert.

Globalisierung und Outsourcing-Potenziale

Eine Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zum Thema "Globalisierung in der Wirtschaftkrise" enthält Befunde, die für den deutschen Büroimmobilienmarkt von erheblicher Brisanz sind. Die Kieler Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass in Deutschland die Arbeitsplätze von etwa 42 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten potenziell ins Ausland verlagerbar sind. Mehr als zehn Prozent der Arbeitsplätze werden sogar als "leicht verlagerbar" eingestuft und gerade einmal 38 Prozent gelten als "überhaupt nicht verlagerbar" und damit als relativ "globalisierungsfern". Somit beträgt das unmittelbare Verlagerungspotenzial etwa 11,3 Millionen Arbeitsplätze.

Die Studie belegt insbesondere, dass keineswegs - wie allgemein angenommen - vorwiegend einfache Tätigkeiten von der Globalisierung betroffen sind. Im Gegenteil: Während nur 43 Prozent der Geringqualifizierten von Outsourcing bedroht sind, ist dies bei 53 Prozent aller Hochqualifizierten der Fall. Als Software-Spezialist oder Buchhalter braucht man lediglich einen Internet-Anschluss, und wo sich dieser befindet, spielt keine Rolle. Wer allerdings Schornsteinfeger oder Gymnasiallehrer ist, muss sich um das Thema "Outsourcing" keine Sorgen machen, denn solche Berufsgruppen müssen vor Ort arbeiten, um ihre Aufgaben erledigen zu können. Sie gehören zu den zehn Prozent der "überhaupt nicht verlagerbaren" Berufe.

Die Outsourcing-Risiken haben erhebliche Auswirkungen für den Bedarf an Büroarbeitsplätzen. Die Risiken gibt es zwar auch in anderen entwickelten Ländern, jedoch sind sie in Deutschland sehr viel größer. Internationale Studien belegen etwa, dass nur 22 Prozent der amerikanischen Arbeitsplätze als prinzipiell verlagerbar eingestuft werden, in der Schweiz erreicht das Verlagerungspotenzial ebenfalls nur die amerikanische Größenordnung.

Eine Erklärung für die im internationalen Vergleich unterschiedlich großen Verlagerungspotenziale kann in der sektoralen Beschäftigungsstruktur Deutschlands gefunden werden. So ist der für

Deutschland ausgewiesene Anteil der Industriebeschäftigten höher als in den Vergleichsländern: Während in Deutschland 22 Prozent der Erwerbstätigen in der Industrie arbeiten, sind es in den Vereinigten Staaten und der Schweiz nur 11,2 Prozent beziehungsweise 16 Prozent.

Dieses Strukturmerkmal hat unmittelbare Auswirkungen auf das Verlagerungspotenzial für Deutschland, denn aufgrund der fast uneingeschränkten Handelbarkeit von Industriegütern sind Industriearbeitsplätze im Regelfall potenziell verlegbar. Allerdings, und dies ist für den Büroimmobilienmarkt relevant, ist auch im Dienstleistungssektor ein hoher Anteil der Arbeitsplätze leicht verlagerbar. Die bereits zitierte Studie des Kieler Instituts kommt zu dem Ergebnis, dass fast 88 Prozent der Arbeitsplätze, die in diese Verlagerungskategorie fallen, den Dienstleistungen zuzuordnen sind.

Demografische Risiken für den Büromarkt

Es kommt jedoch noch ein zweites Element in Deutschland hinzu, das die besonderen Risiken für den Büroimmobilienmarkt hierzulande verdeutlicht. Eine Studie von Deutsche Bank Research, die die demografischen Risiken für den Büroimmobilienmarkt in 15 Ländern vergleicht, kommt zu dem Ergebnis, dass diese Risiken in keinem Land höher sind als in Deutschland.

Bekanntlich ist die demografische Entwicklung in Deutschland sehr viel kritischer als in anderen Ländern - etwa in Großbritannien, Frankreich oder den Vereinigten Staaten. Laut der Deutschen Bank-Studie ist selbst bei einem extrem optimistischen Szenario, das einen positiven Zuwanderungssaldo von 200 000 Personen im Jahr unterstellt, mit einem Rückgang der Erwerbsfähigen in Deutschland bis zum Jahr 2050 um 25 Prozent zu rechnen. Seit Jahren liegt jedoch die Zuwanderung in Deutschland weit unterhalb dieser Zahl, zuletzt wanderten sogar mehr Deutsche aus als eingewandert sind. Realistischere Szenarien rechnen damit, dass bis dahin die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland um mindestens ein Drittel zurückgehen wird.

Eigenartigerweise werden auch diese langfristigen Auswirkungen des demografischen Wandels für den Büromarkt in Deutschland jedoch von Investoren systematisch ignoriert. Die Debatte um die Folgen des demografischen Wandels wird fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem Wohnungsmarkt geführt. Dabei ist erwiesen, dass der Wohnungsmarkt erst sehr viel später und viel geringer von den demografischen Änderungen betroffen ist als der Büromarkt.

Um es einfach zu formulieren: Lange bevor die Menschen sterben, arbeiten sie nicht mehr. Deshalb kommt die demografische Krise etwa 20 Jahre früher am Büromarkt an als am Wohnimmobilienmarkt. Zudem gibt es bekanntlich am Wohnimmobilienmarkt gegenläufige Tendenzen, so etwa die trotz rückläufiger Bevölkerungszahlen steigenden Haushaltszahlen, welche für die Nachfrage nach Wohnraum maßgeblich sind.

Angesichts dieser Risiken ist es schwer verständlich, dass beispielsweise Offene Immobilienfonds, die sich die Risikostreuung auf die Fahnen geschrieben haben, zwei Drittel ihrer Anlagen im Bürosegment tätigen aber weniger als ein Prozent im Wohnimmobilienmarkt. Bei institutionellen Investoren wie Versicherungen und Versorgungswerken ist allerdings ein Umdenken erkennbar, denn diese wollen in den nächsten Jahren wesentlich stärker in Wohnimmobilien als in Büroimmobilien investieren.

Insgesamt ist das Thema Demografie seit einigen Jahren in der Immobilienwirtschaft präsent. Allerdings fehlen oft die notwendigen Differenzierungen. Während Investoren im Gewerbeimmobiliensegment die demografische Komponente kaum berücksichtigen, ist sie für Investoren am Wohnungsmarkt in hohem Maße präsent. Dies deutet darauf hin, dass die in der Fachöffentlichkeit stark diskutierten Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs in den Preisen von Wohnimmobilien oftmals schon enthalten sind.

Wohnungswirtschaftliche Prognosen besser berücksichtigt

Wenn in einigen Regionen des Ruhrgebietes oder Ostdeutschlands weit geringere Multiplikatoren bei Mehrfamilienhäusern und Wohnanlagen angesetzt werden, dann reflektiert dies insbesondere auch die demografischen Prognosen, die für Investoren einen zunehmenden Stellenwert haben. So gibt es kaum einen Prospekt von einem Wohnungsfonds, in dem das Thema Demografie nicht angesprochen wird - während es in den meisten Prospekten zu Büroimmobilienfonds fehlt.

Zu wenig wird auch danach gefragt, inwieweit die erwarteten demografischen und wirtschaftlichen Entwicklungen einer Stadt oder einer Region bereits heute "eingepreist" sind oder nicht. München gilt unter demografischen und wirtschaftlichen Aspekten als Zukunftsstandort. Wer dort in der Vergangenheit investiert hat, wurde nicht enttäuscht, da die Preise Jahr für Jahr stiegen.

Heute haben sie jedoch bereits ein Niveau erreicht, bei dem unklar ist, ob sich der Trend fortsetzen wird. Es drängt sich eine Analogie zum Aktienmarkt auf: Eine Aktie, die bei allen Investoren als lohnenswertes Investment gilt, ist oftmals keines, weil sie eben genau deshalb zu teuer ist.

Gewinnerregionen der Zuwanderung

Es lohnt sich eher der Blick auf solche demografischen Gewinnerregionen, die gemeinhin gerade (noch) nicht als solche wahrgenommen werden. Ein Beispiel dafür ist Bremen. Kein anderes Bundesland weist eine so positive Bevölkerungsprognose auf wie Bremen. Das Statistische Bundesamt erwartet je nach Zuwanderungsszenario - für Bremen bis zum Jahr 2050 eine Veränderung der Bevölkerungszahl, die von minus 6,2 Prozent bis plus 6,8 Prozent reicht. Zum Vergleich: Für Deutschland insgesamt wird für den gleichen Zeitraum vom Statistischen Bundesamt ein Bevölkerungsrückgang zwischen 16,5 Prozent und 10,2 Prozent prognostiziert.

Während die Statistiker für Hamburg (beim Szenario "höhere Zuwanderung") einen Anstieg der Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2050 um drei Prozent erwarten, wird für Bremen eine mehr als doppelt so große Zunahme vorhergesagt. Im Bewusstsein der Investoren gilt Hamburg jedoch als "Demografie"-Gewinner, Bremen dagegen nicht. Diese Wahrnehmung hat natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Preisbildung.

Es gibt sicherlich weitere "unterbewertete" Regionen und Städte in Deutschland, die zu Unrecht bislang ignoriert werden. Daraus ergeben sich Chancen für Investoren. Die meisten Aussagen zum Thema "Demografie und Immobilien" sind zu oberflächlich, viele führen in die Irre. Nur eine differenzierte Sicht, die sowohl die Auswirkungen für die einzelnen Nutzungsarten erfasst, vor allem aber auch die erheblichen regionalen Unterschiede, ist eine Basis für aussichtsreiche Investitionsentscheidungen. Langfristig orientierte Investoren sollten ihre Entscheidungen auch unter dem Aspekt der demografischen Risiken treffen und als Gegengewicht zu den erheblichen Risiken im Bürosegment verstärkt in andere Nutzungsarten - etwa Wohnen oder Pflegeimmobilien - investieren, welche von den demografischen Trends weniger betroffen sind.

Man mag einwenden, dass sich die oben beschriebenen Auswirkungen der Globalisierung und der demografischen Entwicklung erst in einigen Jahrzehnten einstellen werden, wenn die Bevölkerungszahlen signifikant zurückgehen. Dies ist jedoch ein gefährlicher Irrtum. Langfristig orientierte Investoren werden diese Entwicklungen nicht dauerhaft verdrängen und schon bald "einpreisen" und bei ihren Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Und selbst kurzfristig orientierte Investoren können diese nicht ignorieren, da sie irgendwann ihre Immobilien an langfristig orientierte Investoren verkaufen müssen, die jedoch dann wiederum die Risiken "einpreisen" werden.

Jürgen F. Kelber , Geschäftsführender Gesellschafter , Dr. Lübke & Kelber GmbH, Frankfurt am Main
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