Schwerpunkt: Neue Bewertungsstandards

Wertermittlung bei Wohnungsbeständen

Vor dem Hintergrund, dass deutsche Wohnimmobilien im europäischen
Vergleich eine attraktive Rendite versprechen, interessieren sich
immer mehr ausländische Investoren für diese Assetklasse. Die hohe
Nachfrage hat die Preise für solche Pakete in die Höhe getrieben.
Immer öfter wird darüber diskutiert, ob solche Bestände derzeit "zu
teuer" sind. Diese Frage lässt sich kaum generell beantworten. Um
festzustellen, ob der Preis für ein Wohnungspaket angemessen ist, muss
klargestellt sein, wie die Exit-Strategie der Unternehmen aussieht und
ob die darin getroffenen Kalkulationen realistisch sind.
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Größere Marge durch Privatisierung
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Die Renditen, die die ausländischen Investoren anstreben, können in
der Regel nur durch die Hebung stiller Reserven erreicht werden. Die
größten Gewinnmargen lassen sich durch Wohnungsprivatisierung
erreichen, die in praktisch jeder Exit-Strategie der ausländischen
Investoren eine Rolle spielt und der deshalb im Rahmen einer Due
Diligence besondere Aufmerksamkeit zukommen muss. Mit "Privatisierung"
ist hier ausschließlich der Einzelverkauf von Wohnungen gemeint, nicht
die Zerlegung von größeren Portfolios in Teilportfolios und deren
Veräußerung.
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Wichtige Faktoren, die den Businessplan der Investoren beeinflussen,
sind die Privatisierungsquoten und die Verkaufspreise, das heißt der
Investor trifft eine Prognose darüber, wie viele Wohnungen er in
welchem Zeitraum zu welchem Preis verkaufen kann. Investoren, die
wissen wollen, ob der Preis eines für sie interessanten Wohnungspakets
angemessen ist, müssen sich daher vor allem fragen, ob die Zahlen über
Verkaufszeiträume und Verkaufspreise in der Privatisierung zuverlässig
sind.
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Genau da fangen die Schwierigkeiten an. So eignet sich das für die
Preisermittlung von Gutachtern und Wirtschaftsprüfer zur Hilfe
genommene Verfahren der Verkehrswertermittlung nur bedingt, um
realistische Verkaufspreise zu ermitteln. Um eine Wohnung im Rahmen
einer Privatisierung erfolgreich zu verkaufen, spielen Faktoren eine
Rolle, die in die Verkehrswertermittlung nicht einfließen. Dazu
gehören zum Beispiel die Sozialstruktur des Mieterbestandes, die
Fluktuationsrate, das Mieterhöhungspotenzial, die Zufriedenheit der
Mieter mit der Verwaltung und das Wohnumfeld.
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Der Investor muss zudem wissen, welche Wohnungen sich jeweils für den
Verkauf an Mieter, Selbstnutzer und Kapitalanleger eignen, denn die
Höhe des Preises differiert in der Regel bei diesen drei Gruppen. Der
höchste Verkaufspreis wird gewöhnlich beim Verkauf von Leerwohnungen
an Selbstnutzer erzielt. Mindestens ebenso entscheidend ist die Frage,
welcher Prozentsatz des Bestandes in welchem Zeitraum abverkauft
werden kann. Zudem sind Annahmen über diejenigen Wohnungen zu treffen,
die sich überhaupt nicht zum Einzelverkauf an die drei genannten
Gruppen eignen und für die daher alternative Lösungen gefunden werden
müssen.
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Um einen Gesamtverkauf und ein langfristiges Funktionieren einer
Wohnanlage zu gewährleisten, sollte versucht werden, einen Großteil
der Wohnungen an Mieter und Selbstnutzer zu verkaufen. Für den Verkauf
von Wohnungen an Mieter muss deshalb der Grenzwert gefunden werden,
der den - bisher nicht als Nachfrager auftretenden - Mieter zum Kauf
seiner Wohnung bewegt.
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Ist der Abgabepreis "schöngerechnet"?
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Da diese Kalkulation der verschiedenen Preise und Abverkaufszeiträume
ganz entscheidend für die erzielbare Rendite ist, ist es sehr wichtig,
dass die Prognosen realistisch und damit am Markt durchsetzbar sind.
Denn wenn mehrere Parameter - wie etwa die zu erzielenden Kaufpreise
und die Zeiträume für den Abverkauf - nur ein wenig verändert werden,
hat dies entscheidenden Einfluss auf den gesamten Business-Plan und
damit auch auf die Bewertung des Bestandes. Mit einem leichten Drehen
an den Stellschrauben lässt sich ein bestimmter Abgabepreis schnell
"schönrechnen".
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In der Regel sind die Investoren nicht in der Lage, die Plausibilität
der Annahmen zu überprüfen, weil ihnen die Erfahrung bei der
Einzelprivatisierung fehlt. Manche Investoren neigen dazu, Erfahrungen
aus der Privatisierung von anderen Beständen auf den zu erwerbenden
Bestand zu übertragen. Meistens sind die Bestände jedoch gar nicht
vergleichbar und können sich bei scheinbar ähnlichen Struktur
erheblich voneinander unterscheiden, was dazu führt, dass
Erkenntnisse, die aus der Privatisierung eines Bestandes erworben
wurden, oftmals nicht auf ein anderes Portfolio übertragen werden
dürfen.
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Viel zu häufig wird auch der Fehler gemacht, Privatisierungsquoten,
die in den ersten Jahren erzielt werden, mehr oder minder in die
Zukunft fortzuschreiben. Nicht selten passiert es, dass zuerst die
guten Wohnungen, bei denen hohe Privatisierungsquoten möglich sind,
zur Privatisierung freigegeben werden. Die Verkaufserfolge der ersten
zwei oder drei Jahre stimmten den Besitzer optimistisch. Im Laufe der
Zeit stellt sich dann jedoch heraus, dass für die verbleibenden
Wohnungen sehr viel längere Zeiträume sowie höhere Investitionen zur
Privatisierung angesetzt werden mussten.

Jürgen F. Kelber , Geschäftsführender Gesellschafter , Dr. Lübke & Kelber GmbH, Frankfurt am Main
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