Schwerpunkt Europäische Kapitalmarktunion

Kapitalmarktunion und Prospektrecht - für einen vereinfachten Zugang zur Kapitalmarktfinanzierung

Holger Lehnen

Die EU-Kommission diskutiert mit den Marktteilnehmern zeitgleich mit dem Grünbuch Kapitalmarktunion auch die Prospektrichtlinie. Gerade Erleichterungen im Prospektbereich sind ein sehr wichtiger Baustein, um die Finanzierung über den Kapitalmarkt zu verbessern und damit den Firmen eine kostengünstige Alternative zum Bankkredit zu bieten. Hierbei liegt das besondere Augenmerk der Kommission auf der Vereinfachung der Prospekte für Zweitemissionen. Hierbei sollten aus Sicht des Autors emittentenspezifische Informationen nicht im Prospekt wiederholt werden. Kritisch gesehen wird die Ausweitung der Prospektpflicht auf Unternehmen, die lediglich ein Listing im Freiverkehr anstreben sowie die verstärkte Regulierung von Privatplatzierungen. Red.

In Brüssel ist man sich ausnahmsweise in einem Punkt einmal einig: Die Probleme der vergangenen Finanz- und Wirtschaftskrise, vor allem Stagnation und Arbeitslosigkeit, werden nur durch nachhaltiges Wirtschaftswachstum gelöst. Mehr Arbeitsplätze, Investitionen und Wachstum stehen deshalb ganz oben auf der wirtschaftspolitischen Agenda der EU-Kommission.

Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, hat sie sich auf die Fahnen geschrieben, die Kapitalmarktfinanzierung für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) zu erleichtern und ihnen mehr Risikokapital zur Verfügung zu stellen.

So soll der neu aufgelegte "Europäische Fonds für strategische Investitionen" (EFSI), der in enger Zusammenarbeit mit der Europäischen Investitionsbank errichtet worden ist, vor allem langfristige Investitionen in Unternehmen mit höherem Risikoprofil ermöglichen. Ziel ist es, KMU mit ausreichend Risikokapital auszustatten, damit diese zum Wachstumsmotor Europas werden.

Neben dem Investitionsprogramm will die EU-Kommission die Arbeiten an der "Kapitalmarktunion" vorantreiben, die die Vertiefung des EU-Binnenmarktes für Kapital zum Ziel hat. Um die Vorteile der Kapitalmärkte für Wirtschaft, Arbeitsplätze und Wachstum zu maximieren, plant sie unter anderem, die Unternehmensfinanzierung über Kapitalmärkte als Alternative oder Ergänzung zum Bankkredit zu stärken.

Zugang zum Kapitalmarkt speziell für KMU

Wie beim Investitionsprogramm des EFSI liegt ein Fokus der geplanten Kapitalmarktunion auf kleinen und mittelständischen Unternehmen, deren aktueller Zugang zu den Kapitalmärkten seitens der Kommission als besonders problematisch eingeschätzt wird.

Darüber hinaus will Brüssel auch die bestehenden Hürden für grenzüberschreitende Investitionen überwinden, um auf diese Weise über die Kapitalmärkte Geld für Investitionen freizusetzen. Diese könnten dann beispielsweise in Infrastrukturprojekte fließen oder vom Mittelstand zu Finanzierungszwecken genutzt werden.

Alle ihre Vorstellungen und Pläne von einer Kapitalmarktunion hat die EU-Kommission in einem Grünbuch im Februar dieses Jahres vorgestellt und ein öffentliches Konsultationsverfahren auf den Weg gebracht, um die Hindernisse und Schwierigkeiten, die auf dem Weg zu einer Kapitalmarktunion liegen, aufzudecken. Die Ergebnisse der Konsultation, die im Mai abgeschlossen wurde und sich noch in der Auswertung befindet, werden den politisch Verantwortlichen als Richtschnur dienen, um festzulegen, welche Maßnahmen auf dem Weg zur Kapitalmarktunion ergriffen werden müssen.

Konkrete Maßnahmen identifiziert

Im Zusammenhang mit der Erstellung des Grünbuchs hatte die EU-Kommission allerdings schon konkrete Maßnahmen identifiziert, die im Interesse des Gelingens der Kapitalmarktunion prioritär angegangen werden müssen. Hierzu zählen neben Vorschlägen zur Förderung hochwertiger Verbriefungen und europaweiter Regelungen für Privatplatzierungen auch die Überarbeitung der Prospektrichtlinie. Die Prospektrichtlinie wurde daher zeitgleich mit dem Grünbuch Kapitalmarktunion konsultiert.

Schon aufgrund ihres Umfangs von typischerweise mehreren hundert Seiten sind Prospekte weder für institutionelle noch für private Investoren leichte Lektüre. Die EU-Kommission hat daher in der Konsultation gezielt nach Vorschlägen gefragt, wie Prospekte vereinfacht beziehungsweise verkürzt werden können. Das besondere Interesse der Kommission lag dabei auf der Vereinfachung von Prospekten für sogenannte Zweitemissionen, worunter man Aktien- oder Anleiheemissionen von Unternehmen versteht, die bereits börsennotiert sind.

Ohne Probleme schlanker

Die Prospekte von Zweitemissionen ließen sich nach Auffassung des Deutschen Aktieninstituts ohne größere Umstände wesentlich schlanker gestalten. Aufgrund der regelmäßigen Berichterstattungspflichten börsennotierter Unternehmen nach Transparenz- und Bilanzrichtlinie liegen viele Informationen, die Emittenten in den Prospekt aufnehmen müssen, bereits öffentlich vor. So berichten die Unternehmen in Jahresabschlüssen und Lageberichten über die vergangene und mögliche zukünftige Entwicklung ihrer Gesellschaften. Unterjährige Ereignisse, die eine wesentliche Abweichung von den in diesen Berichten getroffenen Aussagen bedeuten und geeignet sind den Wertpapierkurs zu beeinflussen, sind wegen der Marktmissbrauchsrichtlinie grundsätzlich ad hoc mitzuteilen. Aufgrund der Pflicht diese Dokumente im Unternehmensregister zu veröffentlichen und der freiwilligen Veröffentlichung auf der Internetseite der Unternehmen bei Investor Relation sind diese Informationen zudem jederzeit verfügbar.

Die emittentenspezifischen Informationen sollten daher aus Sicht des Aktieninstituts nicht im Prospekt wiederholt werden. Auch wenn der Prospekt als umfassendes Informationsdokument für den Investor dienen soll, führt die Masse an Informationen zu Unlesbarkeit und verfehlt damit ihren Zweck.

Bestehende Inkongruenzen von Rechtsregeln auflösen

Während im Papierzeitalter der Nutzen eines einzigen Dokuments auf der Hand lag, ist im digitalen Zeitalter mit einem Zugriff auf alle veröffentlichen Unternehmensinformationen rund um die Uhr die Notwendigkeit umfassender Prospekte nicht mehr gegeben.

Wenn die bereits veröffentlichten Unternehmensinformationen nicht mehr in die Prospekte von Zweitemissionen aufgenommen werden müssten, blieben die wertpapier- beziehungsweise emissionsspezifischen Informationen übrig: Stückelung, Kupon, Verwässerungseffekt bei den Anteilen der Anleger, Verwendung des Emissionserlöses, wertpapierbezogene Risikofaktoren und so weiter. All dies sind Informationen, die bis dahin unbekannt sind und im direkten Zusammenhang mit der Emission stehen. Auf diese ließe sich der Prospekt für Zweitemissionen beschränken, sodass ein schlanker, nur noch wenige Seiten umfassender Prospekt das Ergebnis wäre.

Damit würde sich auch die bestehende Inkongruenz unterschiedlicher Rechtsregeln, wie der Adhoc-Pflicht und der prospektrechtlichen Pflicht zum Nachtrag relevanter Informationen im Zeitraum eines öffentlichen Angebots, auflösen. Diese hat ihre Ursache in dem mit der Prospektnachtragspflicht verbundenen Recht von Anlegern, ihren Wertpapiererwerb innerhalb von zwei Tagen nach Veröffentlichung des Nachtrags widerrufen zu können.

Recht auf Widerruf des Erwerbs

Während der Emittent bei der Adhoc-Pflicht für die Selbstbefreiung einige Tage Zeit hat, fehlt ihm diese bei der Nachtragspflicht. Nutzt der Emittent die Möglichkeit der Selbstbefreiung nicht, ist die Adhoc-Mitteilung unverzüglich zu veröffentlichen. Der entsprechende Nachtrag ist dagegen von der BaFin innerhalb von sieben Tagen zu billigen.

Damit entsteht ein Zeitfenster, das manche Anleger zu ihrem Vorteil zu nutzen versuchen. Wenn also ein Emittent eine Information Adhoc publiziert, können Anleger Wertpapiere kaufen und abwarten bis diese Information ebenfalls per Prospektnachtrag veröffentlicht wird. Sollte sich das Papier in dieser Zeit nicht so wie erwartet entwickelt haben, können die Anleger aufgrund des ihnen zugestandenen Rechts ihren Wertpapiererwerb widerrufen.

Die Kollision dieser Pflichten fördert das "Spekulieren" und sollte daher zu Gunsten der Adhoc-Pflicht aufgelöst werden. Wenn emittentenspezifische Informationen nicht mehr Bestandteil eines Prospekts sind, werden diese Kollisionen vermieden.

Erhöhung des Schwellenwertes auf 20 Millionen Euro

Eine weitere gute Initiative der EU-Kommission in der Konsultation zum Prospektrecht ist die Frage nach der Höhe der Schwellenwerte, ab denen die Prospektpflicht ausgelöst wird. Derzeit gilt, dass bei einer Kapitalerhöhung von 10 Prozent oder um 5 Millionen Euro kein Prospekt zu erstellen ist. Allerdings sind bei KMU in Wachstumsphasen diese Schwellen schnell überschritten, sodass der Schwellenwert von 10 Prozent bei KMU im Gegensatz zu großen Gesellschaften keine besondere Erleichterung bringt.

Das Deutsche Aktieninstitut setzt sich daher für eine Erhöhung des Schwellenwerts auf 20 Prozent beziehungsweise um 20 Millionen Euro zusätzliches Kapital ein. Damit ist es vor allem für KMU möglich, schnell und kostengünstig weiteres Eigenkapital für ihr Wachstum zu akquirieren.

Zwei andere Vorschläge der EU-Kommission sind jedoch dem besseren Zugang von Unternehmen zum Kapitalmarkt abträglich. So hat die EU-Kommission vorgeschlagen, dass eine Pflicht zur Prospekterstellung auch dann bestehen soll, wenn lediglich ein Listing an einer Multilateral Trading Facility (MTF), wie beispielsweise dem Freiverkehr, angestrebt wird. Dies ist nicht sinnvoll.

Gerade der Freiverkehr bietet als Vorstufe des regulierten Marktes den Unternehmen die Möglichkeit, sich unter einem eingeschränkten Pflichtenprogramm über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Die Anwendung des Prospektrechts in vollem Umfang würde diesen Kapitalmarktzugang erschweren und die Unternehmen vom erwünschten Gang an die Börse abhalten.

Keine anderen Anleger auf Informationen angewiesen

Die andere nicht zielführende Idee ist die verstärkte Regulierung von Privatplatzierungen. Noch mehr als bei einer Notierung an MTF ist für die Nutzung von Privatplatzierungen das Fehlen besonderer Veröffentlichungspflichten entscheidend. Diese sind auch nicht erforderlich, da mit der Privatplatzierung keine Handelbarkeit der Aktien einhergeht. Es gibt daher keine anderen Anleger, die auf umfängliche Unternehmensinformationen angewiesen sind.

Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Bereitschaft der EU-Kommission, Regulierung abzubauen und damit die Attraktivität des Kapitalmarkts zu steigern, zu begrüßen ist. Gerade Erleichterungen im Prospektrecht sind ein sehr wichtiger Baustein, um die Finanzierung über den Kapitalmarkt zu verbessern und damit den Unternehmen eine kostengünstige Alternative zum Bankkredit zu bieten. Wie gezeigt sind allerdings nicht alle Vorschläge der EU-Kommission geeignet, den Börsenzugang zu erleichtern. Es bleibt zu hoffen, dass sich die EU-Kommission überzeugen lässt und von möglichen Verschärfungen der Regulierung bei den MTF und Privatplatzierungen Abstand nimmt.

Der Autor

Holger Lehnen Referent Kapitalmarktrecht, Deutsches Aktieninstitut e.V., Frankfurt am Main

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