PRIVATE WOHNUNGSBAUFINANZIERUNG

MEHR ALS NUR RENDITE - GESCHÄFTSSTRATEGIEN DER VERSICHERUNGEN IN DER BAUFINANZIERUNG

Dr. Eckehard Schulz, Foto: ERGO Group AG

Die starke Nachfrage nach Wohnimmobilien hat in den vergangenen Jahren nicht zuletzt auch das Hypothekengeschäft der Assekuranz kräftig angekurbelt. Mit Blick auf den Gesamtmarkt spielen Lebensversicherer mit einem Anteil von gut vier Prozent zwar noch immer eine vergleichsweise kleine Rolle. Doch sie besetzen dabei eine vor allem in diesen Zeiten sehr begehrte Nische: Anders als viele Banken sind sie nämlich problemlos in der Lage, Kredite mit extrem langen Laufzeiten von bis zu 30 Jahren und mehr anzubieten. Welche weiteren Vorteile Versicherer im hart umkämpften Baufinanzierungsmarkt für sich beanspruchen können, erörtern die Autoren des vorliegenden Beitrags. Red.

Die Zahlen sind eindeutig: gemäß GDV haben die Lebensversicherer in den vergangenen Jahren verstärkt Kredite für den privaten und gewerblichen Wohnungsbau und Wohnungskauf vergeben. Zwischen 2015 und 2019 stieg die jährliche Summe der von ihnen ausgezahlten Darlehen um 1,3 auf 8,9 Milliarden Euro. Diese Entwicklung macht deutlich, dass die Baufinanzierung bei den Lebensversicherern stark an Bedeutung gewonnen hat. Die Zahlen zeigen aber auch, dass Baufinanzierung ein Produkt ist, welches Kunden nicht mehr ausschließlich bei ihrer Hausbank bekommen - und auch nicht mehr nur dort nachfragen.

Der Haupttreiber für den Ausbau der Baufinanzierung liegt sicherlich in den gestiegenen Herausforderungen im Zinsrisikomanagement. Auskömmliche Renditen mit passender Duration sind ein rares Gut geworden. Diese Entwicklung hat die Attraktivität von verschiedenen alternativen Kapitalanlagen wie Infrastruktur und erneuerbaren Energien erhöht. Sie hat aber vor allem auch im traditionellen Hypothekengeschäft neue Impulse gesetzt. Hier winkt neben der noch immer deutlichen Zinsdifferenz von brutto über 100 Basispunkten gegenüber risikoarmen Staatsanleihen ein hoch diversifiziertes Portfolio abseits der volatilen und von den Finanzmärkten dominierten Marktrisiken.

Margen unter Druck

Um auch künftig von der Mehrrendite zu profitieren, haben Versicherungen ihre Ressourcen ausgebaut und moderne Kreditbereiche geschaffen. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Margen für durchschnittliche Immobiliendarlehen unter Druck sind. Der Margenrückgang lässt sich nur zum Teil durch Größeneffekte und Kostensynergien kompensieren. Viel wichtiger sind die - teilweise erst auf den zweiten Blick sichtbaren - Vorteile und Nutzungskomponenten, die die Baufinanzierung für das Gesamtunternehmen wertvoll machen.

Erst in der Gesamtsicht der Versicherungsgruppen werden diese deutlich. Dabei spielen die geänderten Rahmenbedingungen der vergangenen Jahre eine wichtige Rolle. Diese im Folgenden als Treiber bezeichneten Entwicklungen haben dazu geführt, dass Baufinanzierungen nicht nur ein fester Bestandteil des Anlageportfolios vieler Versicherer sind, sondern zudem in die strategischen Überlegungen der Häuser integriert wurden.

Treiber "Lange Laufzeiten": Unbestritten ist, dass wir, seitdem die EZB den Kapitalmarkt mit billigem Geld flutet, in einem Niedrigzinsumfeld mit günstigen Finanzierungsbedingungen und einem Mangel an Anlagemöglichkeiten leben. Der Immobilienmarkt, und hier besonders der für Wohnimmobilien, hat konsequenterweise mit steigenden Immobilienpreisen reagiert.

Starkes Verlangen nach Planungssicherheit

In Deutschland finanzieren Kunden ihre Immobilien traditionell langfristig und mit fixen Konditionen. Diese Präferenz für längere Laufzeiten hat sich über die letzten Jahre nochmals deutlich erhöht. Das mag einerseits daran liegen, dass der Immobilienkäufer - egal, ob selbst zum Wohnen oder als Vermietungsobjekt - deutlich tiefer in die Tasche greifen muss und hierfür Planungssicherheit anstrebt. Andererseits sind die langlaufenden Darlehen erschwinglicher geworden und innerhalb eines angestrebten Kapitaldienstes von vier bis fünf Prozent solide umsetzbar. Während früher eine fünf- oder zehnjährige Zinsbindung Standard war, liegen heute laut Daten von Europace mehr als die Hälfte der Zinsbindungen bei 15 Jahren oder mehr und teilweise bis zu 35 Jahren.

Es ist offensichtlich, dass hier die Versicherer mit ihrem auf Langfristigkeit ausgerichteten Geschäftsmodell Vorteile be sitzen. Die langfristige Bindung spiegelt das Versicherungsportfolio wider und der Verzicht auf Liquidität erfordert keine kostspielige Fristentransformation wie bei Banken. Daher können Versicherer auch Zinsfestschreibungen bis 30 Jahre und mehr anbieten und erzielen langfristig stabile Zinserträge.

Privilegierte regulatorische Behandlung

Treiber "Solvency II": Im Jahr 2016 ist die EU-Richtlinie Solvency II in Kraft getreten. Diese neuen Stabilitätsanforderungen verlangen von den Versicherern zwingend, das Kapital so anzulegen, dass Sicherheit, Qualität und Rentabilität des Anlageportfolios als Ganzes sichergestellt sind. Immobiliendarlehen sind durch die erstrangige Grundschuld mit soliden Sicherheiten unterlegt. Tilgungen reflektieren zudem den Werteverzehr der Gebäude. Auf Portfolioebene kommt man auf eine hohe Anzahl an selbst genutzten Wohnimmobilien und individuellen Kundenbonitäten mit hoher Diversifikation. Die Verfasser der Solvency-II-Regeln haben dies erkannt und die mit Grundpfandrechten besicherten Privatdarlehen bei der Unterlegung mit Risikokapital privilegiert behandelt im Vergleich zu anderen Assetklassen. Somit gewinnen Darlehen an Eigenheimbesitzer zusätzlich an Attraktivität und helfen dabei, wertvolles Risikokapital zu schonen.

Die Einführung von Solvency II hat noch eine weitere wichtige Komponente mit sich gebracht: Mit dem neuen Regime wurde ein massiver Ausbau der Risiko- und Steuerungssysteme forciert. Im Gegenzug wurde den Versicherungen ein deutlich größerer Gestaltungsspielraum zugebilligt, sofern das entsprechende Knowhow und die passenden Systeme vorgehalten wurden. In der Entwicklung konnte damit das Produktangebot systematisch mit den Anforderungen der Kapitalanlage weiterentwickelt werden.

Treiber "Wohnimmobilienkreditrichtlinie": Der Baufinanzierungsmarkt hat sich durch die ebenfalls im Jahr 2016 in Kraft getretene Wohnimmobilienkreditrichtlinie grundlegend verändert. Im Nachgang zur Finanzkrise wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass Verbraucher keine Darlehen aufnehmen, die sie nicht verstehen oder nicht erfüllen können. Bereits in der Einführungsphase wurde deutlich, dass sowohl die Prüfung durch die Kreditgeber, aber auch die Beratung für Immobiliendarlehen deutlich aufwendiger werden würde und nur mit mehr Unterstützung in den IT-Systemen und besserer Vorfilter noch rechtssicher möglich wäre.

Professionalisierte Beratungswege

Für die Versicherer war noch ein weiteres Dilemma zu lösen: Trotz der höheren regulatorischen Anforderungen im Beratungsprozess galt es, für die eigene Vertriebsstruktur eine Lösung anzubieten, welche eine Teilnahme an dem Vermittlungsprozess ermöglicht. Neben der Einführung des "34 i GewO" als Qualifikationsanforderung begann auch eine Spezialisierungswelle, in der Vertriebskooperationen, der Zusammenschluss zu Maklerpools sowie technisch basierte Finanzierungsplattformen einen hohen Mehrwert bieten, indem sie bei der Erfüllung der regulatorischen Anforderungen umfassend unterstützen.

In Kooperation mit den Finanzierungsplattformen hat sich ein neues Vertriebsmodell geformt. Während für etablierte Berater mit hoher Affinität zu den Produkten der Baufinanzierung die Qualifikations- und Schulungsmaßnahmen ausgebaut wurden, erhielten Tausende weitere den Status des "Tippgebers", der - bezogen auf die Baufinanzierung - die Weiterleitung von Kundenkontakten an eine professionelle Beratungsinstanz ermöglicht. Unterm Strich hat die Hürde der Wohnimmobilienkreditrichtlinie dazu geführt, dass - teilweise zunächst gezwungenermaßen - mehr Aufmerksamkeit für die Baufinanzierung innerhalb der eigenen Vertriebsstrukturen geschaffen wurde. Im Resultat wurden die Beratungswege deutlich professionalisiert.

Abbildung 1: Neues Vertriebsmodell in Kooperation mit Finanzierungsplattformen Quelle: E. Schulz/P. Maas

Treiber "Vergleichs- und Vermittlungsplattformen": Immer mehr Kunden nutzen Vergleichsplattformen und Onlineportale, um eine höhere Markttransparenz zu bekommen. Kreditgeber werden sowohl zum Produkt, im Zins als auch in der Schnelligkeit direkt verglichen. Die Vermittlung über digitale Finanzierungsplattformen boomt, wie diversen Pressemitteilungen der Interhyp und Hypoport zu entnehmen ist. Auch klassische Hausbankvertriebe, wie zum Beispiel Sparkassen, sehen ihre Zukunft auf spezialisierten digitalen Finanzierungsplattformen. Das deutliche Wachstum der Plattform "Finmas" spricht für sich.

Fluch und Segen zugleich

Da verwundert es nicht, dass laut einer Studie von Investors Marketing 2025 jede zweite Baufinanzierung in Deutschland über Finanzierungsplattformen "online" vermittelt wird. Insofern ist die Entwicklung bei den Plattformen für die Anbieter von Baufinanzierungen Fluch und Segen zugleich. Versicherer haben früh die Chancenseite erkannt und die Plattformen in den Mittelpunkt der Geschäftsstrategien gestellt. Die eigenen Investitionen wurden in Grenzen gehalten. Die größten Vorteile dabei sind kundennahe und digitale Prozesse, die Schaffung von zusätzlichen Ertragsquellen für die eigene Vertriebsstruktur durch die Bereitstellung eines professionellen Vermittlungsprozesses sowie der Vertrieb der Baufinanzierungsprodukte außerhalb der eigenen Vertriebsstruktur durch den digitalen Zusammenschluss mit Finanzvertrieben und Maklerpools.

Treiber "Digitalisierung bei Versicherungen": In der Finanzierungswelt und auch in der Immobilienwirtschaft wird momentan der digitale Wandel vorangetrieben. Wer hätte das gedacht, dass sich sogar auch Grundbuch- und Katasterämter von der Papierform verabschieden. Zwar ist die Königsdisziplin "papierlose Baufinanzierung" noch nicht vollständig umsetzbar, allerdings lassen sich bereits manuelle Prüfungsschritte durch digitale Lösungen ergänzen und Dokumente intelligent digitalisieren, was zusammen eine schnellere und verlässlichere Kreditbearbeitung ermöglicht.

Abbildung 2: Digitalisierung im Rahmen der Kreditbearbeitung Quelle: E. Schulz/P. Maas

Versicherungen verfügen nicht nur über das Knowhow, um mit den Banken Schritt zu halten. Die Weiterentwicklung von lokalen Vertriebsstrukturen in Richtung "hybrider Kunde" könnte man sogar als ihre Kernkompetenz anführen. Viele Kunden nutzen die digitalen Kanäle, um sich zu informieren, setzen aber weiterhin auf den persönlichen Berater. Diesen Spagat schaffen die Versicherer. Als Ergänzung zum klassischen Beratungsgespräch wird dem Kunden ein Onlineportal zur Informationsgewinnung angeboten. On top gibt es passgenaue Lösungen zur Absicherung der mit dem Eigenheim verbundenen Risiken.

Unterstützt wird der Beratungsprozess durch den Einsatz moderner Technologie und die Nutzung der Informationen und Daten. Big Data ermöglicht es, Produkt- und Serviceangebote auf die Kunden noch gezielter zuzuschneiden. Die Cross-Selling-Möglichkeiten reichen in alle Sparten rein, von der Altersvorsorge bis zur einfachen Wohngebäudeversicherung, die zwar nicht gesetzlich, aber von jedem Kreditinstitut vorausgesetzt wird. Die Versicherer haben das Potenzial erkannt, durch Produktsynergien gestützt durch digitale Ökosysteme signifikant zu wachsen. Die positiven Auswirkungen dieser neuen Möglichkeiten zeigten sich in der Corona-Krise sehr deutlich. Der Kontakt zu Kunden konnte etwa durch Videoberatungen gehalten werden und auch den Abschluss von Baufinanzierungen ermöglichten die Kreditgeber durch digitale Antragsprozesse aus dem Homeoffice.

Baufinanzierungen erleben bei Versicherungen eine deutliche Wiederbelebung. Im Mittelpunkt steht nach wie vor die Erzielung einer Mehrrendite gegenüber anderen Kapitalanlagen von vergleichbar hoher

Qualität. Die Verschiebung hin zu Festzinsschreibungen mit mehr als zehn Jahren stärkt diesen Anlageansatz, der in Einklang mit dem langfristigen Geschäftsmodell vor allem der Lebensversicherer steht.

Eine gute Ausgangsposition

Neben dem Renditeaspekt sind in den vergangenen Jahren weitere Vorteile auf der Produkt- und Kundenseite in den Vordergrund gelangt. So hat sich die Regulatorik gerade als Treiber für neue, passgenaue Vertriebsmodelle und Produktgestaltungen gezeigt. Weitere Synergien versprechen die Anwendung des hausinternen Digitalisierungs-Knowhows auf das eigentliche Nischengeschäft Baufinanzierungen. Die Lösungen reichen von der volldigitalisierten Kreditakte, fortgeschrittenen Tools für eine schnelle und qualitätsgesicherte Kreditprüfung bis hin zur Gestaltung digitaler Ökosysteme für Kunden, Vertriebe und Kredit- sowie Versicherungsanbietern.

Auch wenn der Markt stark umkämpft ist, haben die Versicherungen eine gute Ausgangsposition. Längst muss man keinen mehr davon überzeugen, dass sich Baufinanzierung für alle im Unternehmen lohnt!

DER AUTOR DR. ECKEHARD SCHULZ Bereichsleiter Immobilienfinanzierung, ERGO Group AG, Düsseldorf
 
DER AUTOR PHILIPP MAAS Produktmanagement Immobilienfinanzierung, ERGO Group AG, Düsseldorf
Dr. Eckehard Schulz , Bereichsleiter Immobilienfinanzierung, ERGO Group AG, Düsseldorf
Philipp Maas , Produktmanagement Immobilienfinanzierung, ERGO Group AG, Düsseldorf

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