MARKT- UND OBJEKTBEWERTUNG

SPEZIALFRAGEN DER BELEIHUNGSWERTERMITTLUNG

Markus Thormann, Foto: Manjit Jari

Die Einschätzungen von Immobilienwirtschaft und Aufsichtsbehörden zur dynamischen Entwicklung auf dem deutschen Immobilienmarkt divergieren deutlich: Während Erstere die Risiken für begrenzt halten, warnen Letztere - und dabei insbesondere die Deutsche Bundesbank - seit geraumer Zeit intensiv vor Übertreibungen. Entsprechend hoch sind mittlerweile die regulatorischen Anforderungen an finanzierende Banken und Sparkassen, nicht zuletzt mit Blick auf die Immobilienbewertung. Wie die Institute den strengen aufsichtsrechtlichen Vorgaben effizient gerecht werden können, erörtert der Autor des vorliegenden Beitrags. Red.

"Die Preise auf dem deutschen Immobilienmarkt kennen weiterhin nur eine Richtung: nach oben. Sowohl Wohn- als auch Gewerbeimmobilien sind nach wie vor stark nachgefragt", stellte Jens Tolckmitt, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Pfandbriefbanken (vdp) zur Veröffentlichung des aktuellen vdp Immobilienpreisindexes Anfang November fest.

"Allerdings hat sich im dritten Quartal 2019 wie erwartet das fortgesetzt, was bereits in den Vorquartalen zu beobachten war: Die Wachstumsdynamik verlangsamt sich kontinuierlich." Bezogen auf den Wohnungsmarkt sei festzuhalten, dass die abgeschwächte Preisdynamik in unmittelbarem Zusammenhang mit Maßnahmen wie Mietendeckel und Mietpreisbremse stünde, die insbesondere in den Metropolen ihre Wirkung entfalten, die aber in keiner Weise zur Lösung des Problems Wohnungsnot beitragen.1)

Und auch der Ausblick des deutschen Gewerbeimmobilienmarktes ist positiv verhalten. Laut dem Immobiliendienstleister CBRE sind in den ersten neun Monaten dieses Jahres im betreffenden Segment rund 50 Milliarden Euro investiert worden, was einen Rückgang von elf Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum darstellt. Gegenüber dem europäischen Ausland sei vor allem in Deutschland damit eine Verlangsamung zu spüren, weil die Objekte hier teurer und weniger liquide geworden seien, heißt es.2)

Anhaltende Diskussionen über mögliche Immobilienblase

Nicht erst seit diesem Jahr werden damit die sich aufdrängenden Fragen hinsichtlich der nachhaltigen Entwicklung der deutschen Immobilienmärkte oder gar einer Immobilienblase angeregt diskutiert. Und während Marktbeobachter und -akteure gleichermaßen zwar überwiegend ein Risiko für das Gesamtsystem wie in den Krisenjahren 2008 und 2009 "noch nicht" sehen, da im Vergleich zu damals Kreditinstitute deutlich konservativere Finanzierungen abgeschlossen hätten und die LTV-Ratios geringer als seinerzeit seien, sind die Aussichten mit Fragezeichen verbunden.3)

Vonseiten der Aufsichtsbehörden und namentlich der Bundesbank werden die Feststellungen hinsichtlich der Marktentwicklung deutlich dezidierter getroffen. Der im Finanzstabilitätsbericht 2018 getroffene Schluss, dass rund 15 bis 30 Prozent der Preise für Wohnimmobilien in städtischen Gebieten nicht mehr durch Fundamentaldaten gerechtfertigt sein, wurde jüngst in der Rede von Frau Prof. Dr. Buch bei einer Veranstaltung Mitte November erneut bekräftigt.4) So findet es die Zentralbank bedenklich, wenn laut einer Umfrage die Mehrheit der Haushalte weiter steigende Preise von Wohnimmobilien erwarte. Bei einer Umfrage unter Banken sei ein kongruentes Bild erkennbar.

Es verwundert daher nicht, wenn die Bundesbehörde, die im Finanzstabilitätsgesetz aus dem Jahre 2012 zugewiesene ausdrückliche Rolle bei der Sicherung der Stabilität des Finanzsystems und den damit verbundenen Auftrag, Gefahren für die Finanzstabilität zu identifizieren, zu bewerten und Analysen in den deutschen Ausschuss für Finanzstabilität einzubringen, spürbar mit Leben füllt.5) Dabei geht es explizit nicht darum, Krisen zu verhindern. Sondern es geht darum, eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung durch das Finanzsystem nicht noch weiter zu verstärken.

Bundesbank: gestiegene Verwundbarkeit des Finanzsystems

Nach eigenem Bekunden liefern die Bundesbank-Analysen des deutschen Immobilienmarkts Hinweise darauf, dass das deutsche Finanzsystem verwundbarer gegenüber makroökonomischen Risiken geworden ist. Bereits im letzten Finanzstabilitätsbericht 2018 hat die Bundesbank auf drei Verwundbarkeiten hingewiesen:

- Die Unterschätzung von Kreditrisiken,

- die Überschätzung der Werthaltigkeit von Sicherheiten - gerade im Immobilienbereich - sowie

- Zinsrisiken: Denn der Anteil neu vergebener Kredite für Wohnimmobilien mit einer Zinsbindungsdauer von mehr als zehn Jahren stieg seit 2010 von 26 auf zuletzt 50 Prozent. Ein (unerwarteter) Zinsanstieg würde also die Kosten der Banken erhöhen, während die Zinseinnahmen nur verzögert zunehmen würden.

Mithin erschließt sich auch, dass die Äußerungen des Bundesbankvorstandes Prof. Dr. Wuermeling vom Ende Oktober dieses Jahres in ein Gesamtmandat eingebettet sind, wenn er davon spricht, dass Schluss sein müsse mit dem "[...] Irrglaube[n], dass die Regulierung wieder mehr atmen lassen müsse, damit der Sektor profitabler wird. Laxe oder weich überwachte Regeln werden weder den Mehrwert von Bankdienstleistungen erhöhen noch die Probleme der Kostenineffizienz auflösen.

Vielmehr stellen solide Regeln sicher, dass neue Wettbewerber nicht mit Dumpingangeboten durchstarten können und damit den Ruf und die Stabilität des gesamten Sektors gefährden.6) In ähnlicher Weise hat sich Matthias Güldner, Abteilungspräsident für bankgeschäftliche Risiken/Grundsatz bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) jüngst in dieser Zeitschrift geäußert.

Die Wahrnehmung aus der Praxis

Die vdpConsulting AG berät Banken und Sparkassen bei der Konzeption und Umsetzung von Prozessen auf Basis regulatorischer Anforderungen mit einem aufwandsschonenden Coaching-Ansatz. Wir begleiten unsere Kunden auch während und nach externen Prüfungen (§44 KWG, Deckungsprüfung) und schulen Verantwortliche für eine wirkungsvolle Umsetzung von aufsichtlichen Anforderungen. Hierbei hat vdpResearch in den vergangenen Jahren die regulatorischen Entwicklungen mitbegleitet und wiederkehrende Diskussionen zu den regulatorischen Anforderungen und deren Auslegung festgestellt.

Unserer Wahrnehmung nach gilt es die eingangs genannten Hintergründe im Blick zu behalten, wenn man über das Thema Immobilienbewertung im Finanzierungskontext spricht. Die Auslegung, Konzeption und Umsetzung der aufsichtlichen Anforderungen muss in einem harmonisierten Gesamtkontext gesehen werden. Die reine Heranziehung der bewertungsrelevanten Kernverordnungen wie beispielsweise der BelWertV oder der Wertermittlungsrichtlinie 3.0 im genossenschaftlichen Sektor ist hier tendenziell zu kurz gegriffen.

Umfangreicher gesetzlicher Rahmen

Für die Bewertung von Immobiliensicherheiten sind das Pfandbriefgesetz (PfandBG), das Kreditwesengesetz (KWG), die Solvabilitätsverordnung (SolvV) sowie insbesondere die Vorschriften der Capital Requirements Regulation (CRR) mit den dazugehörigen technischen Regulierungsstandards maßgeblich. Für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge gelten die Anforderungen aus § 505c BGB sowie aus § 18a Absatz 7 KWG, die im Rahmen der Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie (WKR) verankert wurden. Umrahmt und verknüpft werden alle Anforderung in den Banken zudem durch die MaRisk.

In Abbildung 1 wird das Beziehungsgeflecht zwischen Prozess, Eigenkapital und Risiko bei Immobilienfinanzierungen dargestellt. Hierbei ist zu beachten, dass selbst für Institute, die keine Realkreditprivilegierung (Eigenkapital in Säule I) in Anspruch nehmen, die bewerteten Sicherheiten über die Risikotragfähigkeit (Säule II) der aufsichtlichen Betrachtung unterliegen. Auch wenn die MaRisk in einigen wenigen Punkten noch Gestaltungsspielraum gegenüber den Anforderungen nach CRR beziehungsweise SolvV lassen, korrespondieren die Regelungen doch in vielen Punkten sehr stark. Dies ist in die strategische Entscheidungsabwägung pro Eigenkapitaloptimierung einzubeziehen.

Daneben hat im Juni 2019 die EBA ein Konsultationspapier zu Kreditvergabestandards veröffentlicht. In diesem Papier finden sich vielfältige und teilweise neue Anforderungen an die Finanzierung und Standards für die Durchführung von Immobilienbewertungen, wie wir sie bereits aus der nationalen Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie aus dem Jahr 2016 sowie aus dem NPL-Leitfaden der EZB vom März 2017 und den EBA-Leitlinien über das Management notleidender und gestundeter Risikopositionen von Oktober 2018 kennen, wieder.

Risiken bei mangelhafter Umsetzung

Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Anforderungen und dem dokumentierten Willen der Aufsicht, Risiken zu begrenzen, muss klar sein, dass eine nicht fundierte Auslegung der vorhandenen Anforderungen spätestens im Rahmen von aufsichtlichen Prüfungen das Risiko von Mängelbescheinigungen birgt. Dies trifft nicht nur für die Ausgestaltung der aufbau- und ablauforganisatorischen Regelungen innerhalb des Instituts zu, sondern auch für die Frage, in welcher Güte die entsprechenden Prozesse gelebt werden. Negative Auffälligkeiten können im Nachgang zeit- und kostenintensive Nacharbeiten bedeuten. Auch ein temporärer Entzug der Erlaubnis zur Realkreditprivilegierung oder der Neuemission von Pfandbriefen sind denkbar und von uns bereits begleitet worden.

Die durch die Maßnahmen entstehenden Kosten können daher die durch eine laxe Auslegung der aufsichtlichen Anforderungen ermöglichten Einsparungen überkompensieren und gegebenenfalls die Handlungsfähigkeit der Bank in einer ungeahnten Weise negativ beeinträchtigen. Die obige Argumentationskette spricht bisher nur die zwei letzten Ebenen des Beleihungswertes an, nämlich als Eingangsgröße zur Realkreditprivilegierung und der Möglichkeit zur Pfandbriefrefinanzierung. Voraus geht aber stets die originäre Frage der Kreditentscheidung. Und selbst wenn alle aufsichtlichen Anforderungen fiktiv außer Acht gelassen würden, so sollte doch jedes Kreditinstitut von der Möglichkeit Gebrauch machen, die sich im Bewertungsprozess ergebenden Informationen in einen fundierten Kreditentscheidungsprozess einzubinden.

Vielfältige Fehlerpotenziale

Aus der praktischen Erfahrung haben sich daher folgende ausgewählte Punkte bei der Erstellung als besonders wesentlich herausgestellt, wobei Abbildung 2 hauptsächlich die Erfordernisse oberhalb der Kleindarlehensgrenze widerspiegeln. Ferner dienen diese Feststellungen als Indikation für aktuelle Anforderungen. Basis bilden dabei stets relevante Prüfungsfeststellungen, die sich aus jeweiligen Einzelfallbetrachtungen abgeleitet haben.

Die Erstellung von Bewertungen im Sinne von kreditwirtschaftlichen Schätzungen unter Einhaltung der Vorgaben der BelWertV ist effizient und schnell möglich. Für diese BelWertV-konforme, schnelle und effiziente Erstellung sowie zur nachvollziehbaren Darstellung und Erläuterungen der bewertungsrelevanten Parameter gibt es - neben den beschriebenen aufsichtsrechtlichen Anforderungen - notwendige Bedingungen:

- Ausbildung, Lernkurve und Erfahrung der Mitarbeiter,

- intelligente Planung der Besichtigungstouren,

- bewusster und risikoorientierter Umgang mit zugelieferten Daten sowie Auslagerungen,

- Marktkenntnisse des durchführenden Gutachters,

- Datenverfügbarkeit bezogen auf das Objekt (Transaktionsdaten, gegebenenfalls aus eigenen Marktdatensammlungen),

- erforderliche Unterlagenbereitstellung,

- Wissen und Fertigkeiten aller Prozessbeteiligten,

- einheitliches Bearbeitungssystem und Vorlagen

- sowie einen guten Prozess.

Fußnoten

1) vdp Pressemeldung vom 11. November 2019

2) Artikel der FAZ vom 12. November 2019 und CBRE Marketview Snapshot vom 8. Oktober 2019

3) IRE|BS und KMPG Studie zu Risiken im Deutschen Immobilienmarkt

4) Finanzstabilitätsbericht 2018; Rede Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, Prof. Dr. Buch, zum 14. DVFA-Immobilien-Forum vom 12. November 2019

5) Die Sicherung der Finanzstabilität ist in Europa primär eine nationale Aufgabe, die in Deutschland durch den Ausschuss für Finanzstabilität wahrgenommen wird. Dessen Mitglieder sind das Bundesministerium der Finanzen, die BaFin und die Bundesbank. Die Wahrnehmung dieser Aufgabe erfolgt jedoch in enger Zusammenarbeit mit Institutionen auf europäischer und internationaler Ebene, wie der Europäischen Zentralbank oder dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB).

6) Rede Mitglied des Vorstandes der Deutschen Bundesbank, Prof. Dr. Wuermeling, zum 3. Forum der DK zu Aufsicht und Regulatorik vom 24. Oktober 2019

DER AUTOR MARKUS THORMANN Mitglied des Vorstands, vdpConsulting AG, Hamburg
Markus Thormann , Mitglied des Vorstands, vdpConsulting AG, Hamburg

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