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Der steinerne Lebensabschnittsgefährte

Abbildung 1: Der OP im "Krankenhaus der Zukunft"

Noch ist es nicht so weit. In Zukunft jedoch ist das Gebäude intelligent und lernt von den Bedürfnissen und Gewohnheiten seiner Bewohner und Nutzer. Es agiert vorausschauend und sorgt unter anderem für Komfort, Sicherheit und Unterhaltung. Dabei geht es keineswegs mehr nur um Energieeffizienz, Automation und Kommunikation mit dem eigenen Gebäude. Vielmehr kann auch an intelligente Quartiere in den Städten oder das "Krankenhaus der Zukunft" gedacht werden, wie die aktuellen Arbeiten des Fraunhofer-inHaus-Zentrums zeigen. Allerdings gibt es nach Ansicht der Autorinnen immer noch einige Barrieren, die eine schnellere Marktentwicklung von Smart-Home-Technologien verhindern. Erst wenn geeignete Standards, Regularien und gesetzliche Vorgaben geschaffen werden, kann sich das intelligente Gebäude ihrer Meinung nach durchsetzen. Red.

Als der britisch-US-amerikanische Persönlichkeitspsychologe Raymond Bernard Cattell zu Beginn der 1970er-Jahre sein Zwei-Faktoren-Modell zur Intelligenz entwickelte, dachte er dabei wohl am wenigsten an Gebäude. Seine Theorie unterscheidet zwischen der fluiden und kristallinen Intelligenz des Menschen. Während die fluide Intelligenz gleichermaßen das deduktive und induktive Denken umfasst, basiert die kristalline Intelligenz auf Erfahrungen und Kenntnissen, die man im Laufe des bisherigen Lebens erworben hat. Die kristalline Intelligenz ist demnach eine Art persönliche Habe des Menschen. Die fluide Intelligenz hingegen ist das Werkzeug, welches für das Erlangen dieser Habe nötig ist.

So wie ein Gebäude nicht ohne entsprechende Hilfsmittel - und seien es nur die Hände - erbaut werden kann, kann sich der Mensch ohne die fluide Intelligenz kein Wissen und keine Fähigkeiten aneignen. Glaubt man also der Theorie Cattells, so bestimmen zwei Faktoren die menschliche Intelligenz, die im Wesentlichen von einem lernenden Prozess gebildet wird.

Was der Persönlichkeitspsychologe damals jedoch nicht ahnte ist, dass gut 40 Jahre später Intelligenz nicht nur im Zusammenhang mit Menschen beziehungsweise Lebewesen verwendet wird, sondern immer häufiger auch Geräte, Systeme und vor allem Gebäude als intelligent bezeichnet werden. Doch wie ist es mit dem intelligenten Gebäude? Was macht das Haus denn so clever? Woher bekommt das Wohnhaus seinen Verstand, sodass es unter dem Begriff "Smart Home" als Synonym für eine neue digitale Version des Lebens- und Wohngefühls eine ganze Generation zumindest über Sinn und Nutzen eigener intelligenter vier Wände nachdenken lässt.

Zwei-Faktoren-Modell zur Intelligenz

Vierzig Jahre vor Cattells Zwei-Faktoren-Modell stand im Rahmen des Architekturkongresses CIAM in Frankfurt am Main für den Schweizer Architekten Le Corbusier und Bauhaus-Gründer Walter Gropius bereits fest: Der Mensch braucht Raum, Wärme, Licht und Luft. Damals schon waren sie sich in ihren Visionen flexibler Häuser, die sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen anpassen, einig. In diesen visionären Ansätzen verbarg sich einst bereits die damit einhergehende notwendige Intelligenz eines Gebäudes, die gegenwärtig in dieser Form noch nicht gänzlich realisierbar, in Zukunft aber durchaus den Alltag der Menschen begleiten wird. Dann, wenn das Gebäude lernfähig ist, ist es intelligent.

In der Gegenwart werden intelligente Gebäude häufig im Zusammenhang mit der Gebäudeautomation erwähnt. Dabei ist die Gesamtheit von Überwachungsund Optimierungseinrichtungen in Gebäuden nur ein Teil dessen, was das Gebäude wirklich intelligent werden lässt. Auch die intelligente Gebäudetechnik, die zum Beispiel eine automatische Lichtsteuerung, eine zeitabhängige Temperaturregelung oder die Musikverteilung in allen Räumen ermöglicht, ist noch nicht das, was die wohl einflussreichsten Architekten des 20. Jahrhunderts im Sinn hatten. Wie war das mit der Schwalbe und dem Sommer? Eine optimierte Zähltechnik macht noch kein intelligentes Gebäude.

Potenziale von Smart Homes

Der Begriff Smart Home steht wie kein anderer als Synonym für intelligente Gebäude und ist als Oberbegriff für technische Verfahren und Systeme in Wohnräumen zu verstehen. Zweifellos kann Smart-Home-Technologie für die Akteure von großem Nutzen sein. Die beliebtesten Anwendungen der deutschen Smart-Home-Nutzer stammen derzeit aus den Bereichen Energiemanagement, Unterhaltung, Kommunikation sowie Gebäude- und Gerätesicherheit. Aufgrund der stetig ansteigenden Energiepreise ist Energieeffizienz womöglich der für Anwender entscheidende Faktor zur Installation von Smart-Technologie.

Auch die Politik ist sich einig, dass aus wirtschaftlicher Sicht ein großes Potenzial im smarten Wohnen zu finden ist. Es bietet große Chancen, Arbeitsplätze in den verschiedenen Bereichen der Gesundheitswirtschaft, des Handwerks und der IKT-Wirtschaft weiter auszubauen.

Derzeit gibt es jedoch noch einige Barrieren, die eine schnellere Marktentwicklung von Smart-Home-Technologien verhindern. So existieren im Herstellerbereich noch zu viele unterschiedliche Standards und Kommunikationspfade. Die unternehmens- und spartenübergreifende Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Branchen (Energieversorger, Telekommunikationsmitarbeiter, Handwerk, Wohnungsgesellschaften) erweist sich zudem als noch nicht ausreichend entwickelt und die Baubranche wartet auf passende Investitionsanreize. Daraus folgt: Politik, Verbände und öffentliche Einrichtungen müssen geeignete Standards, Regularien und gesetzliche Vorgaben schaffen. Aktuelle Zertifizierungsprozesse werden derzeit durch den VDE (Verband der Elektrotechnik und der Elektronik) lanciert. Was sich am Ende des Tages durchsetzt, ist derzeit aber wohl noch nicht absehbar.

Gewisse Skepsis bei Verbrauchern

Gründe für eine gewisse Skepsis gegenüber Smart Home aus Verbrauchersicht finden sich vorrangig in den (mutmaßlich) hohen Kosten für den Kauf, Einbau und Betrieb der Systeme. Dazu herrscht unter den potenziellen Nutzern eine latente Unsicherheit hinsichtlich des Datenschutzes. Der gegenwärtige Mehrwert eines Smart-Home-Systems erschließt sich dem Nutzer trotz der zuvor beschriebenen Vorteile einfach noch nicht gänzlich. Erst dann, wenn eine konkrete Zweckdienlichkeit ersichtlich ist, sinkt auch die Hemmschwelle der Leute und die Akzeptanz für die Technologie wird zunehmend größer.

Diese Entwickung lässt auch nicht mehr lange auf sich warten. Schließlich gehen Marktprognosen davon aus, dass sich bis 2020 etwa 80 Prozent aller potenziellen Kunden für eine Smart-Home-Lösung entscheiden werden. Nach einer im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie durchgeführten Studie kann der kumulierte Umsatz von Smart Home im deutschen Markt bis 2025 nach Simulationsrechnungen 19 Millarden Euro erreichen. Das ist doch schon mal eine Ansage.

In Zukunft wird diese Technologie also deutlich stärker im Heim integriert sein. Im Gegensatz zur Gegenwart sind dann Smart-Home-Lösungen keine technologiegetriebenen Einzelkomponenten mehr, sie sind dann miteinander verzahnt und im Leben des Menschen integriert. Und genau das ist ein wesentlicher Faktor des künftigen Wohnens: Die Bewohner erhalten Unterstützung von ihren vier Wänden! Das Zuhause hilft dabei, Familie, Gesundheit und Beruf miteinander zu vereinbaren. Damit ist die Wohnung oder das Haus längst nicht mehr nur ein Gebäude, bestehend aus ein paar Wänden, Decken und Fenstern. Vielmehr ist das Heim zu einem steinernen Partner geworden. Und wie das in einer gut funktionierenden Partnerschaft so sein sollte, weiß das Heim bestens über die Bedürfnisse und Gewohnheiten des Bewohners Bescheid und stellt sich auch darauf ein - oder lernt mit der Zeit, sich darauf einzustellen. Das Gebäude ist intelligent.

Vorausschauend, autonom, adaptiv und ein bisschen grün

Künftig werden die einzelnen Räume also dynamisch auf das Verhalten der Menschen optimiert. Das Zuhause agiert vorausschauend, autonom und adaptiv. Wohnen heißt leben und leben heißt immer auch Veränderung. Somit wird sich das künftige Wohnen sowohl technisch als auch strukturell auf den Daseinsverlauf des Bewohners anpassen. Die "Lebensabschnittswohnung" bietet jungen Leuten Lifestyle und Komfort, Familien erhalten durch sie Unterstützung und Struktur und Senioren fühlen sich in ihr sicher. Im Zuge des demografischen Wandels werden immer mehr Menschen Hilfe benötigen, die unterschiedliche Ausmaße annimmt. Von der stationären Pflegeeinrichtung bis hin zur ambulanten Betreuung älterer Menschen in ihren eigenen vier Wänden. Technik wird in all diesen Bereichen eine entscheidende Rolle einnehmen.

Künftig wird das Zuhause also eine ganze Menge für die Bewohner übernehmen, das Leben für sie ein Stück weit weniger kompliziert machen und die richtige Balance zwischen Aktivierung und Entspannung für sie finden. Und wie sieht das Leben außerhalb der Wohnung aus? Immerhin werden die Menschen künftig als leidenschaftliche Städter infolge der Urbanisierung einen Großteil des Tages in städtischen Gefilden verbringen, dort arbeiten, einkaufen, zum Arzt gehen oder die Kinder zur Kita bringen. Um den Ansprüchen eines nachhaltigen Stadtlebens genügen zu können, wird das städtische Leben deutlich mehr in Quartieren stattfinden.

Das Bedürfnis nach Grün wird jedoch erhalten bleiben und wird in den Alltag der Stadt integriert. Trends dazu lassen sich heute schon anhand futuristischer und gleichwohl auch intelligenter Baukonzepte beobachten. Die Algenbioreaktorfassade eines Hamburger Gebäudes etwa erzeugt nicht nur Wärme und Biomasse, sie bindet auch das Treibhausgas CO2. Durch intelligente Gebäude, so schätzt die EU, könnten bis zu 42 Prozent Energie, 30 Prozent Wasser und 35 Prozent CO2-Ausstoß gespart werden. "Smart Material Houses" stehen daher auch nicht ohne Grund ganz oben auf der Ende 2011 verabschiedeten Nachhaltigkeitsagenda der EU-Kommission. Bis 2020 soll die Zahl der Fast-Null-Energie-Häuser kontinuierlich gesteigert werden.

Fraunhofer-inHaus-Zentrum

Mit den derzeitigen und künftigen Möglichkeiten intelligenter Wohn- und Nutzimmobilien beschäftigt sich das Fraunhofer-inHaus-Zentrum bereits seit über 15 Jahren. In der Ideenschmiede in Duisburg bündelt die Fraunhofer-Gesellschaft die Potenziale von mehreren Fraunhofer-Instituten und zahlreichen Wirtschaftspartnern, um gemeinsam in verschiedenen Anwendungslaboren innovative Systeme und Produkte zu entwickeln, zu testen und zu demonstrieren.

Aktuell im Fokus der Arbeiten stehen dabei die Bereiche Energieeffizienz und die Weiter(-Entwicklung) "smarter" Mess- und Energiesysteme. So hat zum Beispiel das inHaus-Zentrum die Projektkoordination für "NILM" inne. Die Abkürzung steht für das Projekt "Nonintrusive Load Monitoring". Dabei analysiert ein hochauflösender Sensor den gerätespezifischen Stromverbrauch eines Summenlastgangs. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines Energiemanagements für Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistung, welches den Gesamtstromverbrauch einzelnen Geräten zurechnen kann.

Energieeffizienz steht derzeit im Fokus

Darüber hinaus ist die Beschäftigung mit den Herausforderungen und Folgen des demografischen Wandels ein weiterer Themenbereich des Fraunhofer-inHaus-Zentrums. Die Entwicklung intelligenter technischer Assistenzsysteme für ein möglichst langes und selbstbestimmtes Leben und Wohnen im Alter ist ein Beispiel der Forschungs- und Entwicklungsarbeit und beschreibt die wohl künftige Ausrichtung intelligenter Gebäude, die vorausschauend und adaptiv für Sicherheit und Schutz für Senioren sorgen.

Das Projekt "Hospital Engineering" beschäftigt sich mit den Herausforderungen, denen sich Nutzimmobilien - in diesem Fall Krankenhäuser - gegenwärtig stellen müssen, und geht auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter und Patienten ein. Denn diese Einrichtungen stehen aus medizinischer und ökonomischer Perspektive unter einem enormen Wettbewerbsdruck. Auf 350 Quadratmetern wurden alle relevanten Räumlichkeiten eines Krankenhauses nachgebildet, um in einem möglichst realitätsnahen Umfeld gemeinsam mit mehreren Fraunhofer-Instituten und Industriepartnern Entwicklungen zu testen und in den Markt zu bringen. In dieser innovativen Umgebung konnte das Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme IMS auf jahrelange Erfahrung aus dem Forschungsbereich der sensorischen Auswertung und Aktivitätserkennung zurückgreifen.

Für das "Krankenhaus der Zukunft" stattete das Institut zum Beispiel einen Pflegewagen mit verschiedenen Sensoren aus, welche die Benutzung und Entnahme von Materialien und Utensilien erkennen. Durch die sensorische Erfassung der Pflegeabläufe erstellt der intelligente Pflegewagen Vorschläge für die nötige Dokumentation, die von der Pflegekraft dann nur noch quittiert werden müssen. Durch den Einsatz von Sensorik wird der Verwaltungsaufwand reduziert, die Dokumentation wird präziser und es bleibt letztendlich mehr Zeit für die Betreuung der Patienten übrig.

Die Autorinnen

Nina Kloster Leitung, Fraunhofer-inHaus-Zentrum, Duisburg Verena Sagante Referentin der Leitung, Marketing & PR, Fraunhofer-inHaus-Zentrum, Duisburg

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