Bewertungsfragen

Windgutachten: Erfahrungswerte konsequent umgesetzt

Abbildung 1: Windprofil im Wald - Turbulenz Quelle: TÜV Süd Industrie Service GmbH

Die neu überarbeitete technische Richtlinie TR 6 der Fördergesellschaft Windenergie (FGW) soll für verlässliche Ertragsprognosen sorgen. Auch die darauf basierenden Windgutachten sind entscheidend, um die Profitabilität eines Windparks verlässlich einzuschätzen. In der Vergangenheit lieferten die Anlagen nicht selten weniger Energie, als von den Gutachten bestätigt. Die neunte Revision der TR 6 enthält nun methodische Vorgaben, die helfen, die tatsächlichen Windverhältnisse vor Ort realistisch abzubilden. Die Richtlinie ermöglicht der Branche auch, neue Analyse- und Bewertungsmethoden einzusetzen. Red.

Wie stark und woher weht der Wind am Standort eines geplanten Windparks? Das ist eine ganz entscheidende Frage, wenn es darum geht, den wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen langfristig zu sichern. Die bisherige Praxis zeigt: Messungen, Erhebungen und Auswertungen von Wind- und Wetterdaten können, auch durch Eigeninteressen der Beteiligten, zu optimistisch ausfallen. Um die Rentabilität eines Windparkprojektes überzeugend aufzuzeigen und Investoren sowie Banken zu überzeugen, sind daher mindestens zwei unabhängige Windgutachten notwendig.

Zugelassene, unabhängige Gutachter prüfen zu diesem Zweck die Ertragsprognose des geplanten Projektes. Da die Prognose stets auf unterschiedlichen, projektspezifischen Zahlen, Daten und Fakten basiert, sind bei der Bewertung entscheidende Fragen zu beachten: Wie ist es um die Qualität der Eingangsdaten bestellt, die zur Verfügung stehen? Welche Messungen wurden am Standort durchgeführt und wie lange dauerten sie? Ist dieser Zeitraum repräsentativ, um daraus Rückschlüsse auf Jahreserträge und Hochrechnungen für zwanzig Betriebsjahre zu ziehen? Sind bereits Windenergieanlagen (WEA) vorhanden und können sie zur Validierung des Modells verwendet werden? Auf welche Analysemethoden hat man sich bei der Auswertung gestützt? Insgesamt ist also festzustellen, ob die Informationen über das Projekt, den künftigen Standort und die Umgebung ausreichen, um eine realistische Prog nose der Erträge zu ermöglichen.

Mehr Planungssicherheit durch neues Regelwerk

Das technische Regelwerk enthielt hierzu bereits Vorschriften, normative Vorgaben und legte auch das methodische Vorgehen fest. Die Erfahrung früherer Projekte und die Betriebspraxis mancher Windparks lehrten jedoch, dass die Interpretations- und Ermessensspielräume zum Teil zu groß waren - auch für die Gutachter, die die Ertragsprognosen prüfen und verifizieren. So war es möglich, dass Vorgaben auf unterschiedliche Art und Weise ausgelegt wurden. Dem hat die Fördergesellschaft Windenergie (FGW) im September vergangenen Jahres entgegengewirkt und eine überarbeitete Fassung der Technischen Richtlinie Teil 6 (TR 6)1) vorgelegt. Dazu sind wichtige Erfahrungswerte bereits realisierter Projekte eingeflossen.

Für Windgutachten hat die Technische Richtlinie TR 6 normativen Charakter. Die Vorgaben für Eingangsdaten sind in der Fassung der neunten Revision eindeutiger formuliert und neue, strengere Kriterien wurden festgelegt. So dürfen Berichte künftig nur dann als "Windgutachten" im Wortsinn bezeichnet werden, wenn Ertragsdaten von Windenergieanlagen (sogenannten Validierungsanlagen) oder Windmessungen berücksichtigt wurden, die maximal zehn Kilometer vom geplanten Windpark entfernt liegen. Je komplexer die Geländetopografie, desto strenger sind diese Anforderungen. So darf die Entfernung nur zwei Kilometer betragen, wenn eine Steigung von mehr als zehn Prozent gegeben ist oder der Höhenunterschied zwischen der Datenbasis und den geplanten Anlagen größer ist als 50 Meter.

Konkretisiert wurde auch das Verhältnis zwischen den tatsächlichen Mess- zu den später geplanten Nabenhöhen. Um Mess- und Ertragsdaten auf ein anderes Höhenniveau zu übertragen, können diese nun nicht mehr ohne Weiteres extrapoliert werden. Wissenschaftlich fundierte Methoden sind stattdessen gefordert. Denn bedingt durch die großen Ermessensspielräume konnte es bisher vorkommen, dass Validierungsanlagen in großer Entfernung zur Berechnung herangezogen wurden.

Bis zu zwanzig Kilometer waren dabei keine Seltenheit, in Ausnahmefällen sogar deutlich mehr - und das, obwohl die Topografie der Standorte und auch die Windhöffigkeit keineswegs vergleichbar waren. Aus diesem Grund konnte es in der Vergangenheit häufiger zu überhöhten Ertragsprognosen kommen. Die Anpassungen der TR 6 lösen dieses Problem. Sie gewährleistet so deutlich mehr Planungssicherheit für Investoren.

Valide Daten effizient generiert

Auf die beteiligten Projektierer, Planer und Betreiber kommen damit allerdings ganz neue Herausforderungen zu. Denn was wäre, wenn Validierungsanlagen in elf Kilometer Entfernung stehen? Die bereits vorhandenen Mess- und Betriebsdaten aus dem Umland, die früher in Ertragsprognosen eingeflossen wären, dürfen aufgrund der strengeren Richtlinie nicht mehr zur Analyse herangezogen werden. Das Distanzkriterium ist verletzt. Deshalb wären in diesem Fall eigene Windmessungen notwendig, die Kosten im sechsstelligen Bereich verursachen können. Sofern keine vergleichbare WEA in vorgeschriebener Entfernung existiert, liefert diese Methode die besten und aussagekräftigsten Daten. Sie verursacht aber zugleich auch die höchsten Kosten. Gefragt ist in diesem Fall also eine effiziente und effektive Alternative, die auch die hohe Qualität und Aussagekraft der Daten sicherstellt.

Dazu haben die Windenergie-Experten von TÜV Süd eine Methode entwickelt, die alle Kriterien der neuen FGW TR 6 erfüllt und in vielen Fällen angewendet werden kann. Bei diesem Verfahren wird nicht auf kostenintensive Langzeitmessungen mit einem Messmast gesetzt, sondern auf kürzere, lasergestützte Windmessungen (LIDAR) und Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zurückgegriffen. Da die Ertragsdaten von weiter entfernten Windparks allein genommen die Vorgaben der FGW TR6 nicht erfüllen, werden sie durch die LIDAR-Messungen am Standort ergänzt, verifiziert und statistisch abgesichert, um eine zuverlässige Prognose zu ermöglichen.

Beispiel Repowering: Hier ist prinzipiell klar, wie es um die Windverhältnisse am Standort bestellt ist, da die bestehenden Windenergieanlagen langjährige Betriebsdaten geliefert haben und auch die Erträge Rückschlüsse zulassen. Unklar ist hingegen, ob und inwieweit sich diese Bedingungen auf die darüber liegenden Luftschichten übertragen lassen. Doch dort wird die Windenergie geerntet und die Windgeschwindigkeiten ändern sich mit zunehmender Höhe je nach Gebiet auf unterschiedliche Weise. Daher hängt das standortspezifische Windprofil, das die Windgeschwindigkeit zur Höhe über Grund in Beziehung setzt, von einer ganzen Reihe verschiedener Faktoren ab (vergleiche hierzu Abbildung1).

Großen Einfluss hat beispielsweise die Geländestruktur des Standortes, also: Orografie, Topografie, die Rauigkeit der Erdoberfläche und gegebenenfalls der Baumbestand eines Waldes. Hinzu kommen variable Parameter wie die atmosphärischen Schichtungssysteme und die Windrichtung.

Der Einfluss der Jahreszeiten

Die letzten beiden Faktoren können sogar für ein und denselben Standort erheblich variieren. So herrschen im Winter andere klimatische Verhältnisse als im Sommer und die Windprofile wiederum sind stark abhängig von den Jahreszeiten. Eine mehr oder weniger große Bedeutung kommt je nach Lage auch der Windrichtung zu. Insbesondere dann, wenn es vor Ort Wälder, Hügel oder Gebirge gibt, die den Standort von der Hauptwindrichtung abschatten.

All diese Variablen und klimatischen Parameter gilt es, bei der Auswertung der Daten, die bei Windmessungen gewonnen werden, zu beschreiben und einzubeziehen. Soll auf Langzeitmessungen verzichtet werden, ist es daher zwingend, die gewonnenen Daten mit Jahres-/Langzeitdaten abzugleichen um eine statistische Absicherung zu erreichen.

Wo diese Aspekte konsequent berücksichtigt werden, ist es vielfach möglich, innerhalb vergleichsweise kurzer Zeiträume von drei bis sechs Monaten die fehlenden Daten aus den oberen Luftschichten zu generieren. Die genaue Dauer der Messung ist im Voraus allerdings nicht abschätzbar, da sie von den klimatischen Verhältnissen während der Messung und den verschiedenen möglichen Wetterlagen abhängt. In der Meteorologie werden stabile, neutrale und labile Schichtungssysteme der atmosphärischen Luftschichten unterschieden. Sie entstehen durch Temperaturdifferenzen, die zwischen bodennahen und höheren Luftschichten bestehen. Ihre Auswirkungen auf die Windsysteme und Windprofile - also die Windgeschwindigkeiten in unterschiedlichen Höhen über Grund - sind gravierend.

Den Jahresverlauf charakteristisch abbilden

Daraus folgt, dass eine Windmessung mit LIDAR-Systemen alle möglichen Luftschichtungen in einem für den Jahresverlauf und den Standort charakteristischen Anteil beinhalten muss. Um zu gewährleisten, dass die Ergebnisse repräsentativ für den Jahresverlauf, auswertbar und aussagekräftig sind müssen daher für jede Schichtungsklasse repräsentative Mindestzeiträume abgebildet werden.

Bei der Bewertung können Daten des Deutschen Wetterdienstes aus dem Umland herangezogen werden, da Schichtungssysteme und Windrichtungen kein lokales Phänomen und somit auch nicht auf den Standort der Messung begrenzt sind.

Langzeit-Messreihen des DWD, in denen auch der Messzeitraum enthalten ist, zeigen die Häufigkeit und jahreszeitliche Verteilung der verschiedenen Wetterlagen. Sie werden mit dem LIDAR-Messzeitraum in Beziehung gesetzt und fortlaufend verglichen. Sobald der Vergleich der Daten zeigt, dass ein repräsentativer Zeitraum abgebildet wurde, kann die Messung beendet werden. Auf diese Weise ist es möglich, das Windprofil am Standort zuverlässig zu beschreiben. Im Zusammenspiel mit den Betriebsdaten der WEA mit niedrigen Nabenhöhe ergibt sich so ein Datensatz, der für ein FGW-konformes Ertragsgutachten verwendbar ist. Diese neue Methode ist in der Branche noch weitestgehend unbekannt, denn die neunte Revision der TR 6 bietet erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit Orientierung. Deshalb fehlen vielfach noch Erfahrungswerte zur Validierung von Winddaten nach aktuellem Stand der Technik.

Es ist deshalb empfehlenswert, auf die Unterstützung unabhängiger Windexperten wie TÜV Süd zu setzen, die mit den aktuellen Vorgaben und Regelwerkskonformen Methoden vertraut sind. So ist sichergestellt, dass die Ertragsprognosen auf einem soliden Datenfundament basieren.

Fußnote

1) FGW e. V. - Fördergesellschaft Windenergie und andere erneuerbare Energien: Technische Richtlinien für Windenergie anlagen Teil 6 - Bestimmung von Windpotenzial und Energieerträgen; 9. Revision vom 22. September 2014.

Die Autoren

Thomas Arnold Gruppenleiter Messungen und technische Prüfungen WEA Thomas Zirngibl Gruppenleiter Gutachten und technische Due Diligence, beide TÜV SÜD Industrie Service GmbH, Regensburg

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