70 JAHRE LANGFRISTIGER KREDIT UND MEHR

Philipp Otto, Chefredakteur, Foto: Verlag Helmut Richardi

Deutschland im Jahr 1950. Es ist das erste Jahr der neuen Bundesrepublik unter Konrad Adenauer. Die Jahre zuvor waren geprägt von Mangel, von Inflation und Unberechenbarkeit, von einer durch den Nationalsozialismus auf den Krieg ausgerichteten Wirtschaftspolitik, die ein enges Netzwerk einiger weniger Kartelle erschuf. Den Menschen steckten die Kriegsjahre noch in den Knochen. Das besiegte, zerstörte, geplünderte und gerade erst auseinandergerissene Deutschland, ein belastetes, vertriebenes und verstörtes Volk suchte nach Orientierung und Verlässlichkeit, nach Stabilität, Zuversicht und ein bisschen Normalität. Das Grundgesetz der neuen Bundesrepublik war gerade einmal ein Jahr alt. Demokratisch sollte es fortan zugehen. Dank der Währungs- und Wirtschaftsreform vom Juni 1948 existierte mit der D-Mark wieder eine vertrauenswürdige Währung. Die Inflationsrate pendelte mit geringen Ausschlägen fortan irgendwo um die zwei Prozent - das EZB-Ziel war also schon damals erreicht. Der Wiederaufbau forderte alle Ressourcen. Von den anstehenden Jahren des Wirtschaftswunders war noch nicht viel zu spüren.

Die Basis für die soziale Marktwirtschaft war zwar gelegt, war aber noch wirkungslos. "Nicht die freie Marktwirtschaft des liberalistischen Freibeutertums einer vergangenen Ära, auch nicht das freie Spiel der Kräfte und dergleichen Phrasen, sondern die sozial verpflichtete Marktwirtschaft, die das einzelne Individuum wieder zur Geltung kommen lässt, die den Wert der Persönlichkeit obenan stellt und der Leistung dann aber auch den verdienten Ertrag zu Gute kommen läßt, das ist die Marktwirtschaft moderner Prägung" - so umriss Ludwig Erhard auf einem Parteikongress der CDU am 28. August 1948 seine Vorstellungen.

Mitten in diese Zeit hinein gründete ein Preuße im bayerischen Vilshofen eine Zeitschrift. Er nannte sie "Der Langfristige Kredit", überzeugt davon, dass der "Realkredit als der Lebensnerv des Hausbesitzes gilt, und für den Wohnungsbau, der nichts anderes als werdender Hausbesitz ist, ist er nicht weniger", wie er im Leitartikel der allersten Ausgabe schrieb. Er verfolgte mit diesem Titel zweierlei: Zum einen die fachkundige, objektbezogene Auseinandersetzung mit den Märkten der Investitionsfinanzierung für Wohnungsbau, Unternehmen, Versorgungs- und Verkehrsbetriebe sowie die Infrastruktur von Kommunen und Staaten. Zum anderen aber immer auch ein wirtschaftspolitisches Anliegen: nämlich die Darstellung, Diskussion und Erklärung der "Langfristkultur" als Voraussetzung für Wirtschaftswachstum und Vermögensbildung.

Besonders die Wohnungspolitik stand 1950 vor enormen Herausforderungen. Helmut Richardi be schreibt es in 6. Folge des 1. Jahrgangs wie folgt: "Die Wohnungswirtschaft, die sowohl vom Wohnungsbau, als auch vom Hausbesitz getragen wird, gehört zu den Wirtschaftsbereichen, die an die von der amtlichen Wirtschaftspolitik erstrebte soziale Marktwirtschaft noch keinen Anschluß gefunden haben und deren Liberalisierung auch nicht von heute auf morgen erfolgen wird und wohl nach dem Stand der Dinge ohne weiteres nicht durchgeführt werden kann." Den Anstieg von Mieten und Baukosten vor dem Zweiten Weltkrieg als vorübergehende Erscheinung zu bezeichnen, sei ein Irrtum der Wohnungspolitik gewesen, so Richardi. Sie sei der wahre Grund für die Subventionierung des Wohnungsbaus gewesen. "Fehler stellen sich aber früher oder später immer heraus. In der Buntscheckigkeit der Mietpreisgestaltung, die einmal durch die gesetzliche Bindung der Altbaumieten und der Neubaumieten auf ihrem Vorkriegsstand und zum anderen durch die sehr unterschiedliche Begünstigung des Wohnungsbaus bewirkt worden ist, haben sie ihren Niederschlag gefunden, in dem Mietpreisgefüge, das gegenwärtig weder sozialen, noch wirtschaftlichen Grundsätzen entspricht."

Zum Glück gibt es den "Langfristigen Kredit" - nur böse Zungen nannten ihn stets den "Langweiligen Kredit" - der heute "Immobilien & Finanzierung" heißt, schon. Ansonsten müsste man ihn dringend neu erfinden. Denn exemplarisch an der Wohnungsbaupolitik zeigt sich, wie zäh sich elementare Fragen durch die Jahrzehnte schleppen, ohne wirklich je zu Verbesserungen beizutragen. Wohnen, so liest man es auch Anfang der zwanziger Jahre des neuen Jahrhunderts immer wieder, sei die soziale Frage schlechthin. Die Immobilienfinanzierung und damit der langfristige Kredit sind auch heute noch Kern und Ertragsbringer des modernen Bankgeschäfts der universalen Institute. Viele Spezialisten sind in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden, die Produkte gibt es noch. Der Pfandbrief ist mit seinen Elementen Vorbild der europäischen Harmonisierung. Die Bausparkassen werden, von der Geldpolitik gebeutelt und geplagt, mehr und mehr zu klassischen Finanzierern. Regulierung und Digitalisierung verändern Märkte und Wettbewerb. All die Akteure in diesem Umfeld wünschen sich Orientierung in einer immer schnelllebigeren Zeit mit immer mehr verfügbaren Informationen. Die amtierende Redaktion von "Immobilien & Finanzierung" möchte dies gerne auch in den kommenden Jahren anbieten - unabhängig und fair. Bleiben Sie dem Langfristigen Kredit gewogen!

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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