Gefangen

Philipp Otto

Die Notenbanker der Frankfurter EZB waren höchst kreativ, als es darum ging, mittels immer neuer geldpolitischer Instrumente den Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, die Kreditvergabe und den Konsum anzukurbeln und so für höhere Inflation und damit Preiswertstabilität zu sorgen: Programme zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen, Programme zum Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere, negative Zinsen auf Einlagen bei der EZB von mittlerweile 40 Basispunkten, Ankaufprogramm für Wertpapiere der öffentlichen Hand und seit Kurzem auch für Unternehmensanleihen, um nur einige, wesentliche zu nennen. Andere Verrücktheiten wie Helikoptergeld oder die komplette Einstellung geldpolitischer Maßnahmen blieben bislang Gedankenspiele, zum Glück möchte man sagen.

Es ist schon eine verrückte Welt, in der Menschen Geld dafür bekommen, wenn sie sich etwas leihen, und Geld dafür bezahlen, anderen Kredit zu gewähren. Nur wo das Ganze hinführen soll und wird, ist nach wie vor mehr als unklar.

Da brachte leider auch das diesjährige Treffen der führenden Notenbanker in Jackson kaum neuen Erkenntnisse oder gar Hinweise. Im Gegenteil, man ist immer mehr an den armen kleinen Zauberlehrling erinnert, der von seinem Herrn und Meister mit einer ihm lästigen Aufgabe betraut, mittels unbeherrschter Techniken sich Hilfe verschafft, die sich jedoch schnell seiner Kontrolle entziehen und fortan unkontrolliert auf das totale Chaos zusteuern. Im Märchen ging alles gut. Nur gibt es in der Realität keinen Meister, der mithilfe eines einzigen finalen Zauberspruchs den Fehlentwicklungen Einhalt gebietet und den Normalzustand wiederherstellt. Doch ein klein bisschen an "Guidance" kann man von Jackson Hole schon mitnehmen. Zum einen zeigt sich immer deutlicher, dass die USA nicht als Blaupause für eine Zinswende anderswo auf der Welt gelten können. Zu unterschiedlich sind die Gegebenheiten und Entwicklungen beispielsweise in den USA und Europa oder Japan. Zweitens wird der Ton rauer, gerade bei Vertretern aus Europa. Ungewöhnlich scharf wurde die Politik in dem einen oder anderen Mitgliedsstaat angegangen, doch bitte endlich entsprechende Maßnahmen in die Wege zu leiten und damit den Druck von der Notenbank zu nehmen. Das wird aber nicht passieren: Denn welcher Politiker wird seinen Beliebtheitsgrad mit für die Wähler schmerzhaften Entscheidungen gefährden, wenn es andere, viele leichtere Wege gibt. Und in diese Zwickmühle hat sich die EZB selbst hineinmanövriert, als sie sicherlich aus der Not heraus begann, Staaten zu stabilisieren beziehungsweise zu retten, um den Euro in Form zu halten. Da sind sie wieder, die Geister, die man rief ...!

Die Folgen sind vielfältig: Nationalistische und protektionistische Tendenzen selbst in Europa nehmen in dem Maße zu, wie die Bereitschaft zu Gemeinsamkeit sinkt. Die fehlenden Zinseszinsen, des laut Albert Einstein "achten Weltwunders", werden schmerzhafte Lücken in der Geldversorgung der Menschen im Alter hinterlassen. Manche Finanzdienstleistungsprodukte werden unter diesen Bedingungen obsolet und ganze Geschäftsmodelle von Finanzdienstleistern werden infrage gestellt und müssen sich neu erfinden. Für den Pfandbrief, Aushängeschild deutscher Qualität und wahrlich ein Vorzeigeprodukt, ist der gegenwärtige Zustand Fluch und Segen zugleich. So erleichtern die Notenbanken mit ihren Ankäufen zweifelsohne die Emission von Papieren, aber sie drücken auch auf die Spreads und vertreiben angestammte Investorengruppen aus dem Markt, die vielleicht nicht wiederkommen, weil sie zwischenzeitlich woanders ebenfalls interessante Investitionsobjekte gefunden haben. Negative Zinsen, die sich auch beim Pfandbrief mehr und mehr durchsetzen werden, weil der Preis nicht absolut, sondern nur relativ zum Benchmarkprodukt zehnjährige Staatsanleihe, bemessen wird, sind natürlich einerseits GuV-schonend, führen andererseits aber zu immer längeren Laufzeiten. Das Ausweichen auf Produktvarianten wie beispielsweise nachhaltige Papiere (grüne Pfandbriefe) mag zwar neue Investorengruppen erschließen, man muss nur streng darauf achten, Stamminvestoren, die durch die Notenbankkäufe ohnehin häufig zu kurz kommen, nicht auch dadurch noch zu verprellen. Die Zukunft des Öffentlichen Pfandbriefs ist mit Sicherheit eine sehr viel kleinere als seine Vergangenheit. Und natürlich stellt die Mischung aus steigenden Immobilienpreisen einerseits und der Landflucht andererseits heute größere Anforderungen an das Risikomanagement als noch vor einigen Jahren. Die Standardsetzer mit ihren vielfältigen Ideen zu einer größeren Harmonisierung sollen hier allenfalls erwähnt werden. All das ist bewältigbar. Und das deutsche Vorzeigeprodukt wird sich auch in dieser neuen Normalität zurechtfinden. Aber gefangen zu sein in Entwicklungen, die man selbst nicht beeinflussen kann, kann niemandem gefallen. Nur ändern kann man es wohl nicht.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
Noch keine Bewertungen vorhanden


X