HISTORISCHES HOCH

Philipp Otto

Er läuft und läuft und läuft. Was sprichwörtlich für ein Symbol des deutschen Wirtschaftswunders nach dem Zweiten Weltkrieg, den VW Käfer, wurde, gilt seit einigen Jahren auch für den deutschen Konjunkturmotor. 2017 stand ein Wachstum des BIP um 2,2 Prozent zu Buche, das höchste der vergangenen sechs Jahre. Die Produktion im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland übertraf 2017 alle Prognosen und legte preisbereinigt um 3 Prozent zu. Es war der vierte Anstieg in Folge und zugleich der stärkste seit 2011. Während die privaten Konsumausgaben im vergangenen Jahr preisbereinigt um 2,0 Prozent zulegten, wuchsen die staatlichen Konsumausgaben mit 1,4 Prozent unterdurchschnittlich.

Auch der Immobilienzyklus befindet sich schon so lange im Aufschwung, dass man sich wirklich anstrengen muss, sich an Zeiten zu erinnern, in denen dem nicht so war. "Die gute Nachricht unseres diesjährigen Frühjahrsgutachtens ist zweifelsfrei, dass es den deutschen Immobilienmärkten sehr gut geht", so Dr. Andreas Mattner, Präsident des ZIA bei der Vorstellung des Frühjahrsgutachtens 2018 des Rates der Immobilienweisen. So wurden auf dem gewerblichen Immobilienmarkt im vergangenen Jahr rund 58,1 Milliarden Euro umgesetzt, ein Plus von fast zehn Prozent gegenüber der schon hohen Basis des Vorjahres. Erneut floss mit 42 Prozent der Großteil des investierten Kapitals in Büroimmobilien. Die Wohnungsmieten haben im vergangenen Jahr mit 4,3 Prozent etwas stärker zugelegt als im Vorjahr (3,1 Prozent), während der Anstieg der Kaufpreise für Wohnimmobilien mit 7,9 Prozent geringer ausfiel als im Vorjahr (8,8 Prozent).

In den Worten des ZIA-Präsidenten schwingt aber jene Skepsis beim Blick nach vorne mit, die mittlerweile nahezu alle Marktteilnehmer verspüren. Zu Recht! Denn sowohl das anhaltend hohe gesamtwirtschaftliche Wachstum als auch der Immobilienboom ist in erster Linie Sonderfaktoren geschuldet, wie konjunkturzyklischen Faktoren, der expansiven Finanzpolitik oder der erhöhten Nachfrage in Folge der Flüchtlingspolitik.

Was fehlt, ist zweifelsfrei echte Reformbereitschaft. Es gibt inzwischen im gesamten Euroraum nur noch drei Länder, die eine geringere Wachstumsdynamik vorweisen als Deutschland. Dies sind Belgien, Portugal und Italien. Alle anderen Staaten wachsen schneller, selbst die ehemaligen Sorgenkinder Griechenland, Spanien oder Irland. Auch Frankreich wird die Bundesrepublik in den kommenden Jahren gemessen am BIP-Wachstum überholen. Grund sind in erster Linie die - auch auf deutschen Druck hin -überall angestoßenen Reformen. Hierzulande herrscht dagegen Stillstand, was der Reformgehalt des ausgehandelten Koalitionsvertrages der neuen GroKo eindrucksvoll, oder eher erschreckend belegt.

Genau damit hat sich der amerikanische Ökonom Mancur Olsen in seinem 1982 veröffentlichten Werk "Aufstieg und Fall von Nationen" beschäftigt. Seine These: Je länger eine Phase des Friedens und der Stabilität andauert, desto mehr wächst ein Netz von kartellähnlichen Interessengruppen und Umverteilungskoalitionen. Der marktwirtschaftliche Wettbewerb erlahmt, schließlich degeneriert die Gesellschaft zu einer unproduktiven "rentseekingsociety". "Ich bin der Überzeugung, dass eine kleine Rebellion hier und da etwas Gutes ist; sie ist in der Welt der Politik so notwendig wie Stürme in der physischen Welt", so Olsen. Rebellionen gibt es derzeit zwar einige innerhalb der politischen Interessenvertretungen, aber keineswegs mit Blick auf Reformen. Die Politik beschränkt sich weitgehend auf Wohltaten für die Wähler. Die letzten echten Umbrüche liegen mit der "Agenda 2010" von Gerhard Schröder lange, lange zurück.

Auch das Frühjahrsgutachten greift den mangelnden Reformwillen der vorherigen wie dieser großen Koalition auf. ZIA-Präsident Mattner erklärt dazu: "Leider konnten wir bislang auf wenig Unterstützung durch die Politik hoffen, die sich eher auf Eingriffe und Verschärfungen konzentrierte. Die zähen Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen schaffen ein Regierungsvakuum und schaden der Konjunktur. Der Vertrag beschreibt im Klimaschutz eher Aufbruch und intelligente Methoden, im Mietrecht hingegen einen Rückfall ins Zeitalter der hemmenden Regulierung. Die formulierten Ziele wie die Neubauoffensive sowie die technologieoffene und wirtschaftlich sinnvolle Energiewende müssen durch konkrete Maßnahmen unterlegt werden. Unser regulatorisches Umfeld muss verbessert werden." Aber ob die deutsche Politik und die Immobilienwirtschaft wirklich noch einmal Freunde werden? Freuen wir uns so lange wie möglich über das historische Hoch.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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