Kommunale Zwänge

Philipp Otto

Wir können von Glück sagen, in der Bundesrepublik zu leben. Die Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden, ist ausgesprochen gering, der Lebensstandard höher als fast überall sonst auf der Welt. Der Zustand des Gesundheitssystems ist prima, die Kindersterblichkeitsrate so niedrig wie noch nie. Die soziale Absicherung durch den Staat funktioniert sehr gut. Das monatliche Durchschnittseinkommen mit rund 3600 Euro brutto und 1800 Euro netto ist auch im internationalen Vergleich ordentlich. Fast drei Viertel aller arbeitsfähigen Menschen haben Arbeit, die Jugendarbeitslosigkeit ist mit rund 7 Prozent der zweitbeste Wert unter allen Industrieländern weltweit. Das dritte Jahr in Folge haben Bund und Länder einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftet.

Deutschland und den Deutschen geht es also richtig gut. Aber nicht alles kommt da an, wo es benötigt wird. Davon können Rentner ein Lied singen, Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose, aber auch Kommunen. In einem Standpunkt des Deutschen Städtetags heißt es: "Mit Sorge bewertet der Städtetag insbesondere, dass die Unterschiede zwischen finanzschwachen und finanzstarken Kommunen immer gravierender werden. Hintergrund der problematischen Finanzsituation vieler Kommunen ist die bundesweite Entwicklung der Kommunalhaushalte von Investitionshaushalten zu Sozialhaushalten." So war allein 2015 ein Anstieg der Sozialausgaben auf fast 54 Milliarden Euro zu verzeichnen. Im Gegenzug vergrößerte sich der aufgelaufene Investitionsrückstand laut KfW-Kommunalpanel auf fast 140 Milliarden Euro. Das mindert die Attraktivität der betroffenen Kommunen und führt in einer Reihe von Städten zu unzureichenden Standortqualitäten und in der Folge zu weiter steigenden Soziallasten. Auch die Verschuldung ist und bleibt ein großes Thema, trotz historisch niedriger Zinsen: Die Kassenkredite verharren seit Jahren auf dem hohen Niveau von fast 50 Milliarden Euro.

Hessen hat bereits im September 2010 den kommunalen Schutzschirm eingeführt. Gegen die Einhaltung strenger Auflagen sieht das Programm eine Entlastung der kommunalen Haushalte durch Tilgungs- und Zinsbeihilfen vor. 100 der insgesamt 426 hessischen Gebietskörperschaften nahmen das Angebot in Anspruch. Jüngst zog der hessische Finanzminister Thomas Schäfer ein überaus positives Fazit: 96 der 100 Schutzschirmkommunen haben im vergangenen Jahr ihre mit dem Land abgeschlossenen Verträge zur Konsolidierung ihrer Haushalte eingehalten. 94 von ihnen haben die Vorgaben sogar übertroffen. 80 Schutzschirmkommunen gelang dazu der Haushaltsausgleich - nur mit 44 war dieser ursprünglich für 2016 vereinbart. Zusammen haben sie statt eines in den Verträgen für 2016 ursprünglich vereinbarten Defizits von 187 Millionen erstmals überhaupt einen dreistelligen Millionenüberschuss von rund 236 Millionen Euro erwirtschaftet. Bereits am 30. Januar 2017 konnten mit der Stadt Kassel und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf sogar die ersten beiden Gebietskörperschaften aus dem Schutzschirm entlassen werden, es folgte der Landkreis Wetterau. 15 weitere hessische Kommunen sind auf dem besten Weg, aus dem Schutzschirm des Landes entlassen zu werden. Die betroffenen Städte, Gemeinden und Landkreise haben als Grundvoraussetzung für diesen Schritt drei Jahre hintereinander ausgeglichene Haushalte vorgelegt.

Aber wie immer gibt es im Leben nichts umsonst. Um das Programm erfolgreich abschließen zu können, müssen sich die Gebietskörperschaften eine strikte Sparpolitik auferlegen, haben öffentliche Leistungen massiv gekürzt und Abgaben, Gebühren und Steuern kräftig erhöht. 94,1 Prozent der Städte und Gemeinden in Hessen haben beispielsweise die Grundsteuer B in den vergangenen fünf Jahren heraufgesetzt. Seit 2010 stieg die Steuer für nicht landwirtschaftlich genutzte Immobilien ("Grundsteuer B") in Hessen um 46 Prozent oder 126 Punkte auf den bundesweit dritthöchsten Hebesteuersatz von 398 Prozent, kein anderes Bundesland hat die Steuern vergleichbar stark erhöht. Das konterkariert natürlich die Bemühungen um die Schaffung neuen und auch bezahlbaren Wohnraums, denn durch die Grundsteuererhöhungen steigen die Wohnnebenkosten weiter. Davon betroffen sind keineswegs nur selbstnutzende Eigentümer, sondern auch Mieter, für die die Grundsteuer im Regelfall ein Bestandteil ihrer Betriebskostenabrechnung ist. "Der Kompromiss ist ein guter Schirm, aber ein schlechtes Dach", wusste schon James Russel Lowell.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
Noch keine Bewertungen vorhanden


X