Learning by Doing

Philipp Otto

Der Euro ist auf dem tiefsten Stand seit 2006. Die Diskussionen um einen Austritt Griechenlands ("Grexit") aus der Eurozone haben eine neue Intensität erreicht. Die Inflationsrate in der Eurozone fällt unter Null. Öl der Sorte Brent verliert innerhalb von sechs Monaten rund die Hälfte an Wert. Die Zinsen liegen mit 0,05 Prozent schon länger nahe Null und bieten damit keinen weiteren Spielraum für eine konventionelle Geldpolitik. Das Jahr 2015 hätte für all die verantwortlichen Geldpolitiker wahrlich einfacher anfangen können.

Mitleid ist allerdings fehl am Platz. Denn viel zu lange schon bekämpfen die Geldpolitiker lediglich die Symptome, lassen die Ursachen der derzeitigen Situation aber unangetastet. Kein Geld der Welt kann die Wirtschaft in den südeuropäischen Staaten ankurbeln, wenn dort die notwendigen Reformen unterbleiben, wenn die Konjunktur nicht aus sich selbst heraus Fahrt aufnimmt. Das wiederum kann nicht eintreten, solange die Schuldenlast erdrückend, ein Schuldenschnitt ausgeschlossen und eine Abwertung der Währung zur Linderung nicht möglich ist. Der Euro ist Fluch und Segen zugleich für Griechenland, Spanien, Italien und Co.

Hinzu kommt, dass sich die EZB-Verantwortlichen selbst in eine nahezu ausweglose Situation gebracht haben. Der sehr offensiven Ankündigungspolitik geschuldet, haben sie nur noch die Wahl, sich zum Sklaven der Märkte zu machen und deren Erwartungen an immer unkonventionellere Maßnahmen der Geldpolitik zu erfüllen, oder dies gerade eben nicht zu tun. Damit würden sie Schockreaktionen und größere Verwerfungen an den Finanzmärkten riskieren. Als letzte dieser Maßnahmen dürfte auf der kommenden Sitzung am 22. Januar der umstrittene Kauf von Staatsanleihen beschlossen werden. Berichten zufolge wird derzeit an einer Lösung gebastelt, die auch der Bundesbank eine Möglichkeit der Zustimmung bietet. Dann nämlich, wenn nur ein Teil der Ankäufe direkt durch die EZB erfolgt, der große Rest aber durch die jeweiligen nationalen Notenbanken. So ist die Gefahr der Vergemeinschaftung der Schulden zumindest begrenzt.

Die Kritik an diesem Schritt ist groß. Ökonomen warnen die Verantwortlichen nahezu täglich vor den unkalkulierbaren Folgen und den schwer einzuschätzenden Erfolgsaussichten. In der Tat stellt sich die Frage, was passieren würde, wenn auch diese Maßnahme so gut wie wirkungslos verpuffen würde? Hat die Europäische Zentralbank als Stabilitätsinstitution dann endgültig ihr Gesicht verloren? Und was kommt danach? Kann das durchaus bewährte Mittel von Staatsanleihenkäufen auch in dieser doch sehr besonderen europäischen Situation überhaupt Linderung bringen? Gegen echte Deflation vermag es zu helfen, doch die europäische Misere gestaltet sich anders. Keine einheitliche Fiskalpolitik, sehr unterschiedliche Geschwindigkeiten der konjunkturellen Entwicklung, ein Ölpreisverfall, der einerseits die Deflation schürt, andererseits wie ein Konjunkturprogramm wirkt und somit mittelfristig zu steigenden Preisen führt. Der Kauf von Staatsanleihen mag aber bei entsprechend großen Umfängen natürlich eine Stabilisierung/Erhöhung der Zinsen zur Folge haben. Doch ist der Zins das Problem? Man muss den Verantwortlichen allerdings zugutehalten, dass es keine Erfahrungen mit einer solchen Situation gibt. "Learning by Doing" heißt die (riskante) Devise.

Doch wie schlimm ist es denn tatsächlich um die deflationären Tendenzen bestellt? Wehret den Anfängen, meinen die einen. Abwarten und beobachten, die anderen. Gefährlich wird es, wenn die Preise auf breiter Front ins Rutschen geraten, die Verbraucher ihren Konsum und Firmen ihre Investitionen aufschieben, eine Pleitewelle folgt, weil Schuldner ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen können. Die gesamte Volkswirtschaft gerät in eine Abwärtsspirale. So weit ist es sicherlich noch nicht. Bereits 2008 sind die Preise in der Eurozone gefallen, stärker als im Dezember vergangenen Jahres. Der Grund für die momantan negative Preissteigerung mit den fallenden Energiepreisen ist klar ersichtlich. Manche Ökonomen sprechen daher sogar von einer "guten Deflation" in diesem speziellen europäischen Fall. Und zu guter Letzt mag angeführt werden, dass es in den wirtschaftlichen Entwicklungen der Vergangenheit nahezu alle Konstellationen schon gegeben hat: Deflation mit Wachstum, Deflation mit Stagnation, Inflation mit Rückgang ...

Nein, zu bemitleiden sind die Währungshüter nicht, aber auch nicht zu beneiden.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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