Out!

Philipp Otto

Die Engländer sind raus. Und das bezieht sich nicht nur auf die Fußball-Europameisterschaft, was für das Mutterland des Fußballs schon schlimm genug ist. Das Aus gilt für die Mitgliedschaft in der Europäische Union. Nach mehr als vierzig Jahren haben die Bürger Großbritanniens die Ehe mit den Kontinentaleuropäern, die nie ganz harmonisch und schon gar nicht besonders innig war, beendet. Der Schock darüber sitzt tief, in der Europäischen Union, aber auch in Großbritannien selbst. Denn Verlierer werden beide Seiten sein. Europa muss die Entscheidung vor allem als wichtiges Signal sehen. Die Bürger haben es satt, von entdemokratisierten Institutionen permanent mehr Vorschriften gemacht zu bekommen, ohne darauf Einfluss nehmen zu können.

In dem Maße, in dem Souveränitätsrechte von den Nationalstaaten abgegeben werden, steigt die Macht der europäischen Institutionen. Und das, ohne dass eine Legitimation der Maßnahmen durch die nationalen Parlamente stattfinden kann. Nicht nur SPD-Chef Sigmar Gabriel sprach sich daher nun für einen dringend erforderlichen Kurswechsel aus. Die Europäische Union müsse wieder näher an die Menschen herangehen.

Außerdem muss Europa aufpassen, dass das Beispiel der Briten keine Schule macht. Viel wird daher von den anstehenden Verhandlungen über das weitere Miteinander nach dem offiziellen Austrittsgesuch abhängen. Es ist zu befürchten, dass die verletzten Entscheider der EU ein klares Signal senden werden, an den Briten ein Exempel statuieren werden, um andere Kandidaten für ein Referendum abzuschrecken. Klar ist: Es darf keine zu großen Zugeständnisse geben, der Austritt darf nicht belohnt werden, sondern muss und wird schmerzhaft für die Bürger und die Wirtschaft Großbritanniens werden. Andererseits sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Engländern und den europäischen Ländern eng. Zölle und ähnliches würden hier zulasten beider Seiten gehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel plädierte daher für einen maßvollen Umgang mit den Briten. Europa sei ein Mehrwert, sagte sie. Das hat man in England so offensichtlich nicht gesehen, was auch eine Analyse der Suchanfragen bei Google am Tag nach dem Referendum zeigt. "EU" war das meistgesuchte Wort in Großbritannien. Wussten sie überhaupt, was sie tun? Wussten sie, worum es überhaupt geht?

Nicht nur Europa muss zittern, auch Großbritannien. Mit dem Austritt sind die vier Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes - freier Güter-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr - nicht mehr gültig. Der Absturz des Pfunds um mehr als zehn Prozent auf seinen tiefsten Wert seit September 1985 deutet an, wie die Märkte die Situation aktuell beurteilen. Experten gehen nach dem Austritt von gravierenden Einschnitten für die britische Wirtschaft aus, immerhin drittgrößte Volkswirtschaft Europas hinter Deutschland und Frankreich und noch vor Italien. Einem Gutachten des britischen Finanzministeriums zufolge würde ein Brexit jeden Haushalt in Großbritannien 4 300 Pfund pro Jahr kosten.

Die gestiegene ökonomische und politische Unsicherheit wird sich auch auf den Immobilienmarkt auswirken. Das zeigte sich bereits in den Monaten vor dem Referendum. Die Bank of England verzeichnete im April so wenige neu abgeschlossene Hauskredite wie seit elf Monaten nicht mehr. Ähnliches gilt für die Gewerbeimmobilien: In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden lediglich 14 Milliarden Pfund, umgerechnet 17,68 Milliarden Euro, in britische Gewerbeimmobilien investiert - 21 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum, zeigen Analysen des Immobilienmaklers CBRE. Am meisten betroffen sein wird sicherlich London als das wirtschaftliche Herz Großbritanniens. Die European Banking Authority (EBA) hat ihren Abschied aus London im Falle eines Brexit bereits angekündigt. Andere kontinentaleuropäische Unternehmen und Banken werden folgen. Der niederländische Datenspezialist Geophy schätzt, dass internationale Firmen bis zu 200 000 Angestellte aus London abziehen könnten, was mehr als eine Million Quadratmeter Bürofläche und Tausende Wohnimmobilien wieder verfügbar machen würde. Bis zu 35 Prozent, so die Vorausberechnungen von Geophy, könnten die Preise für Gewerbeimmobilien fallen. Profiteure werden Dublin und auch Frankfurt sein, mit all den angenehmen aber auch unangenehmen Folgen wie erhöhter Wohnungs- und Bürobedarf, Zwang zu Neubautätigkeit in begrenzten Räumen, steigenden Preises und damit Druck auf die Renditen. Nein, Gewinner wird es wirklich keine geben.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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