Quo vadis Europa

Philipp Otto

Foto: Fritz Knapp Verlag

Besser als befürchtet, schlechter als erhofft. So oder zumindest so ähnlich lassen sich die Ergebnisse des G20-Gipfels, nicht die fürchterliche Schadensbilanz, zusammenfassen. Es gab immerhin eine gemeinsame Abschlusserklärung. Dabei ist das gemeinsame Bekenntnis zum Freihandel zweifellos ein wichtiges Signal. Auch wenn der Einsatz "rechtmäßiger Handelsschutzinstrumente" wie Strafzölle in Ausnahmefällen statthaft ist, sorgt dieses Ergebnis für große Erleichterung, weil dadurch die Gefahr eines Handelskriegs zwischen Deutschland und den USA deutlich gesunken ist.

Es gab auch ein Novum in der 10-jährigen Geschichte der G20-Treffen. Da in der Klimapolitik keine einheitliche Haltung gefunden wurde, ist in der Abschlusserklärung der 20 wichtigsten Staats- und Regierungschefs erstmals ein Dissens festgeschrieben worden. Bislang war man stets bemüht, gemeinsame Positionen zu finden und zu formulieren. Gescheitert ist ein solcher Konsens nicht etwa an den Russen oder den Chinesen, sondern den Amerikanern und der sturen Haltung des US-Präsidenten Donald Trump. Dieser musste aufgrund seines Wahlversprechens "America First" mit einer "amerikanischen" Lösung den Gipfel verlassen und konnte keinem Kompromiss zustimmen. Das wäre ihm in der Heimat schnell als neuerliche Niederlage angekreidet worden. Washingtons Ansatz besteht laut Schlussdokument darin, CO2-Emissionen zu verringern, aber dabei gleichzeitig die Energiesicherheit zu verbessern und das Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Die USA erklären, dass sie anderen Staaten helfen werden, "sauberere" und "effizientere" fossile Energien zu nutzen. Zu den fossilen Energieträgern zählen Kohle, Öl und Gas. Merkel verteidigte das Vorgehen: "Wo es keinen Konsens gibt, muss der Dissens festgehalten werden", sagte die Bundeskanzlerin und Gastgeberin dieses Gipfels in ihrer Abschlusserklärung.

Die Haltung der USA wirft viele Fragen auf. An wem soll sich Europa künftig ausrichten? Wohin soll sich Europa künftig orientieren? Die USA sind unter diesem Präsidenten alles andere als der verlässliche Partner der vergangenen Jahrzehnte. Und auch Großbritannien, das sich seit seinem Eintritt in die Europäische Familie im Jahr 1965 selten für eine verstärkte Integration in die EU interessiert und sich stattdessen immer an den Amerikanern ausgerichtet hat, kann nach dem Austritt aus der EU kaum noch ein wichtiger Partner sein. Von daher kann der Brexit eine gute Möglichkeit für Kontinentaleuropa bieten, seine Beziehungen neu zu ordnen.

Denn auch wirtschaftlich spielt die Musik längst nicht mehr in den USA oder Großbritannien. Im vergangenen Jahr konnte das vermeintliche Sorgenkind China mit einem BIP-Wachstum von 6,7 Prozent die bei 6,3 Prozent (IWF) angesiedelten Prognosen deutlich übertreffen. Auch die Eurozone lag mit 1,7 Prozent Wachstum leicht über der bei 1,6 Prozent angesiedelten Prognose, während die USA mit 1,6 Prozent Wachstum die bei 2,8 Prozent liegende Erwartung deutlich verfehlten. Das Wirtschaftswachstum in Europa beträgt aktuell rund 1,9 Prozent, die Inflation ist grundsätzlich im langfristigen Vergleich angesprungen, die Arbeitslosigkeit geht zurück, wenn auch auf relativ hohem Niveau. Zuversichtlich stimmen vor allem die Aufholeffekte: Spaniens Wirtschaft beispielsweise wächst derzeit um rund 3,2 Prozent im Jahr, Portugals immerhin um 1,5 Prozent. Auch der Osten holt kräftig auf: Rumänien legt um 4,8 Prozent zu, Bulgarien um 3,4 Prozent, die Slowakei um 3,3 Prozent und Polen um 2,8 Prozent. Sorgenkinder bleiben lediglich Griechenland, dessen Wachstum von Eurostat mit 0,0 Prozent angegeben wird, und Italien mit einem Wirtschaftswachstum von gerade einmal 0,8 Prozent.

Wohin soll sich dieses wieder erstarkende Europa orientieren? Weiterhin nach Westen? Oder wäre eine Annäherung an den Osten, an Russland und China, nicht deutlich vielversprechender? Die Wirtschaft in diesen Ländern entwickelt sich deutlich schneller. Das russische Reich hat von allem, was die Europäer in Zukunft an Bodenschätzen benötigen, mehr als genug. Das historisch einmalig große Infrastrukturprojekt "One Belt - One Road", das von Moskau über Wladiwostok bis China, Indien, Arabien und partiell bis Afrika reicht, wird für viele Experten zunehmend der maßgebliche Wachstumstreiber der Weltwirtschaft sein. Und unberechenbarer beziehungsweise unzuverlässiger als Trump ist Putin nicht. Europa hat die Wahl. Gibt es etwas Schöneres?

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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