Undigital?

Philipp Otto

Der deutsche Michel neigt bei aller Experimentierfreude und allem Erfindungsreichtum mitunter dazu, Neuerungen und vor allem neuen Technologien eher etwas zurückhaltender und abwartender gegenüberzustehen. Das könnte nun negative Folgen haben, meint Accenture, denn beim wichtigen Thema Digitalisierung drohe der Wirtschaftsstandort Deutschland den Anschluss zu verpassen. Einer Studie des Beratungsunternehmens zufolge erreicht die deutsche Volkswirtschaft im Index zur digitalen Durchdringung (Digital Density Index) lediglich 51,9 von 100 möglichen Punkten und landet im Ranking der 17 untersuchten Volkswirtschaften lediglich im hinteren Mittelfeld auf Rang neun.

Spitzenreiter in der Erhebung sind die Niederlande mit 75,3 Punkten, gefolgt von den USA (65 Punkte), Schweden (59,6 Punkte) und Südkorea (57,9 Punkte). Dabei sind Investitionen in die Digitalisierung durchaus lohnenswert. Eine Anhebung um zehn Punkte durch die gesteigerte Nutzung digitaler Technologien könnte das Wachstum der weltweit zehn größten Volkswirtschaften um 1,36 Billionen US-Dollar bis zum Jahr 2020 erhöhen, so Accenture. Allein für Deutschland würde dies eine Steigerung der durchschnittlichen Wachstumsrate um 0,27 Prozentpunkte pro Jahr und ein 1,9 Prozent höheres BIP 2020 als bislang prognostiziert bedeuten.

Was für die Wirtschaft im Großen gilt, gilt für die Immobilienbranche im Kleinen. Auch hier ist man in Deutschland eher zögerlich bei der Einführung digitaler Fortschritte. Das hat auch der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, sehr wohl erkannt. "Die Digitalisierung wird alle Sektoren und Bereiche revolutionieren", so Oettinger im Frühsommer. "Diese Revolution wird vor der Immobilie nicht Halt machen. So wie Wasser, Strom und Straße muss auch der digitale Anschluss an die Welt allgemein gesichert sein, um im privaten und beruflichen Leben zukunftsfähig zu bleiben." Einer stärkeren Digitalisierung auch der Immobilienwirtschaft ist grundsätzlich natürlich zuzustimmen. Das sieht auch die Branche so, denn die Expo Real, der größte Branchentreff in Deutschland Anfang Oktober in München, widmet sich in diesem Jahr verstärkt dem Thema "Immobilien 4.0 oder die neuen digitalen Herausforderungen der Immobilienbranche". Allerdings sind bis zur digitalen Immobilie oder dem digitalen Immobilienunternehmen oder der digitalen Immobilienwirtschaft noch einige Fragen offen. Es beginnt schon mit der Abgrenzung dessen, worüber man bei diesen Schlagworten eigentlich spricht. Während die einen primär den privaten Wohnungsraum vor Augen haben, fordern die transaktionsgetriebenen Teilnehmer im Immobilieninvestmentmarkt zunehmend digitale Datenräume, um Daten von Objekten und Portfolios schneller, einfacher und vor allem transparenter einsehen zu können. Bauherren wünschen sich digitale 3-D-Präsentationen von neuen Objekten, die Facility und Property Manager stehen vor einer Transformation, nämlich ganze Prozessketten und damit auch Wertschöpfungsketten umzugestalten und digital mit Leben zu füllen, und welche Konsequenzen das Aufkommen des Onlinehandels für das Retailsegment oder die Veränderungen im Büroalltag für die Immobilien haben werden, können wir wohl erst in einigen Jahren wirklich abschätzen.

Darüber hinaus hat die Branche nicht alles in der eigenen Hand. Der Ausbau von leistungsfähigen Netzen in der Breite, eine zwingende Voraussetzung für eine digitale Gesellschaft und eine digitale Wirtschaft, ist ebenso eine politische Aufgabe wie die Entscheidung zum Einsatz und Einbau neuer Technologien. Wird hier gezögert, kommt man zu spät, Beispiel Smart Meter, also intelligente Stromzähler. Der Blick in die europäischen Nachbarländer zeigt, dass Deutschland bei Smart Metering die rote Laterne hält. Deutschland ist bei den 16 großen Rollouts intelligenter Stromzähler in der EU nicht vertreten. Unter den geschätzt 72 Prozent aller EU-Energieverbraucher, die 2020 Smart Meter einsetzen werden, werden sich demzufolge nicht allzu viele Deutsche befinden. Zu klären ist ebenfalls noch die Frage der Datensicherheit. Auch diese, so die Wünsche der immobilienwirtschaftlichen Verbände in Deutschland, sollte von staatlicher Seite garantiert werden, denn nur vertrauenswürdige und breite Netze schaffen die Voraussetzungen für das digitale Heim. Und die Unternehmen brauchen eine europäische Kultur der Datensicherheit, was nicht zuletzt durch die NSA-Aktivitäten wichtiger denn je erscheint. Doch es bringt natürlich auch nichts, den "Schwarzen Peter" vom einen zum anderen zu schieben. Vielleicht, hoffentlich, bringt die Expo Real hier neuen Schwung in das Thema und die Bemühungen.

Philipp Otto , Geschäftsführer, Verleger, Chefredakteur , Verlag Fritz Knapp, Verlag Helmut Richardi, Verlag für Absatzwirtschaft
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