VIEL WIND, WENIG SONNE

PHILIPP OTTO CHEFREDAKTEUR

Deutschland kommt nicht voran. Im Gegenteil! Man muss leider das Gefühl haben, dass ein gesetzliches verankertes Recht auf Homeoffice, übertriebene Genderdiskussionen und die mangelnde Frauenquote im Bundestag derzeit bei führenden Politikern einen höheren Stellenwert genießen, als das zentrale Zukunftsthema unserer Zeit, nämlich der Klimawandel. Zwar verordnete die Kanzlerin der Bundesrepublik mit den Meseberger Beschlüssen aus dem Jahr 2007 ein "integriertes Energie- und Klimaprogramm" mit dem Ziel, 40 Prozent des CO2-Ausstoßes bis 2020 einzusparen. Doch folgte das böse Erwachen: Realistisch sind bis 2020, das wissen wir seit kurzem, höchstens dreißig Prozent. An den Zielen des Pariser Klimaabkommens, den CO2-Ausstoß bis 2050 gar um vierzig Prozent zu reduzieren, rüttelt derzeit hierzulande noch niemand. Aber wie glaubwürdig ist diese Zusage? Damit die EU ihre Klimaziele auch erreicht, werden laut EU-Kommission etwa 180 Milliarden Euro zusätzlicher Investitionen benötigt. Allein in Deutschland müsste sich der CO2-Ausstoß in den kommenden elf Jahren um rund 350 Tonnen reduzieren. Dafür müsste man rein rechnerisch die Treibhausgas-Emissionen des gesamten deutschen Verkehrs auf Null bringen und zusätzlich alle Braunkohlekraftwerke abstellen, die heute noch rund 25 Prozent des Strombedarfs abdecken.

Bei der von der EU-Kommission im vergangenen Jahr forcierten Diskussion um eine Verschärfung der Klimaziele erwies sich Deutschland plötzlich sogar als großer Bremser. "Ich denke, wir sollten zuerst an den Zielen festhalten, die wir uns bereits gesetzt haben. Ich glaube nicht, dass es Sinn macht, sich ständig neue Ziele zu setzen", so Merkel im Herbst vergangenen Jahres. Will sich die Bundesrepublik nicht vollends blamieren, muss also sehr viel mehr Bewegung in den Schutz des Klimas kommen. Der Wille scheint da, zumindest da wo es nicht ganz so weh tut, also nicht bei Autos, Häusern, Arbeitsplätzen und Industrie. Also wurde Ende Februar stolz verkündet, die Bundesregierung wolle Deutschland zu einem führenden Sustainable-Finance-Standort machen. Unter anderem soll nun ein Sustainable-Finance-Beirat eingerichtet werden, eine Kommunikationsstrategie entwickelt werden, um Verbrauchern die Thematik besser verständlich zu machen sowie geprüft werden, ob die Emission von grünen und nachhaltigen Bundesanleihen wirtschaftlich ist. Geprüft! Im Jahr 2019! Wirtschaftlich! Nur zum Vergleich: Bereits am 29. September 2015 hat der britische Notenbank-Gouverneur Mark Carney in seiner viel beachteten Rede "Breaking the Tragedy of the Horizon - climate change and financial stability" einen direkten Bezug zwischen Klimawandel und den daraus resultierenden Gefahren für die Finanzstabilität und die Finanzwirtschaft hergestellt.

Und die Finanzwirtschaft ist weit mehr betroffen und verantwortlich, als manch einer angesichts der großen Zeiträume, über die gesprochen wird, vermutet. Zunächst einmal sind Banken und Versicherungen große Kapitalsammelstellen und damit Investoren am Kapitalmarkt, andererseits sind sie selbst Emittenten verschiedenster Papiere, von Bonds über Schuldverschreibungen bis hin zu Verbriefungen. Allerdings sind gerade einmal knapp 2 Prozent des gesamten in Publikumsfonds verwalteten Vermögens vom BVI als nachhaltig eingestuft. Und Green Bonds, die zur gezielten Finanzierung ökologischer Projekte aufgelegt wurden, repräsentieren derzeit Schätzungen zufolge nur knapp 1 Prozent des gesamten Anleihemarktes.

Bleibt die Risikoseite: Die internationalen Bestrebungen stellen natürlich ein ernstes Problem für das Geschäftsmodell aller Unternehmen dar, die Kohle, Erdgas oder Öl fördern. Solche heute nur schwer abzuschätzenden Risiken in den eigenen Bilanzen wie in den Bilanzen ihrer Kunden müssen Finanzdienstleister mehr und mehr berücksichtigen. Allerdings stellen die mangelnde Verfügbarkeit von Daten aus der Vergangenheit sowie die Abhängigkeit von politischen Entscheidungen und die damit verbundene hohe Unsicherheit ein Problem dar. Dennoch muss es das Ziel der Institute sein, Finanzierungen in gefährdeten, weil nicht nachhaltigen Branchen künftig zu unterlassen und bereits getätigte Engagements im Zuge eines Divestments zurückzufahren - auch ohne einen Malus auf braune Finanzierungen oder einen Bonus auf grüne.

Auch die Bauwirtschaft ist in vielerlei Hinsicht betroffen - doch auch hier hört man vor allem Klagen über die steigenden Kosten, die das Wohnen für die Bundesbürger teurer machen und weniger mit guten Vorschlägen zu Lösungen. Es ist gut, dass all diese Themen auf der Mipim, die mit 30 Jahren in diesem Jahr ein schönes Jubiläum feiern kann, einmal mehr zur Sprache kommen. Hoffentlich mit Nachdruck. Denn das Klima muss uns alle angehen, was nicht zuletzt an den Freitagsdemonstrationen der Schüler spür- und sichtbar wird.

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