Delisting: Die Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf die Frosta-Entscheidung des BGH

Dr. Joachim Kaetzler, Rechtsanwalt und Partner, Experte für Kapitalmarktrecht, CMS Hasche Sigle, Frankfurt am Main Als Folge einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Jahr 2013 sind Kleinaktionäre seither beim regulären Delisting von Aktiengesellschaften vom regulierten Markt schlechter gestellt. Ein entsprechendes Schutzbedürfnis für diese Gruppe konstatiert der Autor und sieht dieses auch von der Bundesregierung sowie von Bundesrat und Bundestag anerkannt. Er plädiert dafür, bei einer anstehenden gesellschaftsrechtlichen Neuregelung dieser Fälle, sorgfältig die Interessen von Kleinanlegern und Unternehmen in Einklang zu bringen. Eine in der Literatur bereits diskutierte Lösung, die auch der Autor favorisiert, sieht vor, dass für das reguläre Delisting kein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich sein soll. Kleinaktionären solle aber eine Barabfindung gewährt werden. Deren Höhe solle sich aber nicht am Verkehrswert der Beteiligung orientieren, sondern an dem durchschnittlichen Börsenkurs in den letzten Monaten vor der Bekanntmachung der Entscheidung zum regulären Delisting. (Red.)

In zahlreichen Medien kursiert momentan das Gerücht, dass der deutsche Gesetzgeber als Reaktion auf die Frosta-Entscheidung des BGH eine Gesetzesänderung im Bereich des Delistings anstrebt.

Frosta-Entscheidung des BGH

In dieser Frosta-Entscheidung hat der BGH formuliert, dass der auf eigenen Antrag erfolgende Rückzug einer börsennotierten Aktiengesellschaft vom regulierten Markt der Börse (sogenanntes reguläres Delisting) im Innenverhältnis der Aktiengesellschaft weder einen (mit einfacher Mehrheit zu fassenden) Hauptversammlungsbeschluss, noch ein im Wege des Spruchverfahrens nachprüfbares, am Verkehrswert der Beteiligung orientiertes Barabfindungsangebot an die Kleinaktionäre der Aktiengesellschaft voraussetzt. Mit dieser Entscheidung gab der BGH seine bis dahin geltende Macrotron-Rechtsprechung, die jene Erfordernisse statuierte, auf.

Anlass dieser Kehrtwende des BGH war eine zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BVerfG. Dieses stellte fest, dass das reguläre Delisting keinen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht der Kleinaktionäre bewirke, da das Eigentumsgrundrecht nur die rechtliche Verkehrsfähigkeit, die durch das reguläre Delisting nicht beeinträchtigt werde, nicht aber die tatsächliche Verkehrsfähigkeit, die zumeist durch das reguläre Delisting beeinträchtigt werde, schütze. Auf der Grundlage, dass das reguläre Delisting einen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht der Kleinaktionäre darstellt, wurde jedoch die Macrotron-Rechtsprechung des BGH errichtet, sodass der BGH konsequenterweise von seiner Macrotron-Rechtsprechung Abstand nahm.

Die Kehrtwende des BGH wurde von den Unternehmensvertretern und Großaktionären begrüßt, denn der Wegfall des Hauptversammlungsbeschlusses, des Barabfindungsangebotes und der mit dem Abfindungsangebot verbundenen Spruchverfahren führte für die Unternehmen zu einer erheblichen Reduzierung des Verwaltungs- und Kostenaufwandes bei Durchführung eines regulären Delistings. Demgegenüber wurde die Kehrtwende des BGH von den Kleinaktionären und vielen Stimmen in der Literatur kritisiert. Die Frosta-Entscheidung des BGH hatte nämlich zur Konsequenz, dass bei einem regulären Delisting nunmehr ein Schutz der Kleinaktionäre auf der Ebene des Gesellschaftsrechts weitgehend nicht mehr vorhanden ist.

Daneben existiert zwar noch ein kapitalmarktrechtlicher Schutz dergestalt, dass die Börse einem Antrag eines börsennotierten Unternehmens auf Rückzug vom regulierten Markt der Börse nur stattgeben darf, wenn dies dem Schutz der Anleger nicht widerspricht. Welche Erfordernisse erfüllt sein müssen, damit ein Widerspruch zum Schutz der Anleger nicht vorliegt, ist jedoch in den jeweiligen Börsenordnungen der deutschen Börsen unterschiedlich definiert.

Fristenlösungen

Einige Börsenordnungen sehen eine sogenannte Fristenlösung vor, wonach die Wirksamkeit des Widerrufs der Börsenzulassung erst mit zeitlicher Verzögerung eintritt, sodass den Kleinaktionären nach positiver Bescheidung des Widerrufsantrags noch ausreichend Zeit verbleibt, ihre Aktien an der Börse zu veräußern. Andere Börsen halten eine Fristenlösung für unzureichend, um dem Schutz der Kleinaktionäre gerecht zu werden, und fordern daher in ihrer Börsenordnung einen mit einfacher Mehrheit zu fassenden Hauptversammlungsbeschluss und/oder ein gerichtlich nachprüfbares am Verkehrswert der Beteiligung orientiertes Barabfindungsangebot an die Kleinaktionäre.

Auch zahlreiche Stimmen in der Literatur stufen die Fristenlösung als unzureichend ein. Begründet wird dies damit, dass bei Fehlen eines Barabfindungsangebotes der Börsenkurs in vielen Fällen bereits mit Veröffentlichung der Entschließung des Unternehmens, einen Antrag auf Widerruf der Börsenzulassung zu stellen, einbreche und folglich die zeitliche Verzögerung des Widerrufs der Börsenzulassung nicht verhindere, dass die Kleinaktionäre ihre Aktien nur noch zu einem bereits gesunkenen Börsenkurs an der Börse veräußern können (Bayer/Hoffmann, AG 2015, R 55, R 55ff.). Diesen Kursrückgang kann sich insbesondere der Großaktionär zunutze machen, indem er den Kleinaktionären ihre Aktien zum Schnäppchenpreis abkauft.

Weiterhin besteht die Gefahr, dass der kapitalmarktrechtliche Schutz auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes der Anleger deutlich hinter dem durch die Frosta-Entscheidung aufgegebenen gesellschaftsrechtlichen Schutz zurückbleibt. Es besteht nämlich zum gegebenen Zeitpunkt keine Einigung darüber, ob der einzelne Anleger aus der kapitalmarktrechtlichen Prämisse, dass der Widerruf der Zulassung vom regulierten Markt der Börse nicht dem Schutz der Anleger widersprechen darf, individuelle Rechtspositionen herleiten kann. Insbesondere das VG Frankfurt hat dies - allerdings noch vor der Frosta-Entscheidung des BGH - verneint (VG Frankfurt, AG 2013, 847, 848).

Es besteht mithin als Folge der Frosta-Entscheidung des BGH die konkrete Gefahr eines unzureichenden gesellschaftsrechtlichen/kapitalmarktrechtlichen Schutzes der Kleinaktionäre bei Durchführung eines regulären Delistings.

Vergleich zum kalten Delisting

Im Kontrast dazu sind die Kleinaktionäre bei einem sogenannten kalten Delisting, das heißt dem Verlust der Börsennotierung durch Strukturmaßnahmen, durch das Gesellschaftsrecht weitgehend geschützt. Solche Strukturmaßnahmen sind namentlich die Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft, der Formwechsel von einer börsennotierten Aktiengesellschaft in eine nicht börsennotierte Gesellschaft sowie die Eingliederung einer börsennotierten Aktiengesellschaft in eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft. In all diesen Fällen ist für die Strukturmaßnahme ein Beschluss der Hauptversammlung der börsennotierten Aktiengesellschaft erforderlich.

In den Fällen der Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Gesellschaft sowie des Formwechsels von einer börsennotierten Gesellschaft in eine nicht börsennotierte Gesellschaft erhalten die Aktionäre der börsennotierten Aktiengesellschaft, der Strukturmaßnahme widersprochen haben, zudem ein im Wege des Spruchverfahrens auf seine Angemessenheit überprüfbares am Verkehrswert der Beteiligung orientiertes Barabfindungsangebot. Im Falle der Eingliederung einer börsennotierten Aktiengesellschaft in eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft kommt eine Barabfindung der aus der eingegliederten börsennotierten Aktiengesellschaft ausscheidenden Aktionäre hingegen nur in Betracht, wenn die Zielgesellschaft eine abhängige Gesellschaft ist.

Bemühungen des Gesetzgebers

Der deutsche Gesetzgeber hat daher eine Gesetzesänderung im Bereich des regulären Delistings ins Auge gefasst. Die von der Bundesregierung am 7. Januar 2015 beschlossene Aktienrechtsnovelle 2014 enthält zwar noch keine Gesetzesregelungen, die in diese Richtung weisen. Allerdings hat der Bundesrat in einer am 6. März 2015 getätigten Stellungnahme zu diesem Gesetzesentwurf angeregt, in die Aktienrechtsnovelle 2014, als Reaktion auf die Frosta-Entscheidung des BGH, gesellschaftsrechtliche Regelungen im AktG oder UmwG zur Verbesserung des Schutzes der Kleinaktionäre bei einem regulären Delisting einzuarbeiten. In einer Gegenäußerung hat zudem die Bundesregierung bereits deutlich gemacht, dass sie dem Vorschlag des Bundesrates nicht abweisend gegenübersteht.

Am 26. März 2015 hat sich der Bundestag in einer ersten Beratung mit der Aktienrechtsnovelle 2014 befasst und den Gesetzesentwurf in den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (federführend), den Finanzausschuss und den Ausschuss für Energie und Wirtschaft überwiesen.

Im Rahmen dieser ersten Beratung wurde auch das Thema Delisting von den Sprechern der Fraktionen CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Grünen angesprochen. Diese erkannten allesamt ein infolge der Frosta-Entscheidung des BGH entstandenes Schutzbedürfnis der Kleinaktionäre beim regulären Delisting an und votierten daher für eine gesellschaftsrechtliche Regelung zum Schutz der Kleinaktionäre beim regulären Delisting.

Vorschläge zur inhaltlichen Ausgestaltung der angestrebten Regelung wurden bisher noch nicht geäußert. Zu einer ersten inhaltlichen Konturierung der angestrebten Regelung wird es vielmehr erst in den mit der Aktienrechtsnovelle 2014 befassten Ausschüssen kommen.

Inhaltliche Ausgestaltung der angestrebten Regelung

Es ist zu erwarten, dass die inhaltliche Ausgestaltung der gesetzgeberischen Regelung in den Ausschüssen beziehungsweise in den weiteren Plenumssitzungen des Bundestages kontrovers diskutiert werden wird. Dies liegt daran, dass zur Stärkung des Schutzes der Kleinaktionäre beim regulären Delisting mehrere Handlungsansätze, die den Anleger mehr oder weniger stark schützen, zur Verfügung stehen.

Ein extrem anlegerfreundlicher Ansatz würde darin bestehen, schlichtweg die Grundsätze der Macrotron-Rechtsprechung durch eine positive gesellschaftsrechtliche Regelung wieder in Kraft zu setzen, indem in das AktG oder UmwG eine Regelung eingeführt wird, die für das reguläre Delisting ein Hauptversammlungsbeschluss sowie ein am Verkehrswert der Beteiligung orientiertes Barabfindungsangebot und Spruchverfahren einführt. Andererseits sollten auch die Interessen der Unternehmer, die an einer Reduzierung von Verwaltungsaufwand und Kosten interessiert sind, ausreichend in den Blick genommen werden.

Weiterhin löst nicht jeder Rückzug vom regulierten Markt der Börse zwingend ein Schutzbedürfnis der Kleinaktionäre aus. Insbesondere im Falle des Wechsels vom regulierten Markt der Börse in den qualifizierten Freiverkehr besteht ein solches Schutzbedürfnis der Kleinaktionäre regelmäßig nicht, weil der qualifizierte Freiverkehr dem regulierten Markt der Börse in seiner Ausgestaltung mittlerweile wesentlich angenähert ist (Rosskopf, ZGR 2014, 487, 493).

Verzicht auf Hauptversammlungsbeschluss

In Anbetracht dessen sollte darüber nachgedacht werden, ob nicht durch ein milderes Konzept als die Reimplementierung der Macrotron-Grundsätze den Interessen der Kleinanleger gebührend Rechnung getragen werden kann. In der Literatur hat sich diesbezüglich schon ein interessanter Ansatz herausgebildet (Brellochs, AG 2014, 633, 645). Danach soll für das reguläre Delisting kein Beschluss der Hauptversammlung erforderlich sein. Dadurch könnte der Verwaltungsaufwand für die Unternehmen reduziert werden. Für einen Verzicht auf einen Hauptversammlungsbeschluss spricht zudem, dass die Kleinaktionäre, jedenfalls wenn der Beschluss nur eine einfache Mehrheit erfordern würde, das Zustandekommen eines wirksamen Beschlusses ohnehin nur selten blockieren könnten. Außerdem fehlt es an einer Vergleichbarkeit zu den Fällen des kalten Delistings, bei denen nicht der Rückzug von der Börse, sondern die Strukturmaßnahme die Befassung der Hauptversammlung rechtfertigt.

Anderseits soll als Ausgleich dafür, dass die Kleinaktionäre bei der Entscheidung über das reguläre Delisting nicht mitwirken können, diesen, wenn sie nicht mehr an ihren Aktien festhalten wollen, von der Gesellschaft eine Barabfindung gewährt werden. In Bezug auf die Abfindungspflicht könnte man allerdings noch in Betracht ziehen, eine Ausnahmeregelung für solche Fälle zu schaffen, in denen lediglich ein Wechsel vom regulierten Markt der Börse in den (dem regulierten Markt der Börse mittlerweile stark angenäherten) qualifizierten Freiverkehr stattfindet. Als Rückausnahme müsste dann jedoch wiederum eine Abfindungspflicht ausgelöst werden, wenn in einem zweiten Schritt ein Wechsel vom qualifizierten Freiverkehr in den einfachen Freiverkehr oder ein kompletter Rückzug aus dem Freiverkehr vollzogen wird (Paschos/Klaaßen, AG 2014, 33, 36).

Keine Orientierung am Verkehrswert

Letztlich soll sich die Höhe der Abfindung nicht am Verkehrswert der Beteiligung, sondern an dem durchschnittlichen Börsenkurs in den letzten Monaten vor der Bekanntmachung der Entscheidung, einen Antrag auf Widerruf der Zulassung zum regulierten Markt der Börse zu stellen, orientieren. Vorteilhaft an diesem Ansatz wäre, dass die Notwendigkeit eines Spruchverfahrens entfallen würde und sich mithin der Verwaltungsaufwand für das Unternehmen reduzieren würde. Das Unternehmen wäre somit nur noch mit dem Kostenaufwand, der mit der Abfindung der ausscheidenden Aktionäre verbunden ist, belastet. Durch eine solche Regelung würden auch die Kleinaktionäre nicht unangemessen benachteiligt werden, da diesen nur Kompensation für den Verlust der Notierung am regulierten Markt der Börse zu gewähren ist und dies durch eine Orientierung an dem vor der Ankündigung des Delistings maßgeblichen Börsenkurs gewährleistet werden kann.

Um einen Gleichklang zwischen regulärem Delisting und kaltem Delisting herzustellen, wäre dann noch zu erwägen, auch bei einem kalten Delisting die Höhe der Abfindung nach dem durchschnittlichen Börsenkurs in den letzten Monaten vor der Bekanntmachung der Entscheidung, die ins Auge gefasste Strukturmaßnahme durchzuführen, zu bemessen. Allerdings ist hier anders als beim regulären Delisting problematisch, dass es beim kalten Delisting nicht nur um den Verlust der Notierung am regulierten Markt der Börse, sondern auch um eine Veränderung der Struktur der Gesellschaft geht, sodass ein Festhalten an einer Barabfindung am Maßstab des Verkehrswertes der Beteiligung sachlich gerechtfertigt sein könnte.

Schutzbedürfnis wurde anerkannt

Das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Aktienrechtsnovelle 2014 hat gezeigt, dass als Folge der Frosta-Entscheidung des BGH ein Schutzbedürfnis der Kleinaktionäre beim regulären Delisting sowohl von der Bundesregierung als auch vom Bundesrat und Bundestag anerkannt wird und deshalb eine gesellschaftsrechtliche Regelung des regulären Delistings für notwendig erachtet wird. Mit Spannung bleibt nun abzuwarten, mit welchen konkreten Maßnahmen der Gesetzgeber dem Schutz der Kleinaktionäre beim regulären Delisting Rechnung tragen will. Der Gesetzgeber wird hierbei vor der Aufgabe stehen, die Interessen der Kleinaktionäre und der Unternehmer in einen bestmöglichen Ausgleich zu bringen. In Anbetracht dessen sollte er nicht unbesehen die Macrotron-Rechtsprechung übernehmen, sondern versuchen ein abgemildertes Konzept des Kleinaktionärsschutzes zu etablieren.

Auch ist zu bedenken, dass nicht jede Form des Rückzugs einer Aktiengesellschaft vom regulierten Markt der Börse ein Schutzbedürfnis der Kleinaktionäre auslöst. Letztlich sollte der Gesetzgeber die für das reguläre Delisting geschaffenen Regelungen mit den bereits vorhandenen Regelungen zum kalten Delisting abstimmen, soweit nicht sachliche Gründe eine Ungleichbehandlung der beiden Institute rechtfertigen.

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