Digital Finance: Der Kunde gibt die Richtung vor, die Infrastruktur bereitet den Weg!

Susanne Geber, Foto: Deutsche WertpapierService Bank

Der Moment ist günstig, die Digitalisierung ist in aller Munde, das Interesse an einfachen, aber dennoch sicheren digitalen Lösungen in der Finanzwelt groß - was bedeutet dies für etablierte Banken? Susanne Geber betrachtet im vorliegenden Beitrag eine Vielzahl von Aspekten, die die Möglichkeiten, an den aktuellen Entwicklungen der Digitalisierung teilzuhaben, abstecken. Zunächst geht sie auf die legislativen und regulatorischen Anforderungen an die sich momentan Schritt für Schritt fortsetzende Etablierung der Blockchain-Technologie in der Finanzbranche ein. Von hier ist der Bogen schnell zur Thematik elektronischer Wertpapiere und dem anhaltenden Boom der Fonds und Aktien als Alternative zur traditionellen Sparanlage geschlagen. Und genau hier bestünde die wohl größte Interaktionsmöglichkeit mit Kunden. Denn trotz des Vormarschs der Fintechs und Neobroker vertrauen viele Kunden weiterhin ihrer Hausbank. Auf dieses Vertrauen gilt es aufzubauen und die Nachfrage nach besagten digitalen Lösungen zu bedienen. (Red.)

Begriffe wie Blockchain, Bitcoin, Ledger, API, DLT und Token liest und hört man aktuell nicht nur in der Fach- und Finanzberichterstattung, sondern fast jeden Tag in allen Medien. Der Hype ist in Deutschland angekommen und eine steigende Anzahl von Interessenten will an den neuen, sich bietenden Anlagemöglichkeiten teilhaben. Technik macht es möglich, nationale Grenzen oder juristische Rechts- und Aufsichtsräume spielen kaum mehr eine Rolle. Aber macht die Distributed-Leger-Technologie (DLT) tatsächlich all das obsolet, was in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist und sich bewährt hat, oder muss man nicht den Fokus auch darauf richten, den Anlegern zeitgemäße wie sichere Investitionsmöglichkeiten zu bieten, sie aber zugleich vor Vermögensschäden zu schützen?

Gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase und der immer deutlicher zu Tage tretenden Notwendigkeit, die private Altersvorsorge über eine Wertpapieranlage zu stärken, sollten alle Anstrengungen unternommen werden, damit der digitale Hype nicht vorschnell mit geschädigten und enttäuschten Anlegern endet. Dies gilt sowohl für die verschiedenen neuen Anlageinstrumente als auch für die innovativen Handels- und Abwicklungsplattformen. Banken befinden sich somit aktuell im Spannungsfeld von Markt-, Branchen- und Wettbewerbsdynamiken, neue technologische Entwicklungen forcieren den Druck.

Nach der Finanzkrise wurde der regulatorische Rahmen für die Banken deutlich strenger. Damit verengte sich nicht nur deren Handlungsspielraum, sondern es kamen (und kommen) auch neue Marktteilnehmer hinzu. Viele neue Produkte und Instrumente mussten teilweise in bewährten, aber auch immer wieder nachzurüstenden IT-Strukturen und Systemen mit sich fortwährend synchronisierenden Daten abgebildet werden. Die neuen Player konnten sich durch Lösungsorientierung den Anforderungen und Wünschen der Kunden erfolgreich nähern. Hürden wie die Einhaltung regulatorischer Anforderungen bestanden für sie - erst einmal - nicht. Das ändert sich gerade durch die verschiedenen Regulierungsvorhaben auf nationaler, europäischer oder globaler Ebene - alle kümmern sich um die "Digitalisierung im Finanz- und Bankenwesen", wobei die diversen Vorhaben verschiedene Ziele verfolgen: Neben der Finanz- und Währungsstabilität, IT-Sicherheit und dem Anlegerschutz steht auch der Wettbewerb mit den sogenannten Bigtechs im Fokus.

Das Digital-Strategie-Papier der EU-Kommission

Große Aufmerksamkeit hat die EU-Kommission beispielsweise mit der Vorlage des Digital-Finance-Pakets im September 2020 erlangt. In diesem Strategiepapier werden Regelungen für den Massenzahlungsverkehr, Legislativvorschläge für einen EU-Rechtsrahmen für Kryptowerte (MICA und Pilot-Regime) und Vorschläge für eine Rechtsverordnung zur Betriebsstabilität digitaler Systeme (DORA) gemacht.

In der öffentlichen Diskussion wird dabei DORA weniger beachtet als die Vorschläge zur Regelung von digitalen Vermögensformen, den Krypto-Assets, die vor allem als regulatorische Antwort auf die Überlegungen zu Libra/Diem gesehen wird. Dies könnte aber ein Trugschluss und bei nicht angemessener Berücksichtigung ein Damoklesschwert sein. Denn mit DORA sollen die Rahmenbedingungen der digitalen betrieblichen Widerstandsfähigkeit von Banken und Dienstleistern, darunter auch Cloud-Anbieter, deren Leistungsangebote zunehmend nachgefragt werden, im Finanzsektor harmonisiert werden. Damit einhergehen wird eine Verschärfung gegenüber den heutigen Vorgaben, wie wir sie in Form der BAIT der BaFin kennen und derzeit in einer Überarbeitung konsultieren.

Da die Anforderungen auf operationelle Resilienz, also auf stabile und belastbare Prozesse und Vorkehrungen abzielen und somit unter anderem ein angemessenes Risikomanagement im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) erfordern, Meldepflichten bei schwerwiegenden IKT-Vorfällen auslösen und eine Neuaufstellung der Aufsichtsbehörden bei kritischen IKT-Drittdienstleister bedingen, muss diese Diskussion im Auge behalten werden. Klar vonseiten der Brüsseler Rechtsetzer scheint indes zu sein: Risiken infolge technischer Versuchsexperimente werden nicht toleriert. Es bedarf also weiterhin und für die Zukunft noch verstärkter operativer Stabilität, was für das Wertpapiergeschäft in neuen, stärker digitalisierten Formen genauso zu begrüßen ist wie aus Gründen des Anlegerschutzes und letztlich der Finanzstabilität.

DLT-Pilotregime für Kryptowerte und Krytowertpapiere

In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag der Kommission für ein Pilotregime mit einem zugleich richtigen wie zeitgemäßen Ansatz: Mut und Innovationsgeist zu vereinen und im Bereich der europäischen Finanzmarktgesetzgebung für DLT eine Art Versuchsaufbau auszuprobieren. Dieser sieht regulatorische Befreiungen beziehungsweise Erleichterungen und damit auch Ausnahmen vom Grundsatz "same business - same rules - same regulation" vor und ist insofern konsequent. Genauso konsequent ist aber auch, dass man diesen der kontroversen Diskussion über aufsichtliche Sandboxes (Sandkasten) ähnlichen Versuchsaufbau erst einmal beschränkt und an enge Voraussetzungen knüpft, um keine Präjudizien zu schaffen.

So soll dieses Pilotprojekt zu Beginn nur auf den Bereich des Handels und der Verwahrung sowie auf potenzielle DLT-Marktteilnehmer wie Zentralverwahrer, Wertpapierbanken und Marktbetreiber begrenzt werden. Dies ist gleichermaßen sinnvoll wie die von der Kommission vorgeschlagenen Begrenzungen der Volumina der durch DLT übertragbaren Wertpapiere, also beim Handel von Aktien mit maximal 200 Millionen Euro Marktkapitalisierung des Emittenten oder 500 Millionen Euro bei Bonds mit Ausnahme von solchen der öffentlichen Hand beziehungsweise bei der Verwahrung auf einen Gesamtmarktwert der verwahrten DLT-Wertpapiere in Höhe von maximal 2,5 Milliarden Euro. Unabhängig davon, ob diese Schwellen noch einmal gesenkt werden, wie im Europäischen Parlament diskutiert, warum ist dieser Ansatz sinnvoll? Legislative, Aufsichtsbehörden und die beteiligten Marktteilnehmer müssen zwingend die Übersicht behalten und schrittweise die nötigen Erfahrungen sammeln, nicht zuletzt, um im Sinne der Anleger und des gesamten Kapitalmarkts die Finanzstabilität zu gewährleisten und das Vertrauen in die neuen Technologien zu wahren.

Dieses Korsett ist zudem im Lichte einer Kapitalmarktunion innerhalb der EU-27 als Schutzaufbau gegenüber anderen Wirtschaftszonen überzeugend, gilt es, sowohl internationales Kapital und Investoren in der EU, aber auch den Aufbau der DLT-Infrastrukturen mit dem entsprechenden Know-how zu aktivieren und zu intensivieren. Als gleichermaßen zeitgemäß muss das methodische Vorgehen in Form der "Sandbox" charakterisiert werden: Es ist zweifelsfrei besser, als ohne entsprechende Erfahrungen mit Richtlinien und nachgelagerten Maßnahmen neues Recht zu setzen und damit den aktuellen Entwicklungen und einhergehenden Opportunitäten auf der Zeitachse "hinterherzulaufen". Augenmaß bei gleichzeitiger Systemoffenheit muss als weitsichtig anerkannt werden.

Digitalen Standort verbessern

Auch Deutschland ist aktuell nicht untätig. So ist noch in dieser Legislaturperiode das Gesetz zur Einführung elektronischer Wertpapiere und Kryptowertpapiere in Kraft getreten. Es ist ein Resultat der 2019 vorgestellten Blockchain-Strategie der Bundesregierung, die unter anderem die Schaffung elektronischer Wertpapiere einforderte, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland für neue digitale Finanzprodukte zu fördern. Während also bislang im deutschen Wertpapierrecht die Ausstellung einer Papierurkunde, in der Regel in Form einer Globalurkunde, zwingend erforderlich war, werden künftig elektronische Wertpapiere in einem Register eingetragen werden können und so eine weitere Begebungsform geschaffen.

In einem ersten Schritt wird dies nur für Schuldverschreibungen und Fondsanteile möglich sein. Diese Entmaterialisierung geht einher mit der Einführung von Registern für Kryptowertpapiere. Dies sind dezentrale Register, die auf einem fälschungssicheren Aufzeichnungssystem - zum Beispiel auf Basis der DLT - geführt werden müssen, in denen Daten in der Zeitfolge protokolliert und gegen unbefugte Löschung sowie nachträgliche Veränderung geschützt gespeichert werden.

Ähnlich wie auf europäischer Ebene geht der deutsche Gesetzgeber auch nur schrittweise vor. Zum einen mit der Außerachtlassung von Aktien, zum anderen indem er die Regelungen des Depotrechts und damit die Verwahrung zunächst nicht ändert. Aber hier können - ähnlich wie bei den europäischen Regelwerken - Marktteilnehmer und Aufsicht erst einmal praktische Erfahrungen in Teilbereichen sammeln, ohne dass überstürzt gehandelt und so Instabilitäten riskiert werden.

Revolution der Nutzer

Die zuvor beschrieben künftigen Regularien sind aber nicht der wirkliche Treiber für die neuen Technologien und Produkte. Sie bilden lediglich den zulässigen gesetzlichen Rahmen. In einer Gesamtbetrachtung neuer technologischer Anforderungen und Möglichkeiten ist nämlich der Nutzer der eigentliche revolutionäre Faktor, nicht der Gesetzgeber. Er möchte 365/7/24 agieren, mit hippen und smarten Anwendungen, alles einfach und intuitiv handhabbar. Die Hardware, für die eine Vielzahl der obigen Regelungen gelten wird, ist für ihn sekundär. Er möchte einfach "aus der Tasche heraus" agieren - egal wann, wo und über welche Wege.

Der Bedarf ist - nicht nur zuletzt durch aktuelle Kursentwicklungen an den Börsen und anderen Handelsplattformen - also da. Angesichts dieser Trendentwicklung und dem Bedarf müssen von den Kreditinstituten geeignete Lösungen bereitgestellt werden. Das Ignorieren der Dynamik würde zu einem irreversiblen Wettbewerbsnachteil führen. So weit muss - und darf - es nicht kommen. Denn es gilt gleichzeitig, die Stabilität in den Finanzmärkten und den Schutz der Anleger zu erhalten. Und hierin haben die etablierten Player langjährige Erfahrung, die sie nutzen können.

Aus strategischer Sicht kann das Spielfeld in mindestens zwei große Hälften eingeteilt werden:

1. Das etablierte Modell - die etablierten Marktteilnehmer besetzen aufgrund historischer Entwicklungen signifikante Marktanteile, zum Teil in Verbundstrukturen, zum Teil in berufsgruppen spezifischen Feldern wie beispielsweise Apotheker und Ärzte. Dieses Modell implementiert den Erwerb und den Handel digitaler Vermögenswerte in ihr bestehendes Angebotsportfolio. Hierzu werden digitale Assets wie Handelsplätze angebunden oder als neue Finanzinstrumente integriert, sie durchlaufen die etablierten regulatorischen Zulassungsprozesse und werden mittels der bekannten Systematik abgewickelt, verwahrt und verbucht. So wird die Rechtssicherheit zum Schutze des Kunden und Anlegers gewahrt. Er muss sich nicht um stellen. Er kann ohne Bruch in neue Instrumente investieren und mit ihnen handeln.

2. Das Innovationmodell sieht hingegen vor: Neue innovative Player schaffen unabhängig eigene Ökosysteme, indem sie mit vollständig neuer Technik in den Markt einsteigen, neue Angebotsformen auf Basis der Distributed-Leger-Technologie nutzen und neue Erfahrungen und Möglichkeiten bei der Anlage in digitale Vermögenswerte anbieten - meist auch etwas mehr "fancy" als bei den "Etablierten".

Innovation und Technik

Unabhängig davon, welche Denkschule und damit Strategie sich langfristig durchsetzen wird, eines scheint offenkundig: Die Technologie mit den ihr zugeschriebenen Möglichkeiten wird erhalten bleiben, genauso wie der Bedarf und die Nachfrage der Nutzer, sich neuen digitaleren Anlageformen zu öffnen beziehungsweise diese zu nutzen. Allein der Nutzer entscheidet am Ende. Er will seine Anlage so einfach wie möglich handhaben, aber auch genauso sicher wie bisher.

Für die etablierten Banken besteht daher die Notwendigkeit, ihre Geschäftsmodelle auf den Kunden und seine Bedürfnisse zugeschnitten zu flexibilisieren. Allein über iterative Effizienzprogramme wird der Weg nicht erfolgreich sein. Effizienz ist nur geeignet, ein Kostenthema zu lösen, Innovation schafft sie in der Regel nicht. Hier gilt es also, den Blick noch weiter nach vorn zu richten. Ein möglicher Denkansatz könnte die Partizipation an Ökosystemen und Plattformen sein, also das Zusammenkommen von Bewährtem und Innovation. Der Erfolg wird sich nur einstellen, wenn die neuen Systeme von den Kunden akzeptiert werden, sicher und stabil sind und - last, but not least - relevante Volumina im Sinne eines profitablen Geschäftsmodell erreicht werden. Banken können hierbei zudem ein wesentliches Gewicht in die Waagschale werfen: das Vertrauen ihrer Kunden.

Banking ist people's business

Dies gilt es im positiven Sinne für die Kunden zu nutzen - bevor es zu spät ist. Denn: Mit Banking Business wird heute - zu Recht - Vertrauen verbunden. Die allermeisten Kunden verbinden mit ihrer Bank Sicherheit und Stabilität. Sie beziehen sie in ihre Lebensplanung ein, beispielsweise bei der Hausfinanzierung, und vertrauen dem Institut ihre Sichteinlagen und den Handel und die Verwahrung ihrer Finanzinstrumente an. Der Kunde vertraut nicht zuletzt darauf, dass sie die schützenden Anforderungen des Aufsichtsrechts umsetzen sowie anwenden und dass die Aufsicht dies überwacht und prüft. So bestehen sie heute im Wettbewerb und haben oft über Jahrzehnte eine feste Kundenbindung.

Gleichwohl ist Stillstand Rückschritt: Alle Institute müssen sich fortwährend den veränderten Herausforderungen nicht nur stellen, sondern ihnen mit attraktiven Lösungen begegnen. Der Kunde von morgen ist bereit, mit seinen Daten zu bezahlen. Allerdings verlangt er eine Gegenleistung, die in einem zeitgemäßen Angebot von Handlungsoptionen besteht, die nicht nur seinen Bedürfnissen entspricht, sondern die für ihn auch attraktiv und in der Anwendung und Exekution unkompliziert und sicher sind.

Die Fintechs machen es mit vermeintlich einfachen und unkomplizierten Lösungen vor, indem sie sich immer lukrative Teilbereiche aus der Wertschöpfungskette herausgreifen und hierfür attraktive Anwendungen anbieten. Beispiele im Zahlungsverkehr gibt es zuhauf. Smart sind sie jedenfalls - meistens. Die GA-FAs, die aufgrund ihrer Finanzkraft und Größe die deutlich ernsthaftere Bedrohung sind, halten sich im Wertpapiergeschäft (noch) zurück, sei es aus Gründen der hohen Komplexität oder auch der fehlenden Kundennachfrage. Auch im Zahlungsverkehr waren sie nicht die ersten. Es deutet sich an, dass sie aber auch in anderen Bereichen des Bankgeschäfts in absehbarer Zeit aktiv werden.

Es gilt also für die Etablierten schnell zu handeln. Und der Zeitpunkt ist gar nicht mal schlecht. Wir leben seit Jahren aufgrund des Niedrigzinsumfeldes in Zeiten fehlender lukrativer Anlagealternativen. Aktuelle Zahlen zeigen: Die Nachfrage nach Wertpapierinvestitionen, Fonds und entsprechenden Sparplänen steigt deutlich an. Nicht nur institutionelle Anleger, sondern auch die Privatanleger drängen inzwischen in Ermangelung von rentierlichen Anlagemöglichkeiten in das Wertpapiergeschäft. Zahlreiche Neobroker und Neobanken erschließen sich Teile der Märkte und ihre zumeist jungen Interessenten. Ein für den Anleger attraktives Kostenniveau wird oft durch ein eingeschränktes Anlageuniversum bereitgestellt. Der Neuanleger goutiert dies aber, wie man sieht.

Mehrwert zentraler Strukturen und deren strenger Überwachung

Der Gesamtmarkt profitiert von dieser "neuen" Aufmerksamkeit und dem ihr innewohnenden Mindset. Aus dieser allgemeinen Marktsicht ist daher der Zeitpunkt ideal für innovatorische Entwicklungen. Auch etablierte Marktteilnehmer haben nun die Möglichkeit, weiterhin eine wesentliche Rolle bei und nach der Neuverteilung der Marktanteile zu spielen. Warum ist dies so?

In Zeiten von dynamischen Marktbedingungen, pandemiebedingten Einflüssen und der stetigen Suche nach Anlagemöglichkeiten mit Ertragspotenzial spielen Stabilität des Finanzmarktes, Anlegerschutz der Partizipanten und Vertrauen in die Infrastrukturen eine wesentliche Rolle. Kreditinstitute mit ihrer hohen Regulierungskompetenz und -erfahrung können in diesem Bereich weiterhin eine bedeutende Rolle spielen. Diesen Vorteil müssen sie nutzen. Immerhin profitieren sie von der bereits gesammelten Erfahrung einer mehrere Jahrzehnte lang durchlebten Regulierung und Aufsicht.

Regulierung sollte daher als Vorteil empfunden und gelebt werden. Dies belegen die aktuellen Entwicklungen: Bei allen sich durch neue Marktakteure ergebenden Chancen für die Anleger, die Risiken müssen im Blick behalten werden. Die jüngsten Handelsbeschränkungen im Kontext der Short-Squeeze-Aktionen haben eines gelehrt: Der Vertrauensvorschuss, den die neuen Player mit ihrer Technik genießen - seien es Neobroker, seien es dezentrale Systeme ohne klassische Intermediäre - kann schnell und nachhaltig zerrstört werden, wenn Anleger und Kunden geschädigt werden.

Dazu braucht es kein manipulatives Handeln oder betrügerische Absichten. Schon allein die eingeschränkte Zugriffsmöglichkeit auf Depotkonten, das bloße Handelsverbot von bestimmten Titeln oder der Verlust privater Schlüssel sind geeignet, den Vertrauenstatbestand sowohl des Einzelinstituts als auch der Branche beziehungsweise die technische Private-Key-Verwaltung in Eigenregie zu beeinflussen. Es bedarf daher auch künftig neben dem Vertrauen in die technische Leistbarkeit der Systeme und die rechtlich korrekte Anwendung eines funktionsfähigen und integren Finanzmarktmarktes zum Wohle aller Investoren. Dies können die etablierten Player liefern, wenn sie die Herausforderung und den Wettbewerb jetzt annehmen.

Die Rolle des digitalen Euro und Aktivitäten der Zentralbanken

Entscheidend wird hier natürlich auch der Gesetzgeber sein, der den oben beschriebenen Rahmen aktuell definiert, wobei die genannten Rechtsakte nur ein Teilausschnitt sind. Auch im Rahmen der anstehenden Überprüfung der MiFID und anderer Finanzmarktrichtlinien werden sicherlich noch neue Aspekte hinzukommen. Denn es wird offensichtlich: In Zeiten von DLT und Blockchain verschwimmen die etablierten Kategorien von Instrumenten. Vieles kann tokenisiert werden, Sachen, Geld, Wertpapiere et cetera.

Dies zeigen beispielsweise auch die verschiedenen nationalen, internationalen und privaten Bestrebungen beim Aufbau digitalen Geldes. Ohne die vielschichtigen Einzelfragen beleuchten zu wollen, fällt eines auf: Zumindest bei den Überlegungen zum digitalen Euro, dessen Einführung die EZB nach ihrer Entscheidung am 14. Juli 2021 nun weiter vorantreiben wird, sollte das Thema digitales Wertpapiergeschäft mitgedacht werden, denn auch hier werden im Grunde Ansprüche und Rechte digitalisiert. Die Diskussion findet dennoch derzeit isoliert im Teilbereich des Zahlungsverkehrs/Währungen statt. Erst die vollständige Abbildung von Geld und "virtueller Stückeseite" kann aber die allzu oft zitierten Vorteile der dezentralen Technologie bringen. Damit gelangt man erneut zur notwendigen Infrastruktur, deren Grundlagen auf der Cash- wie auf der Asset-Seite heute zusammen gedacht werden müssen. Ein auf DLT-basierter digitaler Euro ("cash on ledger") ermöglicht prinzipiell, dass in derselben Blockchain sowohl die Geldals auch die Stückeseite eines Handelsgeschäftes über einen Kryptowert in Zentralbankqualität abgewickelt werden kann. Am Ende ist es also erneut das Vertrauen, das die Infrastruktur und ihre Betreiber gewährleisten müssen.

In einem dynamischen Marktumfeld sind Veränderungen wichtig und unabdingbar. Wettbewerb befördert das Geschäft, vor allem im Kundeninteresse. Gleichwohl bedarf es bei all den Fort- und Neuentwicklungen funktionierender, belastbarer und stabiler Strukturen. Sie sorgen für Sicherheit beim Anlegerschutz und Stabilität in den Anwendungen - im Sinne der Finanzstabilität. Vertrauen ist schnell verspielt, allerdings dauert es Jahre, es wieder aufzubauen. Die etablierten Kreditinstitute werden - und müssen - sich bewegen. Sie werden den Wettbewerb annehmen und dies auf Basis regulatorisch sicher und stabiler Systeme. Dieser Wettbewerb ist auch nicht unbedingt ein Gegeneinander, an vielen Stellen werden sich partnerschaftliche Lösungen und Modelle zwischen Etablierten und neuen Playern anbieten und finden.

Fußnoten

1) Markets in Crypto-Assets, Vorschlag für eine Verordnung on Markets in Crypto-assets und zur Änderung der Richtlinie (EU) 2019/1937, vom 24. September 2020, COM(2020) 593 final.

2) Digital Operational Resilience Act, Vorschlag für eine Verordnung über die Betriebsstabilität digitaler Systeme des Finanzsektors und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009, (EU) Nr. 648/2012, (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 909/2014, vom 24. September 2020, COM(2020) 595 final.

3) Rundschreiben "Bankaufsichtliche Anforderungen an die IT", 10/2017 (BA) in der Fassung vom 14. September 2018.

4) Konsultation 13/2020 der BaFin vom 26. Oktober 2020.

5) Kryptowertpapiere sind eine Unterform der elektronischen Wertpapiere.

6) Das Akronym GAFA steht für vier Unternehmensnamen: Google (Suchmaschine), Apple (Technologieunternehmen), Facebook (soziale Netzwerke) und Amazon (Onlinehändler).

7) Die Gefahren der Private-Key-Verwaltung realisierten sich beispielsweise bei einem deutschen, in den USA lebenden Programmierer, der im Januar 2021 sein Bitcoin-Passwort vergessen hatte (damaliger Wert 250 Millionen Dollar).

Susanne Geber , Leiterin Strategie und Regulatorik, Deutsche WertpapierService Bank AG, Frankfurt am Main
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