"Die digitale Revolution rüttelt an der Rolle der Banken als Finanzintermediär"

Wolfgang Kirsch, Vorsitzender des Vorstands, DZ BANK AG, Frankfurt am Main

Kapital und Regulierung, die Kosten, die Digitalisierung, die demografische Entwicklung und die Unternehmenskultur sind die Herausforderungen, an denen der Autor die Zukunftsfähigkeit der Banken misst. Für überlebensfähig hält er Global Player, regionale Anbieter mit großer Kundennähe sowie Spezialisten. Mit einer umfassenden Digitalisierungsstrategie, eingebettet in ein nachhaltiges Geschäftsmodell und eine Rückbesinnung auf Normen und Werte bescheinigt er ihnen gute Chancen, sich in Zukunft weiterhin zu behaupten. (Red.)

Das Thema "Die Zukunft der Kreditwirtschaft" ist ganz im Sinne Albert Einsteins, der meinte: "Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben." Der Blick auf 60 Jahre Kreditpolitische Tagung zeigt eben diese kritische Auseinandersetzung mit unserer Zukunft. Vor 30 Jahren: "Europa und der ECU (European Currency Unit)", vor 20 Jahren: "Der Staat und die Banken" und vor zehn Jahren zur 50. Kreditpolitischen Tagung die Frage nach "Der Moral des Geldes". Jeder dieser Veranstaltungstitel (ersetzen Sie gedanklich einfach ECU durch Euro) ist heute so aktuell wie damals und hätte auch zur 60. Kreditpolitischen Tagung gepasst. Diese offensichtliche Beständigkeit und Zeitlosigkeit der Themen unserer Branche hat durchaus etwas Beruhigendes. Gerade auch in Zeiten wie den unseren mit großen Strukturbrüchen. Jede Generation beschäftigt sich mit der Zukunft oder mit "ihrer" Zukunft. Wir versuchen mit Prognosen unsere Zukunft greifbar zu machen - mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg.

Fünf Gesichtspunkte

An eine gemeinsame Europäische Bankenaufsicht hätte vor zehn Jahren niemand ernsthaft geglaubt. Seit drei Tagen haben wir sie und ich möchte ihr zurufen: "Willkommen in Frankfurt!" Wir freuen uns über die vielen Nationalitäten in der Mitarbeiterschaft - auch das gibt der Institution Glaubwürdigkeit. Ich möchte die Zukunft der Kreditwirtschaft unter fünf Gesichtspunkten betrachten: 1) Kapital mit Blick auf die regulatorischen Anforderungen und die aktuellen Stresstestergebnisse. 2) Der Kostenaspekt mit der Regulierung als wesentlichem Treiber. 3) Die Innovation, die insbesondere in Form der Digitalisierung über uns "hereinbricht". 4) Das hierdurch veränderte Kundenverhalten sowie die demografische Entwicklung. Und abschließend 5) ein differenzierter Blick auf die Kultur oder besser die Reputation unserer Branche.

Kapital und Regulierung: Wir müssen alles daran setzen, dass uns die Auseinandersetzung mit der Regulierung nicht den Blick auf die Zukunft des Bankgeschäfts versperrt. Weder auf die Risiken noch auf die Chancen. Das fällt schwer, denn Regulierung ist für jeden Bankleiter und Mitarbeiter deutlich und überall zu spüren - gerade auch wieder beim Stresstest. Vor sieben Jahren habe ich in meiner Rede bei der 53. Kreditpolitischen Tagung und zu Beginn der Finanzkrise gesagt: "Angesichts der Lehren aus der aktuellen Marktsituation könnte ich mir gut vorstellen, wenn Stresstests in Zukunft noch wichtiger werden." Offensichtlich habe ich an diese Vorstellung sehr fest geglaubt, sie ist überreichlich in Erfüllung gegangen.

Fehlende Erwartungssicherheit

Die Ergebnisse der jüngsten Maßnahmen wurden vor nicht ganz 14 Tagen veröffentlicht - sie sind für uns erfreulich. Die DZ-Bank-Gruppe hat bei der Bilanzprüfung (Asset Quality Review) ein gutes Ergebnis ohne Auffälligkeiten erzielt. Auch den Stresstest haben wir trotz scharfer Vorgaben bestanden, selbst wenn man unsere historische Milliarden-Kapitalerhöhung in diesem Jahr nicht berücksichtigt. Dies ist das Ergebnis einer 2008 begonnenen Strategie des effizienten Kapitalmanagements und der weitgehenden Konzentration unseres Geschäftsmodells auf die Bedürfnisse der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Per 30. September erreichen wir so eine harte Kernkapitalquote von zirka 12 Prozent, und das eröffnet im Status quo Spielraum für weiteres Wachstum.

Wir können und werden das Kapital weiter steigern mit meinem Lieblingskapital - einbehaltene Gewinne! Die Herkunft des Kapitals wird bei der Einwertung der Ergebnisse des Stresstests zu leicht übersehen. Viele regulatorische Maßnahmen folgen oftmals einer politisch motivierten Ad-hoc-Logik. Wir sind als Allfinanz-Gruppe hiervon besonders betroffen, weil sämtliche Regulierung - sei es in der Bank- und Versicherungswirtschaft oder in der Fondsund Bausparbranche - auf uns einwirkt. Gerade die Vielzahl und Komplexität der Regulierung birgt Risiken. Banken fehlt die Erwartungssicherheit - eine Auswirkungsanalyse für die Gesamtheit der Regulierungsvorhaben ist dringend geboten:

Viele ungeklärte Fragen

Wie wird sich zum Beispiel das Schrumpfen der Bilanzsummen (Deleveraging) auf die Kreditvergabe, auf die Staatsfinanzierung und auf das volkswirtschaftliche Wachstum auswirken? Und welche Rolle hat der Zins in Zeiten von TLTRO? Wie soll man Aktiensparen fördern, wenn das Beratungsgespräch zu diesem Thema von den Kunden als unerträgliche Mühsal betrachtet wird? Fragen, die uns gerade in diesem jüngst wieder deutlich labileren Konjunkturumfeld besonders zu denken geben müssen. Das deutsche Sommermärchen ist vorbei. Wir haben November! Das müssen sich auch Vertreter der Wissenschaft vor Augen führen, die immer höhere Eigenkapitalquoten fordern - teilweise 30 bis 40 Prozent. Ein solcher Ansatz ist weltfremd, auch für jemanden, der die Voraushaftungsfunktion von Eigenkapital schätzt. Derartige Quoten kurzfristig zu erreichen, brächte unsere Wirtschaft zum Erliegen.

Kosten: Zudem tut Differenzierung entlang des Geschäftsmodells not. Regulierung - und das bringt mich zu meinem zweiten Punkt - verursacht erhebliche Kosten. Teilweise haben diese Kosten Substanzsteuercharakter. Nehmen Sie die Leverage Ratio oder auch die europäische Bankenabgabe! Ihre Bemessungsgrundlage bildet die Bilanz. Hier zeigt sich - vereinfacht ausgedrückt - "Bilanz kostet künftig Geld" und zwar unabhängig von der Ertragslage.

Hinzu kommen Kosten, die sich ganz unmittelbar beziffern lassen, wie beispielsweise die für die Bankenunion. Sie erreichen allein für das deutsche Bankensystem jährlich etwa 10 Milliarden Euro - so schätzt unsere Research-Abteilung. Dem steht ein durchschnittlicher Jahresüberschuss aller deutschen Banken von nur 9,5 Milliarden Euro in den letzten 15 Jahren gegenüber. Die Kosten wird nicht mehr jeder schultern können und so wird Regulatorik zur Strukturpolitik. Ob gewollt oder auch gekonnt, überlasse ich Ihrer Fantasie.

Potenzial, die Banken zu überfordern

Oder denken Sie an den regulierungsbedingten Personalaufbau! Wir bei der DZ Bank haben seit September 2010 rund 350 Mitarbeiter für Regulierungsthemen eingestellt. Zusätzlich zahlen wir für die neue EZB, und wir zahlen für die nationale Aufsicht. Ich bewerte hier nicht die Arbeit von Bundesbank und BaFin, dort waren und sind kundige und engagierte Verfechter eines stabilen Finanzsystems. Aber wenn ein neuer Oberbau entsteht, muss sich auch die nationale Aufsichtsstruktur an Haupt und Gliedern reformieren. Denn die Regulatorik hat das Potenzial, die Banken zu überfordern, gemeinsam mit der Niedrigzinsphase stellt sie Geschäftsmodelle auf die Probe. Die Kosten steigen, die Erträge sinken und damit auch die Eigenkapitalrentabilität.

Die meisten europäischen Banken haben sich RoE-Ziele von 10 bis 12 Prozent (manche sogar bis zu 15 Prozent) gesetzt. Im Schnitt erreichen sie die 10 Prozent jedoch nicht. Für deutsche Banken liegt die Eigenkapitalrentabilität heute noch durchschnittlich bei 5,3 Prozent. Stärkere Selektionen sind zu erwarten. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass Transparenz und Vergleichbarkeit der wichtigsten Bilanzdaten der Banken noch nie so hoch waren.

Der Stresstest wirkt hier wie eine permanente Due Diligence, die künftige Fusionsvorhaben unterstützen kann. Dabei gestalten Regulierung und Politik maßgeblich die Wettbewerbsstruktur des Bankenmarktes: Die Möglichkeiten, im grenzüberschreitenden Retail-Geschäft Synergien zu heben, sind stark begrenzt. In Zeiten einer zunehmenden Politisierung des Finanzsektors sehe ich derzeit kaum Möglichkeiten zur Internationalisierung unserer Geschäfte. Es gibt eben nicht "den einheitlichen Bankenmarkt" in Europa. Ausflüge in fremde Territorien wurden in der Vergangenheit häufig mit viel Lehrgeld bezahlt.

Zusätzlich führt nun die Komplexität der vielgliedrigen Regulatorik in unterschiedlichen Wirtschaftsräumen zur faktischen Re-Nationalisierung der Branche (Beispiele Citibank, Osteuropa). So ist Deutschland bislang eines der wenigen EU-Länder, in dem die Beiträge zum EU-Abwicklungsfonds nicht steuerlich abzugsfähig sind; gestern wurde das BRRD-Umsetzungsgesetz verabschiedet. Hier droht schlichtweg eine Wettbewerbsverzerrung.

Wir müssen davon ausgehen, dass große US-Banken am Ende als Gewinner dastehen werden. Zum einen, weil die am Prototyp einer internationalen Privatbank orientierte angelsächsische Regulatorik alternative dezentrale Modelle benachteiligt (zum Beispiel Regulatorik-Ansätze wie Leverage Ratio und Trennbanken). Zum anderen, weil dominante, integrierte Wirtschaftsräume wie die USA ihre Markttiefe zum Standardsetzen (zum Beispiel US-Regulatorik) beziehungsweise zur Industriepolitik (zum Beispiel Strafzahlungen in USA) nutzen. So profitieren US-Banken von den Skaleneffekten ihres einheitlichen Heimatmarktes.

Verdrängungswettbewerb

Zugleich hat die bestrafende Auslegung der Regulatorik durch die US-Behörden Elemente eines Wirtschaftsimperialismus. Insgesamt - und das gilt über alle Märkte hinweg - führt die tiefgehende Bankenregulatorik zu Ventilen in weniger regulierte Sektoren, wie Schattenbanken, aber auch Versicherungen. Als Folge sehen sich Banken einem immer schärferen Verdrängungswettbewerb gegenüber. Der wird noch weiter getrieben durch eine Entwicklung, die vielen als "neue industrielle Revolution" gilt.

Digitalisierung: Damit komme ich zu meinem dritten Punkt: der Digitalisierung. Sie nimmt Einfluss auf nahezu alle Branchen: Handel, Verlags- und Automobil-, Reise- und Musikindustrie sind im Umbruch, ebenso wie die Bankenbranche. Etablierte Banken müssen sich fragen, ob sie in ihrer Rolle als Finanzintermediär ernsthaft bedroht sind. Und während wir darüber nachdenken, ob Banken noch eine Zukunft haben, scheinen viele neue Anbieter die Zeit für günstig zu halten, eine Bank (oder so etwas Ähnliches) zu gründen. Schumpeters schöpferische Zerstörung lässt grüßen.

Eine Universalbank wird vermutlich auf absehbare Zeit niemand gründen; Rahmenbedingungen wie Regulatorik und die damit verbundenen Kosten, hohe Eigenkapitalanforderungen, Ertragsdruck und Demografie sprechen dagegen. Neue Anbieter picken sich jedoch einzelne, lukrative Bankdienstleistungen heraus und bieten sie hochspezialisiert an. Wir haben in der Vergangenheit ähnliche Tendenzen aus unseren eigenen Reihen - (zum Beispiel ING Diba oder Santander) - unterschätzt. Ohne Filialnetz, dafür mit hohem Marketingbudget und Prozesseffizienz haben sie sich positioniert. Acht Millionen Kunden im Heimatmarkt lösen Phantomschmerzen aus.

Spielfeld Zahlungsverkehr

Das gegenwärtige Spielfeld neuer Anbieter ist der Zahlungsverkehr: In Kaiserslautern können Sie Ihre "Knöllchen" mit QR-Code bezahlen, und in Schweden akzeptieren auch Hilfsbedürftige "Spenden" bereits per Smartphone. Vodafone, Google, Facebook und Paypal bieten auf breiter Front Zahlungsverkehrsleistungen an. Non- und nearbanks und mit ihnen die Regulierung treffen Banken an dieser Stelle empfindlich. In der Genossenschaftlichen Finanzgruppe machen die Erträge aus dem Zahlungsverkehr (rund 2,2 Milliarden Euro) etwa ein Drittel der gesamten Erträge aus. Wir stellen uns dieser Herausforderung: Die Genossenschaftliche Finanzgruppe beteiligt sich an einem in Deutschland bankenübergreifend neuen Bezahlverfahren für Internet- und mobile Zahlungen. Aber auch innerhalb des Verbundes gibt es verschiedene Projekte, zum Beispiel zu biometrischen Bezahlverfahren oder Apps mit Bankdienstleistungen.

Doch der Zahlungsverkehr ist nur ein Bereich, in dem wir die Digitalisierung spüren. Online-Plattformen für Privat- und Mittelstandskredite und auch Wagnisfinanzierung sprießen aus dem Nichts. Wobei, mal ganz ehrlich: Crowdfunding für Gewerbetreibende ist eine ureigene genossenschaftliche Idee. "Was der einzelne nicht vermag, das vermögen viele" geht auf Friedrich Wilhelm Raiffeisen zurück und nicht auf die Samwer-Brüder. Dessen unbenommen: Auch Spezialisten für Vermittlung, Beratung und Verwaltung, etwa bei Immobilienfinanzierungen, sind längst etabliert (Stichwort Interhyp) und selbst namhafte Unternehmen aus dem Mittelstand gründen ihre "eigene" Bank. Man berät sich in Netzwerken und nutzt bei Anlagestrategien "Schwarmintelligenz".

Investitionen in neue Technologien

Müssen wir Banken uns damit abfinden, dass unser Bankgeschäft in Zukunft langweilig ist, während Apple, Google oder Paypal das Gesicht zum Kunden und damit auch noch zur "Marke" für die Geldbelange jedes Einzelnen werden? Verkommen wir zu reinen Versorgern oder zu Back-offices, zu Abwicklern mit Banklizenz einschließlich der Regulierung? Ich denke nicht.

Doch für uns Banken ist es höchste Zeit, noch intensiver als in der Vergangenheit in moderne Technologien zu investieren und sie in den Kern der Geschäftsstrategie zu integrieren. Denn nur wenn alle Unternehmensbereiche zusammenarbeiten - IT Produktentwicklung, Organisation, Controlling, Marketing, Management, Filialen - können vernetzte IT-Funktionen zum Wettbewerbsvorteil für Banken werden. Ansonsten, so schätzt Bain & Company, droht Banken ein Ertragsrückgang von bis zu 25 Prozent allein im Retail-Geschäft.

Innovationsmanagement

Von ganz entscheidender Bedeutung wird auch das Innovationsmanagement sein. "Inkubatoren", Beteiligungen an innovativen Start-up-Unternehmen in der Finanztechnologie oder auch Kooperationen von Fintechs und Banken zeigen, dass dieses Bewusstsein in der Branche wächst. Eine Zusammenarbeit mit Fintechs macht Sinn. Sie haben den Spirit und die Innovationskraft, die auch Neues ausprobiert, und wir Banken sollten uns hiervon inspirieren lassen. Mit diesem Kulturwandel müssen wir uns beschäftigen - das gilt insbesondere auch für die Genossenschaftliche Finanzgruppe.

In einer digitalisierten Welt stellen sich einige essenzielle Fragen, auch und gerade, wenn es um Geld und damit um uns Banken geht: Verdient es sich von selbst? Gibt es sich von selbst aus? Legt es sich von selbst an? Natürlich nicht. Und daran zeigt sich, welche strategischen Optionen Banken haben, wenn sie konsequent - vom Kunden und seinen Bedürfnissen her denken.

Demografische Entwicklung: Damit komme ich zu den Kunden, meinem vierten Punkt. Die demografische Entwicklung in Deutschland lässt erwarten, dass sich Kundenstruktur und Kundenverhalten in einer Generation grundlegend ändern werden. Vermutlich werden wir bei Privat- wie auch bei Firmenkunden sehr vielschichtige Kundenprofile sehen. Im Privatkundengeschäft werden wir den vollständigen Selbstentscheider erleben, den "digital native", für den eine Bank eine App ist. Doch in einer immer älter werdenden und gleichzeitig vermögenden Gesellschaft bilden Altersversorgung und Vermögensmanagement zwei zunehmend wichtige Marktfelder - vor dem Hintergrund langfristig niedriger Zinsen noch mehr. Beide sind und bleiben beratungsintensiv und erfordern den persönlichen Kontakt. Aus diesen Gründen wird es meiner Meinung nach trotz voranschreitender Digitalisierung auch in Zukunft Filialen geben - zwar weniger und vermutlich in anderer Form und Aufmachung, aber es wird sie geben. Und deshalb lesen Sie über unsere Finanzgruppe auch keine Nachrichten über großangelegte Filialschließungen. Auch wir suchen nach dem Sweetspot im Omnikanalvertrieb. Aber wir sind stolz auf Kundennähe und persönliche Betreuung und wir werden diese Ausprägung unseres Geschäftsmodells in die neuen Vertriebswege überführen.

Firmenkundengeschäft

Das gilt gleichermaßen für das Firmenkundengeschäft: Auch wenn die Kapitalmarktorientierung weiter zunimmt, wird ein großer Teil dieses Geschäfts in Zukunft weiterhin darauf basieren, dass eine partnerschaftliche Bank ihre Kunden versteht und ihr Geschäftsmodell als Ganzes einwerten kann. Oder glauben Sie, dass Kapitalmärkte in Krisen besonders treu sind? Neue Anbieter und technische Innovationen im "day-to-day"-Bankgeschäft sind insbesondere dort erfolgreich, wo sie dem Kunden das Leben erleichtern. Keine 22-stelligen IBAN-Kontonummern: Ein Mausklick, und das Geld ist überwiesen. Keine zeitraubenden Bankbesuche innerhalb vorgegebener Öffnungszeiten, sondern Kontoeröffnung per Webcam. Besonders an diesen Kriterien muss sich das künftige Produktangebot der Banken messen. "Keep it simple!" muss die Maxime des innovativen Bankgeschäfts sein. Wem es gelingt, Komplexität aus dem Bankgeschäft zu nehmen, der wird kunden- und kostenseitig punkten.

Um aber im digitalen Lebensalltag unserer Kunden präsent zu sein, sind wir Banken in Zukunft sehr stark in unserem Datenmanagement gefordert. Big oder vielmehr Smart Data ist das Schlagwort: Eine unvorstellbare Menge an Informationen über Kunden ist zu speichern, auszuwerten, und nutzbar zu machen. Hier hilft die Technik und gerade Finanzdienstleister haben (noch) Vorteile gegenüber den neuen Anbietern: Sie haben den Kundenzugang, sie sind gut vernetzt und besser und schneller informiert über Entwicklungen auf den Finanzmärkten. Hinzu kommen eine hohe Expertise und ein Informationsvorsprung bei der Bonitätseinschätzung und eine klare Kompetenzvermutung beim Einlagenschutz und bei der Datensicherheit.

So vertrauen rund 69 Prozent der Kunden beim Mobile Payment ihren Banken, aber nur 32 Prozent den Online-Händlern. Online-Dienstleister kommen gar nur auf 13 Prozent. Vielleicht stärkt an dieser Stelle gerade die Regulierung die Position der Banken, verlangt sie doch von uns einen sehr verantwortungsvollen, sensiblen Umgang mit Kundeninformationen und -daten. Viele der neuen Anbieter können oder wollen da nicht mithalten (wegen der Kosten und der Regulierung). Doch gerade der verantwortungsvolle Umgang mit Daten schafft Vertrauen. Bankgeschäft kann ohne Vertrauen nicht funktionieren.

Rückbesinnung auf Normen und Werte

Kultur: Damit komme ich zu meinem fünften Punkt, der Kultur der Bankenbranche. In der Finanzkrise haben Banken - ganz allgemein gesprochen - das in sie gesetzte Vertrauen verloren. Die Branche arbeitet hart daran, ihren Ruf wiederherzustellen. Die Unternehmenskultur vieler Institute steht auf dem Prüfstand, die Rückbesinnung auf Normen und Werte ist angesagt. Das ist eine ehrbare Absicht, doch der Weg ist lang und steinig. Sieben Jahre regulatorisches Fegefeuer reichen als Buße ganz offensichtlich noch nicht aus. Wie sollten sie auch, wenn die Meldungen über Skandale (Zins- und Devisenmanipulationen) und Prozesse nicht abreißen? Wie kann der öffentliche Rückhalt wieder wachsen, wenn die Rechtsrisiken der Banken inzwischen die Kreditrisiken übersteigen? Inzwischen werden Reputationsrisiken gar explizit in die Regulierung einbezogen (mit der SREP-Leitlinie der EBA). Doch den Weg zum Vertrauen der Kunden kann kein Gericht, keine Aufsicht und kein Regulator vorgeben. Diesen Weg müssen Banken alleine gehen.

Für uns genossenschaftliche Banken ist Vertrauen seit jeher ein wesentlicher Bestandteil unserer Unternehmenskultur. 30 Millionen Kunden vertrauen uns heute über 600 Milliarden Euro Einlagen an - fast 30 Prozent mehr als im Jahr 2007 vor Ausbruch der Finanzkrise. 18 Millionen dieser Kunden gehört ihre Genossenschaftsbank auch. Sie sind Mitglieder, seit 2007 allein mehr als eine Million zusätzlich. Vor diesem Hintergrund sei nur am Rande bemerkt: Genauso wie die Politik der Wahlgeschenke kurze Beine hat, so ist auch eine Politik der Willkommensgeschenke (mit kostenlosem Depotübertrag oder Wechselprämien) ein zu hinterfragendes Agieren. Macht man so Retailgeschäft profitabel?

Wie sieht nun unser Geschäftsmodell aus? Es ist auf Deutschland und hier regional ausgerichtet, es ist innovativ als Allfinanzanbieter (Vollsortimenter), es ist wertebasiert, realwirtschaftlich verankert und zutiefst marktwirtschaftlich. Mit seinen funktionsfähigen inneren Regulativen erweist es sich seit rund 150 Jahren als äußerst robust. Unser Rating ist eines der besten und stabilsten in der europäischen Bankenbranche - geprägt auch durch die hohe innere Kohäsion. 2013 war für die Genossenschaftliche Finanzgruppe ein äußerst erfolgreiches Geschäftsjahr mit einem Jahresüberschuss (vor Steuern) von 9,6 Milliarden Euro. Und auch die DZ Bank hat sich sehr gut behauptet. Ich denke, wir werden das Rekordergebnis des Vorjahres wiederholen können. Das zeigt: Wir sind ein Vollsortimenter, der sein Geschäft beherrscht.

Drei überlebensfähige Geschäftsmodelle

Doch der positive Befund für unsere Gruppe bedeutet nicht, dass wir uns in der Komfortzone ausruhen können. Was heißt das für unsere Strategie mit Blick auf die Zukunft? Letzlich - das ist meine Überzeugung - werden drei Geschäftsmodelle überleben:

Erstens, wenige Global Player mit starkem Fokus auf das Kapitalmarktgeschäft (zum Beispiel HSBC, BNP Paribas, UBS, Deutsche Bank, Bank of Tokyo-Mitsubishi UFJ). Sie bauen im Zuge der Globalisierung auf Skaleneffekte und sind stark wachstumsorientiert. Zweitens, regionale Player mit ausgeprägter Kundennähe und Effizienz in Prozessen und Kosten (Utility-Ansatz) und drittens Spezialisten, die hochinnovativ sein müssen. Gleich zwei dieser Ansätze vereinen wir in unserem Verbund, wir sind ein starker regionaler Player und haben in unserer Gruppe auch Spezialisten. Die Nähe zu unseren Kunden und damit die Filiale hat einen festen Platz in unserem Geschäftsmodell. Wir sehen in dem "Knowyour -Customer-Ansatz" einen nach haltigen Wettbewerbsvorteil.

Doch in einer immer stärker digitalisierten Welt stellt sich auch die Frage, wie man Regionalmärkte definiert. Ganz offensichtlich verschwimmen hier die Grenzen, wie uns der Erfolg ausländischer Direktbanken vor Augen geführt hat. Darauf müssen wir uns ebenso einstellen wie auf eine zunehmende Verstädterung. Unter anderem setzt hier unsere Privatkundenstrategie an. Seit Anfang April können alle Volksbanken und Raiffeisenbanken ihren Internetauftritt mit "webErfolg" professionalisieren. Kurzum: Wir verfolgen ein gesamthaftes strategisches Zielbild - eine Omnikanalstrategie, in der jeder Kanal - Filiale, Internet- und Mobile-Banking, Außendienst und Kundenservicecenter - seine Rolle hat.

Konsolidierungsdruck

Im Firmenkundengeschäft sehen wir für unsere Organisation noch deutliches Potenzial. Es hat beim Ergebnisbeitrag das Privatkundengeschäft schon heute überholt. Unser aktueller Marktanteil als Genossenschaftliche Finanzgruppe von rund 18 Prozent liegt trotz eines jährlichen Wachstums um 6 Prozent seit 2009 noch deutlich unter der Zielmarke von 25 Prozent. Hier setzen wir auf eine noch bessere Marktdurchdringung durch Regionalisierung und arbeiten an einer höheren Wahrnehmbarkeit. Die Genossenschaftliche Finanzgruppe hat eine sehr gute Ausgangsbasis auf dem Weg in eine digitale Zukunft. Denn unser Verbund verfügt eben auch über hervorragend aufgestellte Spezialinstitute, Monoliner oder Schnellboote. Ich spreche von Unternehmen wie der Team-Bank, Union Investment oder der Bausparkasse Schwäbisch Hall, um nur einige zu nennen. Die intensive Arbeitsteilung innerhalb dieses Verbundes macht uns stark gegenüber den Herausforderungen der Zukunft - gerade und besonders auch im Hinblick auf technische Neuerungen. 1 000 selbstständige Volksbanken und Raiffeisenbanken sind auch 1 000 potenzielle Inkubatoren im Sinne von "best practice".

Doch auch für uns bleibt der Konsolidierungsdruck hoch, und hier arbeiten wir innerhalb der Finanzgruppe an Lösungen. Wir müssen unsere Kostenstrukturen weiter verbessern: Denn unsere Ertragssituation verschlechtert sich perspektivisch. Wie lange müssen wir mit diesem unnatürlichen Zinsniveau rechnen? Drei, fünf, acht Jahre? Wir müssen uns also an die Arbeit machen, die Kosten des Oberbaus - Stichwort zwei Zentralbanken - verringern und mit Technik und Prozesseffizienz dem Verdrängungswettbewerb trotzen. Der Paradigmenwechsel von einer qualitativen zur quantitativen Aufsicht durch die EZB verlangt zudem, insbesondere von systemrelevanten Banken, erhebliche Investitionen in ihre Infrastruktur (BCBS 239).

Getrieben durch regulatorische Anforderungen (wie die MaRisk oder auch Compliance-Vorschriften) und die damit verbundenen Kosten wird es auch auf Ebene der kleinen und mittleren Primärbanken zu weiteren Zusammenschlüssen kommen.

Dabei bietet sich in der genossenschaftlichen Finanzgruppe die Chance, regional optimale Betriebsgrößen darzustellen, ohne die Präsenz in der Fläche zu verringern. Fest steht: Bei strategischen Entscheidungen müssen wir uns vor die Kurve begeben und unsere bundesweite Schwarmintelligenz richtig nutzen.

Lassen sie mich kurz zusammenfassen: Die digitale Revolution rüttelt an der Rolle der Banken als Finanzintermediär. Sie fordert gemeinsam mit einem grundlegend geänderten Kundenverhalten und der demografischen Entwicklung Banken im Wettbewerb heraus. Regulierung und Niedrigzinsumfeld tun ihr Übriges. Doch Banken haben auch in diesem herausfordernden Umfeld Wettbewerbsvorteile. Mit einer umfassenden Digitalisierungsstrategie, eingebettet in ein nachhaltiges Geschäftsmodell haben sie gute Chancen, sich in Zukunft weiterhin zu behaupten. Und wenn ich vorhin kurz den Gedanken angerissen habe, ob jetzt eine gute Zeit ist, eine neue Bank zu gründen, dann sollte eine selbstbewusste Antwort lauten: "Ja, ... aber dann müsste sie besser sein als wir."

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich der 60. Kreditpolitischen Tagung "Die Zukunft der Kreditwirtschaft" der ZfgK am 7. November 2014.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

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