Eigenkapitalregulierung: Ist das enge Netz der Bankenaufsicht dennoch löchrig?

Dr. Alexander Suyter, Foto: Dr. Suyter GmbH

Die Arbeit an der Gestaltung der Eigenkapitalanforderungen für Banken geht kontinuierlich weiter. Erst Mitte Januar dieses Jahres hat das Basler Komitee ein neues Papier zu den Eigenkapitalanforderungen für Marktrisiken vorgelegt. Und der Autor macht wenig Hoffnung auf ein Ende der notwendigen Arbeiten. Dringenden Handlungsbedarf sieht er insbesondere bei der Auflösung des sogenannten Banken-Staaten-Nexus, den er durch die Ankaufprogramme der Zentralbank noch um diese erweiterte sieht. Zwar hält er den pauschalen Vorwurf einer vollständigen Risiko-Ignoranz von Staatstiteln und die damit verbundenen Ansteckungsrisiken von Banken und Staaten wegen der Regelungen beim Verschuldungsgrad und in der Säule 2 nicht für gerechtfertigt. Aber die Null-Gewichtung bei der Ermittlung der risikogewichteten Aktiva im Anlagebuch gegenüber anderen Forderungsklassen bleibt für ihn eine signifikante Privilegierung von Staatsrisiken. Als praktizierbaren Ansatzpunkt für Verbesserungen sieht er eine behutsame Umsetzung der Vorschläge des Basler Komitees. Und auf lange Sicht plädiert er für eine Trennung und Unabhängigkeit von Banken, Staaten und Zentralbanken. (Red.)

Im Dezember 2017 hatte der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) einen Zwischenstand zu seinen Arbeiten an Basel III erreicht und bezeichnete diesen als "Basel III: Finalising postcrisis reforms", mit dem 1. Januar 2022 als Umsetzungstermin.1) Von einer tatsächlichen Finalisierung kann jedoch keineswegs die Rede sein.

Neues Papier zu Marktrisiken

So wurde beispielsweise erst jüngst Mitte Januar 2019 das neue Papier zu den Eigenkapitalanforderungen für Marktrisiken vorgelegt.2) Vom Basler Komitee wird dieses nicht als zu Basel III zugehörig eingeordnet. Dabei handelt es sich um fundamentale Änderungen in der Kapitalunterlegung von Marktrisiken, für die als erstmaliger Anwendungszeitpunkt ebenfalls der 1. Januar 2022 festgelegt wurde.

Die Neuerungen sind geprägt durch die

- Einführung einer neuen Risikometrik für interne Modelle (Expected Shortfall anstelle des Value at Risk),

- Neuregelung für den Genehmigungsumfang und Anwendungsbereich interner Modelle (Trading Desk),

- Neugestaltung des Standardansatzes sowie die

- Anpassung der Anlage-/Handelsbuch-Abgrenzung.

So verwundert es nicht weiter, dass bei derart umfangreichen thematischen Erweiterungen mangels Zuordnung zu "Basel II" oder "Basel III" in der Bankenbranche mitunter von "Basel 2.5, Basel 3.5" oder auch "Basel IV" gesprochen wird - auch wenn diese Begriffe keinen offiziellen Status seitens des Basler Komitees innehaben. Die EU-Kommission wiederum beabsichtigt, Anfang 2020 einen inhaltlich dazu korrespondierenden und thematisch ergänzten Regulierungsvorschlag vorzulegen. Im November 2016 wurden hierzu bereits die sehr umfangreiche EU-Richtlinie CRD V und die EU-Verordnung CRR II veröffentlicht.3) Im Mai 2018 wurde dann vom europäischen Rat ein weiteres Paket mit zwei wesentlichen Bausteinen veröffentlicht, die beide jeweils aus einer Richtlinie und einer Verordnung bestehen. Die Bausteine sind (1) die Eigenmittelanforderungen für Banken,4) und (2) die Sanierung und Abwicklung von notleidenden Banken.5)

Umfangreiche Regulierungspakete

Die erstgenannten Vorgaben aus dem Regulierungspaket vom Mai 2018 beinhalten unter anderem Vorgaben (1) für eine verbindliche Verschuldungsquote (Leverage Ratio), (2) zur strukturellen Liquidität (NSFR, Net Stable Funding Ratio) sowie (3) für eine höhere Verlustabsorptions- und Rekapitalisierungsfähigkeit von global systemrelevanten Instituten (G-SRI) für den Abwicklungsfall.6)

Mit den Vorschlägen zur Sanierung und Abwicklung wird der Standard des Financial Stability Board (FSB) vom November 2015 über die "Total Loss Absorbing Capacity (TLAC)" von G-SRIs, das heißt über die "Gesamtverlustabsorptionsfähigkeit" umgesetzt. Die zugehörige europäische Regelung findet sich in den "Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten" (MREL). Die MREL gelten allerdings nicht nur für die global systemrelevanten, sondern für alle Banken in der EU.

Verbesserungsfähige Koordination im zeitlichen Ablauf

Die hier genannten Regulierungspakete oder Initiativen beziehen sich im Wesentlichen auf die Kapitalausstattung in Säule 1 (gemäß Basel) und sind somit trotz des erheblichen Umfangs nur ein Teil der insgesamt noch viel weiter greifenden Bankenregulierung. Auch ohne den Einstieg in inhaltliche Details der hier genannten Vorgaben und ohne Erwähnung der geradezu überbordenden weiteren Regeln, die seit 2008 als Folge der Krise hinzukamen, lässt sich unschwer erahnen, um welch kompliziertes und dichtes Regulierungsnetz es sich inzwischen insgesamt handelt.

Aufgrund zahlreicher institutioneller Akteure in der internationalen und europäischen sowie in der nationalen Aufsicht gibt es jedoch weder einen durchgängig konsistenten inhaltlichen noch einen kongruenten zeitlichen Ablauf für die Einführung dieser Neuerungen (Akteure unter anderem FSB, BCBS, EZB, EBA, NSAs).7) Je nach Thema publizieren beispielsweise entweder das Basler Komitee oder die Europäische Kommission zuerst, mit mehr oder weniger inhaltlichen Abweichungen zum jeweils anderen Akteur. Hinzu kommen für die von der Europäischen Zentralbank (EZB) beaufsichtigten Institute die Veröffentlichungen der EZB, zum Beispiel zu internen Modellen für die einzelnen Risikoarten.8) Zusätzliche Vorgaben für national beaufsichtigte Banken wiederum stammen von der lokalen Aufsicht, wie der Leitfaden der BaFin und der Deutschen Bundesbank zur Risikotragfähigkeit belegt.9)

Das Netz der Regulierung, insbesondere der Eigenkapitalregulierung, ist mithin nicht nur engmaschig, sondern in der Gesamtschau schwierig zu durchdringen und kann letztlich auch verwirren. Das Erstaunen nimmt zu, wenn man das Ziel einer konsistenten und risikoadäquaten Bankenaufsicht in den Fokus nimmt und die Vorzugsbehandlung von Staatsrisiken im Rahmen der Eigenkapitalunterlegung diesem Ziel gegenüberstellt.

Trotz wiederholter Initiativen auch auf internationaler Ebene ist es nämlich bislang nicht gelungen, einen Konsens herbeizuführen, der die Erkenntnisse zu Staatsrisiken aus der zurückliegenden krisenbehafteten Dekade durchgängig berücksichtigt. So ist die "High Level Task Force" des Basler Komitees nicht über ein Diskussionspapier zu diesem Thema im Dezember 2017 hinausgekommen.10) In Anbetracht der Bedeutung und des Umfangs von Staatsrisiken in den Bankbüchern ist dies sehr bemerkenswert, zumal innerhalb der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ in Basel) im Rahmen der Vorstellung des BIZ-Quartalsberichts im Dezember 2018 der Bankensektor abermals zum Teil sorgenvoll angesprochen wurde, auch weil dessen "Schicksal eng mit dem des Staates verknüpft ist".11)

Banken-Staaten-Nexus

Die Deutsche Bundesbank hat in ihrem Finanzstabilitätsbericht 2017 ebenfalls angemahnt, dass zur Begrenzung der Ansteckungsrisiken vom Staats- auf den Bankensektor (und umgekehrt) die bestehende Privilegierung von Staatsschuldtiteln mittelfristig aufgehoben werden sollte. Zur Aufhebung oder zumindest Entschärfung dieser Banken-Staaten-Nexus genannten Problematik sei die Stärkung der Bindungswirkung der Fiskalregeln für Staaten hilfreich. Tatsächlich hat sich die Verletzung etwa der Maastricht-Kriterien in zahlreichen Euro-Staaten zu einem mittlerweile jahrelang anhaltenden "Fast-Normalzustand" entwickelt.12) Der Nutzen von Regelungen, die fallweise ohne Konsequenzen missachtet werden können und für deren Einhaltung der politische Wille oder das Wählervotum fehlen, ist fragwürdig.

Der Banken-Staaten-Nexus mit deutlicher Zunahme seit 2014 ist dadurch gekennzeichnet, dass sich in den Banken erhebliche Forderungen gegenüber dem jeweiligen nationalen öffentlichen Sektor finden (wie zum Beispiel in Italien, Frankreich, Spanien). Unglücklicherweise hat damit einhergehend die Staatsverschuldung ebenfalls zugenommen. Auch im Monatsbericht des deutschen Bundesfinanzministeriums vom Februar 2017 findet sich ein Bericht zur "ursachengerechten Therapie des Banken-Staaten-Nexus". Als therapeutische Maßnahmen werden darin die Beseitigung der regulatorischen Privilegierung von Staatsanleihen empfohlen und ferner die Reduzierung des sogenannten "Home Bias", der in einer übermäßigen Exponierung von Banken in den Titeln des eigenen Sitzstaates besteht (Beispiel Italien).

Lücken in der Regulierung von Staatsrisiken?

Bis heute wurden die Regulierungseigenheiten bei Staatsrisiken nicht verändert. Und so ist immer wieder in der Finanz- und Wirtschaftspresse, aber auch in Fachzeitschriften zu lesen, dass EU- Staatsanleihen von der Bankenaufsicht als risikofrei betrachtet würden und somit keiner Eigenkapitalunterlegung bedürften. In diesem Fall hätte das an sich eng- und kleinmaschige Netz der Eigenkapitalregulierung ganz beträchtliche Löcher. Doch trifft dies tatsächlich zu?13)

Die Basler Vereinbarung in Säule 1 erlaubt den nationalen Gesetzgebern - damit ist insbesondere die EU als Ganzes gemeint - für den möglichen Ausfall von Staaten ein Risikogewicht von Null bei der Berechnung der risikogewichteten Aktiva festzulegen, wenn diese auf die Heimatwährung lauten und in dieser refinanziert sind. Über die Währung (hier den Euro) und die Refinanzierung wurde also zumindest eine gewisse Einschränkung formuliert. Die vom Basler Komitee eröffnete Option hat der europäische Gesetzgeber für die EU beziehungsweise den EWR wahrgenommen und im Regulierungspaket der CRD / CRR für Banken kodifiziert. 14) In vergleichbarer Weise gilt dies für Versicherungen auf Basis des europäischen Regelwerkes Solvency II.

Es muss jedoch zunächst unterschieden werden, ob

- Staatsrisiken von einer Bank im regulatorischen Handelsbuch (Trading Book) oder Anlagebuch (Non-Trading Book) gehalten werden und ob

- die betreffende Bank das Kreditrisiko mit dem Standardansatz oder mit internen Modellen berücksichtigt (IRB, Internal Rating Based).

Der pauschale Vorwurf einer vollständigen Risiko-Ignoranz gegenüber Staatstiteln lässt Handelsbuch-Positionen außer Acht. Denn dort werden die Marktrisiken mittels Standard- oder interner Modelle abgebildet, die je nach Risikomodell und je nach Einzelstaat mehr oder weniger Eigenkapital fordern und somit mehr oder weniger angemessen sein können.15)

Im Anlagebuch erlaubt die CRR hingegen mittels Artikel 114 im Kreditrisiko-Standardansatz eine bonitätsunabhängige Risikogewichtung von 0 Prozent für die genannten Staatsrisiken der EWR-Mitgliedsstaaten. Mittels simultaner Nutzung der beiden CRR-Artikel 114 und 150 wird für IRB-Institute sogar ein dauerhafter Partial Use ermöglicht, also eine dauerhafte Herausnahme der genannten Staatsrisiken aus dem IRB-Ansatz unter Nutzung eines bonitätsunabhängigen Standard-Risikogewichts von 0 Prozent. Diese außergewöhnliche Privilegierung, die losgelöst von der tatsächlichen Bonität und folglich ohne Bezug zum tatsächlichen Risikogehalt schlicht Risikofreiheit unterstellt, war in Basel nicht vorgesehen, auch nicht als Option für nationale Gesetzgeber. Sie ist deshalb als politischer Beschluss der EU zu werten.16)

Alle anderen Assetklassen erfreuen sich keiner derartigen Vorzugsbehandlung, da für diese im IRB-Ansatz eine einjährige Mindestausfallwahrscheinlichkeit von 0,03 Prozent vorgegeben ist. Eine weitere Besonderheit bezieht sich auf die Großkreditregelungen, von der die Staatsrisiken ausgenommen wurden. Zudem erfahren Staatspapiere im regulatorischen Liquiditätsmanagement bei der Erfüllung der Basler LCR-Bedingung (Liquidity Coverage Ratio) eine deutliche Bevorzugung. Ihren Niederschlag findet diese auch in der EU-Verordnung CRR: Hier sind Staatstitel ohne Limit und ohne Abschläge (Haircuts) als sogenannte hochliquide Assets anrechenbar, obwohl die Erfahrung der letzten Jahre je nach Staat das Gegenteil gezeigt hat (Beispiel Griechenland).

Berücksichtigung beim Verschuldungsgrad und in Säule 2 Immerhin werden Staatsrisiken bereits jetzt im Rahmen der Leverage Ratio (Verschuldungsgrad) berücksichtigt und wenigstens bei dieser Kennziffer nicht privilegiert oder gar ausgespart. Infolgedessen kann je nach konkretem Bank-Portfolio die Leverage Ratio (und nicht die risikogewichteten Aktiva in Säule 1) der limitierende Faktor sein, der einen Mindesteigenkapitalbedarf erzeugt. Beispielsweise wirkt eine Leverage Ratio von 3 Prozent als Limit, sobald das mittlere Risikogewicht eines Portfolios 37,5 Prozent beträgt oder unterschreitet (37,5% x 8% = 3%).17)

Somit ist die oben genannte und oft zu lesende beziehungsweise wiederholte pauschale Aussage, derzufolge Staatsanleihen in der EU als regulatorisch risikofrei und folglich ohne Eigenkapitalerfordernis behandelt würden, in dieser pauschalen Form nicht haltbar (Eigenkapitalerfordernis bei Handelsbuch-Positionen und genereller "Backstop" wegen der Leverage Ratio).

Ein weiterer wichtiger Aspekt folgt aus der zweiten Säule der Regulierung. Denn selbst wenn eine Bank in Säule 1 die Null-Gewichtung im Anlagebuch nutzen kann, so ist bei einem Staatsportfolio ab einem gewissen Umfang zu erwarten, dass in Säule 2 im Rahmen des ICAAP beziehungsweise des SREP eine Mindestkapitalunterlegung durch die Aufsicht gefordert wird (zum Beispiel durch Vorgabe einer Mindestausfallwahrscheinlichkeit). Dies bestätigt die Praxis, allerdings wegen der auf die einzelne Bank bezogenen Individualität des ICAAP und SREP ohne EU-weite Transparenz und somit ohne gesichertes Level Playing Field und ohne gleiche Wettbewerbsbedingungen.18)

Gleichwohl besteht durch die Null-Gewichtung bei der Ermittlung der risikogewichteten Aktiva im Anlagebuch gegenüber anderen Forderungsklassen eine signifikante Privilegierung von Staatsrisiken. Dadurch werden für Banken enorme Anreize gesetzt, trotz fehlender oder geringer Rentabilität oder trotz erhöhter Risiken, Staatspapiere insbesondere des eigenen Sitzstaates zu erwerben und zu halten. Das Netz der Regulierung ist somit zweifellos löchrig; die Lücken sind jedoch nicht in der pauschalen Weise vorhanden, wie es häufig dargestellt wird.

Ausgeprägter Handlungsbedarf besteht dennoch. Nach wie vor bieten sich die Vorschläge des Basler Komitees für ein Level Playing Field vom Dezember 2017 als Ausgangspunkt notwendiger Anpassungen an. So werden darin nicht nur die Abschaffung des IRB-Ansatzes und folglich die Nutzung des Kreditrisiko-Standardansatzes für Staaten vorgeschlagen, sondern unter anderem auch die Limitierung von Staatsrisiken im Rahmen der Großkreditregelung.19) Staatsrisiken, die sich nicht auf die jeweilige Zentralregierung beziehen, könnten zum Beispiel auf maximal 25 Prozent des Kernkapitals einer Bank begrenzt werden.

Zusätzliche Risikogewichte

Eine darüber hinausgehende Regelung, etwa mit Bezug auf Zentralregierungen, steht noch aus. Ein weiterer Baustein ist die Einführung von zusätzlichen Risikogewichten, sobald das Exposure gegenüber einem Staat bestimmte Kernkapital-Schwellen überschreitet. Beispielweise könnte ein 5-Prozent-Aufschlag auf das Risikogewicht erfolgen, sobald das Exposure gegenüber dem Staat 100 Prozent bis 150 Prozent vom Kernkapital der Bank beträgt.20) Eine Anpassung der LCR-Vorgaben mit Blick auf die dortige Privilegierung der Staatsanleihen als hochliquide Assets war in dem Basler Vorschlag allerdings noch nicht vorgesehen.

Bisher ist jedoch weder ein internationaler noch ein europäischer Anpassungsbeschluss zu diesen Vorschlägen absehbar. Staatsschuldtitel als Refinanzierungsinstrument öffentlich-rechtlicher Schuldner, mit Banken und Versicherungen als institutionelle Großabnehmer, bergen erheblichen politischen Zündstoff. Ob der Banken-Staaten-Nexus allein durch die Vorschläge des Basler Komitees ausreichend reduziert werden könnte, ist zudem fraglich, solange regulatorische Kennziffern wie die LCR (Liquidity Coverage Ratio) den Erwerb von Staatspapieren gleichsam bedingen können.

Ferner müsste die Privilegierung schrittweise abgeschmolzen werden - eine abrupte vollständige Aufhebung könnte einzelne Banken kapitalmäßig überfordern, den Staaten mit Verschuldungen deutlich oberhalb des Maastricht-Kriteriums die Refinanzierungsbedingungen mindestens erschweren und zu marktbezogenen Verwerfungen führen.21) Marktbeeinflussende-Verschiebungen ergeben sich auch daraus, dass die europäische Zentralbank durch ihre Staatsanleihen-Ankaufprogramme rund ein Drittel des Gesamtbestandes europäischer Staatsanleihen hält. Dieser Sachverhalt wird trotz des inzwischen vorliegenden und anderslautenden Urteiles des Europäischen Gerichtshofes von Kritikern als ein Verstoß gegen das Verbot monetärer Staatsfinanzierung angesehen (Art. 123 AEUV).22)

Trias Banken-Staaten-Zentralbank

Der schon lange bestehende Banken-Staaten-Nexus wurde somit in den letzten Jahren zusehends zu einem Banken-Staaten-Zentralbank-Nexus und ist somit durch wechselseitige Abhängigkeiten noch verflochtener als in der Vergangenheit:

- Staaten beziehungsweise die EU-Institutionen als Gesetzgeber legen die regulatorische Privilegierung von Staatspapieren fest,

- Banken (und Versicherungen) investieren in Staatspapiere aufgrund dieser Privilegierung und um aufsichtsrechtliche Kennziffern erfüllen zu können,

- Staaten nutzen somit Banken zur Refinanzierung,

- die europäische Zentralbank kauft Staatspapiere über den Kapitalmarkt angabegemäß im Rahmen ihrer Geldpolitik, tritt dabei (indirekt) als Finanzier von Staaten auf und begibt sich dadurch in eine mehr oder weniger ausgeprägte fiskalpolitische Rolle, nicht zuletzt indem sie den von den Ankaufprogrammen profitierenden Staaten Reformen auferlegt hat teilweise mit überschaubarem Erfolg, denn es ist schlicht nicht der Auftrag der EZB, die Politik zu ersetzen.23)

- Bankenaufsicht und Geldpolitik befinden sich beide unter dem Dach der Zentralbank und sind trotz gewisser Governance-Vorkehrungen nicht ausreichend voneinander unabhängig: Ist der für die Geldpolitik maßgebliche EZB-Rat mit den Empfehlungen der Kollegen aus der Bankenaufsicht nicht einverstanden, behält er nach Durchlaufen einer Mediation das letzte Wort. Diese Regelung erfüllt angesichts der Bedeutung für die gesamte Finanzstabilität nicht denjenigen Grad an Unabhängigkeit für die Bankenaufsicht, der aus dem Anspruch einer zweifelsfreien Governance resultiert, und zeigt somit eine unerquickliche Gemengelage.

Die in den vergangenen Jahren weiter angewachsene Staatsverschuldung - in den Euroländern in Summe inzwischen über 80 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt anstelle der an sich zulässigen maximal 60 Prozent aus Maastricht - macht eine Umkehr und Auflösung des Banken-Staaten-Zentralbank-Nexus zusehends schwierig, gleichzeitig aber notwendiger denn je. Dies gilt umso mehr, als sich international vermehrt Versuche der Politik offenbaren, die Unabhängigkeit der Notenbanken zu beschneiden oder zu beeinträchtigen (etwa USA, Indien, Japan). Je länger zugewartet wird, den Nexus sukzessive abzuschwächen oder gar weitgehend aufzulösen, desto schwieriger wird dies sowohl politisch als auch ökonomisch.

Trennung und Unabhängigkeit von Banken, Staaten und Zentralbank

Konzepte, die sich mit "Eurostaaten-ABS" befassen, wie die 2018 vom European Systemic Risk Board vorgestellten SBBS (Sovereign Bond Backed Securities), lösen keine strukturellen Probleme und wirken vielmehr wie ein Verschiebebahnhof. Gleiches gilt für anderslautende Risikoumverteilungen mittels "Eurobonds" in verschiedenen Ausprägungen. Diese können ein sinnvolles Instrument sein, sofern die politischen und ökonomischen Voraussetzungen vorliegen. Sie sind jedoch lediglich Finanzinstrumente und somit ungeeignet, die jetzigen strukturellen Probleme zu lösen.

Die wachsende Staatsverschuldung, die mit einer Festigung des unheilvollen Nexus einhergeht, verschlechtert im Laufe der Zeit die Ratings der Staatspapiere. Die Einführung einer risikoorientierten Kapitalunterlegung wird dann wegen überproportional steigender Kapitalanforderungen bei Absinken von Ratings immer schwieriger. In der EU und insbesondere im Euroraum verhindern bislang außerdem die divergierenden Staatsinteressen einen Konsens, zumal viele weitere Finanz- und Wirtschaftsthemen zeitlich fast parallel zur Verhandlungsmasse erkoren wurden (etwa Euro-Budget, EU-Einlagensicherung).

Die mancherorts mit einer gewissen Lässigkeit oder Nonchalance praktizierte Nichteinhaltung der Maastricht-Kriterien korrespondiert mit den gesetzlichen Vorgaben und deren Lücken in der Behandlung der Staatsrisiken in der Bankenaufsicht. Ähnlich wie die faktische Trennung von Exekutive, Judikative und Legislative als grundsätzliche Errungenschaft eines modernen demokratischen Staatswesens gilt, wäre deshalb - gemessen am Status quo - eine konsequentere Trennung und Unabhängigkeit der Trias aus Banken, Staaten, Zentralbank eine Errungenschaft moderner institutioneller Governance für das Finanz- und Bankwesen. Dadurch könnte ein großes strukturelles Problem der Euro-Währungsunion gelöst und mittelfristig eine signifikante Reduzierung der Risiken einhergehen.

Darüber hinaus müssten die vorgenannten Maßnahmen eingeleitet werden, wozu der sukzessive Abbau der regulatorischen Privilegien von Staatstiteln zählt. Anderenfalls kann keine durchgängig inhaltlich konsistente und risikoadäquate Bankenaufsicht gelingen, weil das regulatorische Netz derzeit zwar eine hohe Komplexität, gemessen an der sonstigen Engmaschigkeit und Webdichte jedoch vereinzelt noch zu große Löcher aufweist.

Fußnoten

1) Basel III: Finalising postcrisis reforms, Bank for International Settlements, Basel, 7 December 2017. BCBS = Basel Committee of Banking Supervision.

2) Minimum capital requirements for market risk, Bank for International Settlements, Basel, 14 January 2019.

3) CRD = Capital Requirement Directive, CRR = Capital Requirement Regulation.

4) Änderung der Richtlinie 2013/36/EU und der Verordnung 575/2013.

5) Änderung der Richtlinie 2014/59/EU und der Verordnung 806/2014.

6) G-SRI: Global Systemically Important Institutions.

7) FSB Financial Stability Board, BCBS Basel Committee of Banking Supervision, EZB Europäische Zentralbank, EBA European Banking Authority, NSAs National Supervisory Authorities.

8) Die Konsultation hierzu endete im November 2018: Public consultation on the ECB guide to internal models - risk-type-specific chapters, consultation period 7 Sep to 7 Nov 2018.

9) Aufsichtliche Beurteilung bankinterner Risikotragfähigkeitskonzepte und deren prozessualer Einbindung in die Gesamtbanksteuerung ("ICAAP") - Neuausrichtung, 24. Mai 2018, BaFin und Deutsche Bundesbank.

10) BCBS Discussion paper: The regulatory treatment of sovereign exposures, issued for comment by 9 March 2018, 7 December 2017.

11) On-the-Record-Kommentare von Claudio Borio, Leiter der Währungs- und Wirtschaftsabteilung, 14.12.2018.

12) Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2017, abgeschlossen am 24. November 2017. Ferner: BMF vom 18. April 2018: "Das europäische Haushaltsüberwachungsverfahren sieht gemäß dem Stabilitäts- und Wachstumspakt die Einhaltung der Maastricht-Kriterien, bezoge auf Defizit und Schuldenstand, und des mittelfristigen Haushaltsziels vor. Der Fiskalvertrag verlangt von den Vertragsstaaten die Umsetzung von Fiskalregeln in nationales Recht, die die jährliche Einhaltung des mittelfristigen Haushaltsziels sichern."

13) Dass Zinsänderunsgrisiken im Anlagebuch nicht in Säule 1 (Basel), sondern in Säule 2 adressiert werden, ist nicht Gegenstand der hiesigen Erörterung.

14) EU = Europäische Union. EWR = Europäischer Wirtschaftsraum, der die EU mit einschließt.

15) Dass methodische Mängel bestehen, ist spätestens im Rahmen der Krise klar geworden.

16) S. BIS Quarterly Review December 2013.

17) Gemäß Basel Säule 1 gilt: Mindesteigenkapital (EK) = Exposure x Risikogewicht RG x 8% = Risikogewichtete Aktiva x 8%. Mit RG 37,5% folgt 37,5% x 8% = 3%. Wenn das RG < 37,5% ist, dann fordert die EK-Bedingung weniger als 3% und somit weniger Kapital als die 3%-Bedingung aus der Leverage Ratio. In diesem Fall wird die Leverage Ratio zum "Backstop" der Eigenkapitalunterlegung.

18) ICAAP = Internal Capital Adequacy Assessment Process. SREP = Supervisory Review & Evaluation Process.

19) Beschlossen wurde in Basel im Dezember 2017 hingegen bereits, dass für Unternehmen ab einer bestimmten Umsatzgröße sowie generell für Banken der fortgeschrittene IRB-Ansatz abgeschafft wird, weil dadurch die Modellunschärfen in der LGD- und EaD-Ermittlung beseitigt werden. Der Basis-IRB-Ansatz bleibt für die Forderungskassen Banken, Unternehmen hingegen erhalten.

20) Genau genommen handelt es sich hierbei um die jeweilige Gruppe von miteinander verbundenen Staatsrisiken (Risikoverbund).

21) Über den dann anzuwendenden Kreditrisiko-Standardansatz brauchten wegen des Home Bias vor allem diejenigen Banken zusätzliches Eigenkapital, die ihren Sitz in Ländern mit Ratings von A oder schlechter haben (z. B. Italien BBB, Portugal BBB-, Griechenland B+). Eine Modellrechnung des DIW für 2018 ermittelte für vier große italienische Banken einen zusätzlichen Kapitalbedarf von 11,5 Milliarden Euro, für zwei spanische Großbanken von 9,5 Milliarden Euro, wobei allein auf Uni-Credit knapp 5 Milliarden Euro entfallen (DIW Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht Nr. 49/2018).

22) AEUV: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

23) EZB und nationale Notenbanken haben seit 2015 rund 2 600 Milliarden Euro Anleihen gekauft, da runter vor allem Staatsanleihen.

Dr. Alexander Suyter Geschäftsführer, Dr. Suyter GmbH, München
Noch keine Bewertungen vorhanden


X