Möglichkeiten und Grenzen globaler Bankenregulierung

Felix Hufeld, Quelle: Schafgans DGPh/BaFin

Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Bonn - Die Idee eines multinationalen Eigenkapitalakkords für das internationale Bankensystem ist inzwischen seit mehr als vier Jahrzehnten gereift. Mit Basel I gab es Ende der 1980 Jahre einen ersten Ansatz, der von der Staatengemeinschaft sehr bald als reformbedürftig erachtet durch Basel II revidiert und durch Basel III im Zuge der Erfahrungen der jüngsten Finanzkrise weiterentwickelt wurde. Vor diesem Hintergrund skizziert der Autor die Ausrichtung der deutschen Aufsicht bei den immer noch nicht ganz abgeschlossenen Verhandlungen anhand einiger Grundpositionen. Grundsätzlich wichtig ist ihm ein Festhalten an der Risikosensitivität als regulatorisches Prinzip und an gemeinsamen globalen Regulierungsstandards. Für noch nicht voll ausgeschöpft hält er dabei in der EU das Thema Verhältnismäßigkeit oder Proportionalität. (Red.)

Es war einmal eine Bank namens Herstatt. Ihre spektakuläre Pleite im Jahr 1974 beflügelte die Notenbankgouverneure der G10, den Grundstein für den Basler Ausschuss für Bankenaufsicht zu legen, die Ideenschmiede der globalen Bankenregulierung.1) Das internationale Bankensystem war in heftige Turbulenzen geraten und die G10 befanden, die Bankenaufsicht müsse weltweit verbessert werden, damit das Finanzsystem stabiler werde. In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts reifte im Basler Ausschuss die Idee eines multinationalen Eigenkapitalakkords. Er sollte nicht nur das internationale Bankensystem auf eine stabilere Grundlage stellen, er sollte darüber hinaus Wettbewerbsverzerrungen kurieren, die durch unterschiedlich strenge nationale Standards entstanden waren.

Basel I als erster Meilenstein

Basel I, dieser erste Meilenstein der globalen Bankenregulierung aus dem Jahr 1988, war im Rückblick viel zu holzschnittartig angelegt und animierte die Banken mit seinen pauschalen Eigenkapitalanforderungen, hohe Risiken einzugehen. Aber er verkörperte den starken Willen der G10-Länder, regulatorisch an einem Strang zu ziehen. Statt sich in den gefährlichen Wettbewerb der laxesten Regulierung zu begeben, setzte man auf gemeinsame Standards. Die Begeisterung für diese Idee war ansteckend. Nicht nur die Mitglieder des Basler Ausschusses setzten Basel I um; nach und nach sprangen mehr als 100 Staaten auf den Baseler Zug auf. Basel I entwickelte sich von einem multinationalen Standard für international aktive Banken zu einem weltweit anerkannten Eigenkapitalstandard für eine weitaus größere Gruppe von Banken.2)

Seither haben die Baseler Empfehlungen die Gesetzgebung vieler Länder beeinflusst - und das, obwohl sie rechtlich nicht bindend sind. Jedes Land kann selbst entscheiden, ob es ihnen folgt. Dass sich schon damals so viele Länder das Baseler Regime zu eigen machten, lag daran, dass sie ein vitales Interesse daran hatten, auf der Basis weltweit bewährter Aufsichtsstandards ihre Finanzmärkte nachhaltig zu stabilisieren. Außerdem galt Aufsicht à la Basel als State of the Art. Nicht ohne Grund hat sich auch die Europäische Union (EU) immer sehr eng an die Standards made in Basel angelehnt - zweifellos ein beeindruckendes Beispiel dafür, welche Reichweite sogenanntes Soft Law haben kann.

Basel I war von Anfang an nicht für die Ewigkeit geschaffen und der Basler Ausschuss überarbeitete den ersten Akkord mehrmals. Im Sommer 1999 legte er dann den Entwurf eines neuen Akkords vor, der einer Revolution gleich kam: Basel II, ein risikosensitives Regelwerk, das außerdem das Thema Risikomanagement in den aufsichtlichen Fokus rückte. Erst Jahre später, im Sommer 2004, wurde dieser zweite Meilenstein der globalen Bankenregulierung veröffentlicht.3)

Basel II: lange Verhandlungen um einen tragfähigen Kompromiss

BaFin und Deutsche Bundesbank waren an den langwierigen und bisweilen turbulenten Verhandlungen des Basler Ausschusses beteiligt. Mein Vorvorgänger Jochen Sanio hat einmal gesagt, man dürfe sich den Basler Ausschuss nicht wie ein Kaffeekränzchen vorstellen. Bei den Verhandlungen über Basel II seien keine "Kuchenstücke ausgeteilt worden, sondern Schläge - verbaler Art selbstverständlich." Einigkeit herrschte anfangs nur in zwei Punkten: Basel I war der Dynamik der Finanzmärkte nicht mehr gewachsen und musste einer Totalrevision unterzogen werden. Und: Auch das neue Regelwerk sollte ein gemeinsames, ein globales sein, denn angesichts globalisierter Finanzmärkte gab es dazu keine Alternative.4)

Für Entscheidungen im Basler Ausschuss gilt das Konsensualprinzip. Sie können also nur einstimmig getroffen werden und jeder Teilnehmer hat ein Vetorecht. Das führte auch bei den Verhandlungen zu Basel II zu gewissen - auch inneren - Konflikten: Zwar wollten sich alle auf einen neuen globalen Standard einigen. Zugleich wollte aber jeder die Interessen seines Landes wahren. Dabei ging es nicht nur um Wettbewerbsnachteile, sondern auch darum, die regulatorischen Kosten für die heimischen Institute in einem angemessenen Rahmen zu halten.

Auch wenn es zwischendurch unmöglich schien, eine Lösung zu finden, die alle Seiten zufriedenstellen würde: Der Wille zur Einigung war so stark, dass am Ende genau das gelang: ein tragfähiger Kompromiss. Den deutschen Verhandlern war es sogar gelungen, ihr berühmtes Mittelstandspaket unterzubringen, und das, obwohl zunächst die Mehrheit des Ausschusses dagegen war.5)

Nachbesserungsbedarf schon früh erkannt

Dass auch Basel II umfassend nachgebessert werden müsste, war dem Basler Ausschuss schon bewusst, bevor eine andere große Pleite die internationalen Finanzmärkte erschütterte: die der US-Investmentbank Lehman. Und doch standen die Arbeiten am Baseler Regelwerk fortan noch stärker unter dem Eindruck der globalen Finanzkrise, die auch ein Resultat zahlreicher Schwächen im globalen Regulierungsgefüge war.

In den Jahren vor der Krise hatte eine weitreichende Deregulierung stattgefunden. Und so folgten auf Basel II Basel II.5 und schließlich Basel III.6) Basel III ist weitaus mehr als eine verschärfte Version von Basel II. Basel III setzt unter anderem an zwei wesentlichen Schwachstellen an, die sich in der Krise offenbart haben: Erstens: Banken müssen genug Eigenkapital haben, um Verluste im laufenden Geschäftsbetrieb abfedern zu können. Das geht nur mit echtem, sprich hartem Kernkapital. Ergänzungskapital fängt erst in der Liquidation Verluste auf. Es war daher richtig, sehr viel strengere Anforderungen an Quantität und Qualität der Eigenkapitalausstattung zu stellen und mit dem Kapitalerhaltungspuffer die Möglichkeit zu schaffen, Verluste zu absorbieren. Zweitens: Wie sich in der Krise gezeigt hat, ist Liquidität keine Selbstverständlichkeit. Banken müssen daher eine ausreichende Liquiditätsvorsorge betreiben und einheitliche Liquiditätsstandards waren überfällig.

Seit einiger Zeit ringt der Basler Ausschuss um eine Finalisierung von Basel III. Zankapfel diesmal: das Design und die Kalibrierung eines Output Floors, mit dem die ungerechtfertigte Variabilität der risikogewichteten Aktiva und damit der Kapitalanforderung bei der Verwendung interner Modelle begrenzt werden soll. In der griechischen Mythologie führt der Weg vom Zankapfel in den trojanischen Krieg7). Von einem regulatorischen Krieg sind wir gottlob weit entfernt. Aber die Diskussionen sind nach wie vor intensiv.

Festhalten an der Risikosensitivität als regulatorisches Prinzip

Das liegt daran, dass der Ausschuss an einer globalen Lösung mit sehr hohem Detaillierungsgrad arbeitet, die aber zugleich sehr unterschiedlichen nationalen Marktstrukturen gerecht werden muss. Einen Kompromiss um jeden Preis kann es aus deutscher Sicht auch diesmal nicht geben. Wir halten es für richtig, die Risikosensitivität des Baseler Regelwerks und damit auch die Anwendung interner Modelle in sinnvoller Weise zu beschränken, um eine bessere Vergleichbarkeit der Kapitalanforderungen zu ermöglichen. Wozu wir nicht bereit sind, ist, die Risikosensitivität als regulatorisches Prinzip de facto aufzugeben. Das heißt nicht, dass wir den Sirenengesängen der Bankenlobby nachgäben, um in der griechischen Sagenwelt zu bleiben. Auch Kompromissvorschläge, die aus unserer Sicht akzeptabel sind, hätten für einige Banken deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen zur Folge.

Heute gilt es, das Prinzip der Risikosensitivität an drei Fronten zu verteidigen: Die eine Front bildet die Kreditwirtschaft, die gerne maximale Freiheit und maximale Individualität hätte. Das Maß an Freiheit und Individualität, das einige in der Branche sich vorstellen, kann es nicht geben; es führt zu Freiheitsgraden und zu einer Variabilität, die nicht akzeptabel ist und nicht Ziel von Basel III sein kann (Wir werden diese Diskussionen sehr wahrscheinlich in zwei, drei Jahren auch in der Versicherungsaufsicht bei Solvency II führen, das aber nur am Rande.). Die zweite Front bilden die regulatorischen Skeptiker, die Risikosensitivität weitestgehend als Metapher für Missbrauch sehen - jedenfalls soweit sie auf bankinternen Berechnungen basiert. An der dritten Front stehen die wohlmeinenden akademischen Vereinfacher. In ihren Augen hat die risikosensitive Regulierung einen so hohen Grad an Komplexität erreicht, dass sie als Modell nicht sicher genug ist und deshalb scheitern muss.

Den Vertretern der zweiten und der dritten Front ist gemein, dass sie die Risikosensitivität faktisch eliminieren wollen. Sie wollen pauschale Obergrenzen wie die Leverage Ratio oder Output Floors zum zentralen Aufsichtsinstrument für die Steuerung der Kapitalvorgaben machen. Die nichtrisikosensitive Leverage Ratio ist sinnvoll - als äußerste Leitplanke und Ergänzung zu risikosensitiven Anforderungen und einem funktionierenden Risikomanagement. Aber als alleiniges oder primäres Instrument der Kapitalsteuerung taugen pauschale Limits dieser Art nicht, denn sie verringern Risiken nicht, sie vermehren sie - erst recht, wenn man die Limits in extreme Höhen schraubt.

Unerbittliche Logik des Zusammenhangs von Risiko und Rendite

Eine Bank, deren Kapitalbedarf weitgehend durch hohe nichtrisikosensitive Obergrenzen bestimmt wird, kann doch gar nicht anders, als die daraus resultierenden hohen Kapitalkosten durch risikoreiches Geschäft wieder hereinzuspielen, ohne dafür regulatorisch bestraft zu werden. Ein ähnliches Problem hatten wir schon mit Basel I. Die unerbittliche Logik des Zusammenhangs von Risiko und Rendite lässt sich nicht aufbrechen - auch nicht mit den besten regulatorischen Absichten. Das Gegenteil konnten auch die Vertreter der akademischen Front bislang nicht beweisen.

Hier äußert sich also kein Vertreter von Lobbyinteressen. Hier äußert sich jemand, der das Prinzip der Risikosensitivität verteidigt, weil er als Regulierer und Aufseher davon überzeugt ist. Risikosensitivität bedeutet, dass das tatsächliche Risiko besser in den Eigenkapitalanforderungen abgebildet wird, dass also - einfach ausgedrückt - höhere Risiken mit mehr und geringere Risiken mit weniger Kapital zu unterlegen sind.

Kronjuwelen zeitgemäßer Bankenregulierung

Risikosensitivität macht Risiken also besser beherrschbar. Wann also ist der fortgeschrittene Ansatz - und damit das interne Modell - dem Standardansatz vorzuziehen? Immer dann, wenn Banken - basierend auf eigenen aussagekräftigen Daten - einen signifikanten Informationsvorsprung haben. Denn dann kann das interne Modell ein Risiko besser abbilden, als wir Regulierer es über die Gestaltung eines Standardansatzes können. Dies gilt - nicht überraschend - vor allem im Bereich des Kreditrisikos.

Umgekehrt, das heißt bei unzureichender Datenlage, sieht die derzeitige Basel-III-Reform daher zu Recht vor, beispielsweise einige Low-Default-Portfolios aus dem Anwendungsbereich des fortgeschrittenen Ansatzes herauszunehmen und die Modellierung des operationellen Risikos zu verwerfen. Die sinnvolle Umsetzung des Gedankens der Risikosensitivität außerhalb des Standardansatzes beruht daher auf drei Pfeilern: der Anwendung interner Modelle, deren sinnvoller Beschränkung bereits auf regulatorischer Ebene und einer starken Aufsicht. Dieser Dreiklang gehört zu den Kronjuwelen zeitgemäßer Bankenregulierung, die zwar gelegentlich aufzupolieren sind, ansonsten aber wohlgepflegt und gehütet gehören.

Auch mein Ziel ist und bleibt es, Basel III zu einem guten Ende zu führen und einen für alle tragfähigen globalen Kompromiss zu finden. Mehr denn je brauchen wir eine solide globale Bankenregulierung, denn andernfalls riskieren wir das berühmt-berüchtigte regulatorische Race to the Bottom. In seiner rund 40-jährigen Geschichte ist es dem Basler Ausschuss zum Glück immer gelungen, sich zu einigen. Dieses Kunststück kann ihm auch diesmal gelingen. Ein Großteil der Themen, über die wir vor einigen Monaten noch sehr kontrovers diskutiert haben, ist unter Dach und Fach. Mit einem gesunden Maß an Pragmatismus schaffen wir, so hoffe ich, auch die letzten Meter.

Ich bin ein ausgesprochener Anhänger gemeinsamer globaler Standards. Globale Regulierung darf allerdings regionale und nationale Besonderheiten nicht unnötig einebnen. Solange wir über regulatorische Prinzipien reden, haben die Länder ausreichende Spielräume bei der Umsetzung. Wird Regulierung bis ins Detail ausbuchstabiert, muss sie sich auch auf nationale Besonderheiten anwenden lassen. Das macht die Baseler Verhandlungen ja oft so schwierig. Was hierbei auch eine Rolle spielt: Regulierung muss verhältnismäßig sein.

Empfehlungen für die Peergroup

Nun entwickelt der Basler Ausschuss seine Empfehlungen traditionell für die Peergroup der international agierenden Banken und Bankengruppen. Die Brüsseler Eigenkapitalvorschriften dagegen gelten für alle Kreditinstitute mit Sitz in der EU. Bei der Umsetzung der Baseler Regelwerke hat die EU daher immer eigene Akzente gesetzt und die Regeln für kleinere Institute etwas flexibler gestaltet als in der Baseler Vorlage vorgesehen. Und doch ist das Thema Verhältnismäßigkeit oder Proportionalität in der EU noch nicht ausgeschöpft. Wir, das heißt Bundesbank und BaFin, sind der Meinung, dass kleinere Institute weiter entlastet werden können, und zwar vor allem dort, wo wir administrativen Aufwand ohne Schaden für die Risikotragfähigkeit minimieren können. Wir loten gerade aus, welche Möglichkeiten es im Rahmen der Reform von CRD IV und CRR gibt. Wie weit wir uns im europäischen Gesetzgebungsprozess durchsetzen können, bleibt abzuwarten. An unserem Einsatz wird es nicht mangeln.

Damit wir uns nicht missverstehen: Die verschärften Anforderungen an Eigenkapital und Liquidität wollen wir nicht wieder aufweichen - auch nicht für kleinere Banken. Es muss solide Mindeststandards für alle Banken geben. Die Gleichung "klein gleich risikoarm" geht längst nicht immer auf. Regulatorische Erleichterungen, die die Finanzstabilität gefährden, müssen tabu sein. Das heißt auch und vor allem, dass die besonders strengen Anforderungen an große und systemrelevante Banken im Kern nicht gelockert werden dürfen. Verhältnismäßigkeit wirkt in beide Richtungen und darf nicht mit Laxheit verwechselt werden.

Überhaupt darf das berechtigte und wichtige Ansinnen, dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit mehr Geltung zu verschaffen, nicht mit allgemeiner Deregulierung verwechselt werden.

Wenn wir eines vermeiden müssen, dann ist es der Rückfall in den zerstörerischen Schweinezyklus aus Deregulierung - Krise - Regulierung - Deregulierung - erneuter Krise. Diesmal sollte das kollektive Gedächtnis uns nicht im Stich lassen. Never let a good crisis go to waste.

Der Beitrag basiert auf einer Rede des Autors anlässlich des Bundesbank Symposiums "Bankenaufsicht im Dialog" Mitte März 2017 in Frankfurt am Main.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt.

Fußnoten

1) http://www.bis.org/bcbs/history.htm

2) Jochen Sanio, Basel II: ein neuer Ansatz in der Bankenaufsicht, Rede im Rahmen des Bankrechtstages 2003 am 4. Juli 2003.

3) https://www.bis.org/publ/bcbsca.htm

4) Jochen Sanio, a.a.O.

5) Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Juli 2002, "Mittelstand im Wettlauf ums Kapital".

6) https://www.bis.org/bcbs/basel3.htm?m=3%7C14%7C572

7) Vgl. zum Beispiel Inge El-Himoud-Sperlich: Das Urteil des Paris. Studien zur Bildtradition des Themas im 16. Jahrhundert. Dissertation, München 1977.

Felix Hufeld , Aufsichtsratsmitglied , d.i.i. Deutsche Invest Immobilien AG
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