Gut aufgestellt ist halb gewonnen

Harald Smolak Foto: Atreus GmbH

Wettbewerbsfähig bleiben nur diejenigen Unternehmen, die ihre Fachbereiche und Mitarbeiter fit für die Zukunft machen. Der Autor sieht dabei besonders die Führungsebenen von Veränderungen betroffen. Neue, flache Hierarchiestrukturen und abteilungsübergreifende, befristete Teamstrukturen bereiten alteingesessenen Führungskräften Probleme. Laut dem Autor stehen die aktuellen Veränderungsprozesse in der Zusammenarbeit wie die Zunahme von Begeisterung und Emotionalität im Widerspruch zu den Karriereerfolgsfaktoren der Vergangenheit, wo Macht und Ansehen durch den Aufstieg in der Karriereleiter erreicht wurden. (Red.)

Unsere zunehmend digitalisierte Welt hat jede Industrie in ihren Geschäftsprozessen modifiziert. Auch das Finanzwesen bleibt von disruptiven Technologien nicht verschont. Veränderungszyklen werden immer kürzer, technische und organisatorische Anpassungen immer wichtiger. Die Ansprüche der Kunden auf einfache, bequeme und möglichst App-orientierte Anwendungen haben rapide zugenommen. Viele Unternehmen stehen daher vor der Aufgabe, den Anforderungen hinsichtlich operativer Effizienz gerecht zu werden. Innovative Geschäftsmodelle müssen jetzt auf die Agenda rücken und neue Skills erlernt oder trainiert werden, um im Markt nicht von innovativen "New Playern" verdrängt zu werden.

Generell befindet sich der Finanztechnologie-Sektor im Wandel. Robo Advisor verdrängen die klassischen Anlageberater, in dem Privatkunden Investitionsmöglichkeiten möglichst einfach angeboten werden. Dabei sind sie nicht nur kostengünstiger und transparenter, sondern auch online jederzeit handelbar.

Im Versicherungsbereich treten inzwischen klassische Versicherungen mit eigenen Onlineportalen in Konkurrenz zu Mitbewerbern und anderen Direktversicherungen, um nicht dramatisch an Kunden zu verlieren. Entscheider müssen umdenken, ihre Erfolgsmodelle der Vergangenheit hinterfragen und im Kontext digitaler Umbrüche anpassen.

Was bedeutet diese Entwicklung für Personen, die im Finanz- und Versicherungswesen ihre Karriere aufgebaut haben? Und wie verändert sich der Anspruch im Personalmanagement, um besser vorbereitet zu sein als Unternehmen, denen die Veränderung kognitiv zwar bewusst ist, die jedoch an ihren alten Erfolgsmustern festhalten?

Gleich die schlechte Nachricht zuerst: Unter den Top drei der im Jahr 2030 vom Fachkräftemangel am stärksten betroffenen Branchen finden sich an erster Stelle die Finanzdienstleister mit fehlenden 1,2 Millionen Fachkräften in Deutschland. Es folgt die Industrie- und Maschinenbaubranche mit 628 000 fehlenden Arbeitskräften sowie an dritter Stelle der Technologiesektor mit einem Mangel von knapp 200 000 Arbeitskräften. Monetär bedeutet dies für den Finanzbereich ein Minus von rund 130 Milliarden Euro. Der Kampf um die besten Talente wird branchenübergreifend noch dramatischer werden.

Bank- und Kreditwesen vom Wandel erheblich betroffen

Allerdings werden innovative Unternehmen ein hohes Beschäftigungswachstum haben, zugleich aber eine höhere Beschäftigungsstabilität benötigen. Dies betrifft primär Organisationen mit qualifizierten Arbeitskräften, die Know-how in Prozess- beziehungsweise Organisationsinnovationen einbringen und sich in agilen Arbeitsmethoden nicht nur wohlfühlen, sondern auch die notwendige Selbstverantwortung mitbringen. Führungskräfte, die in starren Organisationsstrukturen und Hierarchien geprägt wurden, haben bei flachen Hierarchiestrukturen und abteilungsübergreifenden, befristeten Teamstrukturen Anpassungsbedarf.

Gerade in Change-Management-Prozessen braucht es Führungspersonal, das mutig innovative Ideen der Mitarbeiter aufgreift und auch anerkennt. Neue Wege können nur durch hohes Engagement und mit der Energie aller Mitarbeiter beschritten werden. Das erfordert viel Empathie von Entscheidungsträgern. Um ein leistungsfähiges Team um sich zu versammeln, ist Begeisterung und Emotionalität unabdingbar. Attribute, die in der Vergangenheit nicht nur bei Führungskräften in der Finanzindustrie eine untergeordnete Rolle gespielt haben.

Mangelt es an dieser wesentlichen Verhaltenscharakteristik und wird primär auf die Vorgabe von Zielen und deren Einhaltung gepocht, dann leisten die Mitarbeiter nur das, was von ihnen erwartet wird. Das ist sicherlich eine sehr effiziente Führungsart, die in stabilen Industrien lange Zeit erfolgreich war. In Zeiten von digitaler Transformation in der Finanzwelt, braucht es jedoch mehr. Denn Veränderungen spielen sich irrtümlicherweise nicht nur in Prozessen ab, sondern auch auf menschlicher Ebene. Es braucht Individuen und Teams, die in einem gemeinsamen Miteinander immer besser werden. Agiles Arbeiten und die daraus resultierenden Vorteile in der Zusammenarbeit werden nicht maßgeblich durch Methoden erreicht, sondern in dem die "Objekte" im Unternehmen zu "Subjekten" werden. Das bedeutet respektvolles Arbeiten auf Augenhöhe mit sinnvoller Arbeitsteilung.

Angenommen in Zukunft werden Routinearbeiten von Wissensarbeitern zunehmend von intelligenten Algorithmen, Augmented Reality und Künstlicher Intelligenz übernommen werden, dann bliebe mehr Zeit, stärker über Innovationen nachzudenken. Das bedeutet, dass die "kreative Klasse" für die Finanzwelt begeistert werden muss. Wer Leistung will, muss Sinn bieten. Aber was ist zukünftig der Sinn traditioneller Finanzinstitute? Wie differenzieren sich diese Unternehmen gegenüber Direktbanken und Transaktionslösungen wie Apple Pay, Paypal oder einer Blockchain-Technologie?

Die Attraktivität und die Chancen für Talente in einer prosperierenden Industrie müssen klar in den Vordergrund gestellt werden. Um in einem Bewerbermarkt mit kreativen Methoden Talente zu werben und zu fördern, braucht es eine Transformation der Finanzdienstleiter. Darüber hinaus muss die Möglichkeit geschaffen werden, die Talente mit den Erfahrungsträgern und der Strategie des Unternehmens zusammenzubringen. Eine Aufgabe, die synchron durch Führungskräfte mit maßgeblicher Unterstützung einer modernen Personalarbeit erfolgen könnte. Denn professionelles HR Management ist genauso ein Handwerk wie Vertrieb, Entwicklung und Produktion.

So werden sich klassische HR-Aufgaben zu Human Capital Management transformieren. Denn Routineaufgaben werden zunehmend durch Algorithmen ersetzt. Avatare erledigen operative Anfragen der Mitarbeiter, Entgeltabrechnungen, Performancereviews und Neubewerbervorauswahl. Für Personaler bedeutet das, mehr Know-how für "New Work" einbringen zu können. Es wird auf die Frage ankommen, wie virtuelles Arbeiten mit hoher Effizienz und Effektivität umgesetzt werden kann. Herausforderungen sind: Talente für das Unternehmen zu gewinnen und diese zu halten.

Eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, dass Menschen mit großer Leidenschaft die Ziele des Unternehmens vorantreiben und stolz auf ihren eigenen Beitrag zur Steigerung des Unternehmenserfolg sind. Ein Ökosystem zu etablieren, welches die Menschen wachsen lässt und zugleich das Unternehmen in seiner strategischen Ausrichtung voranbringt. Je größer das Maß der Digitalisierung im Unternehmen Einzug hält, desto mehr Aufmerksamkeit braucht der Mensch. Automatisierung hilft sich von Routineaufgaben zu befreien, ersetzt jedoch nicht Attribute wie Achtsamkeit und Wertschätzung gegenüber Kollegen und Mitarbeitern.

Mehr Aufmerksamkeit für die Menschen

Gerade in Veränderungssituationen, die in der Regel durch große Unsicherheiten gekennzeichnet sind, ist Mitgefühl vonseiten des Managements gefragt. Gelingt dies Organisationen nicht, werden diese erbarmungslos durch Unternehmensbewertungsplattformen abgestraft. Neubewerber lesen mit großem Interesse solche Bewertungen, bevor sie sich für ein Unternehmen als neuen Arbeitgeber entscheiden.

So wandelt sich das Recruiting zu einer professionellen Akquisitionsaufgabe. Der klassische Recruiter sollte nicht nur professionell den Bewerbungsprozess managen können, er muss heute auch ebenso die gesuchte Stellenbesetzung und das Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber verkaufen können. Für viele HR-Manager ist dies ein völlig neues Feld, da Selling-Skills selten oder überhaupt nicht im Personalbereich zu finden sind. Ebenso trifft es die Personalentwicklung, die durch Antizipation die künftigen Kompetenzen von Mitarbeitern in der Entwicklung und dem Aufbau dieser Fähigkeiten vorwegnehmen muss.

Eine gelebte Fehlerkultur als Zukunftsweg

Auf dem Weg in die digitale Zukunft kann es allerdings an der einen oder anderen Stelle zu Rückschlägen kommen. Wer mutig ist, macht Fehler. Diese müssen zugelassen und akzeptiert werden. Kein Unternehmen kann sich auf Dauer Mitarbeiter leisten, die aus Angst vor Rückschlägen und Schuldzuweisungen sprichwörtlich den Kopf einziehen und eine abwartende Haltung einnehmen, anstatt mit Selbstbewusstsein neue Lösungsideen zu entwickeln. Fehler machen ist heute noch in vielen Köpfen ein Malus und wird nicht als wertvoller Erfahrungsschatz für die Zukunft gesehen. So ist eine Kultur des Scheiterns in vielen Konzernen leider verpönt, auch im Finanzwesen.

Es braucht daher Menschen, die aus der Position der Stärke heraus Mitarbeitern und Kollegen Mut für die Zukunft machen. Denn Innovationen sind nicht aufzuhalten und für Unternehmen im Wettbewerb überlebenswichtig. Und genau hier tut sich für das Personalmanagement eine neue Chance auf, sich von dem Image der Vergangenheit, als administrativer Dienstleister für Fachabteilungen zu lösen. Personaler müssen zu professionellen Sparringspartnern für Führungskräfte und deren Mitarbeiter werden.

Harald Smolak Direktor und Leiter Functional Solution Group Human Resources, Atreus GmbH, München
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