Kommt der digitale Euro?

Anja Kamping, Foto: PPI

Bezahlen per Smartphone oder Kreditkarte ist im Zeitalter von Web 4.0 eine Selbstverständlichkeit, die Nutzerzahlen bargeldloser Zahlungsformen steigen seit Jahren. Die Covid-19- Pandemie hat diesen Trend jetzt noch einmal beschleunigt. Aber haben die existierenden Zahlungsverkehrssysteme überhaupt genug Potenzial, um in der digitalen Welt auf Dauer zu bestehen? Und welche innovativen Ergänzungen sind notwendig? Dieser und weiteren Fragen geht die Autorin in dem vorliegenden Beitrag nach. Die Europäische Zentralbank (EZB) will die Zukunftsfähigkeit des Zahlungsverkehrs über die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung sicherstellen. Die Entscheidung über dieses ehrgeizige Projekt soll spätestens Mitte des Jahres fallen. Doch nach Meinung der Autorin sollten einige Fragen wie die, ob bankeigene Zahlungsverkehrssysteme den nötigen Reifegrad für die Abwicklung eines digitalen Zentralbankgeldes haben, schon vorab gestellt werden. (Red.)

Nicht nur das tägliche Leben hat sich durch die Corona-Krise verändert, sondern auch das Zahlungsverhalten der Bürger. Fast wie selbstverständlich zücken die Konsumenten an den Kassenterminals ihre Karten oder Smartphones und bezahlen damit ihre Einkäufe. Die Vision einer bargeldlosen Gesellschaft scheint näher gerückt zu sein und könnte sich bald als das "New Normal" entpuppen.

In ihrer jüngsten Publikation "Report on a digital euro" vom Oktober 2020 hat die Europäische Zentralbank (EZB) zwar hervorgehoben, dass Bargeld - zumindest in Deutschland - noch das meistgenutzte Zahlungsmittel ist. Aber es ist auch ein deutlicher Trend zu mehr Nutzung von digitalen und innovativen Zahlungsformen feststellbar. Damit der Zahlungsverkehr zukunftsfähig bleibt, braucht es den notwendigen Schritt Richtung Digitalisierung: Die Einführung des digitalen Euros könnte dieser Impuls sein.

Mit der Veröffentlichung ihres ersten Whitepapers zur Einführung einer globalen Digitalwährung hat die Diem Association - die vormalige, von Facebook initiierte Libra Association - die Ansätze zur Digitalisierung von Geld weltweit beschleunigt. Die Einführung des privatwirtschaftlichen Stablecoins "Diem" wurde im Dezember vergangenen Jahres für 2021 angekündigt. Auch dies zählt zu den Gründen, weshalb sich viele Zentralbanken mit der Möglichkeit einer digitalen Zentralbankwährung - oder auch "Central Bank Digital Currency (CBDC)" - intensiv beschäftigen. Eine Abwanderung in private digitale Währungen, die nicht reguliert sind, kann zu einem Verlust der Souveränität führen.

Die digitale Zentralbankwährung darf aber keineswegs mit Kryptowährungen à la Bitcoin gleichgesetzt werden. Wie die Bezeichnung schon aussagt, ist die emittierende Institution nicht die Privatwirtschaft, sondern die Zentralbank. Ulrich Bindseil, Generaldirektor für Marktinfrastrukturen und Zahlungsverkehr der Europäischen Zentralbank, definiert digitale Zentralbankwährungen als eine digitale oder elektronische Form von Zentralbankgeld, welches der Bevölkerung zur Verfügung stehen soll. Der Verbraucher bekäme damit eine weitere Form von Geld für Bezahlvorgänge an die Hand.

Vorteile digitaler Zentralbankwährung

Ein digitaler Euro ist gut, vor allem, weil eine solche Form von Geld verbesserte Prozesse unter anderem im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr verspricht. Aber noch besser wäre ein programmierbarer Euro. Dieser würde in Verbindung mit der Distributed-Ledger-Technologie automatisierte Zahlungsvorgänge möglich machen. Komplexe Prozesse wären dann durch Einbindung von Smart Contracts leichter umzusetzen. So würden vorher definierte Aktionen automatisch ausgeführt, sobald ein bestimmter Auslöser vorliegt. Vor allem die Industrie würde davon profitieren, könnte dies doch den wichtigen Grundstein für M2M-Payments, also das Bezahlen von Maschine zu Maschine, und für Pay-per-Use-Zahlungen legen. Ein programmierbarer digitaler Euro würde auch zu mehr Transparenz bei Zahlungsflüssen führen.

Andere Zentralbanken sind bei der Entwicklung einer Central Bank Digital Currency weiter fortgeschritten. Die Bahamas haben sich die Position als First Mover gesichert und eine digitale Zentralbankwährung, den Sand Dollar, eingeführt. Die chinesische Zentralbank ist ebenfalls sehr weit und führt mehrere Feldversuche in unterschiedlichen Regionen durch. Die Europäische Zentralbank hingegen befindet sich noch in einer sehr frühen Phase und bleibt bezüglich der Ausgestaltung und Art einer digitalen Zentralbankwährung, sprich eines digitalen Euros, noch sehr offen. Die Entscheidung, ob überhaupt ein digitaler Euro eingeführt werden soll, hat sich die EZB für Mitte 2021 vorgenommen.

In ihrem Bericht "Report on a digital euro" hat die EZB wichtige (Schlüssel-) Anforderungen an einen digitalen Euro formuliert. Daraus lassen sich erste Tendenzen hinsichtlich der Bedeutung für den zukünftigen Zahlungsverkehr, das Banking und den (Einzel-)Handel ableiten. So soll der digitale Euro in die bestehende Zahlungsverkehrsinfrastruktur integriert werden und eine Kompatibilität mit privaten Zahlungsverkehrsapplikationen, dem SEPA- und dem Target-System gewährleistet sein.

Ob die Ausgabe und Abwicklung über eine zentrale oder dezentrale Infrastruktur erfolgen soll, ist noch offen. Jedoch hat die Europäische Zentralbank als eine Voraussetzung formuliert, dass die Infrastruktur des digitalen Euro dem aktuellen Stand der Technik entsprechen muss. Die Ausfallsicherheit der Systeme zur Abwicklung ist zwingend zu gewährleisten. Auch die Dienstleistungen rund um den digitalen Euro müssen so ausgestaltet sein, dass sie Cyberangriffen standhalten können. Weiterhin soll der digitale Euro im gesamten Euroraum verfügbar sein. Potenziell ließe sich dessen Verfügbarkeit auch international ausweiten. Um die finanzielle Inklusion voranzutreiben, hebt die EZB hervor, dass der digitale Euro auch für jene EU-Bürger verfügbar sein soll, die keinen Zugang zu einem Bankkonto oder sonstigen klassischen Finanzmitteln haben.

Die Distribution des zukünftigen digitalen Euro und die damit verbundenen Onboarding-Prozesse sollen (beaufsichtigte) Intermediäre übernehmen. Dies schließt Banken, Finanzinstitute und andere Zahlungsverkehrsdienstleister mit ein. Diese müssten geeignete Endverbraucherschnittstellen bereitstellen, damit jeder Verbraucher in der Europäischen Union die Möglichkeit hat, den digitalen Euro zu beziehen. Ob dies über ein von den Intermediären treuhänderisch für die Endkunden verwaltetes Zentralbankkonto ablaufen soll, ist noch nicht geklärt. Ebenso gibt es die Möglichkeit, den digitalen Euro über einen Token, also eine Art Wertgutschein, an die Öffentlichkeit auszugeben. Der digitale Euro muss daher über eine Software, egal, ob App oder Website, oder aber Hardware in Form beispielsweise einer Geldkarte 2.0 bezieh- und nutzbar sein.

Jeder Endverbraucher, aber auch jeder Firmenkunde muss die Möglichkeit haben, den digitalen Euro nutzen zu können. Compliance und regulatorische Aspekte müssen ebenfalls erfüllt sein. Intermediäre sollen Endverbraucher im Rahmen der Anforderungen an Know-Your-Customer, Anti-Money Laundering und Counter-Terrorism Financing Rules authentifizieren. Anforderungen der Payment Services Directive 2 (PSD2) sind ebenfalls anzuwenden.

Der digitale Euro hat das Ziel, als Zahlungsmittel eingesetzt zu werden. Dies schließt den Einsatz am Point of Sale ebenso ein wie Zahlungsmethoden im Internet. Er ist nicht als Ersatz für Giralgeld und physisches Bargeld gedacht, sondern komplementierend und als zusätzlicher Treiber für innovative und digitale Geschäftsmodelle im Finanzsektor. Das digitale Zentralbankgeld würde jedoch dem Bargeld ähnliche Eigenschaften aufweisen, womit die EZB auch die Möglichkeit zur Abwicklung von Offline Payments einschließt. Bürger sollen den digitalen Euro über eine Applikation nutzen können, die leicht verständlich, einfach und intuitiv zu benutzen ist, die Privatsphäre schützt und für den Basisgebrauch keine zusätzlichen Gebühren verursacht.

Diese vielfältigen Anforderungen machen klar, dass sich daraus ein gemeinsames Großprojekt zwischen Banken, Zahlungsverkehrsinstituten und der Europäischen Zentralbank ergibt. Immer vorausgesetzt, dass sich die Europäische Zentralbank dieses Jahr für den digitalen Euro entscheidet. Dabei ist davon auszugehen, dass der digitale Euro nicht im Big-Bang-Verfahren eingeführt wird, sondern im Rahmen einer längeren Übergangsphase. Trotzdem müssen hierfür neue Kanäle im bestehenden Zahlungsverkehrssystem geschaffen werden. Eine strategische Vorbereitung ist für Entscheidungsträger demzufolge unabdingbar; sie sollte die folgenden Fragestellungen einschließen:

- Sollte sich die EZB für eine dezentrale Infrastruktur entscheiden: Ist diese über die bestehende Infrastruktur abzubilden oder sind technische Vorbereitungen notwendig?

- Haben die bankeigenen Zahlungsverkehrssysteme den nötigen Reifegrad für die Abwicklung eines digitalen Zentralbankgeldes?

- Können die nötigen User-Interfaces bereitgestellt werden, damit Privatverbraucher und Firmenkunden den digitalen Euro beziehen können? Wie lassen sich Prozesse und Design der Interfaces gestalten, damit der Endverbraucher den digitalen Euro einfach und bedienungsfreundlich beziehen kann?

- Gibt es neue Geschäftsmodelle, die sich mit dem digitalen Euro ergeben?

- Wie lässt sich ein Bezahlvorgang mit dem digitalen Euro im (Einzel-)Handel beziehungsweise im Onlinehandel gestalten? Wie können Offline-Zahlungenablaufen?

Dies ist nur eine Auswahl von Fragestellungen, bei denen mindestens geprüft werden sollte, ob bereits heute Handlungsbedarf besteht. Denn sollte die Entscheidung zugunsten der Einführung des digitalen Euro fallen, ist eine solide strategische Planung Gold wert.

Weiterführende Literatur

Europäische Zentralbank: Report on a digital euro, Brüssel, Oktober 2020

PPI AG: Internet of Payments, Hamburg 2020

Bindseil, Ulrich: Tiered CBDC and the financial system, Working Paper Series, Nr. 2351, Januar 2020

Weltbank: Account ownership at a financial institution or with a mobilemoney-service provider (% of population ages 15+), Stand 2017

Anja Kamping Senior Consultant, PPI AG, Hamburg
 
Anja Kamping , Senior Consultant, PPI AG, Hamburg
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