Regulierung: Kritische Anmerkungen zur aktuellen Entwicklung in der Regulatorik der Banken

Nach 37 Berufs- und Ausbildungsjahren hat der Autor anlässlich seines Abschieds als Vorstandsvorsitzender der Saar-LB Ende vergangenen Jahres "einige persönliche Anmerkungen" gemacht, insbesondere zu den Auswirkungen der Regulierung der Banken auf regionale Wirtschafts- und Finanzstrukturen. Die Redaktion zitiert die Rede im Wortlaut. (Red.)

Trotz aller notwendigen Berechtigungen zu grundsätzlichen Korrekturen im Finanzsystem, als Antwort auf maß- und zügellose Übertreibungen großer Teilnehmer an den Finanzmärkten und im Besonderen im Investmentbanking, stelle ich aus meiner regionalen, bankmittelständischen Sicht fest: Wir sind inzwischen in der Regulierung der Finanzmärkte in einer von politischem Populismus verursachten Phase der Übertreibung angekommen, insbesondere im Vergleich zu Regulierungen in USA oder China, den gewichtigsten Wettbewerbern des Europäischen Wirtschaftsraums. Zum Vergleich: Basel II konnte noch auf verständlichen 320 Seiten Text verfasst werden. Basel III benötigt 4 300 englische Seiten Text!

Frage nach der Regulierungskostentragfähigkeit

Deutlich werden die Belastungen und Auswirkungen der Regulierung auf die Banken auch durch diverse Äußerungen aus der Branche: So konstatierte der Chef der DZ-Bank, Wolfgang Kirsch, anlässlich der European Finance Week in Frankfurt: "Die immer neuen Belastungen aus der Regulierung, die Fragmentierung der Branche und die starken Wettbewerber in den USA werden den Geldhäusern auch in den kommenden Jahren zu schaffen machen. Im Börsenjargon würde man von einer Gewinnwarnung für unsere Branche sprechen." Bundesbankpräsident Weidmann stellt selbstkritisch fest: "Die Vielzahl der Initiativen erschwert den Überblick und die Folgeabschätzungen. Nach dem Motto besser gründlich als schnell, wäre es daher notwendig, den Gesamteffekt der Regulierungsagenda abzuschätzen und in einer Kosten-Nutzen-Analyse zu bewerten." Recht hat er! Und Sparkassenpräsident Georg Fahrenschon meint: "Die Bankenregulierung wird zum systemischen Risiko. Gesetzgebern, Betroffenen und wohl auch den Aufsehern ist der Überblick verloren gegangen."

Neben der von Aufsehern viel strapazierten Risikotragfähigkeit muss die Frage nach der Regulierungskostentragfähigkeit gestellt werden. Hier wäre es unter anderem einmal interessant zu vergleichen zwischen dem Stellenaufbau und Bezahlstrukturen in den Europäischen Aufsichtsbehörden wie EZB, ESMA, EBA oder EFSM, auch die nationalen Aufsichten dürfen nicht vergessen werden, und dem Beschäftigungsabbau in den Marktbereichen kleiner und mittlerer Institute. So freute sich vor Kurzem die Chefin der Europäischen Bankenaufsicht Danièle Nouy über die Zahl von mehr als 20 000 Bewerbern.

Wir mittelständischen Banken können von solch einem Bewerberansturm nur träumen, aber es ist wohl heute attraktiver in der Aufsicht zu arbeiten, ohne dabei bei jeder einzelnen Geschäftsentscheidung auch Risiken eingehen zu müssen, als bei einer marktbearbeitenden Bank. Irgendwie läuft da was falsch in der Nahrungskette, denn ohne Geschäft in Banken, benötigt man auch keine Aufsicht!

Keine Differenzierung?

Das verstößt gegen meine persönliche Überzeugung von der noch bestehenden Stärke der deutschen Wirtschaft. Deutschland ist der föderalste Staat der Welt, die deutsche Volkswirtschaft wird mit Abstand und Erfolg am stärksten von mittelständischen Strukturen getragen. Mittelstand ist regional verwurzelt und wird mit am besten von regionalen Kreditinstituten verstanden und unterstützt.

Das kann man vielfältig belegen, zum Beispiel damit, dass Sparkassen und Landesbanken in den Jahren der Finanz- und Wirtschaftskrise sich nicht als Finanzpartner zurückgezogen haben, sondern weiter ihre Finanzierungsbereitschaft offengehalten haben. Wer genau analysiert, wird feststellen, dass die Risikokosten der regionalen Kreditinstitute in der Kreditvergabe an ihre regionalen Mittelstandskunden im Vergleich zur gesamten Risikokostenentwicklung in der Branche unterdurchschnittlich waren. Das hat selbst die standardsetzende EBA (European Banking Authority) inzwischen erkannt und die ursprünglich geforderte Kapitalunterlegung für derartige Kredite reduziert.

Öffentliche Drohgebärden vermeiden

Kann es sein, dass eine führende Persönlichkeit in der europäischen Bankenaufsicht ohne jede selbstkritische Reflexion öffentlich bekennt, "... wir haben beim Stresstest in den Büchern der Banken wahre Goldadern (gemeint sind Bewertungsmissstände) gefunden und wir werden sie konsequent ausbeuten ..."?

Meines Erachtens liegt die prioritäre Aufgabe einer Aufsicht darin, Sicherheit und Vertrauen im Bankensektor herzustellen und zu wahren und sich nicht damit zu brüsten nach jeder Art Fehler zu fahnden und konsequent zu ahnden. Mit derartigen öffentlichen Drohgebärden wird Gegenteiliges bewirkt, Misstrauen wird weiter wachgehalten oder gar gesät und gleichzeitig vergessen, dass gerade auch Banken eine wichtige Investorengruppe in Verbriefungsmärkten darstellen.

Wer das Postulat Single Rule Book, das heißt, alle Banken in Europa werden nach den gleich hohen Maßstäben beaufsichtigt und reguliert, unabhängig von ihrer Größe und ihrem Geschäftsmodell, das heißt keine Differenzierung zwischen einer großen grenzüberschreitend in risikoreicheren Geschäften tätigen Geschäftsbank und einer regional risikokonservativ agierenden, mittelständischen Bank, Sparkasse oder Volksbank, vehement vertritt, der setzt die Mittelstandsstärke der deutschen Volkswirtschaft aufs Spiel. Vielleicht ist dies ja von einigen in der Europäische Union so gewollt?

Fehlender Mut zur kritischen Bürokratiekontrolle

Wir Banker dürfen immer weniger Verantwortung übernehmen, werden gezwungen uns mit ausuferndem Meldewesen zu beschäftigen und im Rahmen zunehmend intensiverer aufsichtsrechtlicher Prüfungshandlungen immer umfangreicher für unsere getroffenen Entscheidungen zu rechtfertigen.

Fast paranoid ansteigende Ansprüche der Aufsichten an nicht mehr überschaubare oder durchschaubare Meldedatenanforderungen sind auf dem besten Weg, den im Mittelpunkt stehenden Geschäftszweck einer Bank, ihre Kunden zu finanzieren beziehungsweise sie in Anlagen zu beraten, zu verdrängen. Allein die gesetzlichen europäischen und nationalen Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung von Banken umfassen einschließlich der Ausführungsbestimmungen der EBA mehr als 1 200 Seiten. Als ich 1977 in meiner Banklehre steckte, benötigte das gerade novellierte KWG im § 10 Grundsatz 1 sechs Textzeilen. Ein Vergleich mit den gesetzlichen Anforderungen beispielsweise an den Gesundheitssektor, wo es um Leib und Leben geht, wäre sicherlich aufschlussreich.

Berechtigte Frage: Wann hat jemand den Mut zu einer kritischen Bürokratiekontrolle in der europäischen Bankenaufsicht und eine sich prächtig entwickelnde Jobmaschine, ohne jede eigene Kostenverantwortung, zu stoppen?

Vom Markt her denken

In vielen Sektoren wird ein Wechsel von markterfahrenen Experten in aufsichtsrechtliche Funktionen gewünscht und gefördert, um markt-/kundenbezogene Anforderungen aus eigener Erfahrung einzubringen und so bei der Festlegung und Auslegung von Normen einfließen zu lassen. Bei uns im Haus gilt das Credo, die Bank vom Markt denken.

Es soll nicht verschwiegen werden, dass sich mit Andreas Dombret im Bundesbankvorstand und Felix Hufeld an der Spitze der Versicherungsaufsicht ehemalige Topmanager ihrer Industrie befinden, aber sie sind leider die redliche Ausnahme. Es geschieht eben auch, dass aufsichtsrechtliche Bankenprüfungen von jungen griechischen und rumänischen, mathematisch und statistisch ausgebildeten Prüfern mit geringer Berufserfahrung, geschweige denn praktischen Kenntnissen aus dem Kundengeschäft vorgenommen werden.

Selbstverpflichtende Kultur in den Banken etablieren

Aus der Brille des überzeugten Regionalbankers ist zur Wachsamkeit aufzurufen, dass die Balance zwischen denjenigen in Banken, die zuständig sind Geschäfte zu entwickeln - also das Institut zu ernähren - und den ohne Frage notwendigen Spezialisten für Risikomanagement, Steuerung oder Berichts- und Meldewesen nicht ins nachteilige Ungleichgewicht gerät. Man sollte sich keinen Illusionen hingeben, dass unsere regulierungswütigen Zeiten morgen gleich enden werden, aber wir dürfen das Risiko nicht zulassen, das ich so beschreiben will: "Good banking get lost in regulation!"

Wenn es nicht gelingt, in den vorgenannten Punkten ein Nach- und Umdenken einzuleiten, wird sich dies als erstes im regionalen Geschäft in der Fläche mit mittelständischen und privaten Kunden auswirken. Vielleicht käme dies aus Wettbewerbssicht manchem schwächeren europäischen Nachbarn nicht unge legen?

Allerdings ist es auch erforderlich, eine starke selbstverpflichtende Kultur in den Banken zu etablieren. Nicht alles, was das Gesetz nicht ausdrücklich verbietet, muss erlaubt sein. Es gilt nicht, jede gesetzliche Lücke auszunutzen und so aufsichtsrechtliche Regelungen bis zur Überreizung auszutesten. Vielmehr sollte man sich einem Rat von Bundesbankvorstand Andreas Dombret anschließen, der den Griechen Seneca zitierte und empfahl: "Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet vielleicht der Anstand."

Die Zwischenüberschriften sind von der Redaktion eingefügt worden.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X