Regulierung

Tagesarbeit unter extremer Unsicherheit

Für außenstehende Beobachter bieten Europa und seine politischen Instanzen dieser Tage ein seltsam verworrenes Bild. Auf der einen Seite arbeiten sie tapfer an den vielen angestoßenen Projekten und ihrer Ausgestaltung im Detail. Und auf der anderen Seite sorgt die weltpolitische Lage fast täglich für neue Unsicherheiten und stellt selbst die so dringend erforderliche Klärung der elementaren Frage der Weiterentwicklung Europas als Ganzes infrage. Angefangen von den kaum nachvollziehbaren Kapriolen rund um das geplante und dann doch wieder ausgesetzte Gipfeltreffen des amerikanischen Präsidenten mit dem nordkoreanischen Machthaber über den anhaltenden Disput und das harte Ringen im weltweiten Handelsstreit bis hin zu dem höchst umstrittenen Programm der neuen italienischen Regierung gibt es auch in der Woche nach Pfingsten erschreckend wenig Erleuchtung, aber eine Fülle ungeklärter Entwicklungen beziehungsweise ungelöster Fragen von enormer Tragweite. Die konkreten Folgewirkungen für Europa lassen sich nicht einmal in Ansätzen abschätzen.

Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission in der vorletzten Maiwoche gleich drei Vorhaben konkretisiert, von denen sie sich Impulse für Europa verspricht. Sie legte ein Maßnahmenpaket zur Erleichterung des Zugangs von kleineren und mittleren Unternehmen an den Kapitalmarkt vor, das für KMUs vereinfachte Anforderungen an eine Börsennotierung vorsieht. Sie schlug eine Verordnung für ein europaweit einheitliches Klassifikationsschema für nachhaltige Finanzanlagen vor und verzichtete dabei auf die höchst umstrittene Aufnahme von Eigenkapitalvorschriften für grüne Anlagen. Und sie veröffentlichte schließlich einen Gesetzesentwurf zur Ausgestaltung von sogenannten Sovereign-Bond-backed-Securities (SBBS), der bei Umsetzung wahrscheinlich die stärksten Auswirkungen für Europa haben würde. Im Prinzip sieht dieses Konzept eine neue Anleiheklasse vor. Dabei sollen Staatsanleihen aller 19 EU-Mitgliedstaaten exakt nach dem EZB-Kapitalschlüssel bei einer Zweckgesellschaft gepoolt und zu 70 Prozent als Senior-Tranche mit niedrigem Zins als "sichere" Assets veräußert werden. Die restlichen 30 Prozent sollen in eine Junior-Tranche fließen, der bei einem Ausfall der First Loss zugewiesen wird. Aufsichtsrechtlich sollen die neuen SBBS wie derzeit auch Staatsanleihen von Eigenkapitalanforderungen verschont bleiben.

Ob es in turbulenten Marktphasen zu einem Kollaps der Nachfrage nach risikobehafteten Tranchen kommen könnte, die durch die Hintertür über den entstehenden politischen Druck fast zwangsläufig die Einführung einer Gemeinschafshaftung bedeuten könnte, liefert erwartungsgemäß reichlich Zündstoff für Politiker und Interessenvertreten. Wie viele Interessenvertreter aus dem Bankensektor und der sonstigen Wirtschaft hat sich der Bundesfinanzminister prompt ablehnend geäußert. Aus seiner Partei kommen allerdings auch Stimmen, die den Status quo mit Staatsanleihen von Krisenländern in den Bilanzen von Banken aus Krisenländern als nicht weniger riskant einstufen als diversifizierte SBBS mit gewissem Risikopuffer in den Bankbilanzen.

Falls es die SBBS schon geben würde, wäre es sicherlich sehr interessant zu beobachten, wie sich dieses Kapitalmarktinstrument unter den möglichen Stressszenarien eines absehbaren Interessenkonfliktes um Verschuldungsgrad und Haushaltsdisziplin zwischen der neuen italienischen Regierung und der EU entwickelt. Aber für ein solches Experiment unter realen Marktbedingungen wäre ein Scheitern gewiss zu kostspielig. Den verantwortlichen europäischen Spitzenpolitikern verdeutlicht das Beispiel SBBS einmal mehr ihr großes Dilemma. Mit einer Einigung auf den kleinstmöglichen Nenner lassen sich die Wähler in den Nationalstaaten kaum für Europa begeistern. Aber Mut zum unkalkulierbaren Risiko kann eben auch nicht der richtige Weg sein.

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