Geldpolitik

Temporär?

Ach, was war das nur für eine unwürdige Schlammschlacht um das Weiße Haus? Das Vertrauen vieler Menschen in die vermeintliche Vorzeige-Demokratie USA dürfte angesichts der wilden gegenseitigen Vorwürfe und Lügen zweier sich inzwischen völlig unversöhnlich gegenüberstehenden Lager nachhaltig erschüttert worden sein. Doch ganz abschreiben sollte man diese große und stolze Nation natürlich nie - das Land der unbegrenzten Möglichkeiten bietet schließlich immer auch ein entsprechendes Kontrastprogramm. Eine Institution, auf die das zutrifft und die somit gleichzeitig den Glauben an eine bessere USA hochhält, ist die Federal Reserve.

Inmitten der zu diesem Zeitpunkt noch offenen Präsidentschaftswahl und der dritten großen Corona-Ausbreitungswelle in den USA widmete sie sich auf ihrer Sitzung vom 5. November gewohnt seriös ihrer Arbeit an Sachthemen zum Wohle des Landes. Die Bandbreite des Leitzinses verblieb dabei erwartungsgemäß in der Spanne zwischen 0,00 und 0,25 Prozent. Gleichzeitig wurde aber der Boden bereitet für weitere geldpolitische Lockerungen. So ließ Fed-Präsident Jerome Powell wissen, dass zwar keine Anpassungen im Bereich Quantitative Easing (QE) vorgenommen wurden, die dazugehörigen Parameter (Dauer, Umfang und Zusammensetzung) seien aber durchaus von den Notenbankern diskutiert worden.

Keinen Kommentar gab es natürlich zur Präsidentschaftswahl, obwohl Powell & Co. zu diesem frühen Zeitpunkt sicher schon erahnen konnten, dass der Wahlausgang einige Komplikationen für die künftige amerikanische Fiskal- und damit letztlich auch für die Geldpolitik mit sich bringen würde. Tatsächlich wird die Handlungsfähigkeit von Joe Bidens Regierung aufgrund der nicht erreichten Mehrheit im mächtigen US-Senat eingeschränkt sein. Massive fiskalpolitische Stimuli, wie sie die Demokraten im Wahlkampf als Antwort auf Corona in Aussicht gestellt hatten, sind somit allein aufgrund der zu erwartenden Blockadehaltung der Republikaner eher unwahrscheinlich. Im Umkehrschluss bedeutet dies freilich auch, dass der Druck auf die US-Notenbank in den kommenden Jahren tendenziell noch steigen könnte.

Mit steigendem Druck aufgrund fiskalpolitischen Stillstands ist auch die EZB zur Genüge vertraut. Mitte November waren es Polen und Ungarn, die sich bei den Verhandlungen zum EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre sowie dem europäischen Corona-Rettungsfonds querstellten. Unabhängig vom Ausgang dieser Hängepartie wird die EZB im Dezember aller Voraussicht nach noch einmal ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft in der Eurozone präsentieren. Im Raum stehen dabei sowohl eine neue Serie von zielgerichteten Langfristtendern (TLTROs) zur Liquiditätsversorgung von Geschäftsbanken als auch eine Laufzeitverlängerung (vermutlich um sechs Monate bis Ende 2021) und Volumenerhöhung (um 600 Milliarden Euro) der bislang maximal 1,35 Billion Euro umfassenden PEPP-Anleihekäufe. Die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Lockerungen bekräftigte EZB- Präsidentin Christine Lagarde am 11. November zum Auftakt des üblicherweise im portugiesischen Sintra stattfindenden EZB-Forums zur Geldpolitik. Und sie tat dies wohlgemerkt trotz der kurz zuvor von Pfizer und Biontech ausgelösten Hoffnung auf einen möglicherweise schon bald einsatzbereiten Corona-Impfstoff.

Wenn man bedenkt, dass das PEPP explizit als temporäres Nothilfeprogramm bis zur Überwindung der kritischen Covid-19-Phase vorgesehen ist, dann wirkt die Eile des EZB-Rats durchaus befremdlich. Ein neues Phänomen ist es gleichwohl nicht. Denn wie großzügig die EZB ihre eigens gesetzten Vorgaben auslegt, zeigen die Erfahrungen mit den anderen "temporären" Anleihekaufprogrammen seit der Finanzkrise: Diese laufen größtenteils immer noch oder wurden durch neue ersetzt.

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