Bundesverfassungsgericht

Ein Urteil mit Folgewirkungen

Wissenschaftlern wird leicht vorgehalten, etwas weltfremd zu sein und sich beispielsweise noch mit den Details akademischer Fragestellungen zu beschäftigen, wenn sich die Welt längst anderen Dingen zugewendet hat. Diese Befürchtungen mögen Ende Januar dieses Jahres vielleicht mitgeschwungen haben, als der sogenannte Kronberger Kreis, also der wissenschaftliche Beirat der Stiftung Marktwirtschaft, seine jüngste Studie zu dem Mitte Februar anstehenden Verfahren des Bundesverfassungsgerichtes zum OMT-Urteil des Europäischen Gerichtshofes EuGH vorstellte. Nach der bis weit in das vergangene Jahr alles beherrschenden Griechenlandkrise und der längst nahtlos in das Füchtlingsthema übergegangenen öffentlichen Diskussion betonten die Wissenschaftler gleich am Anfang völlig zu Recht die Schwierigkeiten, das Augenmerk auf ein vermeintliches Randthema zu lenken - nämlich die dieser Tage anstehende Positionierung des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) zum Urteil des EuGH zum Outright-Monetary-Transactions-Programm der Europäischen Zentralbank. Diese Einschätzung der Dinge scheint umso berechtigter, als das umstrittene OMT-Programm zwar im Herbst 2012 geschaffen wurde, in der Praxis aber bislang keine Anwendung fand und damit keine praktische Relevanz hatte. Gleichwohl stuft der Kronberger Kreis die Haltung des BVerfG in dieser Frage insofern als eminent wichtig ein, als damit die Handlungsfähigkeit der obersten deutschen Gerichtsinstanz in allen Rechtsfragen mit Europabezug auch für die Zukunft stark beeinflusst wird.

In der Sache werten die Wissenschaftler die Absicht der EZB, mit einem gezielten Aufkauf besonders risikobehafteter Staatsanleihen einheitliche Wirkungen geldpolitischer Signale in den Mitgliedsstaaten zu erzielen, als klaren Verstoß gegen das Verbot einer systematischen Einmischung der EZB in die den Nationalstaaten vorbehaltenen Befugnisse zur Ausgestaltung der nationalen Wirtschaftspolitik. Diese klare Haltung haben der Sprecher des Kronberger Kreises Lars P. Feld und seine wissenschaftlichen Mitstreiter auch beim Bundesverfassungsgericht ausgemacht. Nachdem das BVerfG aber im Jahre 2014 dem EuGH mehrere Fragen zur Vereinbarkeit des OMT-Programms mit dem Recht der EU zur Vorprüfung vorgelegt hatte und Letzterer im Juni vergangenen Jahres zu dem Urteil kam, das OMT-Programm sei durch die Zuständigkeit der EZB gedeckt, sehen sie das BVerfG bei seiner Positionierung nun bei der Wiederaufnahme des Verfahrens Mitte Februar in einem erheblichen Dilemma. Soll sich das Gericht in seiner Urteilsbegründung gegen den EuGH stellen? Soll es dem EuGH-Urteil vorbehaltlos folgen?

Beide Optionen hält der Kronberger Kreis offensichtlich für gefährlich. Einerseits warnt er angesichts der möglichen Folgen weit über diesen konkreten Fall hinaus vor einem Bruch des europafreundlichen Kooperationsverhältnisses zwischen BVerfG und EuGH bis hin zu einer Rechtskrise in Europa. Andererseits sieht er auch bei einer uneingeschränkten Übernahme einen Präzedenzfall geschaffen, der dem Gericht eine eigenständige Positionierung bei der Begrenzung der Kompetenzen der EZB für die Zukunft nahezu unmöglich macht. Als Kompromisslinie zur Beherrschung des Konfliktes wird deshalb vorgeschlagen, dem EuGH-Urteil im Ergebnis zu folgen, sich aber durch eine abweichende rechtliche Begründung des eigenen Urteils für die Zukunft Freiräume zu erhalten. In der Sache gründet sich diese Empfehlung der Wissenschaftler auf ihre Überlegungen in einer kürzlich veröffentlichten Studie. Aus ökonomischer wie auch aus juristischer Sicht haben sie darin über die knifflige Gesamtlage nachgedacht und Szenarien aufgezeigt, wie die Spielräume zwischen den Extrempositionen ausgefüllt werden können. Dem Tenor nach wahrt das Gericht mit einer vom EuGH-Urteil abweichenden Begründung zu OMT wenigstens die Möglichkeit, Maßnahmen der EZB anhand des eigenen Verständnisses der geltenden unionsrechtlichen Maßstäbe zu prüfen. Auch auf diesem Weg würde es freilich spannend bleiben, wie deutlich das BVerfG dabei wird. Denn auch das hat in Zeiten eines Brexit-Votums in Großbritannien und nationalistischen Bestrebungen in Ungarn und Polen bis in die obersten Rechtsinstanzen hinein Signalcharakter hinsichtlich der Stabilität der EU als Rechtsgemeinschaft.

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