Börsen

Verzweifelte Wachstumsversuche

Das Übernahmefieber der Börsenbetreiber ist wieder in Wallung gekommen. Die London Stock Exchange Group will den ehemals zu Thomson Reuters gehörenden Datenanbieter Refinitiv für 27 Milliarden Dollar übernehmen. Es ist eine in vielerlei Hinsicht überraschende Transaktion. Überraschend kam sie vor allem auch für die Deutsche Börse, die nun - mal wieder - bei dem Versuch anorganisch zu wachsen in die Röhre schaut. Mit der Übernahme wurde rabiat der Versuch der Frankfurter ausgebremst, die Devisenplattform FX All aus dem Refinitiv-Konzern herauszulösen. Überraschend ist aber neben der Größe auch das Ziel an sich. Natürlich gehört das Datengeschäft zu einem Börsenbetreiber. Doch meist geht es eher um Kurs- und Transaktionsdaten. Bei vielen großen Börsenbetreibern macht dieser Posten dann auch selten mehr als 20 Prozent des Umsatzes aus. Das Datenangebot von Refinitiv geht weit über Kursdaten hinaus. So gehört das Terminal Eikon - ein Konkurrenzprodukt zu Bloomberg - zum Konzern. Der Umsatzanteil der Sparte Daten wird damit - sofern die Fusion durchkommt - bei den Briten auch auf deutlich über 50 Prozent in die Höhe schießen.

Es mag überraschend gekommen sein, aber es klingt sinnvoll. Anorganisches Wachsen ist als Börsenbetreiber - das muss auch mal zur Entlastung der Deutschen Börse gesagt werden - nicht so einfach. Das Beispiel der Börse Oslo früher in diesem Jahr hat gezeigt, dass es selbst bei den Randbörsen schwierig ist, zum Zuge zu kommen. Nasdaq und Euronext hatten versucht die kleine skandinavische Börse zu bekommen (siehe ZfgK 11-2019). Am Ende setzte sich Euronext durch und Nasdaq hatte das Nachsehen. Die Übernahme von Refinitiv ist von der Londoner Börse der Versuch, über eine breitere Aufstellung des Geschäfts zu wachsen. Es könnte ein Trend in der Branche werden. Auch der Euronext Chef hat Anfang August bei der Präsentation der Quartalszahlen klargemacht, dass der paneuropäische Börsenbetreiber nur zwei Wege sieht zu wachsen: Entweder über die Ausweitung des föderalen Modells durch die Aufnahme eines weiteren unabhängigen Akteurs - doch das trifft auf die bereits erwähnte Problematik - oder eben durch die Diversifizierung bei Finanzdaten oder Nachhandelsdienstleistungen.

Die Deutsche Börse ist entlang der Börsenwertschöpfungskette schon relativ breit aufgestellt. Neben dem klassischen Handel sind unter anderem Clearing, die Abwicklung und Verwahrung, regulatorische Dienstleistungen et cetera Teil der Gruppe. Doch Theodor Weimer als CEO der Deutschen Börse ist keineswegs untätig. Kleinere Übernahmen werden und wurden getätigt: zum Beispiel im April der US-Anbieter von Portfolio- und Risiko-Management-Lösungen Axioma sowie ganz aktuell die australische Ausmaq - ein Fondsdienstleister. So strategisch sinnvoll diese auch sein mögen, sie werden die Frankfurter nicht an die Spitze der Börsenwelt katapultieren, mangels Masse. Da war der geplante Teilkauf von Refinitiv schon eine größere Hausnummer, die ebenso scheiterte wie der letzte richtig große Versuch, damals noch von Carsten Kengeter: Die Londoner Börse, die nun eben stattdessen der Deutschen Börse den Happen vom Teller gezogen hat.

Die großen Happen auf der Merger-Tafel der Börsenbetreiber werden weniger und auch immer größer. Die Deutsche Börse sollte zügig Ideen entwickeln, das anorganische Wachstum voranzutreiben. Dynamisches organisches Wachstum wäre möglich, wenn es gelingen würde, in Deutschland eine Aktienkultur wie in den USA zu erreichen. Doch davon ist dieses Land meilenweit entfernt. Das wäre auch mit der risikoaversen deutschen Mentalität nicht vereinbar. Zudem sorgt gerade die drohende Konjunkturabschwächung dafür, dass die Emissionstätigkeit neuer Unternehmen nahezu zum Erliegen kommt (siehe ZfgK 15-2019). Es besteht für die Deutsche Börse die Gefahr, dass der in der "Roadmap 2020" formulierte Dreiklang aus organischem Wachstum, gezielten Akquisitionen und Investitionen in Zukunftstechnologien zum Einklang wird.

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