Europäische Kapitalmarktunion

Wunschdenken - oder mehr?

Mitte Februar 2015 präsentierte die Europäische Kommission ein Grünbuch zur Kapitalmarktunion. Diese ist als Ergänzung zur Bankenunion zu sehen. So geht mit Schaffung der Kapitalmarktunion in den kommenden fünf Jahren der schrittweise Abbau der Fragmentierung der Finanzmärkte einher. Erreicht werden soll dies anhand von drei Zielen. Erstens: Ausweitung und Diversifizierung der Finanzierungsquellen in Bezug auf europäische wie internationale Anleger; zweitens: Stärkung kostengünstiger, grenzüberschreitender Kapitalflüsse; und, von besonderer Relevanz, drittens: Verbesserung des Zugangs kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) zu Finanzmitteln. Am Ende dieses Prozesses steht die Schaffung eines grenzüberschreitenden europäischen Kapitalmarktes der 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die Europäische Kommission drängt also auf eine zunehmend bankenunabhängige Finanzierung von KMU. Zu diesem Zweck propagiert sie die (Wieder-)Belebung des Marktes für Verbriefungen. In Anbetracht der Tatsache, dass das klassische Bankdarlehen für mehr als 60 Prozent aller KMU die ausschlaggebende Finanzierungsquelle darstellt, Schuldverschreibungen jedoch nur für 5 Prozent überhaupt Relevanz besitzen, ist dies zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung. Als unterstützend erweist sich darüber hinaus die infolge des Deleveraging des Bankensektors in zahlreichen EU-Staaten unverändert eingeschränkte Verfügbarkeit klassischer Darlehen.

Allerdings kränkelt der europäische Markt für Verbriefungen gewaltig: das Neuemissionsvolumen fiel von 819 Milliarden Euro 2008 auf nur noch 216 Milliarden Euro 2014. Als beeinträchtigte diese Entwicklung die Liquidität des Sekundärmarktes nicht schon genug, wurden hiervon lediglich 78 Milliarden Euro öffentlich am Markt platziert. Die verbleibenden 138 Milliarden Euro sind seitens der Banken einbehaltene Kreditverbriefungen, die einzig zu dem Zweck emittiert wurden, um sie bei der Zentralbank als Pfand zu hinterlegen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Liquidität entsprechender Papiere dank des im November 2014 verabschiedeten ABS-Ankaufsprogramms (ABSPP) der Europäischen Zentralbank (EZB) weiter abgenommen hat. Das sich stetig reduzierende Angebot dieser unlängst noch als toxisch verschrienen Wertpapiere führt dazu, dass die Kurse - sehr zur Freude der Investoren - steigen.

Mit einem Volumen von knapp 74 Milliarden Euro liegt der deutsche Verbriefungsmarkt im europäischen Vergleich weit abgeschlagen hinter den Niederlanden (258 Milliarden Euro), Spanien (167 Milliarden Euro) oder Italien (164 Milliarden Euro). Inwiefern die Schaffung der Kapitalmarktunion dies nachhaltig zu ändern vermag, sei dahingestellt; verweisen doch mittlerweile mehr als ein Drittel aller europäischen KMU darauf, dass sie infolge einer hinreichenden Innenfinanzierung aktuell (sprich trotz eines historisch niedrigen Leitzinses) keinen Bedarf an Bankdarlehen hätten. In Deutschland gilt dies für nahezu die Hälfte aller KMU. Offenkundig ist der geldpolitische Transmissionsmechanismus der EZB ins Stocken geraten. Die auf den Zinskanal gesetzten Hoffnungen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Dies sowie die abnehmende Bedeutung des klassischen Bankkredits als Finanzierungsinstrument KMU wirft die Frage auf, wer von der Kapitalmarktunion profitieren wird. Dies dürften wohl vor allem KMU sowie Banken aus dem südeuropäischen, weniger jedoch aus dem nordeuropäischen Raum sein. Papier ist bekanntermaßen geduldig. Um der Europäischen Kapitalmarktunion zu einem nachhaltigen Erfolg zu verhelfen, ist die Europäische Kommission gut beraten, ihre Prämissen an der Realität zu justieren. Sonst ist ein weiteres Auseinanderdriften der europäischen Geld- und Kapitalmärkte nicht auszuschließen.

Prof. Dr. Leef H. Dierks, Professur für Internationale Kapitalmärkte, Fachhochschule Lübeck

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