Redaktionsgespräch mit Georg Fahrenschon

"Niemand in der deutschen Kreditwirtschaft trägt die Digitalisierung so in die Breite wie die Sparkassen"

Georg Fahrenschon, Präsident, Deutscher Sparkassen- und Giroverband e.V., Berlin

Für eine nachhaltige Finanzpolitik, für die Vermögensvorsorge und für das Sparen einzutreten, sind für Georg Fahrenschon historische Aufgaben der Sparkassen. Nicht zuletzt diese Prinzipien auch im öffentlichen Diskurs wieder stärker hervorzuheben und in der Wahrnehmung der Kunden besser zu verankern, ist für den Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes beim anstehenden Sparkassentag in Düsseldorf und auch darüber hinaus eine richtungsweisende Haltung. Stark gefährdet sieht er die Aufgabenerfüllung seiner Mitgliedsinstitute in Gesellschaft und Wirtschaft derzeit sowohl durch die aktuelle Geldpolitik der Europäischen Zentralbank als auch durch die Vielzahl von Regulierungsvorschriften für Kreditinstitute mit ihren unkalkulierbaren Nebenwirkungen. Die Arbeit an den richtigen (Entscheidungs-)Strukturen seiner Gruppe sieht er auf einem guten Weg. (Red.)

"Einfach anders" lautet das Motto des diesjährigen Sparkassentages. Wie ist das zu verstehen, Herr Fahrenschon?

Sparkassen unterscheiden sich in ihrer Struktur und in ihrer Geschäftspolitik deutlich von den Wettbewerbern: Sie stehen allen gesellschaftlichen Gruppen offen, werden getragen von Landkreisen oder Städten und in einzelnen Fällen auch direkt von der Bürgerschaft. Im Vordergrund steht nicht die Erzielung maximaler Renditen, sondern die Aufgabenerfüllung für mittelständische Unternehmen und Privatpersonen. Sparkassen sind zentrale Treiber regionaler Wirtschaftskreisläufe. Sparkassen wurden einst gegründet, um den Menschen in schwierigsten politischen und wirtschaftlichen Zeiten an der Seite zu stehen und ihnen dabei zu helfen, Vorsorge zu betreiben. Sparkassen sind der Arm der sozialen Marktwirtschaft in der deutschen Kreditwirtschaft. Das alles wollen wir wieder stärker herausarbeiten, weil es für unsere Kunden zunehmend wichtiger wird.

Ist dieses Konzept in Zeiten der Digitalisierung, in denen der Vertrieb maßgeblich über den Preis erfolgt, wirklich ein Wettbewerbsvorteil?

Für Kunden spielt bei der Wahl ihrer Hausbank keineswegs nur der Preis eine Rolle. Immer wichtiger wird, welche Leistungen erbracht werden und welche Wertvorstellungen hinter diesen Leistungen stehen. Verlässlichkeit ist dabei eine zentrale Größe: Ist derjenige, der rund um mein eigenes Geld, rund um meine Altersvorsorge tätig ist, ein echter Partner, der zu seinem Rat steht? Oder ist er nur am schnellen Euro interessiert? Unsere Aufgabe ist es, in einer komplexer werdenden Welt es den Kunden einfach zu machen, ihr Leben besser zu gestalten. Dazu müssen die Produkte gut und einfach zu verstehen sein, damit Kunden in der Lage sind, selbstbestimmt erfolgreiche Finanz-Entscheidungen zu treffen. Bei dem leichten Zugang für Kunden wollen wir uns noch verbessern.

Hoffen Sie auch bei dem Regulator auf Einsicht für diese besondere Art des Geschäftsmodells und demzufolge eine besondere Behandlung?

Wir brauchen keine Sonderbehandlung. Uns reicht es, wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz - Gleiches gleich, aber Ungleiches auch ungleich behandeln - eingehalten wird. Es ist unangemessen und ein Fehler, die in ganz Europa verbreiteten Regionalbanken regulatorisch mit den weltweit tätigen Investmentbanken gleich zu behandeln. Das führt zu störanfälligen Monostrukturen wie sie aus der Biologie, der Agrarwirtschaft und der Architektur als sehr nachteilig bekannt sind. EU-Kommissar Hill hat angekündigt, die Regulatorik deutlich zurückzuschneiden. Aus meiner Sicht muss das damit beginnen, die bestehenden Regelungen auf ihre Proportionalität und Notwendigkeit hin zu überprüfen. Das erfordert dann auch den Mut, nicht passende Regeln abzuschaffen.

Zurück zum öffentlichen Auftrag der Sparkassen: Kann dieser angesichts der Geldpolitik der EZB überhaupt noch erfüllt werden? Kann heute noch der Sparsinn der Bevölkerung gepflegt und die Vermögensbildung breiter Bevölkerungskreise unterstützt werden, wie es teilweise die Sparkassengesetze fordern?

Es ist die historische Aufgabe der Sparkassen, für eine nachhaltige Finanzpolitik, für Vermögensvorsorge, für Sparen einzu treten. Das ändert sich nicht durch die aktuelle Geldpolitik der EZB, im Gegenteil. Die Politik und leider auch viele private Haushalte unterschätzen deutlich, welche Lücken Nullzinsen in die individuelle, aber auch die gesamtgesellschaftliche Altersvorsorge reißen. Wenn Zinsen und Zinseszinsen ausbleiben, muss mehr Kapital zurückgelegt werden. Dann wird eine Sparquote um die neun Prozent nicht ausreichen.

Aber an dieser Stelle gibt es deutliche Unterschiede zwischen den mehr kapitalmarktorientierten Ländern und Deutschland ...

Natürlich muss man in dieser Situation stärker auf Wertpapiere setzen. Hier haben wir in Deutschland ohnehin Nachholbedarf. Aber die ganze Altersvorsorge dem Kapitalmarkt anzuvertrauen, bedeutet auch, von den dortigen Volatilitäten abhängig zu werden. Wir sind in Deutschland in der Vergangenheit mit dem Mix aus umlagenfinanzierten Rentenversicherungen, eigenen Sparanstrengungen und geförderten privaten Altersvorsorgen mit einem starken Wertpapier-Standbein nicht schlecht gefahren. Man muss auch respektieren, dass es Menschen gibt, die aus Gründen des Einkommens oder der persönlichen Vorsicht bei Wertpapieren eher skeptisch sind. Auch für jene muss es auskömmliche Angebote geben.

Muss Deutschland gegensteuern und die Altersvorsorge fördern?

Eindeutig ja. Zum einen benötigen die Menschen ein Signal des Staates, dass Vorsorgeverhalten weiterhin wichtig ist und honoriert wird. Die öffentlichen Haushalte profitieren erheblich von den niedrigen Zinsen. Sie sollten einen Teil davon an Geringverdiener zurückgeben. Die vermögenswirksamen Leistungen sind seit 18 Jahren in den Einkommensgrenzen und Zulagen nicht angepasst und damit immer weiter entwertet worden. Zum anderen sollte die Politik gerade in dieser Zeit die Wertpapierkultur fördern. Dazu passen die übermäßigen Anforderungen bei der Wertpapierberatung nicht. Wir brauchen eine größere Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten an der guten Entwicklung der deutschen Unternehmen. Das geht nur, wenn ein solches Engagement Anlegern und Beratern Freude macht.

Noch einmal zu den Auswirkungen der Geldpolitik: Gehören negative Zinsen für Firmenkunden auch bei Sparkassen bald zum Alltag?

Auch wenn es schwer wird: Wir wollen die privaten Sparer vor negativen Zinsen schützen. Das wird auch zulasten der Ertragslage von Sparkassen gehen. Bei großen institutionellen Anlegern werden wir im Markt sicher Verwahrgebühren sehen. Bei Sparkassen ist das deutschlandweit derzeit bei 69 Konten der Fall. In diesem Segment kann niemand dauerhaft an den Marktbedingungen vorbei wirtschaften. Das alles zeigt: Die EZB fährt mit ihrer Geldpolitik in die falsche Richtung. Zins ist Risikobepreisung und Ausgleich für heutigen Liquiditätsverzicht. Denjenigen zu bestrafen, der verzichtet und nachhaltig handelt, und denjenigen zu belohnen, der alles sofort ausgibt und noch Kredit aufnimmt, ist falsch. Wenn man in die falsche Richtung unterwegs ist und eine Wand auftaucht, hilft nicht das Durchtreten des Gaspedals, sondern man muss auf die Bremse treten und die Richtung ändern. Mir ist klar, dass eine solche Änderung nur behutsam in sehr kleinen Schritten möglich sein wird, weil sich die EZB längst selbst in ihren ständigen Ankündigungen verfangen hat.

Bedrückt Sie ein wenig die Entwicklung auf den Immobilienmärkten?

Wir sehen an den Immobilienmärkten rasante Kaufpreissteigerungen. Im Moment sind wir noch nicht in einer Blase. Aber wir müssen aufpassen. Die Geldpolitik darf nach dem Geldmarkt, dem Markt für Staatsanleihen und demnächst wohl dem Markt für Unternehmensanleihen nicht auch noch den Immobilienmarkt aus den Angeln heben. Die Sparkassen steuern hier bewusst gegen: Es wird bei privaten Immobilienfinanzierungen ein hoher Eigenkapitalanteil vorausgesetzt. Und angesichts niedrigster Zinsen erwarten die Sparkassen eine deutlich höhere Tilgung als früher. Wenn die Zinsen einmal wieder steigen, sollen die Kunden wenigstens einen großen Teil ihres Eigenheims schon abbezahlt haben und nicht in die amerikanische Subprime-Falle laufen.

Zurück zur Regulatorik: Jonathan Hill hat einmal gesagt, das erste deutsche Wort, das er in Brüssel gelernt habe, war Sparkasse. Ist das nicht ein Kompliment?

Das war für ihn sicher eine wichtige und für uns eine schöne Erfahrung. Ich habe von ihm aber auch erfahren, wie sehr er es als Brite bedauert, dass es in seinem Land kein ausgeprägtes System von Regionalbanken mehr gibt. Selbst für große landwirtschaftliche Einheiten ist es dort schwierig bis unmöglich, durch wirtschaftlich harte Zeiten zu kommen, weil es nur teure Private-Equity-Finanzierungen und keinen verlässlichen regionalen Finanzpartner gibt.

Ich unterstütze Jonathan Hill in seinem Bemühen, unnötige Regulierungen abzubauen und die Proportionalität besser zu gewährleisten. Wir haben in den vergangenen drei Jahren unseren Antritt in Brüssel deutlich verstärkt. Dort wird die Debatte über die künftigen Grundstrukturen geführt. Es ist gut, dass man dort zunehmend die Bedeutung von regionalen Kreditinstituten und nicht zuletzt den Sparkassen erkennt.

Welche Art von Banken will die europäische Politik?

Die Politik will vor allem stabile und sichere Banken. Hier wurden in den vergangenen Jahren durchaus Fortschritte erzielt. Auf der anderen Seite wirkt die Geldpolitik diesen Stabilisierungsbemühungen entgegen, wenn sie nicht ausreichend stabile Banken mit Liquidität überschüttet und durch den Kauf von Staatsanleihen über Banken die gegenseitige Abhängigkeit von überschuldeten Staaten und nicht ausreichend soliden Banken noch verstärkt. Sorge macht mir auch der Umgang mit Nichtbanken. Das Volumen an nicht regulierten Geschäften ist deutlich gestiegen, die Abhängigkeit von nicht regulierten Akteuren ist eher größer geworden, und zwar in den Vereinigten Staaten genauso wie im Euroraum. Während kleine und regional verankerte Kreditinstitute regulatorisch überlastet werden, ist dort fast nichts geschehen. Das ist sicher ein Misserfolg europäischer Politik.

Will man die kleinen Regionalbanken überhaupt noch? Nutzt man nicht gerade das Bild der Harmonisierung, um Strukturpolitik zu betreiben?

Im Koalitionsvertrag der die Bundesregierung tragenden Parteien, im Arbeitsprogramm der EU-Kommission und in den Erklärungen des Europäischen Parlamentes wird jeweils klar festgehalten, dass über Bankenregulierung keine Strukturpolitik gemacht werden soll. Das muss jetzt in der Praxis auch eingehalten werden, vor allem bei den administrativen Umsetzungen.

Manchmal hat man den Eindruck, dass in den regulatorischen Projekten der vergangenen acht Jahre schlicht der Überblick über die Interaktion der unterschiedlichen Maßnahmen verloren gegangen ist. Von SREP über MREL bis TLAC, von Basel III über IFRS bis Ana-Credit gibt es sicher unbeabsichtigte Wechselwirkungen und gegenseitige Verstärkungen, die dringend in einer Auswirkungsstudie hinterfragt werden müssen.

Ist das nicht auch ein Versagen der Kreditwirtschaft, die in Regulierungsfragen nur noch ein Getriebener ist?

Man wird nicht bestreiten können, dass die Branche selbst letztlich mit der Finanzkrise die Ursache gesetzt hat - aber nicht alle in gleicher Weise, wie ich auch betonen möchte. Aus meiner Sicht gibt es jetzt zwei sehr grundsätzliche Probleme: Das Vor gehen von den G-20, über das Financial Stability Board bis hin zur EU-Ebene ist nicht ausreichend in sich stimmig. Und geradezu verhängnisvoll ist die europäische Grundphilosophie, alle Regelungen nach gleichem Muster umsetzen zu wollen. Hier können wir von den USA lernen: Dort werden Wall Street Banks ganz gezielt anders reguliert als Community Banks. Dort hat man die Unterschiede verstanden. Mir leuchtet nicht ein, weshalb das nicht auch in Europa möglich sein soll.

Viele Maßnahmen der Regulatorik haben aber nachweislich zur Stabilität beigetragen ...

Viele Institute sind zweifellos stabiler geworden, das trifft gerade auch für die deutschen Institute zu. Dass das System als Ganzes heute stabiler ist, bezweifle ich aber. Getrieben von der Regulatorik wird gerade ein neuer Zug der Lemminge organisiert.

Nicht gelöst ist sicher die "Too big to fail"-Problematik ...

Nein. Meine Vorstellung ist: Kreditinstitute müssen selbst durch höhere Eigenkapitalanforderungen bessere Vorsorge schaffen, systemrelevante zu Recht deutlich mehr als andere. Die zweite Sicherungslinie müssten die Eigentümer bilden. Es stellt bei börsennotierten Aktiengesellschaften sicher ein Problem dar, dass man dort niemand zum Nachschuss verpflichten kann. Deshalb gibt es den Versuch, über den Abwicklungsmechanismus große Gläubiger zwangsweise zu Eigentümern zu machen und damit in eine Verantwortung zu nehmen. Und man kann auch noch akzeptieren, dass die Branche selbst über einen Abwicklungsfonds eine weitere Vorsorge schafft.

Drei Dinge sind aber nicht zu akzeptieren: Wenn erstens einzelne EU-Länder den Abwicklungsmechanismus bisher gar nicht in Kraft setzen. Wenn zweitens die deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken in einen nur 123 europäischen systemischen Banken zur Verfügung stehenden Abwicklungsfonds einzahlen müssen, obwohl sie selbst über Institutssicherungssysteme verfügen. Und der absolute Sündenfall ist drittens die Vorstellung, die bestehenden Einlagensicherungssysteme durch Rückversicherungen zu verbinden oder gar einen gemeinsamen europäischen Haftungstopf zu bilden. Ich bin nicht gegen europäische Lösungen. Aber eine solche haben wir seit dem 3. Juli 2015. Zu Recht wurden hier gemeinsame Standards für eigenverantwortliche Sicherungssysteme gesetzt.

Aber erfordert die Bankenunion nicht zwingend eine einheitliche Eigensicherung?

Das wird behauptet, aber es stimmt nicht. Wir hatten in Deutschland jahrzehntelang einen einheitlichen Bankenmarkt, aber keine einheitliche Einlagensicherung, sondern gemeinsame Standards! Das ist ein wichtiger Unterschied. Wenn sich Sparer in 27 EU-Staaten die Frage stellen, was die Schieflage von Banken in einem EU-Land für sie bedeuten könnte, dann spielt man europaweit mit dem Feuer. Auch wenn es ökonomisch nicht gerechtfertigt sein mag: Niemand hat dann die psychologische Wirkung im Griff. Ein gemeinsamer Haftungstopf kann schnell Unsicherheit in andere Länder importieren und damit das Gegenteil des Gewollten erreichen. Diese psychologische Wirkung wird in Brüssel deutlich unterschätzt. Die Logik der perfekten Verteilung von Risiken hat doch schon bei den Verbriefungen und Kreditderivaten nicht funktioniert, sondern zur Multiplikation der Probleme geführt. Deshalb: Hände weg von einem einheitlichen europäischen Haftungstopf zur Absicherung von Sparern!

Wie bedrohlich ist die derzeitige Ertragslage für die Sparkassen?

Die Geldpolitik der EZB belastet alle, die traditionelles ordentliches Kreditgeschäft mit Einlagen und Krediten betreiben. Das ist eine große unternehmerische Herausforderung für viele, die Gesellschaft tragende Institutionen - für Sozialversicherungen, Rentenversicherungen, Lebensversicherungen, Stiftungen, Unternehmen mit ihren Pensionszusagen, Energieunternehmen mit ihren Atom-Rückstellungen, einlagenstarke Kreditinstitute und eben auch für die Sparkassen. Die Sparkassen werden diese Herausforderung aber be stehen. Sie haben die beste Marktverankerung in Deutschland und sehr treue Kunden. Sie können auf eine gute Vermögenssubstanz zurückgreifen, die mit Blick auf schwierigere Zeiten in den letzten fünf Jahren allein um 19,4 Milliarden Euro Vorsorgereserven erweitert worden ist. Und wir wissen, was auf uns zukommt. Überall in Deutschland steuern verantwortliche Vorstände gegen. Wir werden das schaffen!

Schätzungen zufolge wird nur die Hälfte aller Sparkassen überleben: Weshalb ist das falsch?

Wissen Sie: Die Sparkassen-Finanzgruppe repräsentiert mit 43 Prozent der deutschen Unternehmenskredite, Geschäftsbeziehungen zu 75 Prozent der deutschen Unternehmen und 50 Millionen Kunden das Deutschland-Portfolio. Wenn wir es nicht schaffen würden, schafft es Deutschland auch nicht. Oder umgekehrt: Da Deutschland es schafft, werden auch die Sparkassen das schaffen.

Es häuft sich die Berichterstattung über Verfehlungen von Sparkassenvorständen. Ist das ein Systemfehler oder sind das normale menschliche Schwächen?

Eine Häufung von Verfehlungen kann ich nun wirklich nicht erkennen. Natürlich kommt es bei 409 Sparkassen und über 1 500 Vorständen auch zu Fehlern. Damit ist dann keiner glücklich. Man kann sich aber darauf verlassen, dass diese Fälle aufgearbeitet werden und Vorsorge gegen Wiederholungen getroffen wird. Hier kommt uns zugute, dass die Sparkassen durch örtlich gewählte Repräsentanten kontrolliert werden. Niemand kann auf Dauer gegen das wachsame Auge vieler örtlicher Akteure agieren. Das schützt nicht vor Einzelversagen, aber vor systematischen Problemen.

Muss es angesichts der Ertragslage und neuer technischer Vertriebskanäle neue Arten von Filialen geben?

Die Sparkassen haben das dichteste Filial- und Geldautomatennetz. Und gleichzeitig sind wir mit 2 Milliarden Onlinekundenkontakten jährlich zusammen die größte Onlinebank Deutschlands. Das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Kanäle ist ausschließlich von den Kundenwünschen abhängig. Und da verändert sich etwas: Wer heute in die Filiale kommt, sucht immer häufiger hochwertige Beratung. Transaktionen und Abwicklungsgeschäfte hingegen werden immer häufiger online erledigt. Das bedeutet für uns: Wir müssen die Geschäftsstellen in ihrer Beratungsfunktion aufwerten. Das wird insbesondere in Kleinstgeschäftsstellen nicht immer möglich sein. Vor allem diese werden deshalb eher abgebaut. Gleichzeitig müssen wir das Onlineangebot deutlich ausbauen. Im Ergebnis bedeutet das weniger Geschäftsstellen und mehr Onlinezugangswege. Wir werden aber auch künftig flächendeckend mit Geschäftsstellen präsent sein und keine Region aufgeben.

Digitalisierung war vor drei Jahren das Kernthema des Sparkassentages in Dresden. Wurde die Zeit bis heute gut genug genutzt, um dieses Thema voranzutreiben?

Wir hätten heute kaum so viele Onlinekundenkontakte, wenn wir die Zeit nicht genutzt hätten. Wir haben heute die in Deutschland meistverbreitete Banking-App. Wir haben die App-Anwendungen direkt mit dem Berater verbunden. Video- und Chat-Beratungen wurden eingeführt. Und einen ganz entscheidenden Schritt werden wir in Kürze mit OS-Plus Neo machen. Erstmals arbeiten Kunden und Berater auf derselben Oberfläche. Und erstmals verbinden wir alle Zugangswege in einem System. Hinzu kommt das elektronische Postfach, das die Informationen aller Verbundunternehmen elektronisch an einer Stelle dem Kunden verfügbar macht. Es mag Wettbewerber mit innovativen Einzellösungen geben. Niemand in der deutschen Kreditwirtschaft trägt die Digitalisierung aber so in die Breite wie die Sparkassen.

Welche Aufgaben kommen bei all diesen Dingen dem DSGV und dem DSGV-Präsidenten zu? Verliert er an Kompetenz, weil operative und strategische Themen nach draußen wandern, etwa S-Payment zum Sparkassenverlag?

Ganz und gar nicht. Wir sortieren ordentlich: Unternehmerische Aufgaben gehören in unternehmerische Einheiten. Der DSGV ist der Strategieführer - darauf konzentriert er sich. Und dort wird er künftig mehr zu tun bekommen.

Sie sehen sich also inzwischen mehr als Netzwerker?

Der DSGV ist mit seinem Präsidenten und den entsprechenden Organen strategischer Vordenker der Gruppe. Wir müssen alles tun, damit die einzelnen Mitglieder der Gruppe ihren unternehmerischen Aufgaben optimal nachgehen können. Das heißt für die Sparkassen zum Beispiel, dass sie effiziente und leistungsfähige Zentral- und Spezialeinheiten benötigen, die ihnen dabei helfen, in einem intensiveren Wettbewerb zu bestehen. Damit sich die Sparkassen auf die Kunden konzentrieren können, entlasten wir sie so weit wie möglich von bürokratischen Lasten. Und dann muss der DSGV-Präsident selbstverständlich auch die unterschiedlichen Interessen ausbalancieren und die Gruppe mit ihren politischen Interessen richtig nach außen positionieren. Netzwerke helfen dabei.

Gehen Sie mit den Regionalpräsidenten richtig um?

Ich respektiere die Verantwortung der regionalen Präsidenten für ihren Verband und die regionalen Verbundunternehmen. Die Kollegen wissen um die strategische Führung des DSGV und unsere Rolle bei der Interessenvertretung nach außen. Wir arbeiten vertrauensvoll, verlässlich, gut und erfolgreich zusammen. Und wenn bei einzelnen Fragen etwas länger gerungen werden muss, gehört das auch dazu. Es geht hier schließlich um etwas - um mehr als 600 Unternehmen, 330 000 Beschäftigte, 50 Millionen Kunden und eine Bilanzsumme alleine der Sparkassen von 1 100 Milliarden Euro. Da kann man von jedem einzelnen schon erwarten, dass er für die Interessen seiner Region kämpft.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie in den Düsseldorfer Sparkassentag? Welche Kernbotschaften sind Ihnen besonders wichtig?

Ich erwarte vom Sparkassentag intensive, nach vorn gerichtete Diskussionen. Deshalb werden 58 Redner auftreten, 20 alleine aus der eigenen Gruppe. Damit zeigen wir die ganze Breite unserer Gruppe und unserer Themen. Zweitens erwarte ich ein kraftvolles Signal der Geschlossenheit nach innen und außen. In herausfordernden Zeiten sind wir als Einheit stärker als die Summe unserer Teile. Und drittens freue ich mich auf viele persönliche Begegnungen mit Verantwortlichen aus den Vorständen und aus Verwaltungsräten. Von diesem direkten persönlichen Miteinander lebt unsere Gruppe.

Botschaften haben wir vor allem zwei: Wir wollen es unseren Kunden einfach machen. Dazu prüfen und verändern wir uns. Und wir wollen das Besondere der Sparkassen, unsere besondere Struktur und Geschäftspolitik, herausstellen und weiter entwickeln. Wir sind anders als die Wettbewerber und dafür schätzen uns die Kunden. Beides zusammen heißt "Einfach anders".

Werden Themen wie Landesbankenkonsolidierung, Landesbausparkassen, öffentliche Versicherer ein großes Thema sein?

Um dort das Notwendige zu tun, brauchen wir keinen Sparkassentag. Bei den Landesbausparkassen ist bereits Bewegung sichtbar, ich verweise nur auf die Fusion der LBS Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Bei den Versicherern werden die Eigentümer prüfen, ob ein engeres Zusammenrücken Vorteile bringt. Und bei den Landesbanken sehe ich uns von einer optimalen Struktur nicht weit entfernt.

Welche Priorität haben solche Themen im Vergleich zu den sonstigen Aufgaben?

Die richtigen Unternehmensstrukturen sind die Grundlage für künftigen Erfolg ...

... mit Ihnen als Treiber oder Moderator ...?

Beides. Manchmal muss ich treiben, manchmal unterschiedliche Interessen moderieren. Eines werde ich aber nie tun: Mich an die Stelle von Eigentümern zu setzen. Wir haben aus guten Gründen ein System geteilter Verantwortlichkeiten. Da muss jeder seine Verantwortung wahrnehmen.

Wie sieht eine erfolgreiche Sparkasse 2024 aus?

Sie definiert sich über die Bedürfnisse der Kunden, der privaten Kunden und immer stärker auch der Firmenkunden. Sie ist wirtschaftlich solide aufgestellt und handelt bei wirtschaftlichen Entscheidungen mit langem Atem. Sie verbindet perfekt alle vom Kunden gewünschten Zugangswege und bündelt sie immer bei dem persönlich bekannten Berater. Sie ist das Gesicht zum Kunden eines leistungsstarken Verbundes aus dem Wertpapierhaus Deka, den Landesbanken, der Deutschen Leasing, den öffentlichen Versicherungen, den Landesbausparkassen und der Berlin Hyp. Sie ist verantwortlicher Akteur ihrer Heimatregion und dort Impulsgeber für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Und sie ist der Ort, wo Menschen Kreditwirtschaft als ihnen gehörend wahrnehmen - nicht im Eigentümer-, sondern Teilhabesinn.

Wie erleben Sie das Klima innerhalb der deutschen Kreditwirtschaft?

Anders als früher stellen die Interessenvertreter nicht mehr die Unterschiede in den Vordergrund, sondern die Gemeinsamkeiten. Als Beispiel mag die Kritik an den Diskussionen über eine gemeinschaftliche europäische Einlagensicherung dienen. Hier sind wir uns alle einig: europäische Standards - so wie es sie ja auch schon gibt, ja - eine einheitliche Einlagensicherung, nein. Das schließt nicht aus, dass es unter den Bankengruppen auch unterschiedliche Bewertungen zu strukturellen Themen gibt. Insgesamt erfolgt der Dialog auf einer persönlich sehr wertschätzenden Basis.

Im DSGV wird schon lange über eine effizientere Organisationsstruktur nachgedacht. Werden die Ergebnisse der Arbeitsgruppe am Sparkassentag schon präsentiert?

Wir haben daran gemeinsam intensiv gearbeitet und werden das in den Gremien am Vortag des Sparkassentages beschließen und bis Ende des Jahres umsetzen. Das neue System ermöglicht mehr Schnelligkeit bei den Entscheidungen, mehr Mitwirkungsmöglichkeiten der Sparkassen und Landesbanken, mehr Transparenz nach innen und mehr Verbindlichkeit bei gemeinsam getroffenen Entscheidungen. Wir werden damit stärker als früher sein.

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