Sparkassentag 2013 Interview

Redaktionsgespräch mit Georg Fahrenschon - "Die Sparkassen sind erfolgsrelevant für dieses Land"

Herr Fahrenschon, am Sparkassentag treffen sich traditionell alle drei Jahre Vertreter aus Politik, Wirtschaft und der Sparkassen-Finanzgruppe: Was sind die wesentlichen Botschaften, die der Präsident den Teilnehmern für die Zukunft mitgeben will - ist es Mut machen, ist es eine Aufbruchstimmung, oder ist es das bayerische "Mia san mia"?

Von allem etwas: Der Sparkassentag 2013 findet in einer ausgesprochen herausfordernden Zeit statt: mitten in der europäischen Staatsschuldenkrise und der Diskussion um eine Weiterentwicklung der EU; mitten in einer breiten Debatte um die Sicherheit der Einlagen, fünf Monate vor der Bundestagswahl, ein Jahr vor der Europawahl.

Es ist der richtige Zeitpunkt, aus einer Position der Stärke heraus unsere Sicht der Dinge darzustellen und dazu mit den Bürgern in einen umfassenden Dialog einzutreten. Wenn man sich an die Stellungnahmen der Kommission und die Berichte vermeintlicher Sachverständiger von vor rund zehn Jahren erinnert, kann man froh sein, dass Sparkassen in Deutschland vielen scheinbar guten Ratschlägen nicht gefolgt, sondern auch gegen Widerstände ihren Weg weitergegangen sind. Sparkassen sind ein Erfolgsmodell, und das sehen inzwischen viele in Europa so.

Der Sparkassentag wird sich vor allem mit vier Themenkomplexen beschäftigen: Wie muss eine Finanzwirtschaft sein, die nachhaltig handelt und den Menschen wirklich dient? Wie soll sich Europa weiterentwickeln?

Wie stabil und sicher ist unser Geld? Und nicht zuletzt: Wie können wir Sparkassen noch besser machen? Es wird der erste Sparkassentag sein, an dem sich unsere Mitarbeiter und Bürgerinnen und Bürger interaktiv beteiligen können.

Welche Herausforderungen sind es konkret, die Sie als Präsidenten besonders umtreiben?

Vor allem zwei Themenkomplexe beschäftigen uns derzeit: Zum einen die Stabilisierung der Europäischen Währungsunion und die Weiterentwicklung Europas. Es geht darum, wie wir den Spar- und Stabilitätsgedanken in Europa fest verankern können. Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis von Solidarität und Solidität. Und es geht nicht zuletzt darum, mehr Gemeinsamkeiten in der EU zu erreichen, ohne regionale Stärken und Kulturen dabei aufzugeben. Hier sehen wir große Herausforderungen. Denn die aktuellen Rettungsmaßnahmen in der Eurozone schaffen erhebliche Stabilitätsrisiken für die Zukunft und enteignen die deutschen Sparer. Das außergewöhnlich niedrige Zinsniveau wird zwangsläufig die Bereitschaft zur Vorsorge beeinträchtigen und auch Spuren in der Ertragslage der Sparkassen hinterlassen.

Zum anderen geht es um den Wandel im Verbraucherverhalten. Wir entwickeln uns zu einer Gesellschaft, in der Realität und Virtualität verschmelzen. Kunden wollen künftig über Geschäftsstellen und noch häufiger über Online-Wege mit der Sparkasse in Kontakt treten. Die Zeiten, in denen Kreditinstitute Kunden kanalisieren konnten, sind vorbei. Heute entscheidet der Kunde. Auch aus einer Position der Stärke und eines ungebrochenen Kundenvertrauens ist das für die Sparkassen eine sehr große Herausforderung.

Wie passt allgegenwärtige virtuelle Präsenz mit der Regionalität der verwurzelten Sparkassen zusammen?

Lange Zeit hat man das als Widerspruch empfunden - und in der Web 1.0-Welt war es das wohl auch. Diese Zeit geht zu Ende. Jetzt leben wir in der Zeit des Web 2.0. Da wird das Internet mobil, regional und sozial. Heute hilft das Internet, sich zu vernetzen. Es ist möglich, die in der realen Welt vorhandenen sozialen Beziehungen jederzeit online zu halten und über Mobilgeräte in Kontakt zu treten, andere in gleichen täglichen Entscheidungssituationen zurate zu ziehen und Angebote und deren Bewertungen in Echtzeit zu vergleichen. Etwa mit Augmented Reality wird das noch einmal auf ein völlig neues Niveau gehoben. Das Ende dieser Entwicklung ist noch gar nicht absehbar.

Fest steht aber, dass in dieser neuen Welt diejenigen große Vorteile haben, die über viele soziale Kontakte in der realen Welt und großes Kundenvertrauen verfügen. Und hier kommen unsere 250 000 Mitarbeiter, 130 000 Berater und 15 000 Geschäftsstellen ins Spiel. Niemand ist so breit in der Gesellschaft verankert. Niemand hat ein so großes regionales Wissen. Und niemand in der Finanzwirtschaft hat eine so umfassende und leistungsfähige technische Infrastruktur wie wir. Die Kunst wird darin bestehen, das so einzusetzen, dass wir in der realen und in der virtuellen Welt der führende Anbieter sind. Das ist eine große technische, organisatorische, vor allem aber kulturelle Herausforderung.

Wie müssen wir uns das konkret vorstellen?

Lassen Sie es mich in einem Beispiel erläutern: Online-Banken aus der alten Web 1.0-Welt schicken ihre Kunden in große, anonyme Technikhallen und lassen sie dann mit Bits und Bytes der zehn Standardprodukte allein. Gleichzeitig behaupten sie dann, das sei besonders modern, transparent und kostengünstig. Tatsächlich ist es eine alte Online-Welt, die die Möglichkeiten einer Vernetzung zwischen Menschen nicht nutzt. Hier wollen wir uns als Sparkassen von reinen Online-Banken unterscheiden und den Kunden bei der Nutzung des Netzes den Berater im übertragenen Sinne an die Seite stellen.

Empfinden Sie es als Bestätigung des Geschäftsmodells Sparkasse, dass es inzwischen mehr oder weniger offensichtlich Nachahmungstendenzen selbst bei einer Deutschen Bank, einer Commerzbank oder einer Direktbank gibt?

Es ist normal, dass sich andere Unternehmen am Marktführer orientieren und versuchen, dessen Erfolgsrezept abzubilden. Unnormal war in den letzten Jahren, dass Wettbewerber der Meinung waren, der erfolgreichste Marktteilnehmer habe ein veraltetes Geschäftsmodell. Der Irrtum lag nicht bei uns. Es wird aber sehr schwer sein, Sparkassen zu kopieren. Dazu gehört mehr, als nur Retail- oder Mittelstandsgeschäft zu betreiben.

Spürt die Sparkassenorganisation diesen neuen Wettbewerb?

Der deutsche Bankenmarkt ist der wettbewerbsintensivste Europas. Natürlich spüren das auch Sparkassen. Am wenigsten spüren wir den Wettbewerb aber von denjenigen, die sich täglich als Mittelstandsbanken oder so ähnlich inszenieren. Schwieriger sind diejenigen Wettbewerber, die aus dem europäischen Ausland kommen und hier im Einlagengeschäft sehr hohe Konditionen anbieten - vermutlich, weil ihnen die Anleger in ihren Heimatländern nicht ausreichend trauen und sehr hohe Risikoprämien fordern. Offensichtlich sind diese Zusammenhänge noch nicht überall in Deutschland verstanden worden.

Stichwort individuelle Kundenbetreuung: Die S-Finanzgruppe verfügt beispielsweise mit der Deka-Bank, den LBSen, der Deutschen Leasing doch auch über zentrale Produktlieferanten, was ist da individuell?

Individualität brauchen wir nicht im Verbund. Da muss alles zueinander passen und Hand in Hand funktionieren. Individualität beweisen wir dort, wo es direkt um den Kunden geht - bei der Ermittlung seiner persönlichen Lebenssituation, bei der Empfehlung einer maßgeschneiderten Strategie, bei der persönlichen Betreuung über viele Jahre.

Sie sprachen gerade das Thema Marktführerschaft an. Sind Sparkassen systemrelevant?

Die Sparkassen sind zweifellos die wichtigsten kreditwirtschaftlichen Dienstleister in Deutschland, die wichtigsten Unternehmensfinanzierer, die am häufigsten gewählten Finanzpartner. Sie sind erfolgsrelevant für dieses Land. Sie sind aber nicht systemrelevant in dem hässlichen Sinne, dass sie wegen ihrer Größe im Falle des Scheiterns beim Staat die Hand aufhalten müssten.

Davor schützt uns die Dezentralität. Groß und dennoch dezentral genug, dass jeder selbst Eigenverantwortung übernehmen muss und die Risiken sehr gut gestreut sind - das ist unser Erfolgsmodell. Das passt perfekt zu der dezentralen Struktur unseres Landes, wo überall in den Regionen mittelständische Weltmarktführer beheimatet sind. Diesem Umstand verdankt unser Land seine Stärke und Krisenresistenz.

Sind die Einlagen von Sparern noch sicher, und kann man sich auf Zusagen von Politikern im Ernstfall wirklich verlassen?

Das Vertrauen der Sparer in die Sicherheit ihrer Einlagen ist eines der höchsten Güter in der Kreditwirtschaft. Die zwischenzeitliche Diskussion um Zypern hat Sorgen ausgelöst, die auf Deutschland bezogen absolut nicht berechtigt sind. Entscheidend ist aber auch, dass in der EU der versprochene Sparerschutz ohne Einschränkungen gilt. Das Mindestschutzniveau muss so sein, dass es von allen EU-Ländern aus eigener Kraft erfüllt werden kann und nicht dazu führt, dass Einlagen im Vertrauen auf eine Vollkaskoabsicherung zu Instituten fließen, die aus sich selbst heraus nicht die Stabilität sicherstellen können und deshalb nicht das Vertrauen der Anlieger genießen.

Ist das ein Plädoyer für den Erhalt der deutschen, unbegrenzten Einlagensicherung?

Eindeutig ja. Ich denke, die europäische Politik sollte aus den Geschehnissen der letzten Jahre und besonders der letzten Wochen zwei wichtige Lehren ziehen: Ein Niveau eines Einlagenschutzes, das Mitgliedsländer nicht aus eigener Kraft erfüllen können, führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern nur zu mehr Transferbedarf zulasten der Steuerzahler anderer Länder. Man muss klare und belastbare Schutz zusagen machen. Aber immer höhere Versprechen führen nicht zu einer immer höheren Sicherheit. Für Sparer einiger Länder könnte es besser sein, ein geringeres belastbares Schutzniveau zu haben und darauf durch Aufteilung der Einlagen oder Wahl eines solideren Kreditinstituts reagieren zu können. Die dadurch ausgelösten Marktmechanismen würden vermutlich mehr zur Stabilität des Bankenmarktes beitragen als viele europäische Finanzmarktregulierungen.

Der zweite wichtige Punkt sollte die Erkenntnis sein, wie rasch das Vertrauen von Sparern schwinden kann. Es wäre fahrlässig, durch eine einheitliche Einlagensicherung ein System zum Export von Misstrauen in andere EU-Länder einzuführen. In einem gemeinsamen europäischen Haus besteht der wichtigste Brandschutz in ordentlichen Brandmauern. Nur so lassen sich Brände eingrenzen und damit beherrschen.

Warum wird dieses Argument von den deutschen Lobbyisten nicht sehr viel stärker gespielt?

Weil sich die deutsche Kreditwirtschaft ihrer Verantwortung bewusst ist. Über den Brandfall und die richtige Brandeingrenzung zu sprechen, wird von manchen als Ankündigung von Bränden missverstanden. Und in Brüssel versteht man häufig nicht, dass der beste Schutz vor Feuer nicht das Löschversprechen des Nachbarn, sondern ein anständiger eigenverantwortlicher Brandschutz ist. Deshalb muss man behutsam argumentieren.

Haben Sie Verständnis für die Beteiligung von Sparern an der Rettung von Banken? Ist das das richtige Signal?

Wer Investitionen vornimmt, muss damit in einer Marktwirtschaft auch scheitern können - und darf dann den Verlust nicht bei der Allgemeinheit abladen. Allerdings verhält sich die europäische Politik widersprüchlich. Einerseits wurde durch immer stärkere Ausweitung des versprochenen Einlagenschutzes so getan, als wenn es Sicherheit zum Nulltarif gäbe. Damit löst man Anlageentscheidungen aus, die ausschließlich auf Renditeerwägungen beruhen.

Es versteht sich von selbst, dass dann Anlagegelder zu Instituten fließen, die höchste Renditeversprechen machen - nicht immer die stabilsten Institute wie wir wissen.

Andererseits wird jetzt plötzlich darüber diskutiert, Sparer die Rettung von Banken mitbezahlen zu lassen. Solche Wendemanöver kosten Vertrauen. In einer zuvor festgelegten Mindestgrößenordnung müssen Sparer verlässlich vor einer Mithaftung geschützt werden. Wenn mit darüber hinausgehenden Beträgen Gläubiger mithaften sollen, ist das richtig. Es hat aber natürlich Konsequenzen. Viele Gläubiger werden dann ihre Positionen neu bewerten. Für manche Schuldner in Europa dürfte es dann deutlich teurer werden.

Allen Gläubigern von Kreditinstituten sollten wir aber sagen: Durch die Auswahl eines möglichst soliden Instituts tragt Ihr Mitverantwortung für die Stabilität des Gesamtsystems. Verlasst Euch bei allem Einlagenschutz nicht auf die Haftung Dritter. Die Zeit der reinen Renditejagd sollte vorbei sein. Da hat in den letzten Jahren die Balance nicht gestimmt.

Hat die Aufsicht versagt?

Das kann man so nicht sagen. Insgesamt waren in den letzten Jahren die Prämissen nicht stimmig. Sicherheit und Eigenverantwortung hatten eine zu geringe Bedeutung, höchstmögliche Renditen und im Zweifel Haftung unbeteiligter Dritter eine zu hohe. Das muss behutsam korrigiert werden.

Was heißt das konkret für die Vorschriften, was ist besonders falsch?

Ein Paradebeispiel ist der Verbraucherschutz. Hier verfolgt die Politik das Ziel, den Verbraucher umfassend zu schützen. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden. Wenn überzogene Regulierung im Wertpapiergeschäft aber dazu führt, dass in der Breite des Landes kaum mehr Beratung angeboten wird, verkehrt sich Verbraucherschutz in sein Gegenteil. Dann wird breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit genommen, an den Zuwächsen einer Volkswirtschaft, an der Steigerung des Produktivkapitals teilzuhaben. Dabei wäre dies angesichts der politisch beeinflussten Niedrigstzinsphase dringend erforderlich, um das eigene Lebensniveau auch im Alter zu halten. Gleichzeitig sollen sie aber als Steuerzahler die Stabilisierung der Europäischen Währungsunion mitfinanzieren. Das passt nicht zusammen. Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Überwiegt in einem Wahlkampfjahr vielleicht doch ein wenig der Aktionismus, denn natürlich sind diese Themen dankbar für die Wählergunst? Und sollten die Regulatoren nicht vielleicht erst einmal die Auswirkungen bislang eingeleiteter Maßnahmen abwarten?

Mit Ratschlägen sollte man sich als ehemaliger Politiker zurückhalten. Aber ich kann nur anbieten, dass die Sparkassen-Finanzgruppe jederzeit zur Verfügung steht, um mit Entscheidungsträgern zu diskutieren und mit Beispielen aus der Praxis zu helfen, die mitunter doch sehr komplexen Zusammenhänge besser zu veranschaulichen. Unsere Türen sind immer offen.

Mal weg vom Verbraucherschutz, was stört Sie noch an der Regulierung?

Bleiben wir bei den noch offenen Fragen. Was ist mit der Regulierung von Schattenbanken? Wie werden Hedgefonds wirksam kontrolliert? Sind all die riskanten Finanzprodukte wie hochspekulative Kreditausfallversicherung wirklich vom Markt verschwunden beziehungsweise mittlerweile transparent und damit kontrollierbar? Nein, die Volumina in diesem Geschäft steigen weiter. Stattdessen rollt über die traditionelle Kreditwirtschaft eine Regulierungswelle. Man greift, was man fassen kann. Dabei liegen die wirklichen Probleme ganz woanders. Die Politik muss Regulierung stärker am Risiko ausrichten. Das ist komplexer und schwieriger. Aber nur so werden wir mehr Sicherheit in das System bringen können.

Wenn schon Politiker nicht genug von Banken verstehen, müsste einer besseren Finanzbildung auf breiter Front nicht ein höherer Stellenwert eingeräumt werden? Wer steht in der Pflicht?

Wir alle müssen ständig dazulernen. Deshalb finde ich es auch nicht richtig, wenn der Eindruck erweckt wird, ein Anleger benötige kein Wissen, sondern könne alles an den Berater delegieren. Ein Berater muss auf der Basis des Bedarfs des Kunden ehrliche Ratschläge geben, entscheiden muss der Kunde. Ohne eigenes Wissen geht das nicht. Statt Fragen der Risikoverteilung im Schadensfall sollten wir deshalb lieber diskutieren, wie wir die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Fälle reduzieren. Das geht nur durch mehr Finanzbildung. Mit Geld und Haushalt, dem Sparkassen-Schulservice und jetzt dem Online-Dialog stellen sich die Sparkassen seit Jahrzehnten dieser Aufgabe.

Was hat es mit der neuen Dialogoffensive auf sich?

Wir denken, dass die Finanzwirtschaft neues Vertrauen nicht durch Ausrufen von Kulturwandel oder Werbekampagnen gewinnen kann, in denen behauptet wird, man habe alles verstanden. Nötig ist ein ehrlicher Dialog. Wir nutzen deshalb soziale Netzwerke, um einerseits mit den Mitarbeitern und - beginnend mit dem Sparkassentag - mit den Bürgern unter www.meine.sparkasse.de umfassend Fragen der Finanzwirtschaft zu besprechen. Dabei wird auch zur Sprache kommen, was in der Finanzwirtschaft falsch läuft. Vermutlich werden auch wir uns Kritik stellen müssen. Nur so ist es aber möglich, weitere Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Und ich verspreche mir davon auch Vorschläge für Verbesserungen, die wir aufgreifen können.

Wie entwickelt sich das Verhältnis von Sparkassen zu Kreditgenossenschaften - ist es enger geworden, hat es sich in jüngerer Vergangenheit gewandelt?

Die Kreditgenossenschaften sind einerseits ein sehr wertvoller Verbündeter in dem Bestreben, den Entscheidern auf der Brüsseler ebenso wie auf der Berliner Bühne klarzumachen, dass es eine Alternative zu den kapitalmarktgetriebenen und profitorientierten Konzernen geben muss. Wir kämpfen gemeinsam für die Vielfalt der Modelle Europas und für Respekt unterschiedlicher nationaler Umsetzungen gemeinsamer europäischer Ziele. Hier müssen wir Seite an Seite kämpfen, denn der Einfluss angelsächsisch geprägter Kapitalmarktfantasien ist noch immer sehr groß.

Auf der anderen Seite sind die Kreditgenossenschaften der härteste Wettbewerber der Sparkassen. Aber das ist gut so, denn Wettbewerb ist am Ende zum Wohle des Kunden. Ich habe nie verstanden, warum von internationalen Institutionen und auch von europäischer Ebene der Wettbewerb in Deutschland als zu hoch kritisiert wurde, denn am Ende kommt das doch den Privat- ebenso wie den Firmenkunden zugute.

Ist zu befürchten, dass die politischen und aufsichtsrechtlichen Strö mungen zu einer Abnahme der Wettbewerbsintensität führen, indem der Konsolidierungsdruck gerade auf kleinere Institute steigt?

Falsch verstandene europäische Regulierung kann dazu führen, dass ein Zwang zur Größe entsteht. Die Gefahr besteht vor allem dann, wenn weiterhin nur mit einer Blaupause für die Regulierung von Banken gearbeitet wird - bei allem Verständnis für die Harmonisierungsbestrebungen. Dadurch wird die Stärke Europas, und zwar die regionale Vielfalt, geschwächt. Eine europäische Integration kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie die in der Regel regionalen Stabilisatoren nicht schwächt oder aushebelt, sondern ihnen ausreichend Platz einräumt.

Daraus ist zu hören, dass der Präsident der Sparkassen-Finanzgruppe durchaus steigenden Druck auf seine Institute feststellt, richtig?

Der Druck wandelt sich. Vor einigen Jahren ging der Druck von Privatisierungsüberlegungen und dem Leitbild immer größerer, rein kapitalmarktorientierter Banken aus - und natürlich dem immensen Renditedruck, der letztlich in der Fixierung ausschließlich auf die Eigenkapitalrendite seinen Ausdruck fand. Das ist zum Glück erst einmal vorbei, weil es sich als historisch falsch herausgestellt hat.

Jetzt kommt der Druck aber aus zu wenig differenzierenden Regulierungen und aus politischen Einflussnahmen auf die Märkte. Ich nenne als Beispiele nur die unnatürlich niedrigen Zinsen, die politisch gewollte Versorgung südeuropäischer Banken mit immenser Liquidität oder die schon erwähnte Ausschaltung von Sicherheit als Wettbewerbselement. Je länger dies alles andauert, desto mehr wird der Wettbewerb in Unordnung gebracht und desto mehr schädigt man die seriösen, stabilen Institute. Und wenn dann auch noch die EU-Kommission kommt und meint, das Sparbuch neu erfinden zu müssen, wird es ganz besonders ärgerlich. Die Kommission sollte sich lieber da rum kümmern, in Europa wieder Bedingungen herzustellen, unter denen den Menschen das Sparen Freude macht. Die Produktgestaltung können sie dann getrost uns überlassen. Von Markt und den Bedürfnissen unserer Kunden verstehen wir nämlich mehr als Beamte in Brüssel.

Gibt es eigentlich Hochrechnungen für alle Sparkassen, welche Folgen die anhaltende Niedrigzinsphase auf die Ergebnisse haben wird?

Man kann vieles rechnen. Entscheidend ist, dass ein dauerhaft unter der Inflationsrate liegendes Zinsniveau Sparer schädigt und die Zinsüberschüsse der einlagenstarken und damit besonders stabilen Institute sinken lässt. Ich finde es wenig überzeugend, dass als Folge der Finanzkrise Sparer ärmer werden und sich für stabile Institute die Wettbewerbsbedingungen verschlechtern. Das wird zu spürbaren Veränderungen im Verbraucherverhalten und damit in der Gesellschaft führen. Gerade die mitteleuropäischen Volkswirtschaften brauchen aber eine hohe Sparquote, um der demografischen Entwicklung Rechnung zu tragen. Mit der heutigen Geld- und Fiskalpolitik verbrauchen wir den Wohlstand von morgen. Und je weniger Rendite man in stabilen Anlageformen erhält, desto höher ist die Bereitschaft, wieder sehr risikoreiche Anlagen zu wählen. Das kann der Weg in die nächste Finanzkrise sein.

Gibt es einen Ausweg?

Keinen bequemen. Ich kann nur an die Europäische Zentralbank appellieren, den Einstieg in den Ausstieg aus der Niedrigzinsphase frühestmöglich einzuleiten. Wir müssen uns in Europa der Aufgabe stellen, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Dieser Aufgabe kann niemand entgehen - auch nicht durch Drucken von mehr Geld oder Anzapfen Dritter für zusätzliche Kapitaltransfers oder Haftungen. Deutschland wäre heute nicht die Lokomotive und das Vorbild Europas, wenn in den vergangenen Jahren nicht deutliche Strukturreformen wie die Agenda 2010, Hartz IV, die Steuerthematik oder die Rente mit 67 auf den Weg gebracht und umgesetzt worden wären - auch gegen erhebliche Widerstände. Mit der Politik des billigen Geldes wird kein einziges Problem gelöst, sondern es findet nur eine Verlagerung in die Zukunft statt.

Die gegenwärtige Entwicklung von kurzfristigen Einlagen und langfristigen Finanzierungswünschen stellen die Risikomanagementsysteme der Institute vor besondere Herausforderungen: Welche Rolle kann hier der DSGV spielen?

Der DSGV betreibt für die Gruppe kein zentrales Risikomanagement - und das ist auch gut so. Wir haben auch deshalb eine so hohe Stabilität in unserer Gruppe, weil Anlage- und Risikostrategien dezentral entschieden werden. Das führt zu einer sehr guten Risikostreuung. Der DSGV liefert dafür aber das notwendige Handwerkszeug, etwa mit ausgefeilten Systemen der Gesamtbanksteuerung oder den internen Ratingverfahren.

Diese Systeme werden wir in den nächsten Jahren sicher dringend brauchen. Denn nicht nur die aktuelle Niedrigstzinsphase stellt eine Herausforderung dar, sondern sicher auch die Phase steigender Zinsen, wenn die derzeit sehr hohe Liquidität wieder längere Anlagehorizonte sucht. Unsere Institute werden dann vor der Situation stehen, Kredite zu Niedrigstzinsen langfristig ausgelegt zu haben und dann bei steigenden Zinsen mit langfristigen Anlagewünschen konfrontiert zu werden. Damit das nicht in der gesamten Volkswirtschaft zu Verwerfungen führt, sollte der Zinsanstieg behutsam erfolgen. Politik und EZB müssen sich bewusst sein: Wer einmal die Geldpolitik politisch eingesetzt hat, nimmt damit auch Verantwortung auf sich, aus dieser Situation wieder erfolgreich herauszuführen. Unsere Aufgabe ist es, frühzeitig alle Akteure unserer Gruppe an einen Tisch zu bringen, um über diese Herausforderung zu sprechen.

Wie ist die Aufgabenverteilung?

Wir analysieren, bewerten und stellen Instrumente zur Verfügung, die 422 Sparkassen entscheiden. Gleichzeitig gilt es, Vorteile im Verbund zu erschließen, beispielsweise indem über den Mittelstandskreditfonds der Deka ein Ausgleich zwischen passiv- und aktivlastigen Instituten erfolgt oder indem über die Landesbanken nicht nur eine Liquiditätssteuerung erfolgt, sondern auch versucht wird, Risiken möglichst breit zu streuen.

Wie wird die Arbeitsteilung von Deka und LBB ab dem Sommer aussehen? Und was ist mit S-Kreditpartner, wo verbleibt die?

Die Deka-Bank wird ein sortenreines Wertpapierhaus, die frühere LBB eine sortenreine Sparkasse sein. Und die Berlin-Hyp wird als Institut verselbstständigt. Die Berliner Sparkasse wird auch künftig anderen Sparkassen Retailprodukte zuliefern. Deshalb bleibt die S-Kreditpartner ein gemeinsames Engagement der Berliner Sparkasse und der Deutschen Leasing.

Kann der Präsident weitere Belastungen aus dem Umbau der LBB für die Eigentümer ausschließen?

Wir haben eine Neustrukturierung gewählt, die uns für die Zukunft sehr gute Marktchancen bietet und Werte erhält. Das ist das Ziel - und die Wahrscheinlichkeit ist im gewählten Szenario am größten. Kein vernünftiger Verantwortlicher wird allerdings für die Zukunft alles ausschließen. Ich kann nur sagen, dass wir an unseren Zielen hart arbeiten und bei sich ändernden Marktbedingungen jeweils das machen werden, was den Sparkassen als Eigentümern am meisten nützt.

Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf, bei den öffentlichen Versicherern, bei den LBSen, bei den Landesbanken?

Wir haben zum Glück keinen akuten Handlungsbedarf für neue Strukturen. Die Landesbanken in ihrer Gesamtheit haben in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben gemacht und die Risikoaktiva seit 2007 um 40 Prozent und die Bilanzsumme um 20 Prozent vermindert. Ich bin dafür, sie diese Aufgabe zu einem guten Abschluss bringen zu lassen und nicht fortlaufend durch neue Strukturdebatten davon abzulenken.

Bei den LBSen und den öffentlichen Versicherern können wir sicher noch mehr Gemeinsamkeiten finden. Ich unterschätze aber keineswegs, dass dies bei sehr heterogenen Eigentümerschaften keine leichte Aufgabe ist.

Wie wird die Sparkassen-Finanzgruppe das Problem Schleswig-Holstein lösen?

Wir haben kein "Problem Schleswig-Holstein", sondern Handlungsbedarf in einzelnen Instituten. Das werden wir so angehen, wie das in unserer Gruppe üblich ist - von unten nach oben. Zuerst sind die betroffenen Institute selbst in der Verantwortung, ihre betriebswirtschaftliche Situation zu verbessern. Das schließt neue Strukturen - zusammen mit Nachbarsparkassen - ein. Das Sparkassenrecht hält dafür geeignete Formen bereit. Sollte dies im Einzelfall nicht ausreichen, sind die in einem Regionalverband zusammengeschlossenen Sparkassen in der Verantwortung. Eine Hilfe anderer deutscher Sparkassen ist erst das letzte Mittel. Ich sehe nicht, dass wir dort schon wären. Aber es ist sicher hilfreich, dass der Verband in Schleswig-Holstein in zahlreichen Funktionsbereichen solidarische Hilfe anderer Regionen annimmt und es so zu einem Know-how-Transfer kommt.

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