Wahrlich bedenklich ...

Philipp Otto

Foto: Fritz Knapp Verlag

Wie sicher sind Deutschlands Banken wirklich? Gerade erst haben sie mehr oder weniger solide den heftigen Stresstest der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde EBA überstanden und wurden von Politikern und Bankenaufsehern unisono für ihre gestiegene Widerstandskraft gelobt. Und nun kommt die Deutsche Bundesbank und warnt im Finanzstabilitätsbericht 2018 vor wachsenden "Verwundbarkeiten" des deutschen Bankensystems. "Die bereits im Finanzstabilitätsbericht 2017 thematisierte Gefahr der systematischen Unterschätzung von Risiken gewinnt an Bedeutung: Denn in der langen Phase niedriger Zinsen, günstiger Finanzierungsbedingungen und der anhaltenden Hochkonjunktur könnten Abwärtsszenarien zunehmend aus dem Blick geraten und deren Auswirkungen ausgeblendet werden. Die vergangene Entwicklung könnte zu optimistisch in die Zukunft fortgeschrieben werden, künftige Kreditrisiken tendenziell unterschätzt und die Verlusttragfähigkeit überschätzt werden", heißt es in der gerade vorgelegten Ausgabe des Finanzstabilitätsberichts.

Ja, was denn nun? Sind deutsche Banken und Sparkassen sicher oder nicht? Dass gerade internationale Gremien hier mitunter zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen können, ist hinlänglich bekannt. Zu undurchsichtig ist für viele die Vielfalt und Kleinteiligkeit der deutschen Kreditwirtschaft, die aber doch gerade für jene Stabilität des gesamten Systems sorgt. Aber nun auch die Bundesbank, die immerhin fest in die laufende Aufsicht über die deutschen Institute eingebunden ist. Die Antwort ist relativ einfach: Es geht einfach um die unterschiedlichen Betrachtungsweisen auf der Mikro- und der Makroebene. Während die verschiedenen Stresstests oder Comprehensive Assessments auf der Mikroebene auf konkrete Auswirkungen bestimmter Szenarien auf einzelne Institute abstellen, nutzen die Finanzstabilitätswächter vielmehr den Blick aus der Vogelperspektive.

Und der kann in der Tat beunruhigen. Die Bundesbank zählt auf: Der längste Aufschwung seit der Wiedervereinigung. Seit mehreren Jahren äußerst niedrige Zinsen und damit verbunden wachsende Zinsänderungsrisiken. Günstige Finanzierungsbedingungen. Hohe Vermögenspreise, vor allem bei Wohnimmobilien, wo die Übertreibungen zwischen 15 und 30 Prozent in der Spitze betragen können. Zunehmende geopolitische Spannungen. Offen ausgebrochene Handelskonflikte, die zu eskalieren drohen. Weiterhin Unklarheit über die konkrete Ausgestaltung des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Vermutlich könnte man diese Liste noch um den einen oder anderen Punkt ergänzen, aber sie reicht mühelos aus, um Gefahren für die Finanzstabilität auszumachen. Und dafür muss man noch nicht einmal ein besonders ausgeprägter Pessimist sein.

Kern der Sorge der Finanzstabilitätswächter ist verständlicherweise ein Ende des Aufschwungs, das sich immer stärker abzeichnet. Der Ifo-Index für das Geschäftsklima sank im November von zuvor 102,9 auf 102,0 Punkte. Das heißt, die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft ist den dritten Monat in Folge schlechter geworden. Drei Rückgänge in Folge signalisieren in der Regel eine Wende zum Schlechteren. Entsprechend stellt ifo-Chef Clemens Fuest fest: "Die deutsche Konjunktur kühlt ab." Daraus drohen Risiken für die Banken: "Diese Verwundbarkeiten umfassen eine Unterschätzung von Kreditrisiken, die Überbewertung von Vermögenswerten und Kreditsicherheiten, etwa bei Immobilien, und die mit der Fristentransformation von Finanzinstituten einhergehenden Zinsänderungsrisiken", heißt es im Finanzstabilitätsbericht. Den Instituten drohen in einem solchen Szenario steigende Risiken aus Kreditausfällen, höhere Risikovorsorgen, ein Wertverlust bei Assets und Kreditsicherheiten und höhere Risiken aus der Fristentransformation mit zunehmender Wahrscheinlichkeit von Zinserhöhungen. Daraus wiederum würden Verluste resultieren, die zulasten der aufgebauten Eigenkapitalpuffer gehen würden.

All das ist natürlich nicht von der Hand zu weisen. So hat die Kreditvergabe an inländische Unternehmen und Haushalte den höchsten Stand seit 2003 erreicht. Dabei ist der Anteil der Kredite an Unternehmen mit einer tendenziell geringeren Eigenkapitalquote und damit einer hohen Zinsbelastung über die vergangenen Jahre hinweg kontinuierlich gestiegen. Der Verschuldungsgrad der privaten Haushalte weist aktuell den niedrigsten Stand der vergangenen zwanzig Jahre aus, die Zinslast in Prozent des verfügbaren Einkommens ebenfalls. Damit dürfte es in einer Phase wieder steigender Zinsen schnell vorbei sein. Dann kommen auch die Zinsänderungsrisiken zum Tragen. Denn während sich die Refinanzierung sofort verteuern würde, hat die Aktivseite einen gewissen Nachlaufeffekt. Der größer wird: Der Anteil neu vergebener Kredite allein für den Wohnungsbau hat sich seit Anfang des Jahres 2010 von 26 Prozent auf inzwischen 45 Prozent nahezu verdoppelt. Laut Finanzstabilitätsbericht weisen 63 Prozent der Kreditgenossenschaften und 42 Prozent der Sparkassen erhöhte Zinsänderungsrisiken auf.

Es ist natürlich Pflicht, weil sogar gesetzliche Aufgabe der Deutschen Bundesbank, Gefahren für die Finanzstabilität zu identifizieren und zu bewerten. Aber damit kann immer auch ein gewisses Maß an Unruhe erzeugt werden. Wenn Investoren und sonstige Fremdkapitalgeber dem Finanzsektor aber aufgrund gestiegener Unsicherheiten und des damit einhergehenden Vertrauensverlustes den Rücken kehren, könnte aus den Warnungen schneller Realität werden, als allen Beteiligten lieb ist. Dabei haben auch Geldpolitik und Regulierung, ebenfalls zwei Kernaufgaben der Notenbanken, überhaupt erst zu einigen der seit Längerem angeprangerten Missstände geführt. Ganze Geschäftsfelder wurden wegreguliert und werden nun fröhlich von Schattenbanken in nicht regulierten Marktsegmenten ausgeübt.

Die niedrigen Zinsen schmälern darüber hinaus die Ertragsmöglichkeiten erheblich. Wird in Folge das Kreditgeschäft ausgeweitet und weichen die Banken in die gerade noch halbwegs auskömmlichen längeren Laufzeiten und etwas riskanteren Risikoklassen aus, wird gleich wieder mit dem Zeigefinger gedroht. Makroprudenzielle Instrumente oder antizyklische Kapitalpuffer werden von der Notenbank ins Spiel gebracht, was übrigens kein deutsches Phänomen ist, denn in einigen anderen europäischen Ländern sind solche Instrumente bereits im Einsatz. Das kostet die Banken und Sparkassen wiederum Geld und schmälert erneut Ertragsmöglichkeiten.

Und auch die Kritik an der nun im Finanzstabilitätsbericht kritisierten prozyklischen Wirkung der vor allem von größeren Banken zur Berechnung der Eigenmittelanforderungen angewandten internen Modelle könnte bei dem einen oder anderen ein wenig Kopfschütteln auslösen. Waren es nicht die Standardsetzer selbst, die mit Basel II und Basel III solche Modelle eingeführt haben, und ist es nicht die Aufsicht höchstpersönlich, die diese Modelle abnehmen muss? Kritik an der prozyklischen Wirkung gibt es aus der Branche übrigens schon lange.

Darüber ein ganz klein wenig mehr auch in einem Finanzstabilitätsbericht zu lesen, wäre schon schön.

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