Titel: Wettbewerb im Retail

Allfinanz - eine realistische Bestandsaufnahme

Die Wüstenrot & Württembergische AG (W&W) ist die Dachgesellschaft einer unabhängigen Finanzdienstleistungsgruppe mit Sitz in Stuttgart, die 1999 aus der Fusion der Traditionsunternehmen Wüstenrot und Württembergische hervorgegangen ist. Seit 2005 gehören auch die Karlsruher Versicherungen zur W&W. Mit diesem Zuerwerb ist es gelungen, in allen Kerngeschäftssegmenten eine Marktposition unter den Top 10 in Deutschland zu erreichen. In der W&W-Gruppe bilden Vorsorgeleistungen vor allem mit Bausparen und Baufinanzierung sowie mit Versicherungen zwei gleich starke Säulen unter dem Dach einer strategischen Management Holding. Diese gleichwertige Kombination ist in Deutschland einmalig.

Die W&W legt ihren Schwerpunkt auf den Privatkundenmarkt und gewerbliches Geschäft in Deutschland. Der Vertrieb läuft über ein starkes Netz von 6 000 Außendienstpartnern in zwei großen Ausschließlichkeitsvertrieben. Ausgebaut werden zudem Vertriebskooperationen mit anderen Banken und eine neue Gesellschaft für den Maklervertrieb der Versicherungen.

Zukunftsprogramm "W&W 2009" gestartet

Im Frühjahr 2006 ist das Zukunftsprogramm "W&W 2009" für mehr Wachstum, Effizienz und Rentabilität gestartet worden. Das Selbstverständnis, eine einzige Unternehmung zu sein, soll gestärkt und das Potenzial der rund sechs Millionen Kunden besser genutzt werden. Es teilen sich diese in drei Millionen Kunden auf der Wüstenrot-Seite und drei Millionen auf der Württembergischen Seite. Dabei ist die Schnittmenge zwischen diesen nahezu identischen Kundengruppen sieben Jahre nach der Fusion zur W&W noch im geringen, einstelligen Prozentbereich. Zwar haben die beiden Einzelmarken einen hohen Bekanntheitsgrad, weniger bekannt hingegen ist bei den Kunden, dass beide zu ein und demselben Finanzdienstleister gehören.

Überschneidungen zwischen Banken und Versicherungen

Angesichts dieser Ausgangslage liegt die Frage nahe, wie weit die Integration von Bausparkasse, Bank und Versicherung in einem Konzern eigentlich gelingen kann. Schließlich vereint die W&W unter ihrem Dach Geschäftsfelder, die in ihrem Image und Selbstverständnis wie auch in Strukturen und Prozessen voneinander abweichen.

So zeigen Erhebungen, dass sich das traditionelle Image einer Bank in wesentlichen Punkten von dem einer Versicherung unterscheidet. Ruft die Bank vergleichweise angenehme Assoziationen wie "Zinsertrag" oder "Geld für Konsum" hervor, so verknüpfen viele mit der Versicherung Gedanken an Schäden oder Unglücksfälle. Ihrem Selbstverständnis nach sind Banker Spezialisten für Finanzierung, Transaktionen und Geldanlage. Auf der Versicherungsseite hingegen sind Fachleute für das Thema Absicherung und Risiko zu Hause. Ferner verwenden sie unterschiedliche Begriffswelten: Die Bank spricht beispielsweise von Depot, die Versicherung von der Police.

Auch die Vertriebswege - hier herkömmlich primär über den Bankangestellten in der Filiale, dort immer noch ausgeprägt über den Vertreter in der Ausschließlichkeitsorganisation - weichen erheblich von einander ab. Allerdings erschließen sich die Versicherungen zunehmend alternative Absatzkanäle: So vertreiben sie ihre Produkte vermehrt über Makler und ebenfalls über Bankfilialen, wobei die Vertrauensstellung der Banken genutzt werden soll. Nicht "Vertreter" des "Versicherers", sondern Berater des Kunden sind gefragt. Diese vertriebsorientierte Ausrichtung am Kunden führt bei den Banken zur Renaissance der Filiale. Dem steht klassisch das anlassorientierte Vertriebsmodell von Versicherern gegenüber. Auch die organisatorische Ausrichtung einer Bank zum Beispiel in Privat- und Firmenkundenbereiche ist kundenzentriert. Die Versicherungen hingegen organisieren sich noch oft nach ihren Fachsparten.

Zudem unterscheiden sich die beteiligten Produkte und Bereiche in ihrer Komplexität. Ferner bestehen Unterschiede bei der Incentivierung und dem Verhalten am Verkaufspunkt. Eine nicht unerhebliche Barriere bei der Integration sind die technischen Hürden für gemeinsame technologische Anwendungsentwicklung.

Mehrwert

Obschon sich Banken und Versicherungen in ganz erheblichen Maße unterscheiden, kann die Kombination dieser Geschäftsfelder durchaus Mehrwert schaffen. Bei W&W liegt das größte Potenzial darin begründet, dass die Säulen Bausparen/Bank und Versicherungen gleich gewichtet sind. Dies bietet viele Möglichkeiten, denn beide besitzen ein ähnliches Kundenpotenzial und verwandte Produktlandschaften rund um das Thema der Vorsorge. Die Bündelung von zusammenhängenden Finanzdienstleistungen bei einem Anbieter kommt dem Kundenwunsch nach überschaubaren Angeboten entgegen. Nach einer Studie des Kundenmonitors Assekuranz hätten über 60 Prozent der befragten Versicherten ihre Geldanlagen am liebsten bei nur einem Anbieter konzentriert. Die Kunden gaben an, dass sie insbesondere Bauspar- und Baufinanzierungsprodukte gerne auch über ihren Versicherer beziehen würden.

"Berater des Kunden" sind gefragt

Aus Kundensicht scheint die Kombination bei W&W also besonders "allfinanztauglich" zu sein. Ein Konzern, der mit einer Baufinanzierung gleichzeitig eine Hausrats- oder Gebäudeversicherung verkaufen kann, hat gute Chancen, seine Kunden langfristig zu binden.

Trotz gemeinsamer Ansatzpunkte und Akzeptanz beim Kunden war vielen Allfinanzkonzepten bislang ein eher moderater Erfolg beschieden. Dies lag sicherlich auch daran, dass das Thema vor allem aus dem Blickwinkel der Institution, des Anbieters betrachtet wurde. Großinstitute und Beraterfirmen haben dabei hauptsächlich Synergien und Kosteneffizienzen im Blick. Der Kunde und seine Bedürfnisse treten leicht in den Hintergrund. Wenn dies richtig ist, tut ein Paradigmenwechsel Not: Nicht die Institution, sondern der Kunde und seine Bedürfnisse müssen im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen.

Die Kunden haben durch die zunehmende Mobilität, die individualisierten Lebensverhältnisse und den demografischen Wandel immer komplexere Bedürfnisse. Die Anbieter reagieren darauf mit einer vielfältigen, doch für den Kunden oftmals verwirrenden Produktlandschaft. Die Vielzahl an Anbietern, Begriffen und Vertriebsinitiativen ist für den Kunden kaum mehr zu durchschauen. Vom Kunden her denken heißt, seine Bedürfnisse verstehen, die Bedarfssituation auf den Punkt bringen und aus verständlichen Produktbausteinen passgenaue Lösungen anbieten. Einfachheit und Zuverlässigkeit sind gefragt. Die Höhe der Kundenzufriedenheit mit dem Finanzdienstleister korrespondiert mit der Anzahl der nur bei ihm genutzten Produkte. Dementsprechend steigt die Abschlusswahrscheinlichkeit für weitere Verträge, für Folgeverträge.

Die W&W antwortet darauf als Vorsorgespezialist für entsprechende finanzielle Bedürfnisse der Kunden in allen Lebensphasen aus einer Hand. Sie deckt mit ihren bedarfsorientierten Angeboten für Vermögensbildung, Wohneigentum, finanzielle Absicherung und Risikoschutz insoweit alle wesentlichen Nachfragesituationen im Leben der Kunden ab. Für diese ganzheitliche Betreuung der Kunden stellt der Konzern entsprechende Weichen: Einstellungen, Strukturen, Prozesse, Systeme und Instrumente werden auf den Kundenwunsch hin ausgerichtet und Cross-Selling tauglich gemacht.

W&W im Umbauprozess

Nur wenig Synergien zwischen Bausparkasse, Bank und Versicherungen bestehen bislang in den Back-Offices, in den Steuerungssystemen, in den Operations, also in Bereichen, die unterschiedlichen Geschäftslogiken folgen. Im Zuge des Reformprogramms "W&W 2009" wird daran gearbeitet, zusammengeführte Steuerungs- und Servicefunktionen im Konzern zu fokussieren. Die Organisation der W&W-Gruppe wird so gestrafft, dass auch Cross-Selling-Potenziale besser genutzt werden können als in der Vergangenheit.

So wurden die vormals fünf Geschäftsfelder auf zwei, Bausparen/Bankdienstleistungen und Versicherung, verschlankt. Die Leiter der zwei Geschäftsfelder bilden mit dem Vorstand der W&W AG die Konzernleitung, das Management Board. Im neu eingerichteten Vertriebsboard bringen die Vertriebsvorstände der beiden Geschäftsfelder mit dem für die Vertriebskoordination zuständigen Vorstandsmitglied der strategischen Management Holding die Arbeit am Cross-Selling voran.

Image, Geschäftsmodell und Unternehmenskultur müssen die Ausrichtung zum Vorsorgekonzern stützen. Was das Image angeht, so verfügt die W&W über die zwei am Markt gut bekannten, starken Marken "Wüstenrot" und "Württembergische". Sie kommen aus den Welten Bausparen und Versicherungen und sprechen die gleichen Kundensegmente an. Wüstenrot ist eine der bekanntesten deutschen Bausparmarken; die gestützte Bekanntheit liegt bei 85 Prozent. Die Württembergische erreicht als "Fels in der Brandung" mit 55 Prozent ebenfalls hervorragende Werte. Noch zu wenig bekannt ist dagegen, dass beide zu einem einzigen Konzern gehören.

Ein gemeinsames Image als Konzern ist folglich noch aufzubauen. Es gilt, den Markenzusammenhang durch eine optische Annäherung bekannter zu machen. Nur so können sich beide Marken gegenseitig verstärken. Dabei sollen jedoch die beiden bewährten Einzelmarken nicht vermischt oder eine ganz neue Marke geschaffen werden. W&W steht hier vor der Herausforderung, mehr aus dem Vorhandenen zu machen, ohne positiv Bestehendes zu gefährden.

Vertrieb als Herzstück

Soll das Geschäftsmodell ein weiterer Faktor für den Erfolg als Vorsorgespezialisten sein, so muss es ganz auf den Kunden und seine Bedürfnisse ausgerichtet werden. Basis ist hierbei die Analyse des Kunden, seines Bedarfs und seines Potenzials. Das Cross-Selling wird gefördert durch den gezielten Einsatz entsprechender Fach-Expertise, optimierter Provisionssysteme sowie vereinfachter, an den Lebensphasen des Kunden orientierter Produktbausteine und -bündel. Einheitliche Standards bei Vertriebsanwendungen und -prozessen sowie transparentes Reporting der Leistung sichern die gesamte Zielstellung.

Wie gesagt: Am Anfang steht eine systematische und umfassende Analyse der Kundenbedürfnisse und Potenziale, ausgehend von persönlicher Kundenkenntnis und konzernweit verfügbaren Daten. Diese weisen beispielsweise bei den drei Millionen Versicherungskunden der W&W-Gruppe jährlich einen Baufinanzierungsbedarf von 2, 5 bis drei Milliarden Euro aus. Entsprechende Kunden müssen in einem höheren Maße als bislang als Kunden für das Geschäft von Wüstenrot gewonnen werden. In die Potenzialabschätzung fließt die Berücksichtigung der möglichen Wertschöpfung des betreffenden Kundensegments mit ein. Darauf aufbauend wird der jeweils adäquate Vertriebsweg gewählt.

Der Vertrieb ist das Herzstück bei W&W. Die Vertriebsstrukturen werden gezielt auf Cross-Selling hin ausgerichtet. Dazu arbeiten Fachbetreuer und Generalisten eng zusammen. Einfache Standardprodukte der einen Sparte werden auch vom jeweiligen Vertrieb des Schwesterunternehmens verkauft. Geht es bei höherwertigem Geschäft um eine intensivere Beratung, so unterstützen Produktspezialisten den Vertriebspartner, unter einheitlicher Führung und Verantwortung. Zum Teil wirken diese auch als Multiplikatoren zur grundsätzlichen Ausweitung des wechselseitigen Geschäfts. Hier zeigen sich bereits erste Erfolge. Ein Drittel des gesamten Neugeschäfts bei den Lebensversicherungen läuft inzwischen über den Wüstenrot-Vertrieb.

Des Weiteren werden die Provisionssysteme für den Vertrieb weiterentwickelt, um das Cross-Selling zu fördern. Die Anreizsysteme setzen auf einer umfassenden Sicht der betreffenden Kundenpotenziale auf. Die Zielvereinbarungen sind mit Cross-Selling-Zielen hinterlegt, die alle Produktbereiche abdecken.

Zudem ist die W&W dabei, ihr Produktportfolio zu vereinfachen und stärker an den Bedürfnissen des Kunden in verschiedenen Lebensphasen auszurichten. Produkte werden dabei zu bedarfsorientierten Lösungen gebündelt. Als Vorsorgespezialist bietet die W&W genau auf die sich entwickelnden Kundenbedürfnisse zugeschnittene Angebote für Vermögensbildung, Wege zu Wohneigentum, finanzielle Absicherung und Risikoschutz. Dabei sollen verständliche Produktnamen gewählt werden, um dem Kunden die Orientierung zu erleichtern.

Die Potenzial- und qualitätsorientierten Vertriebsziele werden über entsprechende Steuerung sichergestellt, wahrgenommen auf der einzelnen Vertriebsebene. Basis sind die Kundenkenntnis, die Planung, die entsprechende Vergütungssystematik, das Reporting und die verantwortungsvolle laufende Führung und Kommunikation. Erstklassige Beraterqualität und ambitioniertes Unternehmertum sind Vorraussetzung für den Erfolg.

Unternehmenskultur

Der dritte Erfolgsfaktor für das Zusammenwachsen als Vorsorgespezialist ist die Unternehmenskultur. Wüstenrot und Württembergische sind Unternehmen mit gewachsenen, traditionsreichen Unternehmenskulturen. Die Positionierung als ein gemeinsamer Vorsorgekonzern erfordert aber ein starkes Miteinander. Der Konzern soll nicht nur gegenüber dem Kunden als eine Unternehmung auftreten, dieses Verständnis muss in der täglichen Arbeit aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelebt werden. Dies funktioniert nur mit einem gemeinsamen Wertesystem, das nach innen und außen Orientierung gibt.

Miteinander erarbeitet wurden fünf Postulate, die jedem bei W&W ein ständiges Anliegen, ein jederzeit zu erfüllender Anspruch sind: Kunden in den Mittelpunkt stellen, Spitzenleistungen schaffen, Verantwortung übernehmen, Teamgeist erlebbar machen und Courage für das Neue zeigen. Tägliche Konzentration auf diese Versprechen in Verbindung mit fortwährender Lernbereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung führen zu neuen Erfolgen in dem überschaubaren Allfinanzspektrum des Vorsorgespezialisten Wüstenrot & Württembergische.

Alexander Erdland , Senior Advisor, Ardian Germany, Frankfurt am Main
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