Finanzbildung

Bildungsförderung ist keine Vertriebs- oder Lobbyarbeit

Jeder Bürger ist aktiver Teilnehmer des Wirtschaftskreislaufs, zum Beispiel in seiner Rolle als Konsument. Schon Kinder und Jugendliche treffen in ihrem Alltag als junge Verbraucher Entscheidungen darüber, wofür sie ihr Taschengeld ausgeben oder was sie zur Erfüllung eines größeren Wunsches sparen möchten. In solchen Situationen ist bereits finanzielles Grundwissen gefragt.

Ein Blick auf ihre Kaufkraft bestätigt: Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und 19 Jahren stehen laut Trend Monitor 2014 im Schnitt knapp 1 200 Euro jährlich und damit sogar 100 Euro mehr als im Vorjahr zur Verfügung. Gerade mit Blick auf die spätere eigenständige Lebensplanung im Erwachsenenalter spielt der verantwortungsvolle Umgang mit Geld eine zentrale Rolle. Aktuelle Studien wie der EFAMA Investor Education Report zeigen aber auch unter Erwachsenen in Europa Wissenslücken auf, etwa wenn es um ökonomische Grundkenntnisse zu Zinsen, Inflation und Investment geht.

Weder Vertriebs- noch Lobbyarbeit

Die finanzielle Allgemeinbildung der Mitmenschen zu fördern ist ein Thema, für das sich Genossenschaftsbanken schon seit Jahrzehnten einsetzen. Es ist ein wichtiger Bestandteil ihres umfangreichen gesellschaftlichen Engagements, welches mit insgesamt rund 140 Millionen Euro, die die Institute der genossenschaftlichen Finanzgruppe Jahr für Jahr den Menschen vor Ort an finanziellen Zuwendungen - Spenden, Sponsoring, Stiftungserträge - zukommen lassen, beträchtlich ist.

Volks- und Raiffeisenbanken engagieren sich für die Finanzbildung der Bürgerinnen und Bürger in der Region - über offensichtliche Anlässe wie dem jährlichen Weltspartag im Oktober hinaus - in meist lang angelegten Bildungsprojekten das gesamte Jahr hindurch. Diese Initiativen wären nicht möglich ohne ebenso engagierte Partner: die Schulen und dort tätigen Lehrkräfte, die Eltern, Schuldnerberatungsstellen und die Gemeinden.

Als ernst gemeintes gesellschaftliches Engagement ist diese Bildungsförderung weder als Vertriebs- noch als Lobbyarbeit zu sehen. Sie geht zurück auf das genossenschaftliche Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe und das Bürgerengagement, das seinerzeit zur Gründung von Volks- und Raiffeisenbanken geführt hat.

Vielfalt genossenschaftlicher Bildungsprojekte

Bemerkenswert ist die Vielfalt der örtlichen und regionalen Initiativen von Genossenschaftsbanken zur Finanzbildung: Diverse Projekte, die Banken in Zusammenarbeit mit den Schulen und Gemeinden umsetzen, richten sich bereits an Grundschüler, um Kinder frühzeitig und in spielerischer Form an den vernünftigen Umgang mit Geld heranzuführen.

- Um die Arbeit einer Bank direkt erlebbar zu erläutern, laden Genossenschaftsbanken Schulklassen zu Führungen durch die Bank ein.

- Zudem vermitteln Mitarbeiter der Institute den Heranwachsenden in Schulstunden das Einmaleins des Sparens, erklären die Funktion von Banken in der Volkswirtschaft und bereiten Jugendliche auf das Berufsleben etwa in Form von Bewerbertrainings vor.

- Viele Ortsbanken nutzen dabei auch Unterrichtsmodule, die die genossenschaftlichen Regionalverbände bereithalten. Diese unterstützen die Bankmitarbeiter darin, Unterrichtsstunden in Kooperation mit der Schule vor Ort zu allen wichtigen Finanzthemen abzuhalten.

- Weitere Ortsbankenprojekte arbeiten seit Jahren Seite an Seite mit Schuldnerberatungsstellen erfolgreich zusammen mit dem Ziel, Bürger über verantwortungsvollen Umgang mit Geld aufzuklären.

- Auch an junge Eltern richten sich Projekte, um ihnen das nötige Rüstzeug für das Management des Familienbudgets und die Taschengelderziehung ihrer Kinder mitzugeben.

- Diverse innovative Projekte stellen beispielsweise Theaterstücke, Schülergenossenschaften oder eine Kinder-Universität auf die Beine.

Die genossenschaftliche Team-Bank initiierte die "Stiftung Deutschland im Plus", die wirkungsvolle Überschuldungsprävention betreibt, und sie verleiht jährlich im Juni den "Preis für finanzielle Bildung". Damit würdigt sie regelmäßig hervorragende Finanzbildungsinitiativen von Genossenschaftsbanken - das Preisgeld fließt den jeweiligen ausgezeichneten örtlichen Bildungsprojekten zu - und motiviert damit weiter zum Bildungsengagement.

Diese Aufzählung der verschiedenen Initiativen in der genossenschaftlichen Finanzgruppe ließe sich noch lange fortsetzen. Den vielfältigen Finanzbildungsprojekten gemein ist die Nachhaltigkeit, also insbesondere die Langfristigkeit, mit der diese Projekte umgesetzt werden - in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Schulen und anderen Partnern.

Portal Jugend und Finanzen: Hohe Wertschätzung bei Pädagogen

Um die Breite und Qualität des Finanzbildungsengagements der Volks- und Raiffeisenbanken im bundesweiten Überblick zu veranschaulichen, hat der BVR im Jahr 2011 das Schulserviceportal der Volksbanken Raiffeisenbanken www.jugendund-finanzen.de geschaffen. Die Internetplattform richtet sich an Lehrer, Eltern und interessierte Verbraucher. Sie stellt verschiedene Projekte von Genossenschaftsbanken zur Finanzbildung gebündelt vor, verweist auf empfehlenswerte Publikationen und Ansprechpartner und stellt darüber hinaus aktuelle Unterrichtsmaterialien zu bestimmten Finanzthemen zum Download bereit.

Ein Blick auf die interaktive Deutschlandkarte des Schulserviceportals bildet die Breite der genossenschaftlichen Initiativen zur Finanzbildung ab und liefert Kontakte zu den Finanzbildung anbietenden Banken vor Ort. Lehrkräften bietet das Schulserviceportal kostenfrei downloadfähiges Unterrichtsmaterial für die Grundschule sowie die Sekundarstufen I und II zu verschiedenen Finanzthemen an. Ergänzt werden diese durch Empfehlungen, wie das Thema Wirtschaft und Finanzen in der Unterrichtspraxis in den jeweiligen Klassen stufen auf Basis der existierenden Bildungspläne gut vermittelt werden kann.

Erfreulich ist, dass das Schulserviceportal eine hohe Wertschätzung bei pädagogischen Experten erfährt. So erhielt das genossenschaftliche Internetangebot im Jahr 2013 erneut das Comenius-Edu-Media-Siegel, eine Auszeichnung für hochwertige Bildungsmedien von der Gesellschaft für Pädagogik und Information (GPI). Auch mehrere beim Deutschen Genossenschaftsverlag erhältliche Publikationen der Reihe Jugend und Finanzen sind mit dem Siegel ausgezeichnet worden.

Verbraucherschutz-Gesetzgebung: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht

Die Bedeutung des Themas finanzielle Bildung ist nicht zuletzt angesichts der Lehren, die aus der Finanzmarktkrise zu ziehen sind, wieder stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Aber auch immer neue Aspekte wie die neuen europaweit einheitlichen bargeldlosen Bezahlverfahren mit Sepa oder der sichere Umgang im Online-Banking ziehen in den Kanon der finanziellen Allgemeinbildung ein. Die Finanzmarktturbulenzen mit ihrem Ausbruch in den Jahren 2007 und 2008 offenbarten - wir wollen nichts beschönigen - durchaus Fehlberatungen einiger Marktteilnehmer, werfen aber auch die grundsätzliche Frage nach der finanziellen Allgemeinbildung der Anleger und Verbraucher auf.

Es verwundert also nicht, wenn sich die Politik neben der Regulierung der Finanzmärkte auch mit dem weiteren Ausbau des Anleger- und Verbraucherschutzes sowie der finanziellen Bildung beschäftigt. Den stärkeren Fokus auf die Bedürfnisse der Verbraucher begrüßt die genossenschaftliche Finanzgruppe, denn Volks- und Raiffeisenbanken gehörten nicht zu den Verursachern der Finanzmarktkrise, sondern wirkten nicht zuletzt dadurch stabilisierend, dass sie die Verbindung zwischen Finanz- und Realwirtschaft, und damit ihre eigene Verbindung zu den Kunden, nie außer Acht ließen.

Banken haben Interesse am finanzkompetenten Verbraucher

Die Beraterinnen und Berater bei Genossenschaftsbanken wollen einen aufgeklärten Kunden als Partner - auch wenn die Menge an schriftlichen Informationen, die an Bankkunden mit immer neuen von der Politik beschlossenen Maßnahmen herangetragen oder von ihnen abgefragt werden müssen, mittlerweile aber die Schmerzgrenze erreicht.

Betrachten wir die ökonomische Bildung in Deutschland, belegen zahlreiche Studien und Berichte immer wieder große Wissenslücken der Bevölkerung in Deutschland, wenn es um wirtschaftliche Sachverhalte geht. Ein ernüchterndes Fazit zieht beispielsweise eine Studie, die 2013 ein Professorenteam um den Bildungspsychologen Gerd Gigerenzer im Auftrag des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und der Zeppelin Universität in Friedrichshafen veröffentlichte. Scheinbar einfache Fragen zu den Themen Geldanlage, Verbraucherschutz und Wirtschaftspolitik bildeten den inhaltlichen Schwerpunkt der Studie.

Schwerwiegende Wissenslücken über ökonomische Zusammenhänge

Die Ergebnisse der Befragung fielen ernüchternd aus: Die rund 1 000 Teilnehmer der Studie konnten im Durchschnitt nur 14 der 24 Fragen richtig beantworten.

- Etwa 25 Prozent der Teilnehmer wussten nicht, dass sie in einer Sozialen Marktwirtschaft leben.

- Über 70 Prozent konnten einfache Zinsrechnungen nicht vornehmen, die zum Beispiel für das Verstehen von Kreditkonditionen grundlegend sind.

- Mehr als ein Drittel der Befragten wusste nicht, dass Investitionen in deutsche Staatsanleihen grundsätzlich sicherer sind als jene in Aktien, Fonds oder Zertifikate.

- Auch dass Dänemark eine eigene Währung hat, war lediglich gut der Hälfte bekannt.

Die Studie offenbart aus Sicht der Forscher "schwerwiegende Wissenslücken über ökonomische Fakten und Zusammen hänge". Somit ist es nicht verwunderlich, wenn es insbesondere Jugendlichen beim verantwortungsvollen Umgang mit dem eigenen Geld an Grundkenntnissen fehlt. Denn die wichtigsten Gesprächspartner für Kinder und Jugendliche in finanziellen Dingen sind zunächst die Eltern. Die Familie ist der Ort, an dem ökonomische und finanzielle Bildung beginnt, an dem Kinder und Jugendliche an den verantwortungsvollen Umgang mit Geld zuerst herangeführt werden - der Beginn liegt beim Erhalt des ersten Taschengeldes und dem Erlernen einer vernünftigen Einteilung des Geldbudgets. Im privaten Umfeld der Menschen ist das Thema Geld aber noch zu oft tabu oder wird vernachlässigt.

"Über Geld spricht man nicht" - dieser Grundsatz ist immer noch stark in der Gesellschaft verankert. Wird in der Familie über Finanzen gesprochen, mangelt es allzu oft, wie die erwähnten Studien zeigen, am finanziellen Grundwissen auch bei den Eltern, denn auch sie haben in ihrer Kindheit ökonomisches Wissen meist nicht systematisch vermittelt bekommen. Der Ort hierfür ist die Schule als Bildungsinstitution. Schließlich zählt ökonomisches Wissen mit finanziellem Wissen als Bestandteil heute anerkanntermaßen zur Allgemeinbildung.

Ökonomische Bildung an Schulen muss systematischer erfolgen

Strukturell ist die Vermittlung wirtschaftlicher Kenntnisse durch die Schulen noch nicht ausreichend verankert: Betrachten wir das deutsche Schulsystem und dessen Lehr- und Bildungspläne, zeigt sich dies klar. Zwar hat sich hier in den letzten Jahren schon einiges getan: Ökonomischen Inhalten begegnet man heute in den Lehr- und Bildungsplänen aller Schularten aller Bundesländer zumeist entweder als eigenständiges Fach "Wirtschaft" oder als Integrationsbereich "Wirtschaft-Arbeit-Technik". Darüber hinaus sind wirtschaftliche Fragestellungen Gegenstand im fachübergreifenden und fächerverbindenden Unterricht und finden verstärkt Einzug in Fächer wie Sozialkunde, Ethik oder Geografie.

Aber: In keinem Bundesland liegt bisher eine Konzeption vor, in der die zu vermittelnden ökonomischen Inhalte von der Primarstufe bis zur Sekundarstufe II strukturiert aufeinander aufbauen und sich aufeinander beziehen. Vom "Durchbruch" kann daher noch keine Rede sein. Hier sind weiterhin vor allem die Bundesländer, in deren Zuständigkeit die Bildungspolitik fällt, gefragt, noch konsequenter für entsprechende Strukturen, Bildungspläne und eine adäquate Lehrerausbildung zu sorgen.

Interesse an Finanzkompetenz ist groß

Das Interesse der Beteiligten ist vorhanden, zum Beispiel der Lehrer, die sich für die wirtschaftliche Bildung ihrer Schüler stark machen. Auch das Interesse der Heranwachsenden selbst, mehr über das Thema Wirtschaft zu lernen, ist nachgewiesenermaßen groß. Das erstaunt nicht, denn nahezu jeder Lebensbereich auch von Kindern und Jugendlichen ist mit ökonomischen Fragestellungen verflochten. In Deutschland herrscht ein erheblicher Nachholbedarf in der ökonomischen und speziell der finanziellen Bildung.

Die Bürger möchten mehr ökonomisches Wissen erlernen, die privaten Initiativen beispielsweise der Genossenschaftsbanken helfen Jahr für Jahr - aber eine systematische Verankerung des Themas innerhalb des Bildungssystems fehlt. Die Bevölkerung in Deutschland, insbesondere die jungen Menschen, sollte eine grundlegende Allgemeinbildung zu Wirtschaftsund Finanzthemen beanspruchen dürfen. Die rund 1 000 Genossenschaftsbanken in Deutschland sehen sich natürlich auch selbst in der Pflicht, bieten weiterhin Unterstützung an und stehen mit ihrer Fachkompetenz in allen Fragen zu Wirtschaft und Finanzen bereit.

Uwe Fröhlich , Co-Vorsitzender des Vorstands , DZ BANK AG Deutsche Zentral-Genossenschaftsbank, Frankfurt am Main
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