Vertriebspolitik

Internetbanking als Ankerprodukt für VR-Banken

Die 1 100 Volks- und Raiffeisenbanken haben mit ihren 13 200 Bankstellen eine starke Marktstellung im deutschen Retailbanking. Seit zwanzig Jahren werden sie von Direktbanken angegriffen. Deren Besonderheit: straffe Organisation, standardisierte Produkte, Verzicht auf Filialen, offensive Herausstellung von Service und ein besonders günstiges Preis-Leistung-Verhältnis. Die zentrale Frage für die dezentrale genossenschaftliche Bankengruppe ist, "ob" und "wie" sich Internetbanking in ein traditionell stationäres Geschäftsmodell integrieren lässt.

Wer die Entwicklung des Bankensektors vergangener Jahre genauer betrachtet, stellt unvermeidlich eine klare Verschärfung im Retailbanking fest. Alternative Vertriebskanäle erfahren zunehmende Bedeutung. Eine technikversierte Generation wächst heran, die einen aktiven Internetauftritt als unentbehrlich und keinesfalls als einen zu vernachlässigenden Vertriebsweg wahrnimmt. Neben der Informationsbeschaffung dient die digitale Quelle auch für Preisvergleiche.

Bei allem Zuspruch zum relativ stationären Geschäftsmodell von Volks- und Raiffeisenbanken treffen die demografische Entwicklung und neue digitale Wege zum Kunden Genossenschaftsbanken in deren sehr ausgeprägter regionaler Struktur. Die genossenschaftliche Finanzgruppe ist gefordert, ihren Erfolg in das Zeitalter des Internets zu übersetzen und einen Multikanalansatz durchzusetzen. Gleichzeitig sind kostenbewusstes Agieren und Darlegung einfacher Preisstrukturen von großer Bedeutung. Nie zuvor konnten sich Kunden mit einer derart hohen Transparenz Informationen und Angebote einzelner Banken im Detail verschaffen und Vergleiche ziehen.

Damit gehen freilich auch zunehmende Kundenerwartungen im Bereich der Vertriebs- und Zugangskanäle sowie eine Steigerung der Ansprüche in puncto Qualität und Preis der Bankdienstleistungen einher. Neben einem günstigen Preis für eine Standardleistung entscheidet die "Convenience" des Direktbankings über deren Erfolg, also Merkmale wie Bequemlichkeit, Unabhängigkeit und die Zeitersparnis.

Banking goes online

Eine Studie der Initiative D 21 ergab, dass im Jahr 2001 nur rund 37 Prozent der deutschen Bevölkerung ab 14 Jahren das Internet nutzte. Während sich die Zahl der On- und Offliner im Jahr 2005 nahezu auf einer Linie bewegte, erklärten 2010 bereits 68 Prozent der Bevölkerung das Internet für einen wesentlichen Bestandteil im Alltag. Im Jahr 2012 sind nur noch 21 Prozent der Deutschen offline. Die Internetnutzung hat sich in den vergangenen zwölf Jahren um das Dreifache gesteigert. Es durchdringt sämtliche Lebensbereiche. Künftig werden die Menschen einen Großteil ihrer Geschäfte online abwickeln - so auch die Bankgeschäfte. Nur noch ein Fünftel der deutschen Bankkunden geht regelmäßig in die Filiale. Selbst bei der Generation 70 plus ist eine Steigerung der Internetnutzung von vier Prozent auf nunmehr 28 Prozent zu beobachten. Diese Veränderungen zeigen eines deutlich: Eine Bank muss aktiv, konsequent und strategisch im Netz vertreten sein, denn die digitale Welt wird immer mehr zum zentralen Berührungspunkt zum Kunden.

Kundennähe als ganzheitlicher Vertriebsansatz

Bei aller Internetekstase ist heute im Bankensektor festzustellen, dass lediglich jeder zehnte Kunde wichtige Bankgeschäfte online abschließt. Marktforschungsergebnisse verdeutlichen, dass eine "ganzheitliche Beratung und Betreuung" durch die Hausbank als signifikante Elemente der Geschäftsbeziehung angesehen werden. Eine praktizierte, gelebte Kundennähe stellt einen essenziellen Bestandteil des Vertriebserfolgs dar.

Volks- und Raiffeisenbanken, deren ausgeprägte dezentrale Struktur und genossenschaftliche Prinzipien bieten also nach wie vor Vorteile gegenüber anderen Wettbewerbern. Besondere Bedeutung hat hierbei die regionale Präsenz durch das breite Filialnetz. Serviceleistungen werden flächendeckend angeboten, die "Kundennähe" genießt hohe Priorität - beides sind notwendige Bedingungen für die Loyalität der Kunden.

Nichtsdestotrotz muss die Kundenorientierung mehrdimensional betrachtet und um Aspekte wie Bearbeitungsqualität, Durchlaufzeiten und Vertriebskanäle erweitert werden. Der Vertriebskanal "Internet" hat großes Potenzial und lässt aufgrund des hohen Automatisierungsgrads Banken effizienter, serviceorientierter und wettbewerbsfähiger auftreten. Persönliche Nähe und individuelle Kundenberatung können aber nicht ersetzt werden, auch nicht durch Informationstechnologien.

Eine entscheidende Erkenntnis in diesem Zusammenhang ist der sogenannte "Ropo-Effekt" (Research online, Purchase offline). Heutzutage recherchieren Bankkunden im Internet, sammeln zahlreiche Informationen als Entscheidungsgrundlage und treffen womöglich eine Vorauswahl. Der letztliche Abschluss anspruchsvoller Bankprodukte wird allerdings vor Ort in der Filiale getätigt, wird dann aber auch wieder im Netz plausibilisiert. Eine paradoxe Situation, die den Vormarsch des Internets im Bankgeschäft und gleichzeitig den unverzichtbaren persönlichen Kontakt zum Berater - besonders bei komplexeren Produkten - konkretisiert. Dieses augenscheinliche Kundenverhalten spricht für gute Erfolgsbedingungen des genossenschaftlichen Finanzsektors, verlangt aber gleichzeitig eine schlüssige Verbindung zwischen dem weltweiten Netz und der Präsenz vor Ort.

Direktbanking besser positionieren

Geld und Finanzprodukte sind heute in hohem Maße digitalisierbar, das Internet ist für Finanzdienstleistungen sowohl ein idealer Vertriebsweg als auch ein Marketinginstrument. Die In formations- und Kommunikationstechnik eröffnet völlig neu artige Möglichkeiten im One-to-One-Banking und Marketing unabhängig von Raum und Zeit. Zugespitzt könnte man es wie folgt pointieren: "Kunden- und Marktdaten sowie deren Verfüg- und Nutzbarkeit sind das Gold des 21. Jahr hunderts!" Diese Auffälligkeiten fordern ein Umdenken in der Geschäftspolitik einer Bank.

Die Internetstrategie gewinnt im Finanzsektor also zunehmend an Brisanz und wird als Kommunikations- und Vertriebsweg im Multikanalansatz immer wichtiger. Der demografische Effekt - oder besser der Generationenwandel - verändert die Affinität der Zielgruppen. Komfort, Ungebundenheit und Flexibilität sind bedeutsame Kriterien der heranwachsenden Kundschaft. Daneben sind potenzielle Bankkunden in den kommenden Jahren technikorientiert und setzen den Fokus immer mehr auf einen professionellen Internetauftritt.

Ergo: Markenattribute wie "regionale Nähe" und "intensive Beratung" können den Erfolgskurs genossenschaftlicher Banken allein nicht mehr halten. Für nachhaltiges Wachstum ist eine vielfältig ausgerichtete Vertriebsstrategie unerlässlich, wobei das Internet immer mehr eine zentrale Rolle einnehmen wird. Besser als bisher müssen sich Genossenschaftsbanken in dem sehr dynamischen Geschäftsfeld "Direktbanking" positionieren.

Online-Vertrieb ist keine Option, sondern ein Muss

Direktbanken zeigen seit 20 Jahren, wie sich die Informationstechnologie aus einem reinen Abwicklungsfaktor zu einem strategischen Erfolgsfaktor ändert. Die Internet- und Kommunikationstechnik ist ein Instrument, um sich in einer Welt mit hohem Standardisierungs- und Automatisierungsgrad zu positionieren. Die Erreichbarkeit von Kunden in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld und die Ausdehnung der Produktvielfalt sind nur über einen breiten Marktzugang optimal darstellbar. Schnelligkeit und Einheitlichkeit stärken das Vertrauen in die Kompetenz der Bank und minimieren Transaktionskosten, die persönliche Beratung steht für Individualprobleme offen.

Eine "konsequente Kunden- und Kostenorientierung" wird das Rennen machen, bekräftigte die Unternehmensberatung Capgemini für Banken im Rahmen einer IT-Studie bereits im Jahr 2009. Diese Aussage hat zeitlosen Charakter und verdeutlicht, dass der Online-Vertrieb keine Option, sondern ein Muss für jede Bank ist und eine Schlüsselfunktion im Retailbanking darstellt.

Computergestützte Beratung als Chance

Die in der genossenschaftlichen Zielsetzung verankerten Grundprinzipien - das örtliche Fundament, die emotionale und persönliche Bindung mit dem Fokus auf das Mitglied und die ausgeprägte Realwertorientierung des Geschäftsmodells - müssen mit den Chancen der Internet- und Kommunikationstechnik verknüpft werden. Kriterien zur Positionierung sind dabei: hochwertige Produktinformationen, Zugriff auf Daten, Interaktionsfähigkeiten zu gefragten Themenbereichen und attraktive Konditionen. Daneben erwarten die Kunden eine einfache Handhabung, an die die gesamte Prozesskette angepasst sein muss.

Unter dem Blickwinkel einer intensiven Beratung und Betreuung muss das Medium Internet für Kreditgenossenschaften keinen Wettbewerbsnachteil darstellen. Im Gegenteil: Computergestützte Beratung und Betreuung bietet Volks- und Raiffeisenbanken die Chance eines konstant hohen Beratungsniveaus, das für jeden Bankkunden individuell angepasst werden kann. Die Devise lautet demnach: "Nähe stärken - nicht trotz, sondern wegen des Internets".

Wahrnehmbare Internetmarke

In vergangenen Jahren haben Volks- und Raiffeisenbanken lokale Stärke und Nähe zur Kundschaft durch eine ausgeprägte persönliche "Mensch-zu-Mensch-Beratung" bewiesen. Künftig kommt den digitalen Vertriebswegen eine immer wichtigere Rolle zu. Neben einer besseren Potenzialausschöpfung sind ein Ausbau der technischen Infrastruktur sowie - und das ist entscheidend - das gemeinsame Tragen eines strategischen Web-Konzepts mit dem Ziel einer wahrnehmbaren Internetmarke unabdingbar.

Bankkunden fordern divergente Zugangskanäle zu allen Bankleistungen. Die Kommunikationskampagne mit dem Motto "Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt. Wir machen den Weg frei!" erfordert eine Multikanalstrategie, die die Bedürfnisse online-orientierter Bestandskunden und potentieller Neukunden zufrieden stellt, gleichzeitig aber umfassende, integrierte sowie persönliche Betreuung über die Bankfiliale ermöglicht. Die zentrale Frage ist nur: Wie ist das für eine dezentrale Bankengruppe möglich?

Zentrales Konzept, dezentrale Verantwortung

Die Lösung für Kreditgenossenschaften liegt in der Kombination von zentralen Online-Diensten und der dezentral verankerten persönlichen Betreu ung. Der regionale Bezug mit emotionaler und persönlicher Bindung einerseits, professionelle Internetdienste und neue Medien andererseits können sich ideal ergänzen. Die Kombination des örtlichen Fundaments mit einem zentralen oder virtuellen Dienst entspricht genau dem Kundenbedürfnis: Durch die örtliche Bank kann die abstrakte Dienstleistung oder das virtuelle Produkt ein Gesicht erhalten und positive Gefühle wecken, Vertrauen und Akzeptanz kann so entstehen oder entscheidend verstärkt wer den.

Zweistufiges System

Denkbar wäre in diesem Zusammenhang ein zweistufiges System:

- Dieses bestünde einerseits aus einem zentralen Online-Konzept, mit zentral geführter Marke, zentralen und dezentralen Marketingmaßnahmen sowie zentralen Abwicklungssystemen inklusive Zugriff auf die vielfältigen Leistungen der Verbundpartner.

- Andererseits sollte die Verantwortung und Ergebniszurechnung des Bankgeschäfts dezentral, das heißt vor Ort bei jeder Kreditgenossenschaft angesiedelt sein.

Exakt jenes Modell zeichnet sich schon seit Jahren im Zahlungsverkehr der genossenschaftlichen Finanzgruppe ab. Dort bewährt sich dieses abgestufte Schema in der genossenschaftlichen Finanzgruppe schon lange: Es bestehen zentral koordinierte Bank- und Kreditkarten und ein gruppenweites Automatennetz. In der Regel gibt es hierfür auch einen einheitlichen Preis rahmen. Die jeweilige Zahlungsleistung wickeln die Rechenzentralen im Zusammenspiel mit den Zentralbanken und den Kreditkartenorganisationen ab, der Kunde jedoch bleibt bei seiner Bank, der auch die Kartenleistung zugebucht wird und von dieser verantwortet wird.

Dieses Modell sollte auf weitere Ankerprodukte im Online-Banking ausgeweitet werden. Konkret sollte schnell ein gruppeninterner Ordnungsrahmen für den Internetauftritt der genossenschaftlichen Finanzgruppe geschaffen werden, also eine kluge Dachmarke, ein zentrales Produkt- und Preismodell (Kontenmodell), eine heraus ragende Internetoberfläche mit einzigartigen Zugriffsmöglichkeiten auf Daten.

Stimmige Strategie des BVR

Der Bundesverband der deutschen Volksbanken Raiffeisenbanken (BVR) setzt die strategischen Zeichen für die Gruppe und initiiert Strategieprojekte wie "Markenbotschafter" und "Markenexzellenz". In puncto Beratung wird künftig auf standardisierte Abläufe gesetzt. Das Projekt "Systematisierung und Optimierung der Qualität von Beratungsprozessen in Volks- und Raiffeisenbanken (SOB)" dient dem Ziel, Einheitlichkeit und Kundenorientierung in Beratungsprozessen sicherzustellen. Damit soll eine gleichmäßige Beratungsqualität sichergestellt werden.

Mit dem Strategieprojekt "Web-Erfolg" soll bis zum Jahr 2015 ein bundesweiter schlagkräftiger Webauftritt dargestellt werden. Kunden und Interessenten sollen im Netz schnell auf das Produktangebot der Volks- und Raiffeisenbanken stoßen. Ziel ist, dass dieses Web-Angebot schnell im Markt überzeugt und Fuß fasst. Einfache Bankprodukte sollten dort schnell und sicher abgeschlossen werden können. Jeder Kunde der Kreditgenossenschaften kann Zugriff auf seine Finanzdaten haben. Für ihn wird im Netz ein virtueller Finanzstatus vorgehalten. Damit kann ein weiterer Beratungsbedarf sichtbar werden, der dann im Dialog - online oder im Gespräch - konkretisiert beziehungsweise gedeckt werden kann.

Fazit: Chancen überwiegen - auf die Umsetzung kommt es an

Die Chancen der digitalen Welt überwiegen auch für Kreditgenossenschaften. Bis auf Weiteres wird das regionale Standbein das Herz der Organisation darstellen. Und wenn der angestrebte Spagat - gute Service- und Beratungspräsenz vor Ort gepaart mit einem wirkungsvollen zentralen Online-Auftritt - gelingt, werden die Volks- und Raiffeisenbanken und deren Verbundpartner ihre Marktposition weiter behaupten und sogar ausbauen können.

Sie werden allgemein als "sympathisch" angesehen. Werden die laufenden BVR-Strategieprozesse "SOB" und "Web-Erfolg" kraftvoll und einmütig umgesetzt, können die Kreditgenossenschaften einen deutlichen Kompetenzgewinn in den wichtigen Feldern "Beratungsqualität" und im "Online-Banking" hinzugewinnen.

Quellenverzeichnis

Bacher, U.: Zur Struktur- und Machtfrage bei den deutschen Genossenschaftsbanken, in: Brazda/Dellinger/Rößl (Hrsg.): Genossenschaften im Fokus einer neuen Wirtschaftspolitik, Lit-Verlag Wien 2013, S. 361-381.

Böhnke, W.: Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, Arbeitspapier Nr. 125 des Institut für Genossenschaftswesen der Universität Münster, IfG Münster 2012.

Capgemini: IT-Trend-Studien 2009 ff.

Fröhlich, U.: Das Internet kann die Hausbankbeziehung nicht ersetzen, in: bank und markt 9/2010, S. 25-26. Schader, M. / Vongries, D.: Genossenschaftsbank 2.0: Wettbewerbsfähig durch variable Kosten, in: bank und markt 8/2012, S. 23-25.

Schwaderer, H. / Wieland, R. A.: (N)ONLINER Atlas 2012 - Basiszahlen für Deutschland, in: Initiative D21 (Hrsg.), TNS Infratest, Juni 2012.

Wolf, M./Sagl, S.: (N)ONLINER Atlas 2012 - Basiszahlen für Deutschland, in: Initiative D21 (Hrsg.), TNS Infratest, Juni 2012.

Prof. Dr. Urban Bacher , Professur für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und für Finanz- beziehungsweise Bankmanagement, Hochschule Pforzheim
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