Zielgruppen

Islamic Banking: das Potenzial ist begrenzt

Die Hochschule Weserbergland hat im Rahmen eines einjährigen Projektes zum Islamic Banking Potenziale von schariakonformen Bankprodukten im Privatkundensegment von Kreditinstituten intensiv untersucht. Ziel des Projektes war die Potenzialanalyse der Einführung von schariakonformen Bankprodukten insbesondere in der Region Weserbergland. Dabei sind zwei Kernelemente besonders in den Fokus gerückt worden: die Messung des Kundenpotenzials sowie die Auswahl von zielgruppengerechten Produkten.

Feldtest bei Kreditinstituten

Zur praktischen Untersuchung der Potenziale für schariakonforme Bankprodukte des Privatkundengeschäfts wurde von den Verfassern ein Feldtest bei sieben in der Region Weserbergland ansässigen Finanzdienstleistungsunternehmen aller drei deutschen Bankensektoren durchgeführt. Diese Untersuchung wurde mit Hilfe eines muslimischen Testkunden und eines entworfenen Szenarios durchgeführt. Eine Anlagesumme von monatlich 300 Euro sollte schariakonform bei den ausgewählten Finanzdienstleistungsunternehmen angelegt werden. Die Testperson hatte nach außen hin keine Vorkenntnisse von den infrage kommenden Produkten, wollte das Geld jedoch ausschließlich in schariakonformen Produkten anlegen.

Als Leitfaden für die Beratungsgespräche dienten im Vorhinein festgelegte Fragestellungen, welche Aussagen über die angebotenen schariakonformen Produkte der Finanzdienstleistungsunternehmen und die Kenntnisse der Kundenberater im Hinblick auf mögliche Schariakonformität erbringen sollten. Die Auswertung der Testberatungen sollte die beteiligten Finanzdienstleistungsunternehmen bewertbar machen, um einen möglichst genauen Eindruck zu erhalten, inwieweit und in welcher Qualität die Finanzinstitute schariakonforme Produkte anbieten.

Nur schariakonforme Fonds

Das erste Kriterium zielte auf das Angebot derartiger Produkte ab. Hier ist deutlich zum Ausdruck gekommen, dass vier der sieben untersuchten Finanzdienstleistungsunternehmen gar keine Produkte anbieten, welche den schariakonformen Ansprüchen der Muslime entsprechen. Die restlichen drei Finanzdienstleistungsunternehmen bieten ausschließlich Produkte von unternehmensfremden Kooperationspartnern an. Eigene Produkte kann keines der befragten Unternehmen vorweisen.

Ebenfalls ist zu erwähnen, dass schariakonforme Produkte ausschließlich in Form von Fonds angeboten werden. Weder schariakonforme Girokonten noch entsprechende Sparprodukte oder Kredite sind im Produktportfolio vorzufinden.

Mangelndes Fachwissen der Berater

Fünf der sieben befragten Kundenberater reagierten zudem überrascht auf die Nachfrage nach schariakonformen Produkten. Um bei der Auswertung eine bessere Vergleichbarkeit erzielen zu können, ist die Bewertung des Fachwissens der Kundenberater angelehnt an das deutsche Schulnotensystem mit den Abstufungen sehr gut bis ungenügend durchgeführt worden. Die Auswertung zeigt, dass das Fachwissen der Kundenberater in Bezug auf schariakonforme Bankprodukte in den Bereichen ausreichend bis mangelhaft anzusiedeln ist.

Interesse nimmt von Generation zu Generation ab

Zur Feststellung der tatsächlichen Relevanz der Thematik des Islamic Banking und zur Gewinnung verschiedener Informationen über die Verhaltensweise der islamischen Bevölkerung in Bezug auf Finanzprodukte wurde von den Verfassern zudem eine repräsentative empirische Untersuchung im Raum Weserbergland (n = 191) durchgeführt. Ziel dieser Untersuchung war es, neben generellen Informationen über die einzelnen Personen, wie etwa Familienstand, Geschlecht und Religion, auch Informationen über die Höhe des Einkommens und dessen Verwendung zu erhalten. Ein Fragebogen, der auf insgesamt 19 Aspekte abzielte, diente als Grundlage.

Auf Basis der Ergebnisse aus den Umfragen lässt sich die untersuchte Zielgruppe eindeutig in drei Teilgruppen unterteilen. Diese besteht aus den drei im Raum Weserbergland lebenden Migrantengenerationen. Die erste Generation der über 60-Jährigen besteht zumeist noch aus einstigen Einwanderern beziehungsweise Gastarbeiterfamilien, welche überwiegend aus der Türkei stammen. Ebenfalls trägt der Großteil von ihnen auch heute noch die türkische Staatsbürgerschaft. Die Migranten der zweiten Generation, welche zwischen 30 und 59 Jahre alt sind, sind größtenteils in Deutschland geboren und tragen die deutsche Staatsbürgerschaft. Letztendlich lässt sich in ihrem Verhalten noch die dritte Generation der unter 30-Jährigen hier lebenden Migranten unterscheiden.

Es wird klar deutlich, dass das Problembewusstsein für schariakonforme Bankprodukte in der ersten Generation mit 66 Prozent am ausgeprägtesten ist. Jedoch bekundet lediglich ein Drittel von ihnen Interesse an schariakonformen Finanzdienstleistungen.

Alle Befragten der ersten Generation besitzen ein Sparbuch oder Girokonto bei einem Finanzdienstleistungsinstitut. Das Vermögen wird überwiegend in Immobilien, welche sich vermehrt in der Türkei befinden, angelegt. Dies verdeutlicht klar die Verbundenheit zu ihrem Heimatland. Somit ist auch die Beratung in der Muttersprache für die erste Generation wünschenswert.

In der zweiten Generation herrscht mit rund 60 Prozent positiver Antworten nur eine mittelmäßige Sensibilität für schariakonforme Bankprodukte vor. Zudem ist auch der Anteil derer, die sich für diese Produkte interessieren, mit 24 Prozent sehr gering. Wie in der ersten Generation ist auch hier die Verbundenheit zum Heimatland hoch. Viele investieren das Vermögen in Immobilien. Zudem haben 86 Prozent der Befragten ein Giro- oder Sparkonto und mit 72 Prozent wünscht sich ebenfalls ein großer Teil der zweiten Generation eine Beratung in der Muttersprache.

In der dritten Generation ist das Problembewusstsein in Bezug auf schariakonforme Bankprodukte fast gänzlich gewichen. Lediglich 6,5 Prozent von ihnen erklärten, dass ihnen die Problematik bewusst sei. Somit ist auch ihr Interesse an schariakonformen Bankprodukten sehr gering. Es besteht eine gute Integration in die deutsche Gesellschaft. 97 Prozent der Befragten besitzen ein Bankkonto und auch eine Beratung in der Muttersprache wird nicht für notwendig gehalten.

Handlungsbedarf bei muttersprachlicher Beratung

Diese Untersuchung bringt klar zum Ausdruck, dass das Interesse an schariakonformen Bankprodukten bei Migranten über alle Generationen hinweg mit etwa 20 Prozent der Befragten als gering anzusehen ist. Somit sollte seitens der Kreditinstitute genau überprüft werden, ob der Aufwand für die Gestaltung eines speziellen Produktportfolios als rentabel anzusehen ist.

Deutlicher Handlungsbedarf ist allerdings bei der Beratung in der Muttersprache zu sehen. Es sollte einen Kundenberater geben, der sowohl sprachliche als auch interkulturelle Kompetenzen vorweisen kann.

Ein wesentlicher Bestandteil des Projekts ist ein Thesenmodell der Verfasser, welches sich mit den ökonomischen und rechtlichen Bedingungen für die Einführung schariakonformer Produkte auseinandersetzt. Auf insgesamt fünf Thesen basierend wurde eine sechste Kernthese herausgearbeitet.

1. Islamic Banking birgt ein großes Kundenpotenzial.

2. Das Problembewusstsein der Muslime ist nicht hinreichend ausgeprägt.

3. Die Einführung schariakonformer Produkte ist kostenintensiv und langwierig.

4. In der Finanzmarktkrise gewinnt das Retailbanking an Bedeutung.

5. Deutsche Banken zeigen großes Interesse für die Thematik.

6. Die Einführung schariakonformer Produkte erscheint lohnenswert.

Unter Berücksichtigung der durch die theoretische und empirische Untersuchung erlangten Erkenntnisse werden die aufgestellten Thesen kritisch hinterfragt und unabhängig voneinander bewertet.

Schariakonforme Produkte lohnen sich nur bedingt

Die erste These hat sich nur teilweise bewahrheitet. Aufgrund des relativ hohen Anteils an Muslimen in der Region Weserbergland erschließt sich ein großes Kundenpotenzial. Dabei ist allerdings besonders zu berücksichtigen, dass sich die dort lebenden Familien oftmals stark in Deutschland beziehungsweise der westlichen Welt verwurzelt fühlen. Auf der anderen Seite ergeben sich durch den ermittelten hohen Familienzusammenhalt Chancen, dass sich positive Erfahrungen schnell verbreiten.

Der Hauptgrund dafür, dass das Problembewusstsein in der Zielgruppe eher gering ist, könnte darin liegen, dass sich viele Familien schon über Jahrzehnte in der Region Weserbergland integriert haben und mangels Alternativen zu konventionellen Finanzprodukten greifen. Insbesondere die jüngeren Generationen sind mit diesen konventionellen Finanzprodukten aufgewachsen. Ihnen stellt sich somit nicht ausdrücklich die Frage nach schariakonformen Finanzprodukten. Die aufgestellte These ist demzufolge richtig.

Die dritte These besagt, dass die Einführung schariakonformer Produkte kostenintensiv und langwierig ist. Dem muss unter Berücksichtigung der erlangten Erkenntnisse in Teilen widersprochen werden. Zwar gibt es einige Produktarten, deren Umsetzung mit einem großen Aufwand verbunden ist, allerdings können diese Produkte - hier sind insbesondere Aktien und schariakonforme Fonds zu nennen - aufgrund der geringen Resonanz innerhalb der Grundgesamtheit vernachlässigt werden. Andere bestehende Produkte, wie etwa das Girokonto, sind wiederum bereits weitestgehend schariakonform, sodass der Umsetzungsaufwand gering ausfallen würde.

In der Untersuchung konnte aufgezeigt werden, dass das Retailbanking im Zuge der Finanzkrise verstärkt an Bedeutung gewinnt. Dies liegt darin begründet, dass sich die Kunden in verstärktem Maße risikoaverser verhalten und dabei das Vertrauen in zum Beispiel komplex strukturierte Produkte schwindet. Daher kann die vierte These als zutreffend bewertet werden.

Die fünfte These sagt aus, dass deutsche Banken ein gesteigertes Interesse an der Thematik zeigen. Diese These wurde anhand der Ergebnisse der Marktanalyse widerlegt. Die untersuchten Banken haben zumeist weder schariakonforme Produkte in ihrem Portfolio noch planen sie, dieses entsprechend zu erweitern.

Insgesamt kann die Kernthese demnach zwar nicht vollends aufrecht gehalten werden, dennoch bietet die Thematik zumindest Chancen für die Muslime älterer Generationen. Die Einführung von schariakonformen Produkten lohnt sich für Kreditinstitute, wenn sie bereit sind, das eher geringe Risiko bei der Umsetzung einzugehen und sich zunächst für einige wenige Produkte, wie etwa das Girokonto als Basisprodukt oder schariakonforme Kreditvarianten, entscheiden.

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