IT im Vertrieb

IT und Bankvertrieb - ein Blick in die Glaskugel

"Der größte Fehler der Banken im Kundenbeziehungsmanagement und im Vertrieb war die Platzierung des Geldautomaten in der kalten Vorhalle der Filiale." Diese plakative Einschätzung eines Bankvorstands zielt auf eine Kernherausforderung von Banken ab, die in einer zunehmend digitalisierten Welt mit immer weniger physischem Kundenkontakt zu meistern ist. In Zeiten, in denen Kundenberater durch direkten Kontakt in der Filiale oder aber auch im Sportverein über all ihre Kunden und deren finanzielle Bedürfnisse Bescheid wussten und so bedarfsgerechte Produktempfehlungen aussprechen konnten, kam der Informationstechnologie (IT) im Vertrieb lediglich eine unterstützende Rolle zu.

Mit abnehmender Kundenloyalität, dem Trend zum günstigen Zweit- oder Drittkonto bei einer Direktbank, Kostendruck, steigender Mobilität und der Digitalisierung in Zahlungsverkehr und Kommunikationsverhalten erhält IT im Vertrieb eine fundamental neue Bedeutung. Dabei ist sowohl die Rolle des stationären Filialbetriebs als auch das Zusammenspiel mit dem IT-gestützten Vertrieb neu zu definieren. So ist die persönliche Beratung schon heute nur noch für die wenigsten Kunden ein Grund für einen Filialbesuch. Der Großteil der Kunden besucht eine Filiale nur noch, um Barabhebungen, Kontoauszüge oder Überweisungen vorzunehmen. Diese Leistungen sind zum großen Teil schon heute fast vollständig online abwickelbar oder verlieren in Zukunft gar an Bedeutung. Eine steigende Vertrautheit mit Technologie, die spätestens in Zeiten von i-Phone und Facebook eine ganze Generation erreicht, wird diesen Trend noch befeuern.

Ohne die Notwendigkeit eines Bankbesuchs wird der Kunde in Zukunft tendenziell zum anonymen Objekt und für den Vertrieb immer schwieriger zu adressieren und zu gewinnen. Dem intelligenten Einsatz innovativer IT im Vertrieb kommt daher die Aufgabe zu, den persönlichen Kontakt zu er setzen beziehungsweise dem Kunden einen Grund zu geben, diesen zu suchen.

Eine neue Rolle für die IT im Vertrieb

Obwohl sich das Bild vom "gläsernen Kunden" in immer mehr Branchen festsetzt oder gar komplette Geschäftsmodelle begründet, ist die Beziehung zwischen Bank und Kunde von steigender Anonymität geprägt. IT im Vertrieb hat in Zukunft daher nicht nur die Rolle, den Kunden und den Vertrieb bei der Abwicklung von Transaktionen zu unterstützen, sondern auch drei wesentliche weitere Aufgaben:

verschiedene Kundentypen richtig zu adressieren,

den Kunden in die Kommunikations- und Absatzkanäle der Zukunft zu folgen,

und den Vertrieb bei Beratung und Verkauf zu unterstützen.

Demografische und technologische Entwicklungen erfordern differenzierte Konzepte in der Analyse und Ansprache der Kunden. So werden vornehmlich ältere und technologiescheue Kunden mit hohem Bedarf an Finanzprodukten auch in Zukunft verstärkt den persönlichen Kontakt zum Berater präferieren, wenngleich auch hier unklar ist, ob der stationäre Filialvertrieb das geeignete Medium bleibt oder ob auch hier mehr und mehr IT-Einsatz sinnvoll sein wird.

Die unterschiedlichen Kundentypen richtig ansprechen

Eine "Generation Facebook", welche in einer digitalisierten Welt aufwächst, sowie die Kunden, welche neue Technologien und Medien schnell annehmen, (er)fordern jedoch ein radikal ausgeweitetes Servicekonzept im Banking. Dieser Kundentyp ist mit sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder einem Apple-i-Tunes-Account teilweise besser vertraut als mit einem Girokonto. Ohne entsprechende IT-Unterstützung im Vertrieb ist er weder adressierbar noch für Bankprodukte über eine Grundversorgung hinaus gewinnbar. Der Vertrieb steht also vor der Herausforderung, mit IT-Unterstützung relevante Kunden zu identifizieren, deren teils sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Wünsche zu analysieren und mit entsprechenden Produkten zu adressieren.

61 Prozent der befragten Experten erachten die Differenzierung zwischen dem Kundensegment "Generation Facebook" sowie älteren, wenig IT-affinen, aber finanziell stärkeren Kunden als eine der Hauptherausforderungen im Retailbanking der Zukunft. 90 Prozent halten eine stärkere Kundeninteraktion durch digitale Medien statt persönlichem Kontakt für sehr wahrscheinlich.

Dilemma bei der Datenanalyse

Um auch ohne persönlichen Kontakt die Wünsche und Bedürfnisse einer weitestgehend anonymen Kundengruppe "Generation Facebook" erkennen zu können, müssen Banken von anderen Branchen lernen, vorhandene Daten, beispielsweise aus dem Zahlungsverkehr, sozialen Netzwerken oder Foren entsprechend zu analysieren, um darauf aufbauend im Sinne des Kunden Empfehlungen ableiten zu können. Hierfür ist entsprechende IT-Unterstützung im Vertrieb notwendig, damit Daten aus relevanten Medien und Kanäle zugänglich sind, nutzbar gemacht werden können und vor allem vor Missbrauch geschützt werden.

53 Prozent der Branchenexperten schätzen hier den Einsatz von Technologien wie Sentiment Analysis als sehr wahrscheinlich ein, um beispielsweise die Meinung der Kunden über bestehende Produkte zu erfahren.

Bei der Nutzung von Daten stehen Banken allerdings vor einem Dilemma: Obwohl Kunden im Internet immer freizügiger mit ihren Daten umgehen und die Fähigkeit zur Nutzung geschäftsrelevanter Kundendaten in einer digitalisierten Welt immer strategischer und wichtiger wird, erlaubt die Sensibilität dieser Daten im Bankvertrieb keinerlei Fehlgriffe oder Sicherheitslücken. Einer Bank werden Kunden Datenpannen oder mangelnden Datenschutz noch weniger verzeihen als anderen Unternehmen.

Fazit: Damit Banken auch in Zukunft die für sie passenden Kunden identifizieren und gewinnen können, wird der Einsatz innovativer IT im Vertrieb immer bedeutsamer. Ohne diesen wird es in einer digitalisierten Welt mit verschiedensten Kundentypen und immer weniger persönlichem Kontakt kaum möglich sein, die Wünsche und Ziele der Kunden zu erfahren, zu beraten und passende Produkte auszuwählen beziehungsweise zu verkaufen. Mehr noch als in anderen Branchen spielt der verlässliche Umgang mit Kundendaten im Vertrieb bei Banken eine wichtige Rolle.

Dem Kunden folgen

Die zunehmende Beliebtheit von Smartphones und Media Tablets, mehr und mehr länderübergreifende Mobilität von Kunden sowie die Digitalisierung der Kommunikationskultur durch soziale Netzwerke oder Blogs wird auch den Vertrieb von Bankprodukten nachhaltig beeinflussen. Der Kunde der Zukunft richtet seinen Tagesablauf nicht mehr nach den Öffnungszeiten oder der Lokalität einer Bankfiliale. Die Möglichkeiten von Mobile Banking, bargeldlosem Bezahlen und dem digitalen Erfahrungsaustausch mit anderen Kunden über Banken, Produkte und sogar einzelne Berater

macht ein aktives Engagement in diesen Kanälen mit entsprechender IT-Unterstützung für Banken unverzichtbar.

Während heute der größte Teil des Absatzes von Bankprodukten noch über Filialen realisiert wird, so glauben 70 Prozent der befragten Experten, dass sich auch soziale Netzwerke wie Facebook oder Google+ zu einem wichtigen Vertriebskanal entwickeln werden. 74 Prozent glauben sogar, dass mobile Endgeräte, über die der Großteil der Zugriffe auf diese sozialen Netzwerke realisiert wird, die klassische Filiale als wichtigsten Kanal für den Vertrieb von Bankprodukten teilweise verdrängen werden. Um den Kunden anzusprechen, wird es also notwendig sein, sich an dessen neue Gewohnheiten bezüglich Medienauswahl und -nutzung anzupassen.

Neue Rolle für die Filiale

34 Prozent der Befragten können sich vorstellen, dass Filialen bis 2025 komplett durch SB-Terminals oder digitalisierte Vertriebskanäle ersetzt werden.

Die zunehmende Bedeutung IT-gestützter Kanäle erfordert damit gleichzeitig eine neue Rolle für die klassische Filiale, um trotz unterlegener Kostenstruktur sowohl für den Kunden als auch für die Bank einen Mehrwert generieren zu können. Über 70 Prozent der Branchenexperten erachten eine radikale Neugestaltung der Filiale hinsichtlich Form und Funktion daher für unausweichlich und glauben, dass sich Filialen vom reinen Vertriebskanal zu Flag-ship-Stores (ähnlich wie Apple oder

Puma) im weitesten Sinne entwickeln, um eine emotionale Bindung zwischen Kunde und Bank zu festigen.

Fazit: Bei der Wahl geeigneter Kanäle zur Kundenansprache und für den Vertrieb von Bankprodukten werden Banken in Zukunft am Einsatz innovativer IT-Lösungen und neuer Medien kaum vorbeikommen. Gleichzeitig gilt es, die Rolle der klassischen Filiale neu zu definieren, damit digitale und physische Vertriebskanäle nicht in Konkurrenz zueinander treten.

Den Vertrieb in der Beratung unterstützen

Vertriebsunterstützung durch innovative IT endet nicht bei einer bloßen Präsenz in sozialen Netzwerken oder einer Mobile- Bankingapplikation. Neue Technologien sowie die Vernetzung von Kunden beeinflussen den Vertrieb ebenso bei der operativen Tätigkeit wie bei Beratung, Produktauswahl oder Vertragsmanagement. Eine der Hauptherausforderungen für den Vertrieb der Banken stellt dabei die zunehmende Konkurrenz durch Onlinedienstleister dar. Während früher nur die Bank oder unabhängige Finanzdienstleister einen Überblick über das breite Spektrum von Bankprodukten geben und darauf aufbauend beraten konnten, ermöglicht heute eine Vielzahl von Web-2.0-Plattformen Services wie Peer-to-Peer-Beratung, -Anlagealternativen, -Kredite oder eine personalisierte Finanzanalyse mit entsprechender Produktempfehlung (beispielsweise Mint, Fidor Bank, Smava, Yavalu).

Diese Alternativen zum Angebot der Hausbank erweitern und bedrohen damit den klassischen Vertrieb. Knapp 50 Prozent der befragten Experten erwarten, dass durch diese Alternativangebote der persönliche Kontakt im Vertrieb zusätzlich an Bedeutung verlieren wird, da sich Kunden vermehrt online über die Angebote verschiedener Anbieter austauschen und diese vergleichen und bewerten.

Trotz dieser Bedrohung ergibt sich für den Vertrieb von Banken hieraus eine Chance: Die bewusste Öffnung des Vertriebs und der Einbezug einer Online-Community kann gezielt genutzt werden, um die Objektivität und Transparenz der Beratung und des Produktvertriebs zu erhöhen. Die damit ebenfalls verbundene Trennung von Produktberatung und Produktverkauf wird von Branchenexperten dabei als vielversprechende Möglichkeit gesehen, das Vertrauensverhältnis zwischen Bank und Kunde nachhaltig zu verbessern. Um dem Kunden von morgen eine authentische Beratung mit überzeugenden Produkten bieten zu können, muss der Vertrieb neue Medien und Tools integrieren und zielgerichtet zur Kommunikation mit dem Kunden auf Augenhöhe nutzen.

Ein Großteil der Branchenexperten ist daher zuversichtlich, dass web-basierte Applikationen wie Soziale Netzwerke, Blogs oder Videokonferenzen über mobile Endgeräte in Zukunft zu wichtigen Tools in der Beratung und im Vertrieb von Bankprodukten werden. Für 68 Prozent der befragten Branchenvertreter wird Kundenbeziehungsmanagement und Beratung via Videokonferenzen und Smartphone zum Standard.

Fazit: Um Kunden für Bankprodukte begeistern zu können ist die Einbindung neuer Medien unverzichtbar. Der Einsatz neuer Medien und innovativer IT im Beratungs- und Verkaufsprozess ermöglicht eine stärkere Interaktion mit dem Kunden in seinen präferierten Kanälen und erhöht Transparenz und Qualität der Produkte.

Technologische Innovationen und neue Ansprüche der Kunden erhöhen den Druck auf Banken, ihren Vertrieb zu überdenken. Hieraus ergeben sich zum einen Chancen, durch die intelligente Einbindung innovativer IT und neuer Ansätze den Vertrieb mit Blick auf künftig wichtiger werdende Zielgruppen zu öffnen. Andererseits entsteht durch das neue Angebot der größtenteils online-basierten Wettbewerber für das Geschäftsmodell des klassischen, stationären Vertriebs eine nicht zu unterschätzende Bedrohung. Hier gilt es, die Prozesse und Geschäftsmodelle digitaler und physischer Kanäle aufeinander abzustimmen und die jeweiligen komparativen Vorteile einen Mehrwert in der Kundenbeziehung und nachhaltige Wettbewerbsvorteile der Bank zu nutzen.

Der Beitrag basiert auf Teilergebnissen einer europaweiten Studie des FIM Kernkompetenzzentrum Finanz- & Informationsmanagement und A. T. Kearney, die unter www.atkearney. de abrufbar sein wird.

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