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Kein Halali auf die Lebensversicherung

Die deutsche Medienwelt, so scheint es, hat zum Halali auf die Lebensversicherung geblasen. Die Schwierigkeiten, die die Branche hat, im Niedrigzinsumfeld die in alten Verträgen zugesagten Garantien zu erwirtschaften, geben prächtige Schlagzeilen her - mit Schreckensszenarien bis hin zu möglichen Anträgen auf nachträgliche Herabsetzung der Garantieverzinsung in bestehenden Verträgen. Das mag zwar aus journalistischer Sicht reizvoll sein, sind es doch die spektakulären Storys, die die Leser anziehen. Mit Blick auf die hohe Bedeutung der Lebensversicherung für die private Altersvorsorge ist es aber auch ein gutes Stück weit verantwortungslos. Denn das Eintreffen der Horror-Szenarien, die sich - bis hin zu von Blut triefenden Illustrationen - als Geschichte so gut aufmachen und verkaufen lassen, ist zwar außerordentlich unwahrscheinlich. Sie verunsichern die Kunden jedoch in hohem Maße.

Beim Bund der Versicherten etwa stehen die Telefone nicht mehr still. Immer wieder kommt die Frage auf: "Ist meine Lebensversicherung noch sicher?" Der BDV beruhigt und mahnt alle Beteiligten, ruhig Blut zu bewahren. Und auch der GDV sah sich genötigt, darauf zu verweisen, dass die Ratingagentur Fitch die deutschen Versicherungsunternehmen gut auf die Herausforderungen der anhaltenden Niedrigzinsphase vorbereitet sieht und selbst auch die BaFin zu der Einschätzung gekommen ist, dass die Lebensversicherer ihre Verpflichtungen auch in einer extremen Niedrigzinsphase noch "etliche Jahre" werden erfüllen können. "Sorgen, dass die Lebensversicherer ihre garantierten Leistungen kurz- und mittelfristig nicht mehr erbringen können, sind unbegründet", resümiert Rolf-Peter Hoenen, ehemaliger Präsident (bis 14.11.2012) des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., Berlin, und weiß sich darin einig mit der BaFin, derzufolge die Kapitalerträge der Branche im vorgegebenen Niedrigzinsszenario insgesamt 15 Jahre lang ausreichen, um die garantierten Zinszahlungen zu finanzieren.

Weder kann der GDV bestätigen, dass einzelne Versicherungsunternehmen planen, bei der BaFin die zeitweise Aussetzung der garantierten Zinszahlungen an ihre Kunden zu beantragen. Noch gebe es in der Branche die Tendenz, Kunden zu einem Wechsel von älteren Verträgen mit höherer Verzinsung in solche mit niedrigerer Verzinsung zu bewegen.

Gesamtverzinsung sinkt

Natürlich wird das anhaltend niedrige Zinsniveau zwingend auf die Gesamtverzinsung drücken. 2011 ist die erwirtschaftete Nettoverzinsung der Bundesbank zufolge auf 4,1 Prozent gesunken (2010 waren es noch 4,3 Prozent). Und die laufende Verzinsung liegt nun bei 3,94 Prozent (2010 noch 4,09 Prozent). In der Folge ist die durchschnittliche Garantieverzinsung gegenüber 2010 von 3,3 auf 3,23 Prozent gesunken. Benchmark, so Hoenen, dürften aber nicht die in der Vergangenheit erzielten Renditen sein, sondern das im heutigen Marktumfeld realisierte Rendite-Risiko-Ergebnis für die Kunden. Und hier stehen die Lebensversicherungen mit einer Verzinsung von durchschnittlich knapp vier Prozent im laufenden Jahr im Vergleich zu anderen Produkten immer noch recht gut da.

Das scheinen die Kunden durchaus so wahrzunehmen, wie der Blick auf die bisherigen Zahlen für das Jahr 2012 zeigt:

Die Zahl der Verträge bei den Lebensversicherungen ist nach wie vor deutlich höher als die gesamte Einwohnerzahl der Bundesrepublik und wird am Jahresende mit knapp 93 Millionen nahezu auf dem Niveau des Vorjahres liegen. In der betrieblichen Altersvorsorge ist die Zahl der Verträge sogar um 3,1 Prozent auf 14,2 Millionen gestiegen. Insgesamt rechnet die Branche im laufenden Jahr mit rund 5,6 Millionen neu abgeschlossenen Verträgen, hinzu kommen voraussichtlich 0,3 Millionen Verträge bei Pensionskassen und Fonds. Auch die Stornoquote verharrt mit 3,5 Prozent auf Vorjahresniveau - und damit auf dem niedrigsten Stand der letzten sieben Jahre.

Mit einem erwarteten Beitragsrückgang von insgesamt 0,7 Prozent in diesem Jahr kann die Branche im aktuellen Umfeld noch recht zufrieden sein. Im Geschäft gegen laufenden Beitrag (bei dem sich zum Beispiel dynamisierte Beitragszahlungen aus Verträgen im Bestand auswirken) verzeichnet die Branche seit Ausbruch der Krise sogar zum zweiten Mal in Folge wieder ein moderates Wachstum um etwa 0,6 Prozent auf rund 64,3 Milliarden Euro.

Und selbst bei den Einmalbeiträgen, die sich nach den Rekordjahren 2009 und 2010 konsolidieren, fällt der Rückgang zum Vorjahr mit voraussichtlich knapp fünf Prozent niedriger aus als erwartet. 21,8 Milliarden Euro an Einmalbeiträgen sind kein Misstrauensvotum der Kunden gegenüber der Lebensversicherung.

GDV und Bund der Versicherten in ungewohntem Schulterschluss

Dass GDV und BDV mit ihren Dementis zu den vielfach verbreiteten Horrormeldungen und der Kritik an einer Panikmache ausnahmsweise einmal an einem Strang ziehen (wenngleich es sich der BDV nicht verkneifen kann, doch einen Trend zu Umdeckungen in für den Kunden weniger günstige Verträge zu sehen), zeigt indessen die Brisanz der Lage: Die Kunden sind verunsichert. Und der unlängst verbreitete Rat, Verträge vorzeitig zu kündigen, kann der privaten Altersvorsorge insgesamt nur schaden.

Welche Auswirkungen die verbreiteten Schreckensmeldungen auf das Neugeschäft haben werden, lässt sich einstweilen nur raten. Zweifellos merkt sich die Öffentlichkeit die Negativschlagzeilen besser als nüchterne Berichte, in denen das reißerisch Aufgemachte relativiert wird. Insofern ist es zweifelhaft, ob die Botschaft des GDV die Panikmache wirklich aufwiegen kann. Allerdings mag es der Branche zugute kommen, dass das Medium Internet für den Abschluss von Versicherungen bislang eine vergleichsweise bescheidene Rolle spielt. Denn wo vieles noch über einen Berater läuft, besteht auch die Möglichkeit, so manches gerade zu rücken und unberechtigte Sorgen zu beschwichtigen. Wenn der BDV aber vermutet, dass hinter den Medienberichten zumindest teilweise eine gezielte Stimmungsmache steckt, um die Politik zu Zugeständnissen gegenüber der Branche zu bewegen, schießt das aber sicher über das Ziel hinaus.

Keine Geschenke an die Assekuranz

Unbestritten: Die Niedrigzinsphase ist eine ernste Herausforderung für die deutsche Versicherungswirtschaft. Die 2011 eingeführte Zinszusatzreserve, also eine Anhebung der Deckungsrückstellung für alle Policen, bei denen der definierte Referenzzins unter den Garantiezins sinkt, hatte deshalb durchaus ihre Berechtigung. Im Jahr 2011 betraf das die Tarifgeneration mit 4,0 Prozent Garantiezins. Für sie wurde laut GDV eine Zinszusatzreserve von 1,5 Milliarden Euro aufgebaut. Dieses Jahr werden es voraussichtlich fünf Milliarden Euro sein, 2013 bereits über zehn Milliarden Euro.

Die vom Bundestag im Rahmen einer Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes beschlossene Änderung bezüglich der Ausschüttung von Bewertungsreserven ist deshalb zweifellos kein Geschenk an die Assekuranz, sondern dient deren präventiver Stärkung für ein vermutlich auf lange Sicht ungünstiges Umfeld. Denn wenn auch EZB-Präsident Draghi betont hat, dass Lebensversicherungen und Pensionskassen wieder angemessene Zinserträge sollen erzielen können, bleiben Assekuranz und Politik doch vorsichtig.

Eines ist klar: Können Lebensversicherer ihre Verpflichtungen gegenüber den Versicherten nicht mehr erfüllen, wäre dies mit einem ungeheuren medialen Echo verbunden. Und es wäre der Todesstoß für die private Altersvorsorge in Deutschland. Würden Verbraucher ihre Altersvorsorge in Form von Lebensversicherungen einbüßen, dann würden die Menschen auf jegliche Mahnung, privat vorzusorgen, nur noch mit Hohn reagieren. Dazu kann und wird es die Politik gewiss nicht kommen lassen.

Neue Anlageklassen

Angela Merkels Satz "Die Spareinlagen sind sicher", würde im Fall des Falles deshalb sicher auch für die Lebens- und Rentenversicherungen im Land gelten. Doch ein stützendes Eingreifen des Staates kann selbstverständlich nur im Augenblick der höchsten Not erfolgen. Deshalb ist es geraten, den Vorschlägen der Assekuranz, wie die Branche für das ungünstige Umfeld gerüstet werden kann, zumindest Gehör zu schenken. Man muss ihnen sicher nicht in allen Punkten folgen. So kam die Absenkung des Höchstrechnungszinses zum Jahresbeginn, manchem Versicherer im Nachhinein betrachtet, vielleicht ganz gelegen, obwohl sie über das von der Deutschen Aktuarvereinigung vorgeschlagene Maß hinausging und deshalb als überzogen kritisiert wurde. Der Wunsch der Branche, mit regulatorischen Anpassungen verstärkte Investitionen in neue Anlageklassen zu ermöglichen, ist aber sicher nicht ganz unberechtigt.

Eine Zockermentalität ist in der Assekuranz sicher nicht ausgebrochen. Die Bundesbank kann laut Finanzstabilitätsbericht 2012 in der Struktur ihrer Anlagen keinen Trend zu einer stärkeren Risikoübernahme erkennen. Vielmehr habe sich der Anteil der als risikoreich klassifizierten Kapitalanlagen von 16,2 Prozent Ende 2007 auf 10,7 Prozent Ende 2011 erheblich verringert und blieb damit weit unter der maximal zulässigen Risikokapitalanlagenquote von 35 Prozent. Die Branche schaut aber verstärkt auf solche Anlageklassen, die von der Finanzmarktentwicklung ein Stück weit entkoppelt sind, so die Vergabe von Hypothekendarlehen oder das Engagement in Immobilien. Auch Covered Bonds und Unternehmensanleihen gewinnen an Bedeutung.

Verstärkter Wettbewerb mit den Banken

In dem Maße, wie sich die Versicherer im Rahmen einer behutsamen Neuausrichtung ihrer Kapitalanlagen auch dem Kreditgeschäft zuwenden, treten sie in einen stärkeren Wettbewerb mit den Banken, was vor allem für diejenigen Unternehmen, die stark auf den Bankvertrieb setzen, nicht unproblematisch sein dürfte. Bisher stellt das Kreditsegment für die deutschen Erstversicherer allerdings einen noch relativ kleinen Anteil ihrer gesamten Kapitalanlagen dar. Ende Juni 2012 entfielen laut BaFin.

4,1 Prozent (49,9 Milliarden Euro) auf grundpfandrechtlich gesicherte Wohnbaudarlehen und 0,5 Prozent auf grundpfandrechtlich gesicherte Gewerbeimmobilienkredite. Damit hatten die Versicherer im Juni 2012 insgesamt 55,6 Milliarden Euro an Immobilienkrediten vergeben.

0,8 Prozent beziehungsweise 9,5 Milliarden Euro ihrer Kapitalanlagen waren Unternehmenskredite.

Auch bei Auszahlungen für Wohnungsfinanzierungen im Jahr 2011 nahmen Lebensversicherer mit 5,2 Milliarden Euro und einem Marktanteil von 3,8 Prozent eine untergeordnete Rolle ein. Ein zu nehmendes Engagement der Assekuranz in diesem Bereich wird aber erwartet, zumal die Ver sicherer seit April 2012 bei Baufinanzierungen auch KfW-Darlehen aus Förderprogrammen mit anbieten können.

Dass der Einstieg der Versicherer ins Bankund hier vor allem Kreditgeschäft nicht so schnell vorangeht, mag zum einen daran liegen, dass jedes Jahr nur ein sehr geringer Anteil der Kapitalanlagen umgeschichtet werden kann. Doch es mag auch organisatorische Gründe haben, verlangt doch ein verstärktes Kreditgeschäft auch einen Aufbau eines entsprechenden Risikomanagements. Dies hat auch die Bundesbank angemahnt. Wenn sich die Assekuranz verstärkt bei der direkten und indirekten Vergabe von Krediten engagiere, ohne dass der Aufbau entsprechender Kapazitäten mit der Ausweitung der Geschäftsaktivitäten Schritt hält, lauere hier ein bedeutendes Risiko.

Swantje Benkelberg , Chefredaktion, bank und markt, Cards Karten Cartes , Fritz Knapp Verlag
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