50 Jahre Konsumentenkredit

Lockzinswerbung ist Volksverdummungab

Der Verbraucherkredit hat in den vergangenen zehn und mehr Jahren über die Maßen für juristische Beschäftigung gesorgt. Die teilweise unverantwortliche Kreditvergabe bei der Finanzierung windiger Kapitalanlagemodelle durch einige Banken und deren massive vertragliche Gestaltungsfehler machten das Verbraucherdarlehen zum Topthema in Rechtsprechung und Literatur.

Die Rechtsfragen zur Widerruflichkeit von Verbraucherdarlehen, die aus Anlass einer Haustürsituation geschlossen wurden, sind nicht zuletzt durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt worden. Dessen Vorgaben trug der nationale Gesetzgeber, getragen von einer gewissen Uneinsichtigkeit, durch ein nunmehr umfassendes Widerrufsrecht von Verbraucherdarlehen Rechnung.

EU-Verbraucherkreditrichtlinie teilweise praxisfern

Nun kommt eine neue Botschaft aus Brüssel. Nach jahrelangen Geburtswehen gilt es, die Richtlinie 2008/48/EG vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge in deutsches Recht umzusetzen. Ein umfangreicher, 96-seitiger Gesetzesentwurf der Bundesregierung liegt vor und soll am 31. Oktober 2009 in Kraft treten.

Die Begründung für die europäische Vereinheitlichung des Verbraucherdarlehensrechts ist ein weiteres Beispiel für eine gewisse Praxisferne, die grenzüberschreitende Initiativen im Finanzdienstleistungsbereich begleitet.

Die fehlende Regelung auf EU-Ebene schränke, so die Begründung der Richtlinie, die Möglichkeiten von Verbrauchern ein, das stetig zunehmende Angebot an grenzüberschreitenden Verbraucherkrediten unmittelbar zu nutzen. In welchem Film lebt hier Brüssel?

Über eine Angebots einschränkung im Kreditbereich hat sich noch kein Verbraucher in einer Verbraucherzentrale beschwert. Wenn Verbraucher ein Problem nicht haben, ist es dies, im nationalen und absolut gesättigten Markt des Ratenkredits einen ebensolchen zu bekommen. Niemand orientiert sich dazu in der Praxis grenzüberschreitend, wenn das nationale Angebot die Nachfrage befriedigt.

Nicht alle Ergebnisse der EU sind halbherzig

Ganz im Gegenteil steht zu vermuten, dass angesichts der Pleite der ehemals Tagesgeld sammelnden Kaupthing-Bank und des schon zu lange vergeblichen Bemühens, von dieser mit EU-Lizenz in Deutschland tätigen Bank das Ersparte via Einlagensicherung wieder zu bekommen, die Bereitschaft der Verbraucher gegen Null gesunken sein dürfte, sich grenzüberschreitend mit Geldgeschäften zu beschäftigen. Gleichwohl, Richtlinie ist Richtlinie und nach der jetzt gültigen Maxime der Maximalharmonisierung wird das europäische Füllhorn nun auch unsere Verbraucher in Form eines neuen Normgeflechts erfreuen.

Und es ist auch keineswegs alles halbherzig, was sich die EU als Ergebnis grenzüberschreitender Konsensbemühungen ausgedacht hat. Betrachten wir zunächst eines der Lieblingsprojekte des Autors, den Schutz vor irreführenden Geschäftspraktiken durch Angabe eines repräsentativen Beispiels bei der öffentlichen Werbung mit Zinsen. Heute ist es ja so, dass den Superzins, mit dem aggressiv geworben wird, kaum ein Kunde bekommt. Hinter winzigen Sternchen und nur mit der Lupe lesbaren Fußnoten verbergen sich die Haken, die aus dem vermeintlichen Zinsatz eine Niete machen.

Werbebeschränkung funktioniert in Großbritannien

Zinsen "ab 4,44 Prozent" dürften für die meisten Kunden beim normalen Ratenkredit im Bereich von 7,5 Prozent bis 8,0 Prozent realistisch sein. Die Kunden mit Lockvogelangeboten zu ködern, war und ist nicht die feine, englische Art. Und so findet sich jetzt in der Richtlinie eine Werberegulierung, die es in sich hat und dem englischen Beispiel der Zinswerbung nachgebildet wurde. Das "repräsentative Beispiel", das Art. 4 (2) Richtlinie (RiLi) in der Werbung berücksichtigt sehen will, bedeutet nach der Maßgabe des neuen § 6a Abs. 3 Preisangabenverordnung-E (E = Regierungsentwurf), dass der beworbene Effektivzins bei zwei Drittel der beworbenen Verträge Verwendung finden muss.

Der Schreck der aggressiven Kreditwerber ist groß. Gemutmaßt wurde, damit sei die bisherige Zinswerbung obsolet. Nur zu! Schön, wenn es so wäre und die unsinnige Lockzinswerbung, eine Spielart der Volksverdummung, schleunigst verschwindet. Was bringt es dem Verbraucher und dem Anbieter, über den sich der Kunde dann ärgert, wenn statt der Vier aus der Anzeige dann plötzlich eine Acht vor dem Zinskomma steht?

In Großbritannien funktioniert die Werbebeschränkung, die uns bevorsteht, prima. Wenn den meisten Kunden nach dem Scoring und der Bonitätsprüfung ein realistischer Zinssatz von acht Prozent blüht, ist es nicht unzumutbar, dies auch zuzugeben und werblich herauszustellen.

EU betrachtet Informationspflichten als relevant

Während in Deutschland über Ampelfarben für die Kennzeichnung von Kapitalanlagen diskutiert wird, damit das Risiko auf einen Blick erkennbar wird, geht die EU einen anderen Weg. Ihre Prämisse lautet: Nur der informierte Verbraucher ist der mündige Verbraucher. Deshalb werden Informationspflichten sehr hoch gehängt. Art. 5 (1) RiLi sieht nunmehr beim Verbraucherdarlehen vor, dass schriftliche Informationen rechtzeitig vor dem Abschluss des Darlehensvertrages zum Mitnehmen und Prüfen ausgehändigt werden müssen.

Dies ist im Verbraucherdarlehensbereich ein Novum, bei Wertpapiergeschäften nicht. Hier gehört es seit langem zu den Pflichten des Wertpapierdienstleisters, den Kunden über die Grundzüge der Vermögensanlagen rechtzeitig zu informieren, ihm also quasi ein Basiswissen zu verschaffen. Dass solche Informationen vor der Anlageentscheidung ausgegeben werden müssen, versteht sich von selbst. Dass damit nicht selten seitens der Banken Schindluder getrieben wird, ebenso.

Praktische Umsetzung als Broschüre

Bekanntlich unterschreiben Verbraucher, wenn sie erst einmal Sympathie für ihr Gegenüber gefasst haben, alles - und vor allem, ohne es vorher durchzulesen. Kaum einer kann sich in der Praxis erinnern, Basisinformationen zu Wertpapiergeschäften tatsächlich bekommen zu haben, unterschrieben haben den vermeintlichen Empfang jedoch alle. Dieser ständige Streitpunkt zwischen den Parteien des Wertpapiervertrages, aber auch bei den angeblichen Prospektaushändigungen im Grauen Kapitalmarkt, wird nun auch im Verbraucherdarlehen Einzug halten. § 491 a BGB-E, Artikel 247 EGBGB-E sehen die Aushändigung umfangreicher Informationen zum Verbraucherdarlehen in Textform rechtzeitig vor Vertragsschluss vor.

Praktisch kann dies eigentlich nur so gehen wie bei Wertpapiergeschäften. Dem Verbraucher werden mittels einer Broschüre die Spielarten und Besonderheiten von Verbraucherkrediten erläutert. Er erhält eine Basisinformation über Kredite und deren Formenreichtum, wird also kreditfähig gemacht. Ob es was hilft? Sind Informationspakete für Menschen, denen jegliches Basiswissen zu Finanzfragen in der Schule vorenthalten wird, die Lösung oder doch nicht nur ein Alibi?

Immobiliardarlehen von Richtlinie ausgenommen

Neu wird zukünftig die jederzeitige Möglichkeit sein, sich vom Vertrag zu lösen. Nach Art. 13 (1) RiLi ist die jederzeitige Kündigung des Darlehensvertrages mit einer Maximalfrist von einem Monat möglich (§ 500 BGB-E). Natürlich nicht für Immobiliardarlehen, die von der RiLi ausgenommen sind. Damit entfällt der Schreck, der manchen Banker erfasste, als er in diesem Zusammenhang hörte, auch die Möglichkeit der Vorfälligkeitsentschädigung würde betragsmäßig beschränkt. Bei Immobiliardarlehen ändert sich nichts. Ganz im Gegenteil. Es ergeben sich neue Einnahmequellen, weil die Vorfälligkeitsentschädigung im normalen Verbraucherdarlehen neu und als Trostpflaster für das frühzeitige Vertraglösungsrecht eingeführt wird.

Nach § 502 BGB-E, der Art. 16 RiLi nachgebildet ist, beträgt die Vorfälligkeitsentschädigung prozentual maximal ein Prozent des zurückgezahlten Betrags, wenn zwischen Rückzahlung und normalem Ablauf noch mehr als ein Jahr liegt, ansonsten 0,5 Prozent des zurückgezahlten Betrags. Ein betragsmäßiger Schwellenwert, den die Richtlinie ermög licht, ist im geänderten BGB nicht vorgesehen.

"Verantwortliche Kreditvergabe" wurde weich gespült

Einer der heikelsten Punkte der jahrelangen Richtliniendiskussion war das Thema "verantwortliche Kreditvergabe". Angesichts der nicht unerheblichen Kosten, die der Steuerzahler inzwischen für Schuldnerberatungsstellen und private Insolvenzverfahren ausgibt, ist die Frage nach der Verantwortung der Kreditwirtschaft und deren Anteil an der Verbraucherverschuldung sehr berechtigt. Verantwortliche Kreditvergabe sollte ja eigentlich schon aus Gründen der Eigensicherung die absolute Prämisse der Geldhäuser sein. Die zahlreichen Fastpleiten im Zuge der "Finanzkrise" belegen jedoch, dass Eigensicherung vor Eigenkapitalrendite verblasst.

Ist es eigentlich unzumutbar, einem 23-Jährigen, der mit seiner erkennbar schwangeren Freundin vor dem Kreditsachbearbeiter sitzt und kurz vor Weihnachten einen Flachbildschirm finanzieren möchte, einen Kredit im Hinblick auf die zu erwartende Änderung der Rückzahlungsmöglichkeiten zu verweigern? Muss aus der abstrusen Praxis einiger Banken, Konsumentenkredite in einer Höhe zuzulassen, bei denen die Rückzahlung nur noch zu guten Teilen aus dem pfändungsfreien Einkommen erfolgt, nicht eine Sanktion in Form einer einklagbaren Pflichtverletzung der Bank folgen?

Diese ideologiebeladene, gleichwohl spannende und nützliche Diskussion hat sich der EU-Gesetzgeber nach dem Scheitern der ursprünglichen Pläne zu einer Pflicht zur verantwortlichen Kreditvergabe nicht noch einmal antun wollen. Die "verantwortliche Kreditvergabe" wurde in der RiLi so kuschelweich gespült, dass sie faktisch folgenlos auf dem Papier steht, das bekanntlich geduldig ist. Es gibt nun eine Pflicht zur Bewertung der Kreditwürdigkeit anhand von Informationen, die gegebenenfalls beim Verbraucher oder aus Datenbanken einzuholen sind, so Art. 8 (1)-(2) RiLi und § 18 Abs. 2, 3 KWG-E. Der Standort im Kreditwesengesetz macht bereits deutlich, dass die Verletzung dieser Pflicht keinen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung nebenvertraglicher Beratungspflichten auslösen soll. Vielmehr handelt es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift, um deren Einhaltung sich irgendwie die Finanzaufsicht kümmern soll.

Unterstützungspflicht formuliert

Interessant könnte jedoch Art. 5 (6) RiLi werden, der in eine ähnliche Richtung weist. Der Verbraucher soll in die Lage versetzt werden einzuschätzen, ob der Darlehensvertrag seinen Bedürfnissen und seiner finanziellen Lage gerecht wird. Dieser Gedanke entspricht dem Leitbild anlegergerechter Beratung bei Wertpapiergeschäften, die seit 1993 zum Kernbestand der Rechtsprechung und danach des Wertpapierhandelsgesetzes gehört. Es handelt sich dort um eine nebenvertragliche Pflicht, deren Verletzung einklagbare Folgen (Schadensersatz) haben kann.

Der Erwägungsgrund der Verbraucherkreditrichtlinie formuliert in diesem Zusammenhang eine persönliche Unterstützungspflicht. § 491 a Abs. 3 BGB-E greift diesen Gedanken auf und dürfte streitträchtig werden. Was geschieht, wenn der Verbraucher eine Verletzung dieser Unterstützungspflicht reklamiert? Die Gerichte werden dies zu beantworten haben.

Als Fazit ist festzuhalten, dass in der Verbraucherkreditrichtlinie aus Verbrauchersicht zwar nicht alles Gold ist, was glänzt. Jedoch ergeben sich durchaus ernstzunehmende Erweiterungen der vorvertraglichen Informations- und Unterstützungspflichten, die auch in Schadensersatzdiskussionen einmünden können. Dass es sich dabei nur um folgelose Ordnungsvorschriften handelt, wie die Kreditwirtschaft hofft, könnte sich bald als Trugschluss erweisen.

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