Banken und Medien

Privatkundenvertrieb im Umbruch

Das Retailgeschäft der Banken in Deutschland wandelt sich immer schneller. Dies zeigen die Ergebnisse der aktuellen IM-Trendstudie "Privatkundenvertrieb im Umbruch", an der rund 100 Top-Entscheider der Finanzbranche teilnahmen. Zentrale Erkenntnis der Studie: In fast allen Instituten wird die mediale Vernetzung der Vertriebswege als wichtigste Antwort auf das veränderte Kundenverhalten gesehen. Auf dem Weg zum integrierten Multikanalmanagement geben zwei Grundmodelle Orientierung: Filialzentriertes und kundenzentriertes Multikanalmanagement.

Das veränderte Kundenverhalten stellt die etablierten Vertriebsformen der Finanzbranche immer mehr in Frage. Der Kundenkontakt und die Kundenbeziehung verlagern sich ins Internet und werden dabei mobiler und komplexer. Der Kunde entscheidet, welche Leistungen er wie und wo in Anspruch nehmen möchte.

Unsere aktuelle Studie zeigt: Diese Erkenntnis hat sich inzwischen in den meisten Instituten durchgesetzt. Die befrag ten Entscheider nennen mit 60 Prozent fast einhellig die mediale Vernetzung als wichtigste Maßnahme zur Profitabilisierung des Filialvertriebs (Abbildung 1). Die Bereitschaft, den Privatkundenvertrieb grundsätzlich neu aufzustellen, ist insbesondere bei den Sparkassen und den Volks- und Raiffeisenbanken mehr denn je vorhanden. Die Entscheider wollen dabei auf allen Ebenen des Vertriebs ansetzen, angefangen von den Mitarbeitern, über die Steuerung bis hin zu neuen technischen Möglichkeiten. Was oftmals noch fehlt, sind die richtigen Lösungen für ein zukunftsfähiges Multikanalmanagement.

Der Weg vom filialzentrierten Vertrieb zum integrierten Multikanalmanagement ist ein grundlegender Kulturwandel, der sämtliche Aspekte des Privatkundengeschäfts berührt. Um angesichts dieser Komplexität nicht den Überblick zu verlieren, bietet es sich an, mit einfachen Grundmodellen als Zielbild zu arbeiten.

Filialzentriertes Multikanalmanagement ...

Das filialzentrierte Multikanalmanagement ist vor allem darauf ausgerichtet, dem Interessenten oder Kunden den Weg in die Filiale so einfach und attraktiv wie möglich zu machen. Bestehende Hürden werden so weit wie möglich abgebaut, insbesondere Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung werden besser unterstützt.

Bei diesem Ansatz steht die persönliche Beziehung zum Berater beziehungsweise zur Filiale im Mittelpunkt der Angebotsgestaltung. Ziel ist die aktive Lenkung der Kunden in die Filiale und dort zu Beratung und Abschluss. Damit soll einerseits eine Entlastung der Filiale von Routineaufgaben und damit eine Effizienzsteigerung erreicht werden. Andererseits sollen die Kapazitäten für Beratung und Verkauf besser genutzt werden. Von der intensiven, persönlichen Interaktion zwischen dem Kunden und dem Berater verspricht man sich eine Stärkung der persönlichen Bindung zum Berater sowie eine höhere Loyalität zur Bank. Der Zwang zu Beratung und Abschluss in der Filiale erhöht die Chancen für erfolgreiches Cross-Selling. Vorhandene Strukturen und Kapazitäten werden genutzt.

Bei dieser Strategie bleibt die Filiale der zentrale Kanal - die anderen Kanäle sind untergeordnet. Jedem Kanal wird über die gesamte Prozessstrecke hinweg eine klare Funktion zugewiesen und der Kunde im Sinne der Bank in die unterschiedlichen Kanäle gelenkt. Kanalwechsel werden vor allem dort unterstützt, wo sie im Interesse der Bank sind. Angebots- und Leistungsunterschiede zwischen den Kanälen sind gewollt und werden aktiv zur Differenzierung genutzt. Dies schließt nicht aus, dass die Bank oder Sparkasse bewusst auch Abschlüsse online oder per Telefon zulässt, dann aber in diesem Modell nur für ausgewählte Angebote und gegebenenfalls unter bestimmten Restriktionen. Durch die gezielte Verlagerung von Transaktionen und Serviceanfrage auf mediale Kanäle können die Institute gezielt Kostenentlastungen realisieren, um so die kostenintensive Filialstruktur mit zu finanzieren.

Beim filialzentrierten Multikanalmanagement ist somit die Rollenfestlegung der

Kanäle (Zuführungskanäle, Servicekanäle) in Relation zur Filiale eine zentrale Herausforderung. Auch die Steuerung ist anzupassen: Steuerungsgrößen (wie Absatz, Ertrag, Kundenwert), Profitzurechnung, Betreuungsmodelle und Kundenzuordnung sind an die Erfordernisse des Modells anzupassen. Allein die konsequente Definition des Zielgruppen-Angebots-Kanalwürfels (ZAK), also der Frage "Welcher Kunde soll welches Angebot in welchem Kanal zu welchem Preis angeboten bekommen" ist eine komplexe Aufgabe, wenn sie in all ihren Facetten durchgespielt wird.

Besonderes Augenmerk ist im filialzentrierten Modell auf die Steuerung der Überleitungen und Rückkopplungen zwischen den Kanälen zu legen, da die Bank hier ja aktiv den Kunden steuern möchte. Das aktive Gestalten des Kundenerlebnisses ist von zentraler Bedeutung. Denn nur wenn der Kunde sich wohlfühlt und keine Irritationen wahrnimmt, wird er sich von der Bank lenken lassen. Genauso wesentlich ist die Beraterperspektive. Für den Berater müssen die Anreize zur Überleitung oder Bearbeitung des Kunden kanalübergreifend funktionieren, sonst entstehen Dissonanzen und das Modell konterkariert sich selber.

... oder kundenzentriertes Multikanalmanagement

Beim kundenzentrierten Multikanalmanagement stehen alle anderen Kanäle der Filiale gleichberechtigt gegenüber. Im Rahmen dieser Strategie haben Kunden die freie Kanalwahl in allen Phasen des Kaufprozesses, sowohl innerhalb eines Kanals als auch bei der Nutzung mehrerer Kanäle. In jeder Phase des Kauf- und Nutzungsprozesses stehen nahezu alle Angebote und Services in jedem Kanal zur Verfügung. Ein Kanalwechsel ist jederzeit möglich. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Kunden klare Präferenzen für die Kanalnutzung haben und selbst entscheiden, wann sie von einem in den anderen Kanal wechseln (Cross Channel). Eine entsprechende Angebotsgestaltung sollte daher positive Effekte auf alle kundenbezogenen Ziele haben wie Neukundengewinnung, Kundenbindung und Kundendurchdringung.

Die Bank verzichtet also auf die Steuerung des Kunden in bestimmte Kanäle und nimmt bewusst in Kauf, dass die Interaktion vermehrt über digitale Kanäle statt über den persönlichen Kontakt stattfindet. Das Produkt- und Serviceangebot über alle Kanäle hinweg ist weitgehend einheitlich. Voraussetzung ist allerdings, dass die Bank in allen Kanälen gleiche Leistungen und Prozessqualität vorhält, und zwar über alle Phasen des Kaufprozesses - Information, Beratung, Abschluss, Transaktion und Service.

Paradigmenwechsel für die Berater

Das kundenzentrierte Multikanalmanagement geht einher mit einer veränderten Rolle des Beraters. Je nach Ausprägung geht er mehr oder weniger aktiv auch im Online-Kanal auf den Kunden zu. Dies ist eine radikale Paradigmenänderung, denn der Berater agiert als Kanal-Navigator. Das heißt: Es ist nicht schlimm für ihn, wenn der Kunde für bestimmte Geschäfte nicht mehr in die Filiale kommt oder zum Beispiel den Konsumentenkredit online abschließt - im Gegenteil: Dies ist gewollt.

Die Herausforderungen dieses Ansatzes liegen auf mehreren Ebenen. Kundenfreundliche Angebote in allen Kanälen und die Gestaltung kanalspezifischer Nutzenvorteile stellen erhebliche Anforderungen an die IT, insbesondere in den Sparkassen und den Volks- und Raiffeisenbanken. Außerdem muss die Rolle von Filiale und Berater neu definiert werden - von der "Verwertung" der bestehenden Infrastruktur (Abbau) oder der Ausrichtung auf neue Aufgaben (zum Beispiel Finanzkaufhäuser mit echter Beratungsfunktion gegen Entgelt) bis hin zum Berater als Navigator durch die gesamte Finanzwelt.

Weiterentwicklung der Vertriebssteuerung

Unabhängig vom Zielbild stellt die Umsetzung eines integrierten Multikanalmanagements hohe Anforderungen an die Steuerung, aber auch an die Verhaltensänderung aller Beteiligten, die sich jahrzehntelang in einem filialzentrierten Modell bewegt haben.

Daher wird das Mitnehmen, Motivieren und Qualifizieren der Mitarbeiter auch bei über 80 Prozent der Sparkassen und über 90 Prozent der Genossenschaftsbanken als wichtigste Maßnahme im Zusammenhang mit dem Multikanalmanagement gesehen. Das Verhalten der Kunden ändert sich schneller als Rollen und Aufgabenprofile der Mitarbeiter. Die Mitarbeiter müssen daher überzeugt und gewonnen, am besten sogar in die Entwicklung des Zielbildes frühzeitig einbezogen werden.

Die Weiterentwicklung der Vertriebssteuerung von der filialorientierten hin zu einer ganzheitlichen, kanalumfassenden Sicht ist für zwei Drittel der befragten Entscheider ein wesentlicher Schritt. Bei den Geschäftsbanken ist die Steuerung mit 64 Prozent sogar das wichtigste Thema. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass die filialzentrierten Steuerungsmodelle nur noch einen Teil der Wirklichkeit abbilden und eventuell sogar falsche Steuerungsimpulse setzen.

Die Umsetzung des Multikanalmanagements im Rahmen der Marktbearbeitung wird derzeit von den Befragten als weniger wichtig angesehen als die zuerst genannten Punkte. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es noch viel zu tun gibt, bis aus der Vision Realität geworden ist.

Vieles noch im Pilotstadium

Die Bereitstellung von einheitlichen Informationen, Abschlussmöglichkeiten und Service für alle Produkte in allen Kanälen, wie sie insbesondere das kundenzentrierte Multikanalmanagement erfordert, gehört für 59 Prozent der Befragten zu den drängendsten Maßnahmen. Diese Zahl zeigt, wie weit hier Ziel und Wirklichkeit noch auseinanderklaffen.

Die Realisierung von neuen Formen der Kundenbetreuung, zum Beispiel im Online-Banking, per E-Mail oder Videokonferenz, ist für 55 Prozent besonders wichtig. Die entsprechenden Projekte, etwa zur Videoberatung durch Experten in der Filiale oder zuhause, laufen gerade an. Noch ist nicht klar, welche Formen der Kundenansprache und Beratung vom Privatkunden akzeptiert und nachgefragt werden.

Die erfolgreiche mediale Vernetzung hängt aber ganz entscheidend davon ab, dass die angebotenen Alternativen aus Kundensicht tatsächlich gleichwertig sind. Ob sich die Merkmale des persönlichen Gesprächs ohne Weiteres ins Internet übertragen lassen, ist bisher offen. Entsprechende Ansätze sind vielfach noch im Pilotstadium.

Die Bedeutung der kanalbezogenen Preis- und Leistungsdifferenzierung im Rahmen des Multikanalmanagements polarisiert dagegen. Den 44 Prozent, die diese Maßnahme wichtig finden, stehen 31 Prozent gegenüber, die dies ablehnen. Angesichts des Margendrucks werden Banken jedoch nicht darum herumkommen, zu überlegen, welche Leistungen sie zukünftig in welcher Form bepreisen können. Eine rein kanalbezogene Preisdifferenzierung wird vor allem im filialzentrierten Modell an Grenzen stoßen, wenn der Weg des Kunden in die Filiale gewünscht ist.

Beide Zielbilder realisierbar

Beide Zielbilder sind realisierbar und stellen eine Weiterentwicklung im Multikanalmanagement der meisten Institute dar. Welches der verschiedenen Zielbilder für die einzelne Bank am erfolgversprechendsten ist, hängt nicht zuletzt von der individuellen Ausgangssituation ab.

Daher empfiehlt es sich, alle Schritte gemeinsam zu gehen - angefangen von einem im Gesamtvorstand getragenen Zielbild über die Definition des "Zielgruppen-Angebots-Kanalwürfels (ZAK)", der Ausarbeitung des Steuerungsmodells, des Beraterleitbildes bis hin zur kommunikativen Umsetzung zum Kunden. Nur so wird ein zukunftsfähiges und belastbares institutsspezifisches Multikanalmanagement entstehen, welches die einzelne Sparkasse oder Bank erfolgreich umsetzen kann.

Wichtig ist, dass unabhängig vom gewählten Ansatz die Bank wegen der internen Herausforderungen den Kunden nicht aus den Augen verliert, denn dieser muss in erster Linie die Bank als relevanten Partner für seine Finanzgeschäfte sehen. Dies gilt unabhängig davon, ob jung oder alt und auch ob Bestands- oder Neukunde.

Dr. Oliver Mihm , Vorsitzender des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
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