Erträge unter Druck

Profitabilität beim Girokonto: Der Spagat wird schwieriger

Zwischen 2002 und 2009 stieg die Zahl der Girokonten in Deutschland laut Bundesbankstatistik von 87,8 Millionen auf 95,1 Millionen. Nicht etwa, dass die Zahl der geschäftsfähigen Einwohner Deutschlands sprunghaft gestiegen wäre. Das zeigt: Die Kundentreue sinkt, Kunden führen nicht mehr nur ein Girokonto, entscheiden sich nicht mehr für die eine Bank fürs Leben.

Die Anforderungen der Kunden sind kräftig gewachsen: Sie erwarten die unterschiedlichsten Wege bequemer Kontoführung, eine flächendeckende Bargeldversorgung mit Geldautomaten und Filialen, Zusatzleistungen wie Kreditkarten und eine möglichst kostenlose Kontoführung.

Hoher Werbedruck beeinflusst Erwartungshaltung

Die Postbank konnte im Zeitraum 2000 bis 2009 netto 1,4 Millionen zusätzliche Konten generieren und ihren Marktanteil beim Kontenbestand von 6,5 Prozent auf 8,2 Prozent ausbauen. Das Postbank Girokonto gilt heute mit fast fünf Millionen Verträgen als Deutschlands beliebtestes Girokonto. Dafür geht die Bank immer wieder innovative Wege: So ist sie einer der Pioniere im Markt für kostenlose Girokonten. Ein anderes Beispiel für Innovation sind erfolgreiche Vertriebskooperationen mit bankfernen Retailern, wie zum Beispiel Tchibo.

Der Wettbewerb hat aufgeholt. Banken haben den Retailmarkt im Zahlungsverkehr wiederentdeckt und werben mit kostenloser Kontoführung ohne Bedingungen um Kunden, indem sie zum Beispiel auf den monatlichen Geldeingang verzichten.

Der Werbedruck mit aggressiven Angeboten ist gewachsen, die Werbespendings für die Vermarktung von Privatgirokonten sind zwischen 2001 und 2007 um gigantische 670 Prozent gestiegen. Auf der Kostenseite geben in der Produktion bevor -teilte Banken ohne Filialnetz und Direktbanken hier den Ton an. Die Folge: Die Kunden erwarten mittlerweile geradezu, dass Gratiskonten standardmäßig angeboten werden. Eine bemerkenswerte Diskrepanz zur Realität: Den größten Marktanteil hat immer noch die Gruppe der Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die nach wie vor erfolgreich kostenpflichtige "Pauschalmodelle" anbieten.

Girokonto-Modelle nach Kundenbedarf differenzieren

Eine weitere Reaktion auf sich verändernde Kundenbedürfnisse sind Kontomodelle, die mehrere Produkte bündeln. Die Kombination mit Tagesgeldkonten, Kreditkarten und anderen banknahen Dienstleistungen, wie zum Beispiel der Guthabenverzinsung auf Sichteinlagen findet man in unter schiedlichsten Ausprägungen. Die Finanzierung solcher Zusatzleistungen bringt die Margen der Banken zusätzlich unter Druck. Der Spagat zwischen Kundenerwartung und Wirtschaftlichkeitsanforderungen ist daher zunehmend schwieriger zu meistern.

Bei alledem muss der Kunde im Fokus bleiben. Was wünscht er? Geht es ihm vor allem um einen gut laufenden Zahlungsverkehr? Überzeugt ihn eher das Angebot einer Kreditkarte und weiterer Zusatzleistungen? Oder findet er Rabatte besonders attraktiv?

Die Bank muss sich einen USP schaffen beziehungsweise bewahren und innovativ bleiben - zum Beispiel mit neuen Vertriebskanälen. Online ist ohnehin Pflicht, aber auch Wege jenseits der Bankenwelt sind möglich. Die Postbank kooperiert etwa mit der HUK und mit Shell. Eine Studie hatte dem Tankrabatt eine hohe Attraktivität attestiert. Das Erfolgsrezept lautet allerdings auch hier: Die schlichte Kombination von Bankprodukt mit bankferner Zusatzleistung funktioniert nur in einem abgerundeten durchdachten Gesamtkontext: Bargeldversorgung, Produktverkauf und Tankrabatt bei Einsatz der Debitkarten werden vom Kunden mit hoher Akzeptanz belohnt.

Anstieg der Transaktionen im Blick behalten

Die Formel: zufriedene Kunden = treue Kunden = werthaltige Kundenbeziehung = niedrigere Vertriebskosten ist in sich stimmig, die Einsparungen auf der Vertriebs- und Abwicklungsseite können an den Kunden weitergegeben werden, etwa durch günstigere Entgelte. Das Girokonto dient in diesem Zusammenhang nicht nur als Ankerprodukt, sondern auch zur Kundenbindung.

Die Giromodelle sind zugeschnitten auf die Kundensituation und den Kundenbedarf. Die Botschaft an den Markt lautet: "Hohe Ansprüche sind dafür da, erfüllt zu werden. Egal, welche Erwartungen Sie an Ihr Girokonto haben, wir haben das passende Kontomodell für Sie."

Neben solchen grundsätzlichen Modellüberlegungen und Zugangskanälen bleibt im transaktionsintensiven Girogeschäft noch eine ganz andere, kostenrelevante Entwicklung im Blick zu behalten. So steigt die Anzahl der getätigten Transaktionen deutschland- und europaweit an (vergleiche Abbildung 1). Daraus ergibt sich eine zusätzliche Herausforderung in einem Marktumfeld, das immer seltener transaktionsabhängige Entgelte toleriert.

Onlinebanking: Qualitative Ausprägung als Differenzierungsmerkmal

Auch wenn die Filiale für Vertrieb und Service immer noch der Dreh- und Angelpunkt für die Kundenansprache ist: Die qualitative Ausprägung des Onlinebankings ist ein hervorragendes Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb um neue Girokunden. Hier gilt es, neben übersichtlicher Gestaltung und klarer Gliederung eine bequeme Benutzerführung mit Verkaufs- und Beratungsansätzen sinnvoll zu verknüpfen. Diese Herausforderung haben auch die klassischen Filialbanken angenommen ungeachtet eines gewissen Kannibalismuspotenzials ihres angestammten Geschäfts.

Die Postbank versteht sich im Rahmen ihres Multikanal-Ansatzes mit einem leistungsstarken und preisgekrönten Onlineauftritt gewissermaßen auch als große Direktbank. Gerade im Zahlungsver-kehr besteht bei den Kunden der starke Wunsch, ihre Bankgeschäfte einfach, zu jeder Zeit und sicher abwickeln zu können. Der Gang zur Filiale oder der Postweg wegen einer Überweisung wird zumindest in einigen Kundenschichten nicht mehr ernsthaft in Erwägung gezogen.

Onlinebanking ist im Zahlungsverkehr und beim Girokonto mittlerweile zum Hygienefaktor geworden. Hier liegen die Vorteile aus einer strategischen Sicht sicherlich eher bei den Geschäftsbanken, die mit einer einheitlichen Steuerung stringente Onlineangebote machen können und auch die Investitionen für ein "State-of-the-Art"-Onlinebanking besser schultern können, als die dezentral organisierten Kreditinstitute.

Ist Profitabilität utopisch?

In diesem Umfeld tun sich die meisten Banken schwer, vollständig transparente Kontomodelle aufzusetzen. Oder anders formuliert: Was heißt "kostenlos" tatsächlich? Was bekommt der Kunde unter dem Strich?

So gibt es Modelle, die bei näherem Hinsehen nur dann kostenlos sind, wenn die Kontoführung ausschließlich online erfolgt. Dann entstehen für den Kunden Zusatzkosten, etwa für beleghafte Überweisungen, für Abhebungen an Geldausgabeautomaten, für Debit- oder Kreditkarten. Die Vielzahl der Kostenbestandteile und die Komplexität der Nebenbedingungen machen den Markt unübersichtlich und erschweren die Vergleichbarkeit des Angebots für die potenziellen Kunden. Doch wie wird ein Girokonto für Kunden attraktiv und bleibt gleichzeitig Ergebnisquelle für die Bankbilanz? Generierung von Erträgen mit Girokonten ist in der Tat nicht einfach - oft werden Spitzenangebote quersubventioniert, etwa mit Mitteln aus dem Anlagegeschäft.

Prinzip Hoffnung reicht nicht

Für einige Banken spielt das Ertragsziel mit Girokonten ohnehin eine untergeordnete Rolle: "Jüngere" Banken, etwa Direktbanken, wollen vor allem Marktanteile gewinnen und nehmen es in Kauf, in einzelnen Segmenten drauf zu zahlen.

Große Retailer, wie die Postbank dagegen, haben eher die Herausforderung, ihrem großen Kundenstamm nachhaltige Leistungen zu fairen Preisen zu bieten und dabei die Profitabilität des Portfolios sicher zu stellen. Bei der Postbank gilt die Devise, dass jedes einzelne Produkt in sich rentabel sein muss, auch das Girokonto. Das "Prinzip Hoffnung" auf Zusatzerträge aus dem Cross-Selling kann damit nur als Zubrot gerechnet werden.

Dazu gehört auch die Kalkulation von aktionsbezogenen Zusatzleistungen, die die Gesamtprofitabilität des Portfolios nicht infrage stellen darf. Zeitlich befristete Sonderkonditionen als Teil der mengenwachstumsorientierten Konditionspolitik, bei Giro-Tagesgeld-Koppelung etwa, werden vom Liquiditätsbedarf des Instituts mitbestimmt.

Gratwanderung zwischen Akquisition und Bestandskundenzufriedenheit

Bei einer Bank wie der Postbank scheiden bestandswirksame Zinsangebote aus, weil selbst geringfügige Konditionsinvestments erhebliche Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung haben. Eine neugeschäftsorientierte Konditionssteuerung bleibt also eine Gratwanderung zwischen bezahlbaren Akquisitionsbemühungen und Zufriedenheitsindikatoren bei Bestandskunden.

Um Profitabilität langfristig zu sichern, müssen zunächst auf der Kostenseite einige Hausaufgaben gemacht werden. Oder plakativer formuliert: Wer kostengünstig anbieten will, muss noch günstiger produzieren.

Ein Schlüsselwort für die Bank der Zukunft lautet daher "Industrialisierung" - gerade im Zahlungsverkehr. Deutsche Institute gelten gemeinhin als zu klein, um international wettbewerbsfähig zu sein. Zwischen den drei Säulen des öffentlich-rechtlichen Sektors, des genossenschaftlichen Sektors und des Sektors der Privatbanken gab es in Deutschland bislang kaum mehr als zaghafte Versuche zu übergreifenden Kooperationen. Doch der Druck zu größeren Einheiten wächst - vor allem bei jenen Abschnitten der Wertschöpfungskette, die am ehesten mit der Produktion von Gütern vergleichbar sind. Und das ist neben der Kreditbearbeitung und dem Wertpapierhandel die Abwicklung des Zahlungsverkehrs.

Industrialisierung des Zahlungsverkehrs

So sind im Zahlungsverkehr technisch wie organisatorisch schon heute die Voraussetzungen für ein hoch standardisiertes Massengeschäft außerhalb der klassischen Filiale gegeben, Stichwort "Transaction Banking". Durch Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern wie etwa der Postbank Tochter BCB (Betriebs-Center für Banken AG), können Investitionen in eigene moderne Systeme vermieden und Skaleneffekte gesichert werden.

Zahlungsverkehrsabwicklung ist pures Mengengeschäft. Unterhalb einer in Milliarden gerechneten kritischen Menge von Transaktionen ist dieses Geschäft kaum profitabel zu betreiben. Zu teuer sind die Bestandteile einer industriellen Abwicklungsplattform wie moderne Software-Komponenten, eine ausgefeilte, flächendeckende Beleglogistik, Hochleistungsscanner mit exzellenter Texterkennung und ein elektronisch unterstütztes Kapazitätsmanagement.

Die Industrialisierung ist historisch gesehen der Wan-del vom Handwerk über die Manufaktur zur modernen Massenproduktion. Dieser Prozess lässt sich sinngemäß auf die Wertschöpfungskette im Bankensektor übertragen.

Die Arbeit im Backoffice der Filialen entspricht in etwa der Stufe des Handwerks - die manuelle Bearbeitung geringer Mengen zu hohen Stückkosten.

Die Industrieproduktion hingegen ist durch die vertikale Desintegration der einzelnen Stufen der Wertschöpfungskette gekennzeichnet. Die hohe Standardisierung führt dann zu deutlich sinkenden Stückkosten. Darin liegt die Chance, dass die "Zahlungsverkehrsfabrik" über kurz oder lang die Backoffice-Aufgaben im Transaktionsbereich bankübergreifend übernehmen wird. Dabei wird man sich nicht auf den deutschen Markt beschränken: Deutsche Transaktionsbanken sind in einer guten Ausgangsposition zur Erschließung des europäischen Zahlungsverkehrsmarkts.

Die Postbankstrategie für eine Fortschreibung der Erfolgsstory im Zahlungsverkehr lautet daher: "Konsequente Kosteneffizienz bei schlanker und transparenter Produktpalette." Optimierung der internen Prozesse und damit höhere Effizienz verschaffen Kostenvorteile, die die Attraktivität des Produktangebotes für den Kunden und somit die Wettbewerbsfähigkeit der Bank dauerhaft sichern. Die Bank stellt so die Weichen für den weiteren Ausbau ihrer Marktführerschaft im Retailbanking.

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