Retailgeschäft

Der profitable Privatkunde - Mythos oder Realität?

Stabil, aber langweilig und oft nur kostendeckend - das Geschäft mit den Privatkunden steht bei den deutschen Banken nicht immer hoch im Kurs. Die im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre sinkenden Erträge geben den Skeptikern zudem auf den ersten Blick Recht. Aber einzelne Banken und Sparkassen beweisen, dass sich mit Privatkunden durchaus Geld verdienen lässt. Ihr Erfolgsrezept: Sie analysieren systematisch das Verhalten ihrer Kunden, um sich optimal auf deren Bedürfnisse einzustellen. Dabei richten diese Institute ihre Preispolitik exakt auf die unterschiedlichen Leistungserwartungen der einzelnen Zielgruppen aus. Und sie schaffen es, aus zufriedenen Kunden begeisterte Kunden zu machen. Und das oft mit geringem Aufwand.

Wie sich die Schlagzeilen ähneln: Ob Handelsblatt ("Retailmarkt in Deutschland bleibt schwierig"), Schweizer Bank ("Privatkundengeschäft: Deutsche Banken zu wenig effizient") oder die Neue Zürcher Zeitung ("Wettbewerb der Retailbanken verschärft sich"), die Aussichten für das Privatkundengeschäft der deutschen Banken werden unisono als wenig positiv gesehen. Und die Zahlen geben den Skeptikern auf den ersten Blick Recht: So sank in den beiden vergangenen Jahren die durchschnittliche Gebühr für ein kostenpflichtiges Girokonto - nach wie vor die Ertragssäule im Privatkundengeschäft von 9,24 auf 7,26 Euro, was einem Rückgang von rund 18 Prozent entspricht. Insgesamt sanken die Erträge im Durchschnitt aller deutschen Banken aus dem Privatkundengeschäft seit dem Jahr 2000 um knapp 25 Prozent. Und der Rückgang ist zwar nach Konsensmeinung gestoppt, doch mehr als um sieben Prozent werden die durchschnittlichen Erträge in den kommenden fünf Jahren nicht zulegen, so die Schätzung.

Taugt das Privatkundengeschäft der deutschen Banken also auch in Zukunft höchstens dafür, Deckungsbeiträge zu generieren? Oder gibt es nicht doch Wege, auch diesen Geschäftsbereich auf den Pfad dauerhaft steigende Gewinne zu bringen?

Kundenbezogene Profitabilität ist der Schlüssel zum Erfolg

Einzelne Institute - und durchaus nicht nur Vertreter aus dem Lager der Onlinebanken - beweisen, dass sich mit den Privatkunden Gewinne erwirtschaften lassen. Die Sparkasse Münsterland Ost etwa fuhr im Jahr 2010 einen Bilanzrekord ein - "getragen durch das Privatkundengeschäft" (Börsen-Zeitung). Und auch die auf das Privatkundengeschäft fokussierte Sparda-Bank West vermeldete für 2010 laut eigener Pressemitteilung "Rekordwerte". Dass hier die Marktumstände durchaus mitgeholfen haben, soll den Erfolg aber nicht mindern.

Der Schlüssel zum Erfolg liegt generell in der kundenbezogenen Profitabilität. Wir sind überzeugt, dass Banken, die ihre Kunden kennen und das Potenzial jeder einzelnen Gruppe ausschöpfen, langfristig erfolgreicher arbeiten. Ein der Praxis entnommenes, aber anonymisiertes Beispiel soll diese These belegen.

So sind 68 Prozent der Kunden der Sparkasse 1 reine Servicekunden, die also nicht viel mehr als ein Girokonto bei ihrem Institut unterhalten. 27 Prozent werden als Privatkunden geführt, vier Prozent als Individualkunden und nur ein Prozent als Private-Banking-Kunden. Anders das Bild bei Sparkasse 2. Sie hat nur 15 Prozent Servicekunden, dafür aber 65 Prozent Privatkunden, 18 Prozent Individualkunden und zwei Prozent Private-Banking-Kunden. Trotz dieser deutlich höherwertigen Kundschaft erzielt Sparkasse 2 aber einen Deckungsbeitrag II, der mit 220 Euro rund ein Drittel niedriger als bei der Sparkasse 1, die trotz ihres hohen Anteils an eigentlich weniger ertragreicher Servicekundschaft einen Deckungsbeitrag von 325 Euro erzielt.

Das Erfolgsgeheimnis der Sparkasse 1 ist schnell gelüftet: Sie erzielt mit dem Service-Kunden einen 2,5-mal höheren Deckungsbeitrag (150 Euro) als die Sparkasse 1, bei den Privatkunden liegt der Faktor sogar bei rund 3,5. Die erfolgreichere Sparkasse hat einfach die alte Kaufmannsregel respektiert: Man muss nicht teure Produkte verkaufen, sondern bei allen Produkten die richtige Marge erzielen.

Unterscheidung nach Preissensitivität

Doch wie kann man es schaffen, über alle Kunden hinweg den optimalen Ertrag zu erzielen? Die erste Regel lautet: Man muss seine Kunden wirklich kennen. Und hier gibt es durchaus Nachholbedarf bei vielen Banken. Nicht immer kennt man die Einstellungen, Ziele und das Kaufver halten der eigenen Klientel, kennt man ihr Verständnis von Nutzen oder ahnt etwas von der individuellen Preisbereitschaft. Um zu diesen Punkten Klarheit zu ver schaffen, hat Investors Marketing mit dem IM-Preis-Typen ein Instrumentarium entwickelt, das die signifikanten Unterschiede im Informations- und Kaufverhalten zu drei prägnanten Kundentypen verdichtet: Preisentscheider, Preissensible, Preisindifferente.

Rund 18 Prozent der Bankkunden in Deutschland sehen wir demnach als Pernetischeider an. Sie sind überdurchschnittlich gut informiert, hoch kompetent in Finanzangelegenheiten und zeichnen sich durch autonomes Entscheidungsverhalten als selfdirected customers aus. Sie haben eine hohe Preissensitivität sowie eine ausgeprägte Onlineaffinität und verfügen über ein höheres Haushaltsnettoeinkommen (HNNE) beziehungsweise ein überdurchschnittliches Vermögen.

Preissensible Kunden bilden mit rund 52 Prozent aller Kunden die größte Gruppe. Sie sind durchschnittlich informiert und zeichnen sich durch eine mittlere Kompetenz in Finanzangelegenheiten aus. Sie haben ein hybrides Informations- und Entscheidungsverhalten und sind spürbar preissensitiv. Preissensible sind Multikanalkunden, das heißt, sie nutzen auch mediale Vertriebswege und verfügen über ein mittleres Haushaltsnettoeinkommen beziehungsweise Vermögen.

Preisindifferente Kunden, rund 30 Prozent der Bevölkerung, sind mehrheitlich eher wenig informiert und wenig kompetent in Finanzangelegenheiten. Sie delegieren Entscheidungen oder entscheiden erst nach eingehender Beratung. Sie sind fast ausschließlich Filialkunden und stehen Onlinemedien ablehnend gegenüber. Sie verfügen über ein geringeres Haushaltsnettoeinkommen beziehungsweise Vermögen.

An die Stelle des vermeintlich idealtypischen Kunden rücken nun klar differenzierte Kundentypen mit ganz spezifischen Wünschen, Anforderungen und Entscheidungskriterien. Es werden eine individuelle Kundenzuordnung und Anwendung im Beratungsprozess möglich sowie eine Optimierung der Produkt- und Preisstrategie.

Ausgangspunkt für die Preisdifferenzierung

Gleichzeitig lassen sich Instrumente sowohl zur Prognose und als auch zum Controlling von Preismaßnahmen entwickeln. So lässt sich anhand der Marktsituation und des Zinsabstands zum Wettbewerb die Abwanderungsgefahr der unterschiedlichen Kundentypen prognostizieren und die Auswirkung auf den Bestand abschätzen.

Preisentscheider reagieren bei einem Zinsabstand von zwei Prozent zum Wettbewerb deutlich mit einem Abzug der Gelder von knapp 15 Prozent, während die Preissensiblen acht Prozent ihrer Einlagen abziehen und die Preisindifferenten sogar nur zwei Prozent. Die Verknüpfung der Preissensitivität der Kundentypen mit den dazugehörigen Volumina liefert also eine verbesserte Prognosequalität bei Preismaßnahmen. Außerdem kann Preisdifferenzierung gezielt bei einzelnen Kundengruppen eingesetzt werden, um die Abwanderungsgefahr zu reduzieren.

Nur die Zinsen für alle etwa beim Tagesgeld gleich zu halten, wäre also zu kurz gesprungen. Sinnvoller ist es, dass Vorgehen sowohl nach Zielgruppen als auch nach Art des Vertriebskanals zu differenzieren. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Kenntnis, welche Preistypen in welchen Zielgruppen und Produkten mit welchem Anteil vertreten sind. So kann die prognostische Güte der Zinsentscheidung hinsichtlich ihrer Wirkung verbessert werden.

Preisentscheider bei Sparkassen unterrepräsentiert

Denn die Verteilung der einzelnen Kundentypen variiert nach Institutsgruppen.

Bei den Sparkassen sind aktuell rund 53 Prozent der Kunden den Preissensiblen zuzurechnen (was in etwa dem Marktdurchschnitt entspricht). Preisindifferente sind mit einem Anteil von 35 Prozent deutlich überrepräsentiert und Preisentscheider mit zwölf Prozent deutlich unterrepräsentiert.

Bei den Direktbanken verhält es sich genau umgekehrt. Hier sind 38 Prozent der Kunden den Preisentscheidern zuzurechnen und nur acht Prozent den Preisindifferenten.

Viele Sparkassen-Kunden sind also preisindifferent und interessieren sich wenig für Konditionen. Dieser hohe Anteil preisindifferenter Kunden wird in den Sparkassen häufig positiv gesehen, da sie davon ausgehen, dass diese Kunden loyaler sind beziehungsweise weniger anfällig im teilweise aggressiven Preiswettbewerb um Privatkunden reagieren und sich zum Teil bei diesen Kunden höhere Margen durchsetzen lassen.

Preisentscheider sorgen für die höchsten Deckungsbeiträge

Die Preisentscheider verfügen jedoch über höhere Vermögen, nutzen mehr Produkte und planen deutlich häufiger weitere Abschlüsse. Und sie wissen auch eine gute Beratung zu schätzen und sind auch in einem wesentlich höherem Maße bereit, dafür zu bezahlen.

Demzufolge sorgen Preisentscheider trotz geringerer Margen für die höchsten Deckungsbeiträge in den Banken. Ein Beispiel aus einem Projekt bei einer Retailbank kann dies belegen. Das betreffende Institut erzielte mit preisindifferenten Kunden zwar eine Marge von 141 Basispunkten, wegen der geringeren Umsätze aber lag der Deckungsbeitrag II nur bei 200 Euro. Die Preisentscheider dagegen lieferten einen Deckungsbeitrag von 600 Euro pro Kunden und Jahr, obwohl bei ihnen aufgrund von Preiszu geständnissen die Marge nur bei 86 Basispunkten liegt.

Preisindifferente erfordern höheren Vertriebsaufwand

Zudem sind Preisentscheider bei Finanzfragen sehr engagiert und auch begeisterungsfähiger als andere Kundengruppen. Laut unserer aktuellen Privatkundenstudie ging beim bislang letzten Produktabschluss die Initiative bei den Preisentscheidern zu 98 Prozent vom Kunden aus, bei den Preisindifferenten nur zu 60 Prozent - das heißt, dass preisindifferente Kunden einer erheblich höheren Vertriebsleistung bedürfen, um zu einem Abschluss zu kommen. Preisentscheider sprechen auch doppelt so oft über ihre Bank wie Preisindifferente, und sie haben zu 75 Prozent in den vergangenen zwölf Monaten ihre Bank weiterempfohlen. Und da Preisentscheider aufgrund ihrer finanziellen und sozialen Stellung in der Regel zu den sogenannten Meinungsführern oder Opinion Leadern gehören, sind diese Empfehlungen überaus wertvoll.

Für die wahrgenommene Qualität - und damit für die Empfehlungsbereitschaft sind jedoch letztendlich nicht Preise und Konditionen allein maßgeblich, sondern die wahrgenommene Qualität. Dem Kunden muss der Eindruck vermittelt werden, dass er für sein Geld etwas Besonders bekommt, dann entstehen Zufriedenheit und manchmal auch Begeisterung, die zu zusätzlicher Kauf- und Zahlungsbereitschaft führt und ihn seine Bank weiterempfehlen lässt. So äußern sich zufriedene Kunden auf Nachfrage positiv über ihre Bank, während begeisterte Kunden aktiv von ihren positiven Erlebnissen erzählen.

Den Kunden begeistern

Zufriedene Kunden sind ansprechbar auf weitere Produkte, begeisterte Kunden sprechen die Bank von sich aus auf weitere Produkte an. Und zufriedene Kunden vergleichen nicht alles, sind aber preisbewusst, während begeisterte Kunden auch einmal mehr zahlen, ohne zu vergleichen.

Doch wie kann für eine Bank Begeisterung entstehen, wenn diese durch immer mehr bürokratische Richtlinien wie Verbraucherkreditrichtlinie, Bundesdatenschutzgesetz, MiFID oder Wertpapierhandelsgesetz eingeengt sind? Der ehemalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hilmar Kopper, prägte hier einen richtungsweisenden Satz: "Wenn alle Mitarbeiter jeden Kunden, den sie sehen, freundlich begrüßen, können wir unseren Umsatz im Inland um 25 Prozent steigern."

Das klingt trivial, trifft aber den Kern der Problematik in der Beziehung der Bank zu ihren Kunden. Begeisterung für ein Institut kann nur an den Kontaktpunkten entlang des sogenannten Konversionspfades entstehen. Gemeint ist die Umsetzung eines Wunsches in einen Kauf und schließlich in eine Beziehung zum Verkäufer, die in Begeisterung und schließlich in eine Weiterempfehlung mündet.

Für die Bank heißt das, die Suchphase für den Kunden zu erleichtern mit einfacher, aber konkreter Nutzenargumentation in der Kaufphase den Kunden zu überzeugen und schließlich nach dem Kauf mit dem Kunden in einer Beziehung zu bleiben und sein Empfehlungspotenzial systematisch zu nutzen. Bei allen diesen Schritten ist der Kontakt und die Ansprache entscheidend, aber hier agieren viele Banken eher opportunistisch und Ad hoc-maßnahmengetrieben denn wirklich strategisch und nachhaltig.

Ein einfacher Weg, den Prozess des Kundenmanagements zu verbessern, besteht darin, einmal Kontaktrelevanz und -frequenz in seiner Bedeutung für die Bank und den Kunden zu analysieren. Ein Projektbeispiel zeigt, dass etwa Kartenzahlungen oder Brokerage-Transaktionen für den Kunden eine hohe Bedeutung haben und zudem häufig passieren, der Bank also immer wieder Gelegenheit geben, mit dem Kunden in Kontakt zu treten. Freistellungsaufträge, Daueraufträge oder die Jahressteuerbescheinigung sind dagegen singuläre Ereignisse, die zudem in den Augen der Kunden keine hohe Bedeutung haben. Wenn also die Vertriebsmitarbeiter in diesen Punkten gezielt geschult werden, kann die Bank mit einem übersichtlichen Aufwand bereits einen hohen Nutzen erzielen.

Leitsätze zur Profitabilität

Der profitable Privatkunde ist kein Fabelwesen, es gibt ihn in Fleisch und Blut. Die nachfolgenden Leitsätze sollen helfen, mehr von dieser Spezies zu entdecken:

Lassen Sie sich Ihr Geschäft nicht schlecht reden - das Privatkundengeschäft wird auch auf Dauer profitabel sein.

Kostensenkungen sind wichtig, aber auch endlich - nachhaltige Ertragssteigerungen gehen nur über und mit dem Kunden.

Wissen über das Preisverhalten der

Kunden wirklich zu begeistern ist eine große Herausforderung. Doch oft sind es nur die kleinen Dinge, die den Unterschied machen.

Schließlich gilt auch hier ein Satz von Johann Wolfgang von Goethe: "Es ist nicht genug zu wissen - man muss auch anwenden."

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors beim Privatkundenforum 2011.

Dr. Oliver Mihm , Vorsitzender des Vorstands, Investors Marketing AG, Frankfurt am Main
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