Sepa

Die Übergangsfrist ist weder notwendig noch konstruktiv

In den vergangenen Monaten informierten unzählige Briefe von ganz verschiedenen Absendern die Verbraucher über Änderungen bei bestehenden Lastschriften und neue Geschäftsbedingungen. Parallel dazu griffen in den Banken die Firmenkundenbetreuer zum Telefon und versuchten, ihre Kunden von der Notwendigkeit neuer Lastschriftverfahren zu überzeugen. Die Erwartungen, mit denen Kreditinstitute, Unternehmen, Vereine und Verbraucher den Tag der Umstellung am 1. Februar 2014 auf sich zukommen sahen, reichten von äußerster Anspannung bis zu maximaler Gleichgültigkeit. Denn ab dann hätten alle Lastschriften und Überweisungen in Deutschland und in Europa ausschließlich in den verordnungskonformen Sepa-Zahlverfahren ausgeführt werden müssen.

Willkürlicher Aktionismus

Drei Wochen vor dieser Frist schlug dann am 9. Januar 2014 Michel Barnier, EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, vor, die Übergangsfrist für die Sepa-Migration um maximal sechs Monate bis zum 1. August 2014 zu verlängern und damit die EU-Verordnung 260/2012 zu ändern. Dabei ist nicht ganz zu verleugnen, dass eventuell konkrete Hinweise aus verschiedenen Märkten in der Europäischen Union den Franzosen dazu bewogen haben, im Alleingang diese Gnadenfrist zu gewähren, die den Nachzüglern erlaubt, verspätet - aber gesetzeskonform - die Sepa-Migration abzuschließen.

Für die Deutsche Kreditwirtschaft kam dieser Schritt völlig unerwartet. Er beschädigt die Glaubwürdigkeit der Generaldirektion Binnenmarkt und damit der EU-Kommission erheblich. Fachlich berufene Fürsprecher der Terminverschiebung gibt es kaum, stattdessen aber viele Bekräftigungen, dass der Termin, trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten, hätte gehalten werden können. Über die wahren Hintergründe kann nur spekuliert werden. Das Agieren der EU-Kommission ist nicht nachvollziehbarer, willkürlicher Aktionismus, der im Umgang mit der Kreditwirtschaft leider exemplarisch geworden ist.

Die europäische Kreditwirtschaft bietet seit den Jahren 2008 und 2009 mit Sepa-Überweisung und Sepa-Lastschrift europaweit einheitliche Zahlverfahren an. Die Vereinheitlichung des Zahlungsverkehrs wurde von der Politik als eine unter vielen Maßnahmen propagiert, die bessere Voraussetzungen für die Zunahme des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs schaffen soll.

In der Folge hätte sich also auch eine erhöhte Nachfrage für grenzüberschreitende Zahlverfahren ergeben sollen. Die Nachfrage im europäischen Binnenmarkt war jedoch nur sehr zögerlich. Um diesem Ziel zu entsprechen, hatte der europäische Gesetzgeber 2012 das Sepa-Migrationsenddatum per Verordnung festgelegt.

Entgegen der Position der europäischen Kreditwirtschaft (und von weiten Teilen der Industrie) wurde der Umsetzungstermin mit dem 1. Februar 2014 viel zu früh gewählt. Die Bundesregierung hatte, basierend auf einer Entschließung des Deutschen Bundestages, in der damaligen Trilog-Verhandlung eine längere Frist eingefordert, jedoch gegen andere Zugeständnisse nachgegeben. Überspitzt formuliert, hat die Sonderfrist für das elektronische Lastschriftverfahren des Einzelhandels den zeitlichen Engpass für eine vollumfängliche Sepa-Migration in Deutschland mitverursacht.

Bemerkenswert ist das Vorgehen der EU-Kommission. Bis heute ist nicht nachvollziehbar, aufgrund welcher Informationen die Verschiebung auf den 1. August 2014 erforderlich ist. Ein Austausch mit den Zentralbanken im Dezember 2013 hat keinesfalls einen Bedarf für eine Verschiebung ergeben. Über umfassende Befragungen von Marktteilnehmern ist nichts bekannt. Der Franzose Michel Barnier sollte wissen, dass nicht nur in Frankreich in den Sommermonaten wohl kaum Projekte solcher Tragweite aktiv umgesetzt werden. Auch hätte man von der Kommission eine professionellere Informationspolitik erwarten dürfen. Diejenigen, die ständig mit den betroffenen Kunden in Kontakt sind, sprich die Kreditwirtschaft, hätten eine gewisse Vorwarnzeit sinnvoll nutzen können.

Rechtsstaatlich und in der Sache bedenklich

Da die Verordnung erst Rechtskraft nach Verabschiedung durch das Europäische Parlament und den Rat der Europäischen Union sowie der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt erhält, blieben den EU-Institutionen nur wenige Tage für die erforderliche Zustimmung.

Die Mitgliedstaaten im Rat sowie die Mitglieder des Econ-Ausschusses des EU-Parlaments ließen sich auf ein beschleunigtes Verfahren ein und verzichteten auf Änderungen. Die Verordnung konnte so einigermaßen zeitnah zum ursprünglichen Umstellungsdatum veröffentlicht werden. Dass die Verordnung rückwirkend zum 31. Januar 2014 ihre Wirkung entfaltete, ist rechtsstaatlich und in der Sache bedenklich.

Ordnungsgemäße AGB-Änderungen unmöglich

Kreditwirtschaft, Wirtschafts- und Sozialverbände sowie die öffentliche Hand und viele Unternehmen hatten in den vergangenen Wochen und Monaten ihre Sepa-Kommunikation zu den Kunden weiter intensiviert. Millionen von Informationen über die Sepa-Umstellung hatten selbst die Verbraucher erreicht; inzwischen kennen 90 Prozent der Verbraucher Sepa und erste Klagen über die Flut von Sepa-Informationsschreiben kamen auf.

Die Zahlungsverkehrsabkommen der Deutschen Kreditwirtschaft sowie die Kundenbedingungen zum Überweisungs- und Lastschriftverkehr wurden in den vergangenen Jahren an die Vorgaben der EU-Verordnung und des Sepa-Begleitgesetzes mit Wirkung zum 1. Februar 2014 angepasst. Ab diesem Datum durften die nationalen Verfahren für Überweisung und Lastschrift grundsätzlich nicht mehr unterstützt werden.

Mit der Änderungsverordnung ist es den Instituten nun wieder erlaubt, Überweisungen und Lastschriften im "Alt-Format" abzuwickeln - jedoch ohne eine gesetzliche Verpflichtung. Um eine möglichst rechtssichere Grundlage für die Abwicklung von Lastschriften und Überweisungen in den Altverfahren zu gewährleisten, hat die Deutsche Kreditwirtschaft die relevanten Zahlungsverkehrsabkommen kurzfristig geändert. Aufgrund der extremen Kurzfristigkeit der Änderungsverordnung waren ordnungsgemäße AGB-Änderungen der Zahlstellen gegenüber ihren Kunden als Zahler im Lastschriftverfahren faktisch unmöglich. Dies alleine zeugt von der Unbedachtheit der EU-Kommission und ist keinesfalls nur ein Problem in Deutschland. Banken und Sparkassen planten zum 1. Februar 2014, ihren Firmenkunden individuell und übergangsweise gesetzeskonforme Dienstleistungen anzubieten, die eine Umwandlung von Zahlungsdaten in Zahlungsaufträge im Sepa-Format ermöglicht hätten. Hierauf dürften sich einige Kunden vorbereitet haben. Diese Übergangslösungen können die notwendigen Anpassungen von Software und internen Prozessen auf die Sepa-Verfahren beim Kunden nicht ersetzen, eine Fristverlängerung per Gesetz wäre damit jedoch vermeidbar gewesen.

Fristverlängerung für Kreditinstitute kontraproduktiv

Die Situation war und bleibt trotz des sechsmonatigen Aufschubs angespannt. Endkunden, die eine Umstellung zum 1. Februar 2014 nicht abgeschlossen hatten, kommt die einmalige Gnadenfrist entgegen. Denn die Hauptkonsequenz einer Nichtumstellung insbesondere auf die Sepa-Lastschrift wäre der ausbleibende oder verzögerte Zahlungseingang auf dem Konto des Gläubigers mit negativen Konsequenzen für die Liquidität des Lastschrifteinreichers gewesen.

Für die Institute in Deutschland, die inzwischen flächendeckend "Sepa-ready" sind und ihre Prozesse vollständig auf eine Akzeptanz der Sepa-Verfahren zum 1. Februar 2014 umgestellt haben, ist die Fristverschiebung der EU-Kommission absolut kontraproduktiv.

- Die Verlängerung der Umstellungsfrist bedeutet für diese Banken einen nicht vorgesehenen Parallelbetrieb über einen Zeitraum von maximal sechs Monaten und somit zusätzliche, nicht eingeplante Kosten.

- Geplante technische und organisatorische Anpassungen, die weit über die reine Abwicklung von Zahlungen hinausgehen, müssen nun kurzfristig nachjustiert werden.

- Einsparungen durch ursprünglich vorgesehene Rationalisierungsmaßnahmen können nun nicht realisiert werden.

- Das konstruktive und vorausschauende Agieren der deutschen Kreditwirtschaft hat nun wirtschaftliche und rechtliche Risiken zur Folge.

Wie aussagekräftig sind Zahlen?

Die Migrationszahlen per Ende Januar 2014 zeigten laut EZB eine unterdurchschnittliche Sepa-Umsetzung in Deutschland: Nur 30 Prozent aller Lastschriften in Deutschland wurden im Sepa-Format abgewickelt. Bei den Überweisungen waren es knapp 60 Prozent. Doch die Zahlen der EZB lassen ausgerechnet die Kunde-Bank-Beziehung außen vor. Sie beruhen ausschließlich auf Erhebungen der Clearinghäuser, die Sepa-Zahlungen verarbeiten. Doch Sepa ist ein Ende-zu-Ende-Standard und kein Interbankenstandard. Eine Aussage zur Sepa-Fähigkeit des Kunden ist so nur bedingt aus den Zahlen abzuleiten.

Gemäß Angaben der Deutschen Bundesbank waren bis Mitte Dezember 2013 gut 1,25 Millionen Gläubiger-ID abgerufen worden, die zwingend notwendig für den Einzug per Sepa-Lastschrift sind. Sicher eine hohe Zahl, doch wie viele Unternehmen und Vereine noch eine Gläubiger-ID benötigen, weil sie weiterhin Lastschriften nutzen wollen, ist schwierig abzuschätzen.

Vergleich mit anderen Ländern hinkt

Ein Vergleich der deutschen Situation mit der in anderen Ländern erlaubt nur wenige Rückschlüsse, da Deutschland den höchsten Umstellungsaufwand aller Sepa-Länder hat und gewichtige Besonderheiten bestehen. So sind von der Umstellung im Jahr 2014 nur rund zwei Drittel der jährlich neun Milliarden Lastschriftzahlungen betroffen. Denn technische Lastschriften, die zur Verrechnung von Kartentransaktionen (Girocard) und Schecks dienen, sowie Lastschriften aus dem Elektronischen Lastschriftverfahren des Handels müssen erst 2016 umgestellt werden.

Zahlungsdienstleister und deren Kunden in Ländern, die bisher gar keine Lastschrift kannten und andere Zahlungsarten bevorzugen (beispielsweise Überweisungen in Finnland), hatten bedeutend geringeren Umstellungsaufwand. Eher kleine und damit einfacher oder eher zentralistisch strukturierte Märkte hatten geringeren Abstimmungs- und Koordinierungsaufwand.

Die Zahlen von Instituten und Institutsgruppen können derzeit nur Momentaufnahmen oder Mittelwerte sein. Es gibt keinen gleichmäßigen Strom von Transaktionen im Zahlungsverkehr. An einem Monatsende (Ultimo) werden weit mehr Zahlungen verarbeitet als an anderen Tagen.

Das heißt, eine sichere Abschätzung der tatsächlichen Umstellungsrate erlauben Zahlen aus den Monaten Januar und Februar 2014 noch nicht. Auch wenn der Anteil der Sepa-Zahlungen rein statistisch in Deutschland weiter deutlich unter 100 Prozent bleibt, sagt das wenig darüber aus, wie erfolgreich die Umstellung ohne Änderungsverordnung gewesen wäre.

Fristverlängerung wird nicht alle Umstellungsrisiken aufheben können

Große und mittelständische Unternehmen, Banken und Behörden waren weitestgehend rechtzeitig "Sepa-ready". Unklar ist weiterhin der Status bei der großen Masse an Nutzern des heutigen Lastschriftverfahrens mit geringer Transaktionszahl (kleine Unternehmen, Vereine). Vor allem dann, wenn sie nicht die Kundensoftware ihrer Hausbank nutzen.

Offen ist ebenfalls, wie viele bisherige Lastschrifteinreicher zukünftig andere Zahlverfahren als die Lastschrift nutzen werden und daher keine Gläubiger-ID benötigen und so gesehen nie "Sepa-ready" für die Lastschrift sein werden.

Je nach Branche und Größe eines Unternehmens hatten und haben diese unterschiedliche Schwierigkeiten bei der Sepa-Migration zu bewältigen. Neben der Abhängigkeit von voll ausgelasteten IT-Dienstleistern und Beratern, die ERP- und Finanzbuchhaltungs-Programme anpassen, wurden Probleme bei der automatisierten Verarbeitung von Rücklastschriften sowie bei der Konvertierung von Stammdaten benannt. Letztere ließen sich durch die zwischenzeitlich von der Bundesbank in Abstimmung mit der Deutschen Kreditwirtschaft veröffentlichten IBAN-Regeln ausräumen.

Der Hauptgrund für die nun geschehene Fristverlängerung der Big-Bang-Umstellung ist darin zu suchen, dass die Beteiligten die Komplexität und den Umfang der Sepa-Migration unterschätzt haben. Es ist nicht mit dem Einstellen von IBAN/BIC und Gläubiger-ID getan, sondern bedeutet Veränderungen in Stammdaten und Abrechnungsprozessen.

Keine Nachfrage nach Konvertierungsleistungen

Möglicherweise hätten die nun zu beobachtenden Engpässe mit einer Migration in mehreren Abschnitten verhindert werden können. Leider wird die reine Fristverlängerung nicht alle Umstellungsrisiken aufheben können.

Es gab monatelange Diskussionen auf nationaler und europäischer Ebene zur verordnungskonformen Umsetzung von Konvertierungsdienstleistungen für Nicht-Verbraucher, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen sowie Vereine. Erst der 2. Migrationsbericht der EZB vom Oktober 2013 brachte Klarheit über die konkrete Ausgestaltung. Die Konvertierung von Daten in einen verfahrenskonformen Zahlungsauftrag für die Sepa-Zahlverfahren ist demnach eine eigenständige Dienstleistung, die von der Abwicklung der Zahlungsaufträge durch den Zahlungsdienstleister zu trennen ist. Dank der Sepa-Änderungsverordnung nutzt jedoch quasi kein Unternehmen aktuell die Konvertierungsdienstleistungen von Zahlungsdienstleistern und IT-Dienstleistern. Statt Konvertierung werden die Altverfahren genutzt.

Unguter Präzedenzfall

Die Sepa-Änderungsverordnung war und ist für den deutschen Markt weder notwendig noch konstruktiv. Mit Angeboten zur Konvertierung für Nicht-Verbraucher wäre ein ordnungsgemäßer Zahlungsverkehr weiterhin zu gewährleisten. So fehlt der Druck für die "Sepa-Totalverweigerer" unter den Kunden. Institute und Unternehmen, die pünktlich die Sepa-Umsetzung abgeschlossen haben, wurden zur improvisierten Nutzung der Altverfahren genötigt und sind nun rechtlichen sowie wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt.

Ohne die Änderungsverordnung gäbe es einen klareren Überblick zum Stand der Sepa-Umsetzung bei den Nutzern der Zahlverfahren. So ist es zu früh für eine umfassende Bestandsaufnahme und die finalen Erfolgsmeldungen. Zunächst gibt es nur Entwarnung: Der Zahlungsverkehr in Sepa- und Altverfahren läuft sicher und stabil. Die Sepa-Änderungsverordnung ist ein Präzedenzfall. Wie sollen in Zukunft Kunden von notwendigen Anpassungen infolge neuer gesetzlicher Regelungen im Zahlungsverkehr (beispielsweise durch die anstehende Überarbeitung der Zahlungsdiensterichtlinie - PSD II) überzeugt werden, wenn die Erfahrung ihnen sagt, dass der Umsetzungstermin doch noch verschoben wird? Wie sollen Institute ihre Umsetzungsprojekte rechtssicher ausgestalten und die Budgetierung kalkulieren, wenn ihnen erneut eine kurzfristige Terminverschiebung durch einen Alleingang der EU-Kommission droht?

Die Sepa-Migration war und ist ein politisches Projekt, welches von der Kreditwirtschaft und ihren Kunden umfangreiche Maßnahmen mit entsprechenden Kosten verlangt. Wie bei der Einführung des Euro-Bargeldes im Jahr 2002 hat die Branche diese komplexen Anforderungen der Politik erfüllt. Angesichts des organisatorischen und finanziellen Aufwands ist es legitim, dass die Kreditwirtschaft und ihre Kunden bei folgenden Großprojekten stabile Rahmenbedingungen von den politischen Akteuren erwarten.

Prof. Dr. Liane Buchholz , Präsidentin , Westfälisch-Lippischer ­Sparkassen- und Giroverband, Münster
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